Bundespatentgericht:
Beschluss vom 25. Juni 2001
Aktenzeichen: 30 W (pat) 177/00

(BPatG: Beschluss v. 25.06.2001, Az.: 30 W (pat) 177/00)

Tenor

Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

In das Markenregister eingetragen ist unter der Rollennummer 396 54 270 die Marke ASS varioals Kennzeichnung für die Waren Arzneimittel.

Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der älteren Marken 2 095 886 siehe Abb. 1 am Endeund 2 099 184 siehe Abb. 2 am Endedie ua ebenfalls für Arzneimittel eingetragen sind. Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patentamts hat mit Beschluß des Erstprüfers eine Verwechslungsgefahr bejaht und die Löschung der jüngeren Marke angeordnet. Auf Erinnerung der Markeninhaberin hat dieselbe Markenstelle mit Beschluß der Erinnerungsprüferin eine Verwechslungsgefahr verneint und die Widersprüche zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, daß der Markenabstand unter Zugrundelegung einer durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken sowie Warenidentität ausreichend sei. Selbst wenn die Zeichenteile ASS als Abkürzung für den Wirkstoff Acetylsalicylsäure und 100 als Hinweis auf dessen Konzentration außer Betracht blieben - sich also die Worte vario und ratio gegenüberstünden - genügten die konsonantischen Unterschiede, um ein Verwechseln der beiden Marken zu verhindern.

Die Widersprechende hat Beschwerde erhoben und darauf hingewiesen, daß der Markenbestandteil ASS zwar kennzeichnungsschwach sei, er bei Gegenüberstellung der Marken aber nicht völlig außer Betracht bleiben dürfe. Das Wort ratio sei phantasievoll, denn es könne zum einen auf die Firma Ratiomed, zum andern aber auf die Art und Weise der Wirkstoffkombination (nämlich einer vernünftigen) hinweisen. Wegen der identischen Waren sei ein deutlicher Markenabstand notwendig, der aber wegen der großen Übereinstimmung in Sprachrhythmus, Betonung und Vokalfolge nicht mehr gegeben sei. Die unterschiedlichen Bedeutungs inhalte der beiden Marken seien nicht klar und eindeutig erkennbar, so dass sie keine ins Gewicht fallende Unterscheidungshilfe geben könnten.

Die Widersprechende beantragt, den angefochtenen Beschluß der Markenstelle aufzuheben und (erneut) die Löschung der jüngeren Marke anzuordnen.

Die Markeninhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Nach ihrer Ansicht sind die Bestandteile ASS, 100 sowie die Umkreisung in Form eines Herzens deutlich beschreibend, denn jedem Arzt und kundigen Verbraucher sei bekannt, daß ASS in dieser niederen Dosierung zur Herzkranzgefäßprophylaxe verwendet werde. Aber auch der Bestandteil ratio leide unter Originalitätsschwäche, denn er weise auf ein sinnvolles Wirkstoffverhältnis des Medikaments hin. Stünden sich allein ratio und vario gegenüber, seien sowohl in klanglicher Hinsicht als auch wegen der erkennbaren Sinngehalte der Worte (ratio = Vernunft, Verstand; vario = Hinweis auf variabel, Variante) Verwechslungen im rechtserheblichen Ausmaß nicht zu befürchten.

Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Parteien sowie auf die patentamtlichen Beschlüsse Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (§ 66 Abs 1 und Abs 2 MarkenG), hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr erfolgt durch Gewichtung der zueinander in Wechselwirkung stehenden Faktoren, nämlich der Ähnlichkeit der Marken, der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren sowie der Kennzeichnungskraft der älteren Marke (ständige Rechtsprechung, zB EuGH MarkenR 1999, 20 - CANON; BGH, MarkenR 2001, 204 EVIAN/REVIAN). Nach der hier maßgeblichen Registerlage können sich die Marken auf identischen Waren begegnen und sie richten sich jeweils an die allgemeinen Verkehrskreise, so daß als Maßstab der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher anzusetzen ist (vgl BGH MarkenR 2000; 140 - ATTACHE/TISSERAND). Ganz allgemein wird man jedoch im Bereich von Produkten, die die Gesundheit betreffen, von einer etwas gesteigerten Aufmerksamkeit des Verbrauchers ausgehen können. Zudem hat der Kranke oder derjenige, der Beschwerden vorbeugen möchte, zumindest rudimentäre Kenntnisse von den für seinen Krankheitsbereich angebotenen und notwendigen Medikamenten.

Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist als eher unterdurchschnittlich einzustufen. Der Bestandteil ASS ist die allgemein gebräuchliche und häufig verwendete Abkürzung für Acetylsalicylsäure, einem der wichtigsten und bekanntesten Wirkstoffe im Bereich der Schmerzmittel (Analgetika), der nunmehr verstärkt auch als Thrombozytenaggregationshemmer (Hauptgruppe 79 der Roten Liste 2001) angeboten wird. Diese Abkürzung wird nicht nur von den Ärzten und Apothekern, sondern auch von einem wesentlichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise praktisch ausnahmslos erkannt werden (vgl PAVIS PROMA; Knoll, 25 W (pat) 15/96 - Schmerz-ASS). Hinzu kommt eine massive Schwächung dieser INN-Wirkstoffabkürzung durch Verwendung in zahlreichen Drittmarken. Allein in der Roten Liste (Rote Liste 2001) sind ... Medikamente verzeichnet, die ASS in ihrer Kennzeichnung führen (zB 05 187: ASS 100/-500- 1 A Pharma Tabletten, 05 188: ASS 100/-500 Heumann Tabletten, 05 190: ASS 100 Hexal Tabletten, 79 006: ASS light 100 Tabletten usw). Die Zahl 100 als möglicher Hinweis auf die Dosierung tritt bei der kennzeichnenden Funktion einer Arzneimittelmarke ebenfalls eher zurück. Die herz- oder apfelförmige Umrandung der Widerspruchsmarke ist graphisch untergeordnet und tritt ebenfalls eher in den Hintergrund. Allein der Wortbestandteil ratio kann somit herstellerhinweisend wirken. Bei ihm jedoch handelt es sich um das deutsche Fremdwort für die Begriffe "Vernunft, Verstand" (Duden, Das Fremdwörterbuch, 6. Aufl., S 686). Unabhängig davon, ob der Verbraucher in diesem Wort nun einen Hinweis auf eine "vernünftige" Kombination der Inhaltsstoffe erblickt oder meint, damit werde angedeutet, es sei "vernünftig", seine Beschwerden mit diesem Mittel zu kurieren (oder ob er darin die Firma der Widersprechenden oder eine andere Firma erkennt), so ändert dies nichts an der Kennzeichnungsschwäche dieses Markenbestandteils.

Bei Gegenüberstellung der beiden Marken ASS vario und ASS ratio 100 (der Bildbestandteil bleibt als untergeordnet außer Betracht) ist vom Gesamteindruck der beiden Marken auszugehen, wobei dieser durch einzelne Bestandteile allein geprägt werden kann, so daß der Rest an Bedeutung verliert und in den Hintergrund tritt (ständige Rechtsprechung zB BGH MarkenR 2000, 20 RAUSCH/ ELFI RAUCH). Dieses Alleinbestimmtsein des Gesamteindrucks durch einen einzelnen Markenbestandteil ist die Ausnahme. Im Hinblick darauf, daß im Arzneimittelbereich die Wirkstoffabkürzung ASS und die jeweiligen Dosierangaben wohl verbraucht sind, mögen sie bei Feststellung des Gesamteindrucks der Marken unberücksichtigt bleiben. Denn selbst bei der Entscheidung wenn sich nur vario und ratio gegenüberstehen, ist der Widersprechenden zwar zuzugestehen, daß die beiden Worte im Sprechrhythmus, der Betonung und der Vokalfolge übereinstimmen und die Vokalfolge io im Arzneimittelbereich wohl eher selten ist. Gleichwohl werden diese klanglichen Gemeinsamkeiten durch die den Marken innewohnende durchaus erkennbaren Bedeutungsinhalte abgemildert (entgegen der Ansicht der Widersprechenden muß ein solcher Bedeutungsinhalt nur dann ohne weiteres erkennbar sein, wenn er eine an sich gegebene klangliche Verwechslungsgefahr aufheben soll, vgl BGH GRUR 1992, 130 Bally/Ball, Althammer/Ströbele MarkenG 6. Aufl § 9 Rdz 87). Hier sind die Abweichungen der beiden Worte in klanglicher Hinsicht aufgrund deren Kürze und der beiden unterschiedlichen Konsonanten noch ausreichend, so daß der Bedeutungsgehalt zum Auseinanderhalten nur unterstützend wirkt. Ratio als deutsches Fremdwort muß eine gewisse Bekanntheit zugebilligt werden. Auch dem der lateinischen Sprache Unkundigen sind Begriffe wie rational, rationell, Ration, rationalisieren usw. bekannt und er wird sie als Merkhilfe unterstützend heranziehen. Vario in der anderen Marke findet sich in dieser Form zwar nicht in der deutschen Sprache (in Italienisch und Spanisch bedeutet vario = verschieden, mannigfaltig), er wird aber in der Werbung auf den unterschiedlichsten Warengebieten eingesetzt. So gibt es bei Versicherungen und Bausparkassen Variotarife, es werden bei Möbeln Variosysteme angeboten und der gleichen mehr. Vario wird verwendet, um auf variabel, dh, auf abwandelbar, veränderbar hinzuweisen. Diese Kenntnis wird dem Verbraucher trotz der Klangnähe der Marken deutlich helfen, sie nicht miteinander zu verwechseln.

Soweit die Widersprechende darauf hinweist, daß auch schutzunfähige Zeichenteile bei der Kollisionsprüfung nicht außer Acht gelassen werden dürfen, darf sich dieses Miteinbeziehen solcher schutzunfähiger Zeichenteile nicht auf einen Teil der Zeichenteile beschränken. Entweder werden die Zeichenteile, die zur Kennzeichnung wenig oder nichts beitragen, insgesamt vernachlässigt oder insgesamt mitberücksichtigt, zumal hier ein deutlich unterschiedlicher Grad von Schwäche zwischen ASS, 100 und dem Bildteil nicht erkennbar ist. Auch läßt sich bei Kombinationszeichen mitunter überhaupt nicht feststellen, ob ein einzelner Zeichenteil das Gesamtzeichen im Sinne der Rechtsprechung prägt.

Die Beschwerde ist deshalb ohne Erfolg.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt (§ 71 Abs 1 MarkenG).

Dr. Buchetmann Winter Schwarz-Angele Hu Abb. 1 http://agora/bpatgkollision/docs/30W(pat)177-00.2.3.gif Abb. 2 http://agora/bpatgkollision/docs/30W(pat)177-00.3.3.gif






BPatG:
Beschluss v. 25.06.2001
Az: 30 W (pat) 177/00


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