Kammergericht:
Beschluss vom 16. Juli 2010
Aktenzeichen: 1 Ws 95/10

(KG: Beschluss v. 16.07.2010, Az.: 1 Ws 95/10)

1. Bei Aufwendungen eines im Ausland wohnenden Angeklagten für einen dort ansässigen Verteidiger, die zusätzlich zu den Aufwendungen für einen Verteidiger im Inland entstehen, handelt es sich dem Grunde nach jedenfalls dann um notwendige Auslagen, wenn ihm erhebliche Straftaten vorgeworfen und gegen ihn im Inland oder (im Wege der Rechtshilfe) an seinem Wohnsitz Strafverfolgungsmaßnahmen ergriffen werden.

2. Maßgebend für die Erstattung der Vergütung des ausländischen Rechtsanwalts durch die Landeskasse ist das deutsche Gebührenrecht.

Tenor

Die sofortige Beschwerde des früheren Angeklagten gegen den Beschluß der Rechtspflegerin des Landgerichts Berlin vom 26. März 2010 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Der Beschwerdewert wird auf 151.958,78 EUR festgesetzt.

Gründe

Das Landgericht hat mit Beschluß vom 31. Juli 2007 das gegen den früheren Angeklagten geführte Strafverfahren wegen Verfolgungsverjährung nach § 206a StPO eingestellt und dessen notwendigen Auslagen der Landeskasse auferlegt. Seinem Antrag auf Erstattung von 157.131,00 EUR hat die Rechtspflegerin des Landgerichts durch Beschluß vom 26. März 2010 nur in Höhe von 4.276,61 EUR entsprochen. Mit seiner sofortigen Beschwerde macht der frühere Angeklagte die volle Höhe seines an Rechtsanwalt Dr. R. in Zürich gezahlten Honorars (hilfsweise den beim Abwesenheitsgeld (§ 28 BRAGO) versagten Zuschlag von 50 %) und die von ihm in der Schweiz €verauslagten€ Gerichtskosten geltend. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

21. Die Rechtspflegerin hat neben den bereits aus der Landeskasse bezahlten Gebühren und Auslagen der Berliner Verteidigerin Dr. G. zu Recht auch die Vergütung des Rechtsanwalts Dr. R. aus Zürich grundsätzlich als erstattungsfähig angesehen. Zwar bestimmt die gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO anwendbare Vorschrift des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO, daß die Kosten mehrerer Verteidiger - verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG NJW 2004, 3319) - auch in schwierigen und umfangreichen Verfahren nur insoweit zu erstatten sind, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen. Ein von der Rechtsprechung anerkannter Ausnahmefall, in dem zur Verfahrenssicherung oder aus Fürsorgegründen ein Pflichtverteidiger (neben dem Wahlanwalt) oder zwei Verteidiger bestellt worden sind (vgl. OLG Dresden StraFo 2007, 126; OLG Düsseldorf StraFo 2002, 370; KG NStZ 1994, 451), liegt ebenfalls nicht vor. Gleichwohl sind hier die Aufwendungen des früheren Angeklagten für Rechtsanwalt Dr. R. dem Grunde nach erstattungsfähig. Für Zivilverfahren wird nach überwiegender Ansicht eine Ausnahme von § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO in den Fällen zugelassen, in denen eine ausländische Partei im Inland einen Prozeß führt. Sie darf sich dann im Ausland eines Korrespondenzanwalts bedienen, wenn das zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig ist (vgl. BGH FamRZ 2005, 1671; KG Rpfl. 2008, 598; OLG Stuttgart NJW-RR 2004, 1581 mwN; Zöller/Herget, ZPO 28. Aufl., § 91 Rdn. 13 Stichwort: Ausländer; ebenso für das strafrechtliche Rehabilitierungsverfahren: KG, Beschluß vom 19. Dezember 2005 - 5 Ws 432/05 REHA -). Gleiches muß nach Auffassung des Senats im Strafverfahren für einen im Ausland wohnenden Angeklagten jedenfalls dann gelten, wenn ihm erhebliche Straftaten vorgeworfen und gegen ihn im Inland oder (im Wege der Rechtshilfe) an seinem Wohnsitz Strafverfolgungsmaßnahmen ergriffen werden. So liegt es hier.

Dem in der Schweiz lebenden Beschwerdeführer waren mit der Anklage vom 14. November 2000 ein Fall des Betruges, Untreue in fünf Fällen und drei Fälle der Beihilfe zur Untreue zum Nachteil der Firma W. GmbH mit einem Gesamtschaden von über 153 Mio DM zur Last gelegt worden. Im Zuge der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen war gegen ihn in Deutschland ein Haftbefehl erlassen, seine Schweizer Wohnung durchsucht und der dingliche Arrest in sein Vermögen angeordnet worden. Das rechtfertigte die Einschaltung eines Rechtsanwalts am Wohnsitz des früheren Angeklagten.

