Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 8. Januar 2007
Aktenzeichen: II ARZ 1/05

(BGH: Beschluss v. 08.01.2007, Az.: II ARZ 1/05)

Tenor

Der Antrag vom 29. März 2005, das für die Bestellung eines Notvorstandes und eines Notaufsichtsrats der B. AG zuständige Gericht zu bestimmen, wird abgelehnt.

Gründe

I. Die Antragstellerin ist Aktionärin der ehemals im Handelsregister der Stadt C. unter HRB Nr. 161 eingetragenen B. AG. Laut nachträglichem Registereintrag vom 1. September 1969 wurde die Gesellschaft seit 16. Juni 1953 gemäß § 6 der Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli 1952 (DDR-GBl. 1952 Nr. 100, S. 615 f.) unter vorläufige Verwaltung durch die Organe der DDR gestellt. In der Folgezeit wurden verschiedene Privatpersonen - meist Betriebsmitglieder - zum Verwalter bestellt, bis im Jahre 1970 der Rat der Stadt K. (heute: C. ) die Verwaltung selbst übernahm. Aufgrund eines entsprechenden Beschlusses des Rates der Stadt K. vom 4. Juni 1973 wurde die Gesellschaft noch in demselben Monat im Handelsregister gelöscht. Für die Gesellschaft wurde bei der D. bank, Kreisfiliale C. , ein Bankkonto geführt, das per 20. Dezember 1991 ein Guthaben von 109.027,76 DM aufwies; das Guthaben wurde schließlich an das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen abgeführt und wird nunmehr für dieses von der f. mbH, Be. , verwaltet.

Die Antragstellerin, die die B. AG als durch die Organe der ehemaligen DDR als enteignet ansieht und deren Fortbestehen im Bundesgebiet als sog. Spaltgesellschaft behauptet hat, will die Bestellung eines Notvorstandes und eines Notaufsichtsrates erreichen, um die B. AG in die Lage zu versetzen, Rechte an dem Restvermögen geltend zu machen. Sie hat daher bei dem Bundesgerichtshof beantragt, gemäß § 5 FGG das für die Bestellung dieser Organe zuständige Gericht zu bestimmen.

II. Der Antrag ist - nach derzeitiger Aktenlage - unbegründet.

1. Zuständig für die Bestellung eines Notvorstandes oder eines Notaufsichtsrates ist gemäß § 14 AktG grundsätzlich das Gericht des Sitzes der Gesellschaft. Hat diese im Gebiet der früheren DDR keinen Sitz, weil sie dort infolge einer Enteignung zu bestehen aufgehört hat, so kann gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 FGG ein anderes - außerhalb der früheren DDR gelegenes - Gericht nur dann für örtlich zuständig erklärt werden, wenn die Gesellschaft nach der Enteignung in den westalliierten Besatzungszonen oder den Westsektoren B. s als sogenannte Rest- oder Spaltgesellschaft fortbestanden hat (st.Rspr., vgl. Senat, Beschl. v. 19. November 1990 [nicht: 24. Juli 1990] - II ARZ 8/90, WM 1991, 14, 15).

2. Für das Bestehen einer solchen Rest- oder Spaltgesellschaft (vgl. zur terminologischen Unterscheidung: BGHZ 33, 195, 199; eingehend: Drobnig, Festschrift Serick, 37, 42 ff.) fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten.

