Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 2. Dezember 2013
Aktenzeichen: 5 UF 310/13

(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 02.12.2013, Az.: 5 UF 310/13)

Tenor

Die Beschwerde wird verworfen, soweit mit ihr die Anordnung einer Pflegschaft begehrt wird. Im Übrigen wird sie zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beschwerdeführerin.

Beschwerdewert: 2. 500,- EUR.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Das im Rubrum genannte minderjährige Kind reiste am ...2013 ohne Begleitung seiner Eltern oder sonstiger Vertretungsberechtigter in das Bundesgebiet ein und wurde in der Folgezeit am 3.7.2013 vom Jugendamt O1 gemäß § 42 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VIII in Obhut genommen. Mit Schreiben vom 5.7.2013 regte das Jugendamt bei dem Familiengericht an, das Ruhen der elterlichen Sorge nach § 1674 BGB festzustellen, da der Minderjährige seit der Flucht aus seiner Heimat keinen Kontakt zu seiner Mutter - der Vater sei bereits verstorben - habe. Gleichzeitig regte das Jugendamt seine Bestellung als €vorläufiger Pfleger€ für den Bereich der Personensorge an und darüber hinaus die Bestellung eines Rechtsanwaltes als Ergänzungspfleger für die Vertretung des Kindes in asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten, da dem Jugendamt insoweit die erforderliche Sachkunde fehle. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf das Schreiben des Jugendamts vom 5.7.2013. Mit Beschluss vom 9.7.2013 (241 F 1368/13) stellte der Rechtspfleger des Amtsgerichts Gießen das Ruhen der elterlichen Sorge fest. Mit richterlichem Beschluss vom 26.7.2013 ordnete das Amtsgericht- Familiengericht - Gießen die Vormundschaft für den Betroffenen an und bestellte die Beschwerdeführerin als Amtsvormund. Von der Bestellung eines anwaltlichen Ergänzungspflegers für die Vertretung des Kindes in asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten sah es unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29.5.2013 (XII ZB 530/11) ab.

Gegen die dem Amtsvormund am 1.8.2013 zugestellte Entscheidung legte dieser mit Schreiben vom 14.8.2013, eingegangen beim Amtsgericht am 19.8.2013, Beschwerde ein und stellte auf entsprechenden Hinweis des Senats mit Schreiben vom 10.10.2013 klar, dass er die Beschwerde als Amtsvormund in eigenen Namen eingelegt habe.

Der Amtsvormund macht geltend, das Absehen von der Bestellung eines anwaltlichen Ergänzungspflegers für die Vertretung des Kindes in asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten widerspreche ebenso wie die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (a. a. O.) europäischem Recht, insbesondere der Richtlinie 2013/32/EU vom 26.6.2013 und der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (sog. Dublin-III-VO) vom selben Tag. Wegen des weiteren Beschwerdevorbringens wird Bezug genommen auf das Schreiben des Jugendamts vom 25.9.2013 (Bl. 21 ff. d. A.). Der Senat hat das betroffene Kind durch den mit Beschluss vom 5.11.2013 beauftragten Berichterstatter angehört.

II.

Die gemäß §§ 58 ff., 151 Nr. 4 FamFG in der Kindschaftssache eingelegte Beschwerde ist teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet.

Die Beschwerde des Amtsvormunds ist unzulässig, soweit mit ihr geltend gemacht wird, das Amtsgericht hätte zusätzlich eine Ergänzungspflegschaft für die Vertretung des Kindes in dessen asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten bestellen müssen. Insoweit fehlt es bereits an der Beschwerdeberechtigung des Amtsvormunds bei dem Jugendamt, da dieses hier nicht als anzuhörende Fachbehörde i. S. d. §§ 162 FamFG, 2 Abs. 2 Nr. 6, 50 SGB VIII, sondern als bestellter Amtsvormund (§§ 1791b BGB, 2 Abs. 2 Nr. 11, 55 SGB VIII) Beschwerde eingelegt hat, was dieser auf Hinweis des Senates ausdrücklich bestätigt hat. Der Amtsvormund ist jedoch durch die bloße Begründung einer Vormundschaft gemäß §§ 1773, 1774 BGB für das betroffene Kind wegen des Ruhens der elterlichen Sorge nicht in eigenen Rechten verletzt, da hiervon noch keine unmittelbare Rechtswirkung zu Lasten des Amtsvormundes ausgeht. Erst durch seine Auswahl und Bestellung als Amtsvormund wird seine Rechtstellung betroffen. Eine Beschwerdebefugnis in Bezug auf die Anordnung der Vormundschaft besteht demnach nicht (BGH NJW 2012, 685). Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, das Amtsgericht hätte keine Vormundschaft anordnen dürfen, sondern zumindest zusätzlich auch noch Ergänzungspflegschaft(en) anordnen müssen, war die Beschwerde daher als unzulässig zu verwerfen, so dass es auch nicht darauf ankommt, ob der Entscheidung des BGH vom 29.5.2013 (FamRZ 2013, 1206) zur Frage der Verhinderung eines Vormunds wegen angeblich mangelnder Sachkunde zu folgen ist.