42. Allerdings kann der Beschwerdeführer die Anwaltskosten nicht in der geltend gemachten Höhe von 231.728,50 CHF (152.455,00 EUR) ersetzt verlangen, die ihm Rechtsanwalt Dr. R. auf der Grundlage der schweizerischen €Verordnung des Obergerichts über die Anwaltsgebühren€ auf Stundenbasis in Rechnung gestellt hat. Denn für die Erstattung der Kosten eines ausländischen Rechtsanwalts durch den Prozeßgegner oder - wie hier - durch die Landeskasse ist allein das deutsche Gebührenrecht maßgebend (vgl. BGH NJW 2005, 1373). Nach den §§ 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO, 91 Abs. 2 ZPO können nur die (innerstaatlichen) gesetzlichen Gebühren verlangt werden. Es ist nicht zulässig, die Berechtigung des Gebührenanspruchs und seine Höhe nach verschiedenen Rechtsordnungen zu beurteilen. Wenn der Angeklagte das deutsche Verfahrensrecht zur Begründung seiner Forderung in Anspruch nimmt, muß er auch für deren Umfang die nach diesem Recht zum Schutz des Erstattungspflichtigen vorgesehenen Bemessungsgrenzen und Schranken akzeptieren (vgl. OLG Stuttgart aaO). Daß einem nicht verurteilten Angeklagten dadurch nicht ersatzfähige Kosten entstehen können, muß er hinnehmen. Denn die Erstattungspflicht der Staatskasse bedeutet nicht, daß sie unter allen Umständen für sämtliche Auslagen des Angeklagten aufkommen muß, die er zu seiner Rechtsverteidigung aufgewendet hat (vgl. BVerfG NJW 2004, 3319; 1985, 726).

Die Rechtspflegerin hat daher die Gebühren und die Postpauschale zu Recht nach dem Hilfsantrag des Beschwerdeführers gemäß den §§ 91 Nr. 2, 26 BRAGO auf insgesamt nur 655,00 EUR (1.310,00 DM) festgesetzt.

Den auf das gewährte Abwesenheitsgeld seines Schweizer Rechtsanwalts (hilfsweise) beantragten Zuschlag von 50 % in Höhe von 112,48 EUR (220,00 DM) kann der Beschwerdeführer nach § 28 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 BRAGO nicht verlangen. Die Erhöhung des pauschalierten Abwesenheitsgeldes tritt bei Auslandsreisen nicht schon dann automatisch ein, wenn der Rechtsanwalt den Zuschlag beantragt. Einen Rechtsanspruch hat er darauf nicht ohne weiteres, wie sich aus der eindeutigen Formulierung der Vorschrift ergibt, wonach der Zuschlag berechnet werden €kann€ (vgl. für die gleichlautende Nr. 7005 VV RVG: Hartmann, KostG 40. Aufl., Rdn. 35 zu Nrn. 7003-7006 VV RVG; aA Madert in Gerold/Schmidt, BRAGO 15. Aufl., Rdn. 22 zu § 28, und RVG 18. Aufl., Rdn.3 zu Nrn. 7005-7007 VV RVG). Der Rechtsanwalt muß deshalb die durch den Auslandsaufenthalt bedingten Aufwendungen oder Erschwernisse darlegen. Das ist hier nicht geschehen und versteht sich bei Flugreisen zwischen Zürich und Berlin auch nicht von selbst.

3. Ebenfalls zu Recht hat es die Rechtspflegerin abgelehnt, aus der Landeskasse die vom Beschwerdeführer in der Schweiz gezahlten Gerichtskosten von 578,00 CHF (383,75 EUR) zu erstatten, die für seine (erfolglose) Eingabe beim Bezirksgericht Zürich erhoben wurden. Denn der frühere Angeklagte kann nur die Auslagen ersetzt verlangen, die ihm in dem deutschen Strafverfahren erwachsen sind. Die Gerichtskosten sind hingegen im Rahmen eines in der Schweiz nach den dort geltenden Bestimmungen gesondert durchgeführten Rechtshilfeverfahrens entstanden, das kein unselbständiger Teil des deutschen Strafverfahrens war. Das innerstaatliche Verfahrensrecht ist somit nicht anwendbar (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2003, 319 und OLG Zweibrücken Rpfl. 1989, 125 für Rechtsanwaltsgebühren im Auslieferungsverfahren).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.






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Beschluss v. 16.07.2010
Az: 1 Ws 95/10


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