Bundespatentgericht:
Beschluss vom 2. Dezember 2010
Aktenzeichen: 8 W (pat) 319/06

(BPatG: Beschluss v. 02.12.2010, Az.: 8 W (pat) 319/06)

Tenor

Das Patent 101 40 822 wird widerrufen.

Gründe

I.

Die Patentinhaberin hat das Patent 101 40 822 am 20. Oktober 2001 beim Deutschen Patentund Markenamt angemeldet. Die Erteilung des Patents mit der Bezeichnung

"Verfahren und Vorrichtung zur Positionsbestimmung von drehantreibbaren Werkzeugen"

ist am 13. Oktober 2005 veröffentlicht worden.

Dagegen hat am 13. Januar 2006 die Einsprechende Einspruch erhoben, weil der Gegenstand des Patents gegenüber dem Stand der Technik nicht neu sei. Sie hat ihren Einspruch zunächst auf die Diplomarbeit von Joachim Findeklee: "Vermessung rotierender Werkzeuge in HSC-Fräsmaschinen", 30.9.1996, Technische Universität Hamburg-Harburg (E1) sowie nachträglich noch auf die DE 39 05 949 A1 (E2) und den Fachbeitrag von K. Rall, J. Findklee u. a.: "Vermessung rotierender Werkzeuge in HSC-Fräsmaschinen" In: ZWF 93, 1998, Heft 4, Seiten 127 bis 130 (E3) gestützt.

Die Patentinhaberin ist dem Vorbringen der Einsprechenden entgegengetreten. Sie hat zuletzt in der mündlichen Verhandlung einen Hilfsantrag vorgelegt, mit dem sie das Patent in beschränkter Fassung hilfsweise verteidigt.

Der erteilte Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

"Verfahren zur Positionsbestimmung eines drehantreibbaren Werkzeuges, mit folgenden Schritten:

- Positionieren eines drehantreibbaren Werkzeuges (14) indem Strahlengang eines Messstrahles (18),

- Drehen des Werkzeuges (14),

- Wählen einer Bewegungsrichtung,

- Bewegen des Werkzeuges (14) in der gewählten Richtung, von dem Messstrahl (18) weg, zu einer Messposition, bei derdas Werkzeug (14) von dem Messstrahl (18) getrennt wird,

- Erfassen der Messposition für eine Position des Werkzeuges (14), bei der der Messstrahl (18) bei wenigstens einer Umdrehung des Werkzeuges (14) nicht unterbrochen wird, und - Ermitteln der Position des Werkzeuges (14) aus der Messposition."

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag lautet:

"Verfahren zur Positionsbestimmung eines drehantreibbaren Werkzeuges in einer Werkzeugmaschine, mit folgenden Schritten:

- Positionieren eines drehantreibbaren Werkzeuges (14) indem Strahlengang eines Messstrahles (18),

- Drehen des Werkzeuges (14),

- Wählen einer Bewegungsrichtung,

- Bewegen des Werkzeuges (14) in der gewählten Richtung, von dem Messstrahl (18) weg, zu einer Messposition, bei derdas Werkzeug (14) von dem Messstrahl (18) getrennt wird,

- Erfassen der Messposition für eine Position des Werkzeuges (14), bei der der Messstrahl (18) bei wenigstens einer Umdrehung des Werkzeuges (14) nicht unterbrochen wird, wobei die Achsenpositionen der Werkzeugmaschine zueinem Zeitpunkt erfasst werden, der um eine Zeitdauerverzögert ist, die von der Dauer einer vollständigen Umdrehung des Werkzeuges und der Bewegungsgeschwindigkeit abhängt;

- Erfassen der Messposition und - Ermitteln der Position des Werkzeuges (14) aus der Messposition."

Der jeweils dem Patentanspruch 1 nach Hauptbzw. Hilfsantrag nebengeordnete Patentanspruch 9 lautet:

"Vorrichtung zur Positionsbestimmung eines drehantreibbaren Werkzeuges, mit:

- einer Steuerung, und - einer optischen Messeinrichtung (10, 12), die einen Sender (10) zum Aussenden eines Messstrahles (18) und einen Empfänger (12) zum selektiven Empfangen des Messstrahles (18) aufweist dadurch gekennzeichnet, dass - die Steuerung ist zum Ausführen des Verfahrens gemäß

einem der Ansprüche 1 bis 8 ausgelegt und programmiertist."

