Bundesgerichtshof:
Urteil vom 3. November 2014
Aktenzeichen: AnwZ (Brfg) 68/13

(BGH: Urteil v. 03.11.2014, Az.: AnwZ (Brfg) 68/13)

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des 4. Senats des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs vom 15. Juli 2013 (BayAGH I 19/12) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die Weigerung der Beklagten zu 2, den Antrag des Klägers vom 15. März 2012 ("Die RAK soll ihre Mitglieder in den nächsten Kammermitteilungen darüber informieren, dass die Rentenanwartschaften bei der RA-Versorgung zwischen den Jahren 2005 und 2010 um 30,2 % gekürzt wurden.") in die Tagesordnung zur ordentlichen Kammerversammlung 2012 aufzunehmen und die Kammermitglieder mit der Einladung zur Kammerversammlung über diesen Tagesordnungspunkt zu informieren, rechtswidrig gewesen ist.

Die Klage gegen den Beklagten zu 1 wird abgewiesen.

Die Kosten erster Instanz werden wie folgt verteilt:

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1. Die Beklagte zu 2 trägt ihre eigenen außergerichtlichen Kosten und die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers. Im Übrigen trägt der Kläger seine außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Gerichtskosten tragen der Kläger und die Beklagte zu 2 je zur Hälfte.

Die Kosten zweiter Instanz werden wie folgt verteilt:

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1. Die Beklagte zu 2 trägt ihre eigenen außergerichtlichen Kosten und 5/7 der außergerichtlichen Kosten des Klägers. Im Übrigen trägt der Kläger seine außergerichtlichen Kosten selbst. Die Gerichtskosten tragen der Kläger zu 1/6 und die Beklagte zu 2 zu 5/6.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage darüber, ob eine Verpflichtung des Beklagten zu 1 in seiner Funktion als Präsident der Beklagten zu 2 bestand, einen Antrag des Klägers auf die Tagesordnung der ordentlichen Kammerversammlung vom 20. April 2012 zu setzen.

Der Kläger ist Rechtsanwalt und Mitglied der Beklagten zu 2. Deren Geschäftsordnung (GO) enthält in § 5 zur Einberufung der Kammerversammlung u.a. folgende Regelungen:

"1. Ort und Zeit einer ordentlichen Kammerversammlung sind spätestens acht Wochen vorher bekannt zu geben mit der Aufforderung, Anträge zur Tagesordnung spätestens fünf Wochen vor der Kammerversammlung schriftlich an den Kammervorstand zu richten. ...

...

3. Die Tagesordnung wird vom Präsidenten festgesetzt. Ein Gegenstand ist auf die Tagesordnung zu setzen, wenn es von mindestens 25 Kammermitgliedern schriftlich beantragt wird.

4. Mit der Einladung zur Kammerversammlung erhalten die Mitglieder die Tagesordnung, ..."

Die ordentliche Kammerversammlung 2012 war für den 20. April 2012 anberaumt. Mit Schreiben vom 15. März 2012 bat der Kläger darum, zwei Anträge in die Tagesordnung aufzunehmen. Ersterer lautete wie folgt:

"Die RAK soll ihre Mitglieder in den nächsten Kammermitteilungen darüber informieren, dass die Rentenanwartschaften bei der RA-Versorgung zwischen den Jahren 2005 und 2010 um 30,2 % gekürzt wurden."

Das Schreiben vom 15. März 2012 hatten neben dem Kläger weitere 25 Kammermitglieder unterzeichnet.

Der Beklagte zu 1 teilte dem Kläger mit Schreiben vom 3. April 2012 mit, dass der zweite Antrag bei der Einladung zur Kammerversammlung berücksichtigt, dagegen der erste Antrag mit Zustimmung des Kammervorstands nicht in die Tagesordnung aufgenommen werde. Es bestünden insoweit Bedenken, da für diese Thematik nicht die Zuständigkeit der Kammer, sondern des Versorgungswerks gegeben sei und der Antrag auch den Grundsätzen sachlicher Information widerspreche. Mit Schreiben vom 3. und 4. April 2012 wiederholte der Kläger seine Bitte um Aufnahme dieses Tagesordnungspunkts. Der Beklagte zu 1 lehnte den Antrag des Klägers mit Schreiben vom 10. April 2012 endgültig ab, da dieser nicht den Aufgabenbereich der Kammer betreffe und ihm auch im Falle des § 5 Nr. 3 GO ein materielles Prüfungsrecht zustehe.

Die hiergegen erhobene Feststellungsklage hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen. Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 17. Dezember 2013 (NJW-RR 2014, 750) - unter Zurückweisung des weitergehenden (den Beklagten zu 1 betreffenden) Rechtsmittels - die Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofes zugelassen, soweit die Klage gegen die Beklagte zu 2 (im Folgenden: Beklagte) abgewiesen worden ist.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Dem Präsidenten der Beklagten steht bei Anträgen zur Tagesordnung, die gemäß § 5 Nr. 3 GO von mindestens 25 Mitgliedern der Beklagten unterstützt werden, kein materielles Prüfungsrecht zu.

Nach § 85 Abs. 2 BRAO muss der Präsident die Versammlung der Kammer einberufen, wenn ein Zehntel der Mitglieder es schriftlich beantragt und hierbei den Gegenstand angibt, der in der Versammlung behandelt werden soll. Dies gilt entsprechend (argumentum a maiore ad minus) für die Anmeldung einzelner Anträge zur Tagesordnung einer vom Präsidenten bereits einberufenen Kammerversammlung. Von letzterem ist der Anwaltsgerichtshof zu Recht als selbstverständlich ausgegangen und dies wird mit der Berufungserwiderung auch nicht in Frage gestellt.

Es entspricht einhelