Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 1. Oktober 2012
Aktenzeichen: I-31 U 55/12

(OLG Hamm: Urteil v. 01.10.2012, Az.: I-31 U 55/12)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 17.02.2012 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

(§ 540 ZPO)

A.

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit folgender Klauseln, die die beklagte Sparkasse unter Nr. 5 (1) ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Anlage K2) verwendet:

„(1) Erbnachweise

Nach dem Tode des Kunden kann die Sparkasse zur Klärung der rechtsgeschäftlichen Berechtigung die Vorlegung eines Erbscheins, eines Testamentsvollstreckerzeugnisses oder ähnlicher gerichtlicher Zeugnisse verlangen; fremdsprachige Urkunden sind auf Verlangen mit deutscher Übersetzung vorzulegen.

Die Sparkasse kann auf die Vorlegung eines Erbscheins oder eines Testamentsvollstreckerzeugnisses verzichten, wenn ihr eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift vom Testament oder Erbvertrag des Kunden sowie die Niederschrift über die zugehörige Eröffnungsverhandlung vorgelegt wird.“

Der Kläger, der in die Liste qualifizierter Einrichtungen gemäß § 4 UKlaG eingetragen ist, hat die Beklagte mit Schreiben vom 31.08.2011 erfolglos abgemahnt, die weitere Verwendung der streitgegenständlichen Klauseln zu unterlassen und eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben.

Mit seiner Unterlassungsklage nach § 1 UKlaG begehrt der Kläger die Verurteilung der Beklagten, es zu unterlassen, diese oder inhaltsgleiche Klauseln gegenüber Verbrauchern zu verwenden. Darüber hinaus verlangt er die Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von insgesamt 214,00 € nebst Zinsen. Der Kläger hält die beanstandeten Klauseln für unwirksam. Er hat erstinstanzlich mit näheren Ausführungen die Ansicht vertreten, die streitgegenständlichen Klauseln verstießen gegen § 307 Abs. 1 BGB und 309 Nr. 7 BGB. Die Beklagte hat unter näherer Darlegung die Gegenauffassung vertreten. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in erster Instanz und der genauen Fassung der erstinstanzlich gestellten Sachanträge wird auf das landgerichtliche Urteil verwiesen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klauseln verstießen gegen § 307 Abs. 1 BGB und 309 Nr. 7 BGB. Sie benachteiligten bei der vorliegend maßgeblichen kundenfeindlichsten Auslegung den Verbraucher entgegen Treu und Glauben unangemessen. Denn nach dem Wortlaut der Klauseln liege es im freien Ermessen der Beklagten, die Vorlage eines Erbscheins oder Testamentsvollstreckerzeugnisses zu verlangen oder sich mit der Vorlage einer Ausfertigung oder beglaubigten Abschrift des Testaments oder Erbvertrages sowie der Niederschrift über die zugehörige Eröffnungsverhandlung zu begnügen. Die Wahl, wie und in welcher Form er den ihm obliegenden Nachweis seiner Erbenstellung erbringe, liege aber beim Erben. Nach der Rechtsprechung des BGH müsse der Erbe sein Erbrecht nicht zwingend durch Vorlage des Erbscheins nachweisen, sondern der Nachweis könne auch in anderer geeigneter Form erbracht werden. Für die Beurteilung, ob das Beweismittel geeignet sei, bedürfe es jeweils einer Interessenabwägung im Einzelfall und gerade eine solche ließen die streitgegenständlichen Klauseln bei kundenfeindlichster Auslegung nicht zu. Hinzu komme, dass die Klausel bei kundenfeindlichster Auslegung dazu führe, dass der Erbe sich durch die Klausel gehindert sehe, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, selbst wenn die Beklagte ihre Entscheidung, ob (weiterhin) ein Erbschein verlangt werde, grob fahrlässig fehlerhaft getroffen haben sollte.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.

Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Sie rügt, das Landgericht habe zur Bejahung einer unangemessenen Benachteiligung unzutreffend maßgeblich auf die bzw. den wahren Erben des ursprünglichen Kunden abgestellt. Abzustellen sei indes auf die Interessen der Vertragsparteien bei Vertragsschluss. Es liege auch im Interesse des Erblasers, dass bei Zweifelsfällen lieber die verhältnismäßig geringen Kosten für die Beantragung eines Erbscheins zu Lasten der Erbmasse gingen, als dass sich das wesentlich größere Risiko realisiere, dass das Vermögen an den Falschen ausgezahlt werde.