Die Beschwerde ist nach §§ 58 ff. FamFG aber insoweit zulässig, als der Amtsvormund geltend macht, das Amtsgericht hätte die Bestellung eines Rechtsanwaltes als Mitvormund gemäß § 1797 Abs. 2 BGB mit dem (selbständigen) Wirkungskreis der ausländer- und asylrechtlichen Betreuung bestellen müssen, weil sich die Beschwerde insoweit gegen seine Auswahl und Bestellung zum alleinigen Vormund des Kindes richtet und die angefochtene Entscheidung seine Rechtssphäre tangiert.

Die teilweise zulässige Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Recht von der Bestellung eines Mitvormundes in Person eines Rechtsanwaltes für die Betreuung des Kindes in asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten abgesehen. Gemäß § 1791b BGB ist die Bestellung nur ultima ratio, wenn es an einer vorrangig zu bestellenden geeigneten Person fehlt. Demgemäß kann sich das Jugendamt grundsätzlich bei Fehlen geeigneter Personen nicht gegen seine Bestellung als Vormund wehren.

Nach 1775 S. 2 BGB soll das Familiengericht im Regelfall nur einen Vormund für das Mündel bestellen. Mehrere Vormünder sollen nur dann bestellt werden, wenn besondere Gründe dies erfordern. Solche Gründe liegen nach Auffassung des Senates nicht vor.

Allein der Umstand, dass der Amtsvormund der Auffassung ist, ihm fehle für bestimmte Aufgaben die (juristische) Sachkunde, rechtfertigt nicht die Bestellung mehrerer Vormünder, weil dann bei der Vielfältigkeit der Aufgabenstellung im Bereich der Personen- und Vermögenssorge die Bestellung mehrerer Vormünder zum Regelfall werden könnte. Im Übrigen - das zeigen die qualifizierten rechtlichen Ausführungen des Amtsvormunds - ist schon zweifelhaft, ob der Amtsvormund unter Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht selbst dazu in der Lage ist, sich in eine für ihn nicht alltägliche Rechtsmaterie, hier das Asylverfahrens- und Ausländerrecht für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, einzuarbeiten. Ob der Auffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Beschl. v. 17.4.2013, 3 UF 106/13 - juris -) zu folgen ist, dass Jugendämter generell auch über ausreichende Spezialkenntnisse des Asyl- und Ausländerrechts verfügen, bedarf hier keiner Entscheidung, zumal das Jugendamt sich ohne weiteres externen fachlichen Rat beschaffen kann (BGH FamRZ 2013, 1206; OLG Karlsruhe ZKJ 2012, 272). Dabei macht der Amtsvormund auch zu Unrecht geltend, wegen der niedrigen Vergütungssätze der Beratungshilfe würden Rechtsanwälte auf dieser Basis nicht für die (außergerichtliche) Vertretung der betroffenen Kinder zur Verfügung stehen. § 49a BRAO sieht vielmehr eine grundsätzliche berufsrechtliche Verpflichtung von Rechtsanwälten zur Leistung von Beratungshilfe vor. Soweit der Amtsvormund der Auffassung ist, dass die gesetzliche Vergütung für anwaltliche Leistungen im Rahmen der Beratungshilfe zu niedrig sei, mag er sich mit dieser Kritik an den Gesetzgeber wenden. Keinesfalls liegt in dieser Gesetzeslage aber eine Beeinträchtigung der schützenswerten Rechte des Amtsvormunds.

Entgegen der Auffassung der Beschwerde führen auch die gegenwärtigen europarechtlichen Vorgaben zu keiner anderen Beurteilung. Der Hinweis auf die Richtlinie 2013/32/EU vom 26.6.2013 und die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (sog. Dublin-III-VO) vom selben Tag vermag schon deshalb keine andere Einschätzung rechtfertigen, weil beide Rechtsquellen noch keine sachliche Geltung im nationalen Recht beanspruchen.