Die Patentinhaberin bestreitet die öffentliche Zugänglichkeit und somit die Offenkundigkeit der Diplomarbeit (E1). Sie trägt hinsichtlich des erteilten Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag vor, dass dieser schon deshalb neu und erfinderisch sei, weil er ein Verfahren zur Positionsbestimmung eines Werkzeuges zum Inhalt habe, währenddessen alle entgegengehaltenen Druckschriften nur Verfahren zum Vermessen der Geometrie von Werkzeugen enthielten. Im Übrigen seien auch die Abfolge der einzelnen Verfahrensschritte unterschiedlich, weil bei den bekannten Verfahren zur Vermessung der Geometrie von Werkzeugen Eintritt und Austritt des Werkzeuges erfasst werde, weshalb das Werkzeug sich von Beginn an drehen müsse. Auch zeige keine der Entgegenhaltungen die Wahl der Bewegungsrichtung. Die im Hilfsantrag ergänzten Merkmale ergäben einen noch deutlicheren Abstand zum genannten Stand der Technik.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent 101 40 822 in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.

Hilfsweise beantragt sie, das Patent 101 40 822 mit den folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:

- Geänderter Patentanspruch 1 laut dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Hilfsantrag vom 2. Dezember 2010

- Patentansprüche 2 bis 9, ggf. noch anzupassende Beschreibung und Zeichnungen (Fig. 1 bis 5) laut Patentschrift.

Der Einsprechende stellt den Antrag, das Patent 101 40 822 zu widerrufen.

Die Einsprechende hält ihren Angriff auf das Streitpatent auch im Hinblick auf die beschränkte Fassung nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag aufrecht. Sie führt aus, dass die Merkmale beider tragenden Patentansprüche 1 gemäß Hauptantrag bzw. Hilfsantrag sowohl aus der E1 als auch der E2 neuheitsschädlich vorweggenommen seien.

Hinsichtlich des Wortlauts der jeweiligen Unteransprüche gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag und weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

1.

Der Senat ist für die Entscheidung im vorliegenden Einspruchsverfahren auch nach der mit Wirkung vom 1. Juli 2006 erfolgten Aufhebung der Übergangsvorschriften des § 147 Abs. 3 PatG auf Grund des Grundsatzes der "perpetuatio fori" gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO analog i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG zuständig (vgl. BGH GRUR 2009, 184, 185 -Ventilsteuerung; GRUR 2007, 862 f. -Informationsübermittlungsverfahren II).

2.

Der Einspruch ist fristund formgerecht erhoben und auch im Übrigen zulässig; er ist auch begründet, denn er führt zum Widerruf des angegriffenen Patents.

3.

Der Patentgegenstand betrifft nach dem jeweiligen Patentanspruch 1 des Hauptbzw. des Hilfsantrags 1 ein Verfahren zur Positionsbestimmung eines drehantreibbaren Werkzeuges.

Nach den Ausführungen in Absatz [0002] der Streitpatentschrift sei es zur Bestimmung der Position eines rotierenden Werkzeuges in Werkzeugmaschinen bei der spanabhebenden Bearbeitung bekannt, Lichtschranken, insbesondere Laserlichtschranken, zu verwenden. Dabei werde das zu vermessende Werkzeug in Richtung zu dem Messstrahl hin bewegt, wobei der Moment, in dem das Werkzeug den Messstrahl unterbricht, zur Berechnung der Position des Werkzeuges in der Werkzeugmaschine verwendet werde. Bei der Unterbrechung des Messstrahls werde von der Lichtschranke ein Signal ausgegeben, das einer Steuerung der Werkzeugmaschine den Moment der Strahlunterbrechung angibt. Zu dem Moment der Strahlunterbrechung werden von der Steuerung der Werkzeugmaschine deren aktuelle Achsenpositionen erfasst und unter Verwendung einer dem betreffenden Werkzeug zugeordneten Kalibrierung zur Bestimmung der aktuellen Position des Werkzeuges verwendet.