Das Urteil sei aber auch deshalb unrichtig, weil im Rahmen der richterlichen Kontrolle der AGB zunächst die gesetzgeberische Grundentscheidung zu beachten sei, wonach nur derjenige bei Leistungen an einen Erben geschützt sei, der sich einen Erbschein vorlegen lasse, in dem der Anspruchsteller als Erbe bezeichnet sei. Sämtliche weiteren Nachweise würden einen solchen Schutz nicht in gleicher Weise bewirken. Zum einen böten sie der Beklagten nicht dieselbe Gewähr für Richtigkeit. Zum anderen gehe ohne die Vorlage eines Erbscheins schon leichteste Fahrlässigkeit zu Lasten des Leistenden. Es bestehe aber in hohem Maße ein Schutzbedürfnis der Kreditinstitute an der Schaffung klarer Verhältnisse. Das sehe auch der BGH so, wie sich aus dessen Entscheidung vom 07.06.2005 (NJW 2005, 2779, 2780) ergebe.

Die Wirksamkeit der AGB-Klausel lasse sich im Übrigen mit Blick auf die ähnliche gesetzgeberische Regelung in § 35 Abs. 1 GBO belegen. Wenn der Gesetzgeber diese Möglichkeit der Nachweisanforderung für die eigenen Institutionen vorsehe, könne eine solche Forderung im Bereich der Vermögensnachfolge bei Bankkonten nicht anders beurteilt werden.

Zudem habe das Landgericht die Reichweite des Grundsatzes der kundenfeindlichsten Auslegung verkannt. Maßgeblich sei nicht jede entfernt liegende und abwegige Auslegungsmöglichkeit, sondern was nach dem Verständnishorizont des objektiven Empfängers realistischer Weise als Auslegungsvariante in Betracht komme. Die Auslegung des Landgerichts, die Beklagte könne willkürlich darüber befinden, ob sie einen Erbschein verlange, liege, so die Beklagte mit näheren Ausführungen, außerhalb jeder lebensnahen Auslegung. Die Formulierung „kann“ werde gerade auch vom Gesetzgeber typischerweise für die Einräumung eines (nicht willkürlichen) Ermessens verwendet, ohne dass dies in den einzelnen Normen jeweils ausdrücklich betont werde.

Das Regelkonstrukt der Nr. 5 der AGB der Beklagten stelle auch einen angemessen Ausgleich der zu berücksichtigenden Interessen dar. Zum einen sei der Erbschein die einzige sichere gesetzliche Nachweismöglichkeit. Zum anderen stünden die Kosten für seine Erteilung in keinem Verhältnis zu den möglichen Risiken bei einer Auszahlung an einen Scheinerben. Zudem könne der Erbe den Erbschein auch in anderen Nachlassfragen nutzen. Darüber hinaus habe auch der Erblasser ein Interesse an einer Auszahlung an den wahren Erben.

Schließlich habe das Landgericht nicht begründet, warum eine Übersetzung fremdsprachiger Urkunden nicht verlangt werden könne.

Der Kläger verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.

B.

Die Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat der Klage zutreffend stattgegeben.

I. Klageantrag zu I)

Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG einen Anspruch auf Unterlassung der weiteren Verwendung der angegriffenen Klauseln. Die Klauseln sind unwirksam. Sie enthalten Abweichungen von Rechtsvorschriften im Sinne des § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB, die der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht standhalten.

1.

Nr. 5 (1) Satz 1 der AGB

a.

Nr. 5 (1) Satz 1 der AGB der Beklagten ist kontrollfähig. Denn die Klausel enthält von Rechtsvorschriften abweichende Regelungen, § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB.