Die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, die eine Änderung der derzeit noch gültigen Richtlinie 2005/85/EG vom 1.12.2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft bezweckt, sieht zwar in Art. 25 Abs. 1 lit. a vor, dass der einem minderjährigen unbegleiteten Flüchtling zu bestellende Vertreter über die für die Inanspruchnahme der Rechte aus dieser Richtlinie notwendigen Fachkenntnisse verfügen muss. Nach Art. 51 Abs. 1 der Richtlinie haben die Mitgliedsstaaten jedoch noch bis 20.7.2015 Zeit, um etwaige zur Umsetzung der Richtlinie erforderliche gesetzliche Neuregelungen zu schaffen.

Die sog. Dublin-III-Verordnung (s. o.) sieht in Art. 6 Abs. 2 S. 2 eine Art. 25 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU entsprechende Regelung über die Notwendigkeit von Qualifikationen und Fachkenntnissen des zu bestellenden Vertreters vor, sie tritt nach Art. 49 jedoch auch erst zum 1.1.2014 in Kraft.

Es entspricht höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass Rechtsvorschriften von den Gerichten für eine Entscheidung nicht bereits ab ihrer Verkündung zugrunde gelegt werden dürfen, sondern erst nach ihrem Inkrafttreten, denn erst dies verhilft der Gesetzesnorm zur Wirksamkeit und bestimmt den zeitlichen Geltungsbereich, von dem an die Bestimmungen von den Gerichten anzuwenden sind (BGH FamRZ 1993, 414; 2004, 256).

Die derzeit gültige und allein maßgebliche Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1.12.2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft sieht in Art. 17 Abs. 1 lit. a und b vor, dass die Mitgliedsstaaten Maßnahmen ergreifen müssen, die gewährleisten, dass für unbegleitete Minderjährige ein Vertreter bestellt wird, der ihn bei der Prüfung des Asylantrages vertritt und unterstützt und ihn über die Bedeutung und Vorbereitung seiner persönlichen Anhörung aufklären kann. Diesen Vorgaben wird die Bestellung des Jugendamts als Amtsvormund gerecht. Die Bestellung des Jugendamtes als Amtsvormund gewährleistet insoweit nicht nur die persönliche Betreuung und Versorgung des von seinen Eltern getrennten minderjährigen Flüchtlings, sondern auch die in rechtlicher Hinsicht zur Betreibung eines Asyl- oder Aufenthaltsverfahrens notwendige Unterstützung. Den zu Amtsvormündern bestellten Personen steht es frei, sich bei fehlender Sachkenntnis innerhalb der Behörde die nötige Auskunft selbst zu beschaffen oder aber für das Mündel einen Rechtsanwalt im Rahmen der Beratungshilfe zu beauftragen (BGH FamRZ 2013, 1206; OLG Karlsruhe ZKJ 2012, 272; OLG Brandenburg ZKJ 2011, 139).

Auch soweit die Beschwerde sich auf die Rechtsprechung der Bindungswirkung des EuGH von EU-Richtlinien im Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten der Richtlinie und dem Ablauf der Umsetzungsfrist für die Mitgliedsstaaten bezieht (etwa EuGH Beschl. v. 4.7.2006, NJW 2006, 465) bezieht, führt dies gegenwärtig zu keiner anderen Betrachtung der Rechtslage. Der Senat ist nicht der Auffassung, dass durch die von ihm getätigte innerstaatliche Auslegung von §§ 1773 ff. BGB die mit der Richtlinie verfolgte Zielsetzung, betroffenen Kindern qualifizierte Beratung und Wahrnehmung ihrer asylrechtlichen Belange zu ermöglichen, durch die Bestellung eines Amtsvormundes i.S.d. der Rechtsprechung des EuGH bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist gefährdet wird. Sofern der nationale Gesetzgeber zu der Einschätzung gelangen sollte, den als Amtsvormünder tätigen Personen fehle die nötige Qualifizierung für diesen Aufgabenbereich, liegt es in seiner Entscheidungsbefugnis, hieraus Konsequenzen zu ziehen.

Schließlich gebietet auch Art. 22 UN-Kinderrechtskonvention keine abweichende Entscheidung, da der unentgeltliche Zugang der betroffenen Kinder zu einem Rechtsbeistand durch das geltende System der Verfahrenskosten- und Beratungshilfe gewährleistet ist (BGH FamRZ 2013, 1206).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Wertfestsetzung auf §§ 63 Abs. 1 S. 2, 40, 42 Abs. 2 FamGKG.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgt, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG) und der Bundesgerichtshof noch nicht dazu Stellung genommen hat, ob die europarechtliche Lage an seiner hier maßgeblichen Rechtsauffassung etwas zu ändern vermag.






OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 02.12.2013
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