Gemäß Absatz [0003] der Streitpatentschrift bestehe bei dieser, aus dem Stand der Technik bekannten Vorgehensweise der Nachteil darin, dass zwischen Unterbrechungen des Messstrahls aufgrund des Werkzeuges und zwischen Strahlunterbrechungen aufgrund von im Bereich des Werkzeuges vorhandenen Partikeln

(z. B. Kühlmitteltropfen, Flugspäne, Schmierstoffspritzer usw.) nicht unterschieden werden könne. Dies führe zu ungenauen oder fehlerhaften Messungen mit nicht mehr tolerierbaren Unsicherheiten bis hin zum Abbruch des Messvorganges und einem Stillstand der Maschine.

Daher liegt dem Streitpatent nach Absatz [0005] der Streitpatentschrift die Aufgabe zu Grunde, eine Lösung bereitzustellen, die Störeinflüsse von (luftverunreinigenden) im Bereich eines zu vermessenden drehantreibbaren Werkzeuges befindlichen Partikeln bei der Bestimmung der Position des Werkzeuges in einer Werkzeugmaschine vermeidet.

3.1 Die Lösung dieser Aufgabe erfolgt beim Streitpatent durch die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag, der sich wie folgt gliedern lässt:

1.

Verfahren zur Positionsbestimmung eines drehantreibbaren Werkzeuges, mit folgenden Schritten:

2.

Positionieren eines drehantreibbaren Werkzeuges (14) in dem Strahlengang eines Messstrahles (18);

3.

Drehen des Werkzeuges (14);

4.

Wählen einer Bewegungsrichtung;

5.

Bewegen des Werkzeuges (14) in der gewählten Richtung, von dem Messstrahl (18) weg, zu einer Messposition, bei der das Werkzeug (14) von dem Messstrahl (18) getrennt wird;

6.

Erfassen der Messposition für eine Position des Werkzeuges (14), bei der der Messstrahl (18) bei wenigstens einer Umdrehung des Werkzeuges (14) nicht unterbrochen wird, und 7.

Ermitteln der Position des Werkzeuges (14) aus der Messposition.

Das Streitpatent betrifft nach dem erteilten Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ein Verfahren zur Positionsbestimmung eines drehantreibbaren Werkzeuges, womit entsprechend den Ausführungen in Absatz [0002] der Streitpatentschrift die Bestimmung der aktuellen Position des Werkzeuges gemeint ist. Hierzu wird ein drehantreibbares Werkzeug in dem Strahlengang eines Messstrahles positioniert. Diese Positionierung erfolgt derart, dass der Strahlengang entsprechend den Ausführungen in Absatz [0014] der Streitpatentschrift dauerhaft, periodisch zu vorbestimmten Zeitpunkten oder in vorbestimmten Zeitintervallen unterbrochen wird. Daraus erschließt sich dem Fachmann, einem Diplom-Ingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau mit guten Kenntnissen in der Entwicklung von Messtechnik für Werkzeugmaschinen, dass sich das Werkzeug bereits beim Positionieren gemäß Merkmal 2 drehen kann, jedoch spätestens gemäß Merkmal 3 nach dem Positionieren drehen muss, wie es entsprechend Absatz [0022] der Streitpatentschrift nahezu wörtlich auch so formuliert ist. Nach Merkmal 4 wird die Bewegungsrichtung für die Positionsbestimmung gewählt, die gemäß den Ausführungen in Absatz [0009] der Streitpatentschrift bei einem Bohrer die Achsrichtung bzw. bei einem Fräser die radiale Richtung ist, also ersichtlich von der Art des zu vermessenden Werkzeuges abhängt. Entsprechend Merkmal 5 wird das Werkzeug in der gewählten Richtung von dem Messstrahl zu einer Messposition wegbewegt, bei der das Werkzeug von dem Messstrahl getrennt wird, wobei nach Merkmal 6 die Messposition für eine Position des Werkzeuges erfasst wird, bei der der Messstrahl bei wenigstens einer Umdrehung des Werkzeuges nicht unterbrochen wird. Dem Fachmann erschließt sich daher, dass die streitpatentgemäße Messposition beispielsweise eines Fräswerkzeuges somit diejenige Position ist, die durch den größten Außendurchmesser des Fräswerkzeuges in der jeweiligen Messebene gebildet wird. Die Erfassung dieser Messposition erfolgt nach den Ausführungen in Absatz [0012] der Streitpatentschrift unter Verwendung von durch eine Steuerung der Werkzeugmaschine ermittelten Achsenpositionen. Gemäß Merkmal 7 wird diese Messposition verwendet, um die Position des Werkzeuges zu ermitteln.

