Bundespatentgericht:
Beschluss vom 26. Juli 2005
Aktenzeichen: 27 W (pat) 208/04

(BPatG: Beschluss v. 26.07.2005, Az.: 27 W (pat) 208/04)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I Die Widersprechende hat gegen die Eintragung der Wortmarke LITTLE BLUES für "Brillen; Uhren; Waren aus Leder und Lederimitationen, soweit in Klasse 18 enthalten; Rucksäcke und Tornister; Textilwaren, soweit in Klasse 24 enthalten, insbesondere Handtücher; Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen" Widerspruch eingelegt aus ihrer prioritätsälteren, in Deutschland für "vêtements, en general pour dames" geschützten IR-Marke Nr 420 111 I BLUES.

Die Markenstelle für Klasse 9 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluss vom 11. Mai 2004 den Widerspruch zurückgewiesen, weil auch bei den identisch beanspruchten Waren und unter Zugrundelegung durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke die jüngere Marke den erforderlichen Abstand zur älteren Marke noch einhalte. Nach ihrem jeweiligen Gesamteindruck unterschieden sich beide Marken nach Länge, Buchstabenfolge und Silbenzahl. Die gegenüberstehenden Marken würden auch nicht durch den identischen Bestandteil "BLUES" geprägt. Bei der jüngeren Marke gebe es keine Anzeichen darauf, dass der Verkehr den vorangestellten Zusatz "LITTLE" weniger beachte als "BLUES"; selbst wenn man ihn als nicht besonders kennzeichnungsstark einschätze, träte er nicht zurück, da auch kennzeichnungsschwache Bestandteile zur Prägung des Gesamteindrucks eines Zeichens beitragen könnten. Aber auch in der Widerspruchsmarke trete der Bestandteil "I" trotz seiner Kürze nicht zurück; dagegen spreche bereits, dass er sich am Satzanfang befände, dem der Verkehr erfahrungsgemäß besondere Aufmerksamkeit widme; zudem werde die Aufmerksamkeit des Verkehrs auf diesen Buchstaben auch durch seine Mehrdeutigkeit gelenkt, da der Großbuchstabe "I" als Abkürzung für Italien, aber auch als das englische Personalpronomen für "ich" verstanden werden könne. Eine mittelbare Verwechslungsgefahr bestehe ebenfalls nicht, da keine Anzeichen dafür vorhanden seien, dass "BLUES" als Stammzeichen der Widerspruchsmarke angesehen werde. Dem stehe auch der Hinweis der Widersprechende auf andere von ihr gehaltene Marken nicht entgegen, da diese aus dem Wort "BLUES" und einem nachgestellten weiteren Wort zusammengesetzten Zeichen anders als die Widerspruchsmarke gebildet seien.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie hält eine Verwechslungsgefahr für gegeben. Beide Vergleichsmarken würden jeweils durch den Bestandteil "BLUES" geprägt. Denn dieser überwiege in beiden Zeichen. Darüber hinaus verwende die Widersprechende ihn in einer Serie von EU- und IR-Marken, so dass der Verkehr den Stammcharakter dieses Bestandteils erkennen und ihm prägende Bedeutung beimesse. Drittzeichen mit diesem Bestandteil stünden dem nicht entgegen, weil nur ein Teil dieser Marken den abgetrennten Bestandteil "BLUES" als solchen enthielten und nicht erkennbar sei, ob sie weitere unterscheidungskräftige Elemente hätten. Auf jeden Fall würden die Vergleichszeichen durch die Bestandteile "LITTLE" und "I" nicht mitgeprägt, weil es sich hierbei um abgegriffene Wörter der Alltags- und Werbesprache mit einer originellen Kennzeichnungsschwäche handele. Dieselbe Kennzeichenschwäche treffe auch den Bestandteil "I" in der Widerspruchsmarke; soweit darin ein Hinweis auf Italien gesehen werden, handele es sich um einen beschreibenden Anklang mit geringer originärer Kennzeichnungskraft, dem keine prägende Wirkung zukomme. Zudem bestehe auch eine assoziative Verwechslungsgefahr, weil der Verbraucher in den Serienzeichen der Widersprechenden allein den kennzeichenkräftigen Bestandteil "BLUES" als Stammbestandteil erkennen werde.

Die Widersprechende beantragt, den Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 11. Mai 2004 aufzuheben und auf den Widerspruch aus der Marke IR 420 111 die Marke Nr 300 05 886 zu löschen.

Die Markeninhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie erachtet eine Verwechslungsgefahr für nicht gegeben, weil die jüngere Marke von beiden Bestandteilen "LITTLE" und "BLUES" geprägt werde, da gerade ihre Kombination das Wesen des Zeichens ausmache. Die Widerspruchsmarke erinnere an die bekannte Musikrichtung, während die angegriffene Marke, da es eine Musikrichtung "Little Blues" nicht gebe, keine Assoziationen in Richtung Musik hervorrufe. Die Vergleichsmarken seien daher begrifflich klar zu unterscheiden.