a) Zweifelhaft ist bereits die für das Entstehen einer Rest- oder Spaltgesellschaft erforderliche Enteignung der "ursprünglichen" Gesellschaft. Denn nach dem vorgelegten Handelsregisterauszug wurde die in C. ansässige Gesellschaft lediglich gemäß § 6 der Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli 1952 der vorläufigen Verwaltung durch die Behörden der DDR unterworfen. Unabhängig davon, ob nach dieser Verordnung nicht die Gesellschaft, sondern lediglich die Mitgliedschaftsrechte an ihr unter vorläufige Zwangsverwaltung zu stellen gewesen wären, kann die Anordnung dieser vorläufigen Zwangsverwaltung selbst nicht ohne weiteres als Enteignung angesehen werden. Zum einen blieben - wie sich aus der Richtlinie für die Räte der Städte und Gemeinden zur Durchführung der §§ 1, 2 und 6 der Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli 1952 ergibt - die bisherigen Personen (Aktionäre) Eigentümer; nach dieser Richtlinie waren nicht nur die bisherigen Eigentümer als solche weiterhin zu bezeichnen, sondern es wurden auch insbesondere im Bereich der Kontenverwaltung Vorkehrungen getroffen, um das zwangsverwaltete Vermögen gegebenenfalls dem Eigentümer wieder aushändigen zu können. Derartige Vermögenswerte wurden - wie bei der vorläufigen Zwangsverwaltung vorgeschrieben und wie auch im vorliegenden Fall praktiziert - auf Sperrkonten zugunsten der Berechtigten bei der D. bank AG angelegt. Die Tatsache, dass hier die Gesellschaft trotz vorhandenen Restvermögens im Handelsregister später gelöscht wurde, stellt für sich genommen jedenfalls noch keine Enteignung dar. Denn es handelte sich - ähnlich wie bei der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens - zunächst lediglich um eine "privatrechtsgestaltende" Maßnahme, die für sich genommen keinen politischen oder wirtschaftspolitischen Zwecken diente (vgl. zu dieser Formel: BGHZ 95, 256, 265; 31, 367, 371). Ob im vorliegenden Fall etwa weitere - allerdings bislang nicht ersichtliche - Umstände ermittelt werden könnten, die zu der Annahme einer (faktischen) Enteignung der Gesellschaft führen könnten, kann letztlich dahinstehen.

b) Denn die Entstehung einer Rest- oder Spaltgesellschaft setzt außerdem voraus, dass die - unterstellt - enteignete Gesellschaft in den alten Bundesländern Vermögen hatte, das von der Enteignung nicht erfasst worden ist (vgl. Senat, Beschl. v. 19. November 1990 aaO S. 15). Solches "Westvermögen" der B. AG ist nach Aktenlage nicht sicher festzustellen. Das bislang feststellbare Restvermögen in Höhe von ca. 50.000,00 € befand sich - wie auch die Antragstellerin vorgetragen hat - auf einem von den Organen der Stadt K. verwalteten Sonderkonto in der ehemaligen DDR und unterlag damit deren hoheitlichem Zugriffsbereich. Soweit die Antragstellerin unter Bezugnahme auf einen Auszug aus dem Handbuch der deutschen Aktiengesellschaften aus dem Jahre 1942 auf dort aufgeführtes Wertpapiervermögen und einen Anleihestock der Gesellschaft verweist, kann allein daraus nicht mit Sicherheit der Schluss gezogen werden, dass es sich dabei, wie die Antragstellerin meint, um in den alten Bundesländern belegenes - und damit dem Zugriff des "enteignenden Staates" nicht zugängliches - Vermögen gehandelt hat. Denn für die Belegenheit solcher Wertpapier-Vermögenswerte kommt es nicht auf den Ort der Aufbewahrung der Urkunden, sondern - im Hinblick auf den Entzug des darin verbrieften Rechtes - auf den Sitz des Emittenten an (vgl. OLG Celle IPRspr. 1964/65 Nr. 187; Staudinger/Großfeld, IntGesR Rdn. 947; Kegel, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. S. 1108 - jew. m.w.Nachw.). Anhaltspunkte dafür, dass etwa die Emittenten der seinerzeit von der Gesellschaft gehaltenen, nicht näher aufgeschlüsselten Wertpapiere ihren Sitz im Gebiet der alten Bundesländer gehabt hätten, sind jedoch von der Antragstellerin nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich. Daher kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei um - für die Entstehung einer Rest- oder Spaltgesellschaft erforderliches - "Westvermögen" der (ursprünglichen) Gesellschaft gehandelt hat.

c) Hatte hingegen die angeordnete vorläufige Verwaltung auch in Verbindung mit der Löschung der Gesellschaft im Handelsregister nicht das Gewicht einer faktischen Enteignung - wofür die weitere Verwaltung des verbliebenen Vermögenswertes in Form des Bankguthabens von ca. 50.000,00 € spricht - so bedarf es der Bestimmung des zuständigen Gerichts durch den Senat ohnehin nicht. Das Restvermögen kann nämlich dann im Rahmen eines normalen Nachtragsliquidationsverfahrens nach § 273 Abs. 4 AktG verteilt werden; hierfür wäre das Amtsgericht C. als das für den Sitz der Gesellschaft zuständige Registergericht (§ 14 AktG) anzurufen.

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BGH:
Beschluss v. 08.01.2007
Az: II ARZ 1/05


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