Nach den Ausführungen in Absatz [0013] der Streitpatentschrift fließen hierzu auch die geometrischen Gegebenheiten der Werkzeugmaschine, wie beispielsweise die Position des Messstrahls relativ zur Werkzeugmaschine ein.

3.2 Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag des Streitpatents ist dahingehend präzisiert, als das streitpatentgemäße Verfahren zur Positionsbestimmung eines drehantreibbaren Werkzeuges nunmehr in einer Werkzeugmaschine vorgesehen ist (Merkmal 1.1). Es weist weiterhin neben den Merkmalen 1 bis 7 des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag zusätzlich die folgenden Merkmale auf:

6.1 wobei die Achsenpositionen der Werkzeugmaschine zu einem Zeitpunkt erfasst werden, der um eine Zeitdauerverzögert ist, die von der Dauer einer vollständigen Umdrehung des Werkzeuges und der Bewegungsgeschwindigkeit abhängt;

6.2 Erfassen der Messposition.

Das Merkmal 6.1 präzisiert die Art und Weise, wie die Messposition nach Merkmal 6 erfasst wird. Das Merkmal 6.2 fügt dem geltenden Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag nichts Zusätzliches mehr hinzu, weil das Erfassen der Messposition bereits Bestandteil des Merkmals 6 ist.

3.3. Als vorrichtungstechnische Lösung gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag schlägt das Streitpatent die im erteilten Patentanspruch 9 angegebenen Merkmale vor, die sich wie folgt gliedern lassen:

1.

Vorrichtung zur Bestimmung eines drehantreibbaren Werkzeuges, mit:

2.

einer Steuerung, 3.

einer optischen Messeinrichtung (10, 12), 3.1 die einen Sender (10) zum Aussenden eines Messstrahles (18) und 3.2 einen Empfänger (12) zum selektiven Empfangen des Messstrahles (18) aufweist:

4.

die Steuerung ist zum Ausführen des Verfahrens gemäß einem der Ansprüche 1 bis 8 ausgelegt und programmiert.

4.

Gegen die Zulässigkeit hinsichtlich der ursprünglichen Offenbarung der Anspruchsfassungen gemäß Hauptantrag bzw. Hilfsantrag bestehen keine Bedenken, da sich deren Merkmale aus den ursprünglichen Ansprüchen sowie auch aus den erteilten Unterlagen ergeben, wie der Senat überprüft hat.

5.