In der mündlichen Verhandlung, an der die Inhaberin der angegriffenen Marke nicht teilgenommen hat und auch nicht vertreten war, hat die Widersprechende ihren Standpunkt aufrechterhalten und vertieft.

II Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Markenstelle hat zu Recht und mit zutreffender Begründung, der sich der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen anschließt, den Widerspruch wegen mangelnder Gefahr von Verwechslungen der Vergleichsmarken nach § 43 Abs 2 Satz 2, § 42 Abs 2 Nr 1, § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG zurückgewiesen. Denn unter Berücksichtigung der bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr miteinander in Wechselbeziehung stehenden Komponenten der Waren- und Markenähnlichkeit sowie der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke (vgl EuGH GRUR 1998, 922, 923 - Canon; MarkenR 1999, 236, 239 - Lloyd/Loints), wobei ein geringer Grad der Ähnlichkeit der Waren durch einen größeren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st Rspr; vgl EuGH GRUR 1998, 387, 389 Tz 23 f - Sabèl/Puma; EuGH GRUR 1998, 922, 923 Tz 16 f - Canon; BGH GRUR 1999, 241, 243), hält die jüngere Marke den erforderlichen Abstand selbst auf dem Gebiet identischer Waren zur älteren Marke noch ein, so dass die Frage, inwieweit die darüber hinaus ebenfalls angegriffenen Waren der jüngeren Marke zu denen der Widerspruchsmarke noch in einem relevanten Ähnlichkeitsbereich liegen, letztlich auf sich beruhen kann.

Das Beschwerdevorbringen der Widersprechenden bietet keine Veranlassung zu einer abweichenden Beurteilung. Bei der Frage der unmittelbaren Verwechslungsgefahr hat die Markenstelle zutreffend eine Prägung einer der beiden Vergleichsmarken allein durch den in ihnen enthaltenen Bestandteil "BLUES" verneint. Soweit die Widersprechende ausgeführt hat, der Bestandteil "LITTLE" sei als abgegriffenes Wort der Alltagssprache mit einer originellen Kennzeichenschwäche versehen, so dass es eine Marke nicht mitprägen könne, kann dahinstehen, ob dies für den hier in Rede stehenden Bestandteil "LITTLE" überhaupt der Fall ist; denn die Widersprechende übersieht, dass es keinen Erfahrungssatz gibt, demzufolge der Verkehr "abgegriffenen" Wörtern keinerlei Beachtung schenken würde, wenn sie wie hier als Teil einer Gesamtmarke verwendet würden, so dass es auch keine Grundlage für die Annahme gibt, solche Wörter könnten eine Kombinationsmarke von vornherein nicht mitprägen. Auch die weitere Ansicht der Widersprechenden, in der jüngeren Marke käme dem Bestandteil "LITTLE" eine warenbeschreibende Bedeutung zu, vermag der Senat nicht zu teilen. Denn schon von seiner Satzstellung her bezieht er sich eindeutig allein auf das nachgestellte, erkennbar keine möglichen Eigenschaften der betroffenen Waren bezeichnende Substantiv "BLUES" und nicht etwa auf die mit der angegriffenen (Gesamt-) Bezeichnung gekennzeichneten Waren, was es für den Verkehr nicht einmal nahe legt, ihn in irgendeine Beziehung zu Merkmalen der betroffenen Waren zu setzen. Vielmehr wird er die jüngere Marke ohne weiteres als eine Einheit ansehen, ohne sich in einer von der Widersprechenden unterstellten analysierenden Betrachtung mit der Frage auseinander zusetzen, welchen Bedeutungsgehalt sie außer der bloßen Produktkennzeichnung ansonsten haben könnte und ob möglicherweise einzelne ihrer Bestandteile (auch) in einem warenbeschreibenden Sinne verstanden werden könnten. Gleiches gilt auch für die Widerspruchsmarke, denn selbst wenn der vorangestellte Buchstabe als Abkürzung für den italienischen Staat angesehen werden könnte, kann dies allenfalls zu der Annahme führen, die Widerspruchsmarke als eine einheitliche Aussage mit dem Bedeutungsgehalt "Italien-Blues" aufzufassen, was mangels einer möglichen warenbeschreibenden Aussage des Bestandteils "BLUES" von der Annahme wegführt, der Bestandteil "I" solle lediglich die geografische Herkunft der gekennzeichneten Waren angeben. In ihrer jeweiligen Gesamtheit unterscheiden sich die gegenüberstehenden Marken aber durch ihre jeweils am Anfang stehenden Bestandteile "LITTLE" und "I" hinlänglich, so dass der Verkehr keinen Anlass hat, sie füreinander zu halten.