Nach deutschem Recht ist der Erbe nicht verpflichtet, sein Erbrecht durch einen Erbschein nachzuweisen; er hat auch die Möglichkeit, den Nachweis seines Erbrechts in anderer Form zu erbringen (BGH NJW-RR 2005, 599, 600; BGH NJW 2005, 2779, 2780). Eine grundsätzliche Pflicht des Erben zur Vorlage des Erbscheins ist nach dem BGB nicht gewollt und würde in vielen Fällen zu einer „unerträglichen Belästigung des Erben, zu unnützen Kosten und zur Verzögerung der Nachlassregulierung führen“ (vgl. Bunte, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch, 4. Aufl., § 10 Rn. 2 m.w.N.). Aus §§ 2366, 2367 BGB, auf die die Beklagte als gesetzgeberische Grundentscheidung verweist, ergibt sich nichts anderes. Die Vorschriften regeln nicht, wie der Nachweis des Erbrechts geführt werden kann, sondern unter welchen Voraussetzungen mit befreiender Wirkung an die im Erbschein als Erbe bezeichnete Person geleistet werden kann.

Nr. 5 (1) Satz 1 der AGB der Beklagten hat einen davon abweichenden Regelungsinhalt. Nach dem Wortlaut der Klausel kann die Beklagte abweichend von der aufgezeigten Gesetzeslage die Vorlage eines Erbscheins zum Nachweis des Erbrechts unabhängig davon beanspruchen, ob im konkreten Einzelfall das Erbrecht auch auf andere Art nachgewiesen werden könnte. Dafür, dass die Vorlage eines Erbscheins nur in bestimmten Fällen und/oder unter bestimmten Voraussetzungen begehrt werden kann, gibt der Wortlaut der Klausel nichts her. Auch für eine dahingehende Auslegung ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten nichts. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn, ausgehend von den Verständnismöglichkeiten eines rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden, einheitlich so auszulegen, wie ihr Wortlaut von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der regelmäßig beteiligten Verkehrskreise verstanden wird (BGH WM 2011, 1329). Zweifel bei der Auslegung gehen nach § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders. Außer Betracht bleiben dabei nur solche Verständnismöglichkeiten, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend und nicht ernstlich in Betracht zu ziehen sind (BGH, Urteil vom 08.05.2012, XI ZR 437/11 Rz. 17). Entgegen der Ansicht der Beklagten versteht ein durchschnittlicher Bankkunde die Regelung so, wie es ihr Wortlaut nahelegt, nämlich dahin, dass die Beklagte die Vorlage eines Erbscheins zum Nachweis des Erbrechts unabhängig davon beanspruchen kann, ob im konkreten Einzelfall das Erbrecht auch auf andere Art nachgewiesen werden könnte. Etwas anderes ergibt sich weder aus noch in der Zusammenschau mit Nr. 5 (1) Satz 2 der AGB der Beklagten. Denn dort ist auch das Absehen von der Vorlage eines Erbscheins nicht an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen geknüpft. Schließlich kann die Beklagte auch aus Nr. 5 (2) ihrer AGB nichts für das von ihr favorisierte Verständnis der Klausel herleiten. Denn Nr. 5 (2) der AGB betrifft die „Leistungsbefugnis der Sparkasse“. Sie regelt, unter welchen Voraussetzungen die Beklagte mit befreiender Wirkung leisten kann, nachdem sie gemäß Nr. 5 (1) Satz 2 der AGB von der Vorlage eines Erbscheins abgesehen hat. Hier geht es indes um die vorgelagerte Frage, unter welchen Voraussetzungen die Beklagte auf der Vorlage eines Erbscheins oder Testamentsvollstreckerzeugnisses bestehen oder von ihr absehen kann.

b.

Die Klausel ist unwirksam, weil sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Die unangemessene Benachteiligung ist gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB indiziert, denn die Klausel ist mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung unvereinbar. Sie räumt der Beklagten als Verwenderin unabhängig davon, ob im konkreten Einzelfall das Erbrecht überhaupt zweifelhaft ist oder auch anders als durch Vorlage eines Erbscheins nachgewiesen werden könnte, ein Recht auf Vorlage eines Erbscheins ein. Ebenso kann die Beklagte nach dem Inhalt der Klausel die Vorlage eines Erbscheins selbst dann beanspruchen, wenn ein Konto nur ein geringes Guthaben aufweist und die Forderung nach der Vorlage eines Erbscheins daher möglicherweise als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre (vgl. dazu Bunte, a.a.O., Rn. 7).