Das ohne Zweifel gewerblich anwendbare streitpatentgemäße Verfahren zur Positionsbestimmung eines drehantreibbaren Werkzeuges nach dem Patentanspruch 1 (Hauptantrag) mag gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik nach der E2 neu sein; es beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die E2 beschreibt gemäß dem Oberbegriff ihres Patentanspruchs 1 ein Verfahren zum berührungslosen Vermessen von Schneidkanten am Umfang eines sich drehenden Fräswerkzeuges, wobei hierzu entsprechend den Ausführungen in Spalte 4, Zeilen 1 bis 6 der E2 der Werkzeugschlitten (4) einer Werkzeugmaschine und dessen Wegmesssystem verwendet wird. Dabei werden die Schneidkanten (2) eines sich drehenden Fräswerkzeuges, jeweils in der die Fräswerkzeugachse enthaltenden Messebene, durch den Strahlengang einer aus einer Lichtquelle (8) und einem Fotodetektor (13) bestehenden optischen Abtasteinrichtung (7) erfasst. Die Vermessung dient der Ermittlung des Rundlauffehlers, insbesondere des dynamischen Rundlauffehlers, und auch des Flugkreisdurchmessers (Sp. 1, Z. 12 bis 14, Z. 31 ff.). Insbesondere bei der Vermessung des Flugkreisdurchmessers werden nach den Ausführungen in Spalte 3, Zeilen 28 bis 37 der E2 die Positionen des Wegmesssystems beim erstmaligen und beim letztmaligen Auftreten einer Unterbrechung des Strahlenganges erfasst. Weil die Unterbrechungen des Strahlengangs durch die Schneiden (2) des Werkzeuges erfolgen, werden somit auch hier zwei aktuelle Messpositionen jeweils für eine Position der Werkzeugschneiden über das Wegmesssystem der Werkzeugmaschine ermittelt. Insbesondere nach dem erstmaligen Auftreten einer Unterbrechung des Strahlenganges wird anschließend (Spalte 5, Zeilen 35 bis 48) das sich drehende Werkzeug (2) durch Wahl einer bestimmten Bewegungsrichtung, nämlich der Vorschubrichtung (5), weiter in den Strahlengang des Messstrahles (9) verfahren, wodurch sich die Merkmale 2 bis 4 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ergeben. Denn mangels entsprechender eindeutiger Angaben im Patentanspruch 1, ist -entgegen der Auffassung der Patentinhaberin -die Reihenfolge der Merkmale 2 bis 3 beim Streitpatent ersichtlich nicht von einschränkender Bedeutung. Der Patentanspruch 1 schließt nicht aus, dass sich das Werkzeug schon vor der Positionierung (Merkmal 2) dreht. Dies dokumentieren auch verschiedene Textstellen (Absätze [0009], [0014] und [0022]) in der Beschreibung des Streitpatents. Entgegen der Ansicht der Patentinhaberin liegt bei der Lehre der E2 durchaus auch eine Wahl der Bewegungsrichtung vor. Denn gemäß den Ausführungen in Spalte 5, Zeilen 40 bis 43 der E2 wird auch bei diesem bekannten Verfahren eine ganz bestimmte Richtung vorgegeben, nämlich in Richtung des Vorschubs. Durch die Vorgabe einer ganz bestimmten Richtung erfolgt bei der E2 somit das Auswählen einer Bewegungsrichtung, wie es in ähnlicher Weise auch beim streitpatentgemäßen Verfahren erfolgt. Bei fortschreitender Bewegung über den Werkzeugmittelpunkt hinweg in Richtung der gewählten Bewegungsrichtung wird das Werkzeug (2) folglich von dem Messstrahl (9) wegbewegt. Dies erfolgt nach den Ausführungen in Spalte 5, Zeilen 40 bis 43 bis zu einer Position, bei welcher der Strahlengang der optischen Abtasteinrichtung (7) nicht mehr unterbrochen wird, die somit der streitpatentgemäßen Messposition entspricht, bei der das Werkzeug von dem Messstrahl getrennt wird (Merkmal 5). Über das Wegmesssystem (6) der Werkzeugmaschine wird diese Position erfasst und für eine Auswerteeinrichtung (16) bereitgestellt. Weil es sich bei dem Werkzeug der E2 um ein Fräswerkzeug mit vier Schneiden am Außenumfang handelt, vermittelt der Ausdruck "nicht mehr unterbrochen wird" dem Fachmann unmissverständlich, dass diejenige Position, bei welcher der Strahlengang der optischen Abtasteinrichtung (7) nicht mehr unterbrochen wird, gleichzeitig diejenige Position ist, bei welcher der Messstrahl bei wenigstens einer vollständigen Umdrehung des Werkzeuges nicht (mehr) unterbrochen wird, so dass auch das Merkmal 6 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents aus der E2 bekannt ist.

Entgegen dem Vorbringen der Patentinhaberin widerspricht dem auch nicht die auf den ersten Blick möglicherweise widersprüchlich klingende Ausführung in Spalte 5, Zeile 44 der E2, wonach das letztmalige Auftreten eines Strahlengangs erfasst wird, weil dies allenfalls eine unpräzise Formulierung ist und die Gesamtunterlagen der E2 mehrfach erkennen lassen, dass tatsächlich diejenige Position erfasst wird, bei welcher der Strahlengang der optischen Abtasteinrichtung (7) nicht mehr unterbrochen wird. Unterschiedlich zum streitpatentgemäßen Verfahren nach Patentanspruch 1 ist bei dem aus der E2 bekannten Verfahren allenfalls noch anzusehen, dass bei der E2 aus der Messposition der Flugkreisdurchmesser des Werkzeuges und nicht die Position des Werkzeuges ermittelt wird. Wenngleich bei der E2 zur Messung des Flugkreisdurchmessers auch Positionen des Werkzeugs ermittelt und verwendet werden, wozu auf die vorstehenden Ausführungen zum Merkmal 1 verwiesen wird, mag das streitpatentgemäße Verfahren nach Patentanspruch 1 gegenüber der E2 letztendlich als neu gelten. Es beruht jedoch ihr gegenüber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