Entgegen der Auffassung der Widersprechenden ist auch nicht zu befürchten, dass die Marken iSd § 9 Abs 1 Nr 2 letzter Halbsatz MarkenG gedanklich miteinander in Verbindung gebracht werden. Eine solche Verwechslungsgefahr läge nur vor, wenn der Verkehr, obwohl er die Vergleichsmarken nicht unmittelbar miteinander verwechselt, dem vorhandenen übereinstimmenden Element in beiden Marken einen Hinweis auf den Inhaber der älteren Marke entnimmt, weil die Zeichen in einem Bestandteil übereinstimmen, den der Verkehr als Stamm mehrerer Zeichen eines Unternehmens sieht und deshalb nachfolgende Bezeichnungen, die einen wesensgleichen Stamm aufweisen, dem gleichen Zeicheninhaber zuordnet (vgl BGH WRP 2002, 534, 536 - BIG; BGH WRP 2002, 537, 541 - BANK 24); dies ist insbesondere der Fall, wenn der Stammbestandteil für sich kennzeichenrechtlichen Schutz genießt und der Markeninhaber des weiteren eine Zeichenserie mit diesem Bestandteil bereits gebildet hat (vgl BGH GRUR 1999, 587, 589 - Cefallone; BGH WRP aaO - BIG).

Zwar hat die Widersprechende darauf hingewiesen, dass sie über weitere Marken mit dem Bestandteil "BLUES" verfügt, wobei es sich hierbei nach den Recherchen des Senats innerhalb der Europäischen Gemeinschaften um die Wortmarken "I BLUES CLUB" (Nr 2 459 204) und "I BLUES" (Nr 1 254 598) sowie die Wortbildmarken "B i BLUES" (Nr 2 109 437) und "I BLUESTUDIO" (Nr 1 094 630) sowie um die auch in Deutschland geschützten IR-Marken "BLUES CLUB" (Nr IR 501 976, IR 506 294 und 535 448) und "BLUES CLASSIC" (Nr IR 719 401) handelt, während die im Widerspruchsverfahren von der Widersprechenden genannten weitere Marke Nr IR 719 402 "BLUES ORIGINAL" nicht mehr registriert ist. Dabei bestehen allerdings bereits Zweifel, ob der inländische Verkehr aufgrund dieser Marken weitere Zeichen, welche den Bestandteil "BLUES" enthalten, ohne weiteres der Widersprechenden zuordnet. Denn hiergegen spricht bereits der Umstand, dass allein im nationalen Register 58 Marken mit einem solchen Bestandteil, davon wiederum 15 auch für Waren der Klasse 25 eingetragen oder angemeldet sind; auch wenn über deren konkrete Benutzung nichts bekannt ist, deutet schon die Vielzahl solcher registrierten Marken darauf hin, dass die inländischen Verbraucher infolge eines häufigen Gebrauchs des Wortes "BLUES" in eingetragenen Kennzeichnungen nicht dazu neigen wird, sie sämtlich nur einem einzigen Unternehmen, insbesondere der Widersprechenden, zuzuordnen. Ungeachtet dessen teilt der Senat aber auch die Auffassung der Markenstelle, dass die Bildung der Zeichenserie der Widersprechenden sich vom Markenbildungsprinzip, welches der angegriffenen Marke zugrunde liegt, deutlich abhebt. Denn selbst wenn das vorangestellte "I" in den oben genannten Gemeinschaftsmarken vernachlässigt und als Stammbestandteil entsprechend den weiteren IR-Marken allein das Wort "BLUES" angesehen würde, sind diese Zeichen dadurch gekennzeichnet, dass ihnen ein weiterer Bestandteil - wie "CLASSIC" oder "CLUB" - nachgestellt ist, während in der hier in Rede stehenden jüngeren Marke der weiterer Bestandteil "LITTLE" dem in den Vergleichszeichen gleichlautenden Element "BLUES" vorangeht. Diese gegenüber der Zeichenserie der Widersprechenden auffällige Besonderheit führt aber in der Betrachtung der angesprochenen Verkehrskreise - sofern diese trotz der Vielzahl vergleichbarer Marken überhaupt dazu neigen, Kennzeichnungen, die den Bestandteil "BLUES" enthalten, nur einem einzigen Unternehmen zuzuordnen - auf jeden Fall von dem Gedanken weg, bei der angegriffenen Marke handele es sich um eine weitere "BLUES"-Marke der Widersprechenden.

Da die Markenstelle somit zutreffend den Widerspruch der Widersprechenden zurückgewiesen hat, war der hiergegen gerichteten Beschwerde der Widersprechenden der Erfolg zu versagen.

Es sind keine Gründe ersichtlich, von dem Grundsatz des § 71 Abs 1 Satz 2 MarkenG abzuweichen, dass jeder Beteiligte seine Kosten selbst trägt.

Dr. van Raden Richterin Prietzel-Funkist wegen Urlaubs ander Beifügung ihrer Unterschrift gehindert.

Dr. van Raden Schwarz Pü






BPatG:
Beschluss v. 26.07.2005
Az: 27 W (pat) 208/04


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