Die von der Beklagten für die Rechtfertigung der Klausel angeführten Argumente lassen die Indizwirkung nicht entfallen. Offen bleiben kann, ob und ggf. inwieweit bei der Frage der unangemessenen Benachteiligung auf die Interessen des Erblassers abzustellen ist, obwohl in dem Zeitpunkt, in dem die Klausel greift, Vertragspartner des Verwenders bereits der Erbe ist. Denn jedenfalls hat auch ein Erblasser regelmäßig kein Interesse daran, dass auch in Fällen, in denen das Erbrecht unproblematisch anders als durch Vorlage eines Erbscheins nachgewiesen werden kann, die Beklagte auf der Vorlage eines Kosten verursachenden Erbscheins bestehen kann. Es ist in solchen Fällen vielmehr allein die Beklagte, die aus der Vorlage des Erbscheins Vorteile zieht, indem sie die Wirkungen der §§ 2366, 2367 BGB für sich in Anspruch nehmen kann. Der Senat verkennt nicht, dass für die Beklagte ein hohes Interesse daran besteht, nicht an einen Nichtberechtigten leisten zu müssen. Diesem Interesse ist aber nicht durch das in den AGB der Beklagten statuierte uneingeschränkte Wahlrecht Rechnung zu tragen, sondern durch eine differenzierte Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls oder zumindest einzelner typischer Fallgruppen. Dadurch wird die Beklagte schon deshalb nicht über Gebühr belastet, weil sie sich ohnehin nach Maßgabe des jeweiligen konkreten Sachverhalts mit der Frage befassen muss, ob die Forderung nach Vorlage eines Erbscheins oder der Verzicht darauf Haftungsfolgen für sie auslöst: Fordert die Beklagte unberechtigt die Vorlage eines Erbscheins, kann sie sich Schadensersatzansprüchen ausgesetzt sehen (vgl. etwa LG Lüneburg, ZEV 2009, 303). Akzeptiert die Beklagte hingegen fahrlässig die in Nr. 5 (1) Satz 2 ihrer AGB genannten Urkunden, wird sie schon nach Nr. 5 (2) ihrer AGB nicht von ihrer Leistungspflicht frei. Wenngleich das aufgezeigte Spannungsverhältnis Kreditinstitute deshalb besonders tangiert, weil diese sich im Erbfall nicht selten besonders hohen Forderungen ausgesetzt sehen, betrifft es letztlich doch jeden Nachlassschuldner. In Kenntnis dessen hat der Gesetzgeber gleichwohl davon abgesehen, dem Erben grundsätzlich den Nachweis seines Erbrechts mittels Erbscheins aufzugeben. Entgegen der Ansicht der Berufung lässt sich aus § 35 Abs. 1 Satz 1 GBO nicht herleiten, dass die streitgegenständliche Klausel für wirksam gehalten werden muss. Zum einen handelt es sich bei § 35 Abs.1 Satz 1 GBO um eine nicht verallgemeinerungsfähige Sonderregelung. Zum anderen bedarf es auch nach § 35 Abs. 1 GBO zum Nachweis des Erbrechts nicht in jedem Fall der Vorlage eines Erbscheins. Beruht die Erbfolge auf einer Verfügung von Todes wegen, die in einer öffentlichen Urkunde enthalten ist, genügt es vielmehr nach § 35 Abs. 1 Satz 2 1. Hs. GBO grundsätzlich zum Nachweis der Erbfolge, wenn an Stelle des Erbscheins die Verfügung und die Niederschrift über die Eröffnung der Verfügung vorgelegt werden. Nur dann, wenn das Grundbuchamt die Erbfolge durch diese Urkunden nicht für nachgewiesen erachtet, kann es die Vorlegung eines Erbscheins verlangen, § 35 Abs. 1 Satz 2 2. Hs. GBO. An das Vorliegen dieser Voraussetzungen werden jedoch strenge Anforderungen gestellt. Einen Erbschein darf das Grundbuchamt nur dann fordern, wenn sich bei der Prüfung der Verfügung von Todes wegen hinsichtlich des behaupteten Erbrechts Zweifel tatsächlicher Art ergeben, die nur durch weitere Ermittlungen über den Willen des Erblassers oder über die tatsächlichen Verhältnisse geklärt werden können, denn zu solchen Ermittlungen ist das Grundbuchamt nicht befugt (BayObLG, ZEV 2000, 233, 234).