In der Praxis besteht häufig ein Interesse daran, neben dem Flugkreisdurchmesser auch die Position des Werkzeugs zu kennen. Für den Fachmann liegt es dann nahe, aus den bereits bei der Bestimmung des Flugkreisdurchmessers angefallenen Werten für die Messposition die Position des Werkzeugs zu ermitteln. Auf Grund seines Fachwissens und Fachkönnens erkennt er ohne Weiteres, dass es hierfür lediglich einer Kalibrierung bedarf, um eine Beziehung zwischen Messposition und Position des Werkzeugs herzustellen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich dem Fachmann alle Merkmale des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag aus der E2 unter Anwendung seines Fachwissens in naheliegender Weise erschließen. Das Verfahren des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag beruht daher nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

6. Auch das ohne Zweifel gewerblich anwendbare Verfahren nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag mag gegenüber dem Stand der Technik nach der E2 neu sein; es beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag nur durch die in Punkt 3.2 aufgeführten Merkmale 1.1 und 6.1. Daher ist das mangelnde Vorliegen der Patentfähigkeit hinsichtlich der Merkmale 1, 2 bis 6 und 7 übereinstimmend zu beurteilen. Auf die entsprechenden Ausführungen zum Hauptantrag wird verwiesen.

Weil, wie vorstehend beschrieben, auch bei der E2 entsprechend den Ausführungen in Spalte 4, Zeilen 1 bis 6 der Werkzeugschlitten (4) einer Werkzeugmaschine und dessen Wegmesssystem verwendet wird, ist somit auch das Merkmal 1.1 des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag des Streitpatents aus der E2 bekannt. Auch bei der E2 wird entsprechend den vorstehenden Ausführungen zu Punkt 5 der Maschinenschlitten in Vorschubrichtung so lange (kontinuierlich) verfahren, bis der Strahlengang der optischen Abtasteinrichtung (7) von dem sich drehenden Fräswerkzeug bei wenigstens einer Umdrehung des Werkzeuges nicht mehr unterbrochen wird, wobei diese Position, welches die Achsenposition des Maschinenschlittens ist, über das Wegmesssystem (6) der Werkzeugmaschine erfasst und für eine Auswerteeinrichtung (16) bereitgestellt wird. Dies vermittelt dem Fachmann, dass auch bei der E2 die Achsenposition des Maschinenschlittens der Werkzeugmaschine nicht sofort beim ersten Erfassen des Messstrahls, sondern verzögert erfasst wird, nämlich um eine Zeitdauer, bis zu der eine vollständige Umdrehung des Werkzeuges ohne erneute Unterbrechung des Messstrahls erfolgt. Erst dann ist der Flugkreisdurchmesser bestimmbar. Da dies je nach Vorschubgeschwindigkeit bzw. Bewegungsgeschwindigkeit zu unterschiedlichen Achspositionen führen kann, entsteht zwangsläufig eine gewisse Messunsicherheit, die der Fachmann entsprechend berücksichtigen wird, weshalb sich dem Fachmann auch das Merkmal 6.1 des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag aus der E2 aufgrund seines Fachwissens erschließt. Unter Verweis auf die Ausführungen zum Hauptantrag ergeben sich daher dem Fachmann auch alle Merkmale des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag in naheliegender Weise aus der E2. Das Verfahren des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag beruht daher ebenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

7. Mit den Patentansprüchen 1 nach Hauptantrag und Hilfsantrag fallen auch alle anderen Patentansprüche der jeweiligen Anträge, ohne dass es einer Prüfung und Begründung dahin bedarf, ob diese übrigen Patentansprüche etwas Schutzfähiges enthalten (BGH, GRUR 1997, 120 -Elektrisches Speicherheizgerät).

Das Patent hat somit insgesamt keinen Bestand.

Dr. Zehendner Schwarz Rippel Dr. Dorfschmidt Cl






BPatG:
Beschluss v. 02.12.2010
Az: 8 W (pat) 319/06


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