Es steht außer Frage, dass auch die Beklagte jedenfalls bei Vorliegen konkreter Zweifel an dem behaupteten Erbrecht Leistungen von der Vorlage eines Erbscheins bzw. Testamentsvollstreckerzeugnisses abhängig machen kann. Den AGB der Beklagten lässt sich eine Einschränkung auf Zweifelsfälle nach dem maßgeblichen Verständnis eines Durchschnittskunden aber nicht entnehmen. Sie enthalten auch keine § 35 Abs. 3 GBO vergleichbare Einschränkung.

2.

Nr. 5 (1) Satz 2 der AGB

a.

Nr. 5 (1) Satz 2 der AGB der Beklagten ist ebenfalls kontrollfähig. Die Klausel enthält von Rechtsvorschriften abweichende Regelungen, § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB. Denn auch nach ihr entscheidet die Beklagte darüber, ob sie unter den in der Klausel aufgeführten Voraussetzungen auf die Vorlage eines Erbscheins oder Testamentsvollstreckerzeugnisses verzichtet und das Erbrecht als nachgewiesen erachtet. Handelt sie dabei nicht schuldhaft, kann sie nach Nr. 5 (2) ihrer insoweit nicht streitgegenständlichen AGB mit befreiender Wirkung an einen Nichterben leisten.

b.

Die Klausel ist unwirksam, weil sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Ebenso wie Nr. 5 (1) Satz 1 der AGB konkretisiert auch Nr. 5 (1) Satz 2 der AGB nicht, unter welchen Voraussetzungen die Beklagte auf die Vorlage eines Erbscheins bzw. Testamentsvollstreckerzeugnisses verzichten kann. Nach dem maßgeblichen Verständnis eines Durchschnittskunden ist die Beklagte völlig frei darin, ob sie bei Vorliegen der Voraussetzungen von Nr. 5 (1) Satz 2 ihrer AGB auf die Vorlage des Erbscheins verzichtet oder nicht. Die unangemessene Benachteiligung ergibt sich entgegen der Ansicht des OLG Celle (NJW 1998, 82, 83), das sich vornehmlich mit der Haftungserleichterung befasst, daraus, dass die Beklagte selbst dann in ihrer Entscheidung über den Verzicht auf die Vorlage eines Erbscheins frei ist, wenn die Erbfolge auf einer Verfügung von Todes wegen beruht, die in einer öffentlichen Urkunde enthalten ist, und der wahre Erbe die Verfügung und die Niederschrift über die Eröffnung der Verfügung vorgelegt. Wenn aber selbst in dem besonders sensiblen Bereich der Grundbucheintragungen der Nachweis regelmäßig in dieser Form geführt werden kann, ist nichts dafür ersichtlich, dass ein anerkennenswertes Interesse der Beklagten bestehet, auch bei Vorliegen der in § 35 Abs. 1 Satz 2 1. Hs. GBO aufgeführten Voraussetzungen Kosten verursachend die Vorlage eines Erbscheins verlangen zu können. An einer solchen Vorgehensweise haben ersichtlich weder der Erblasser noch der wahre Erbe ein Interesse, sondern wiederum allenfalls die Beklagte selbst, die nach Vorlage des Erbscheins die Regelungen der §§ 2366, 2367 BGB für sich in Anspruch nehmen kann.

Beide angegriffenen Klauseln sind mithin unwirksam. Die Regelung in Nr. 5 (1) Satz 1 2. Hs. der AGB erscheint für sich betrachtet zwar unbedenklich, hat aber ohne die Regelungen in Nr. 5 (1) Satz 1 1. Hs. und Satz 2 keine eigenständige Bedeutung und ist daher vorliegend von der Unterlassungspflicht nicht auszunehmen.

II. Klageantrag zu II)

Der Anspruch auf Zahlung von 214,00 € steht dem Kläger aus § 5 UKlaG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG zu. Die Zinsforderung ist aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB begründet.

III. Nebenentscheidungen

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen. Über die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Klauseln ist höchstrichterlich bisher nicht entschieden. Die Kommentarliteratur geht jedenfalls ganz überwiegend von der Wirksamkeit der Klauseln aus.






OLG Hamm:
Urteil v. 01.10.2012
Az: I-31 U 55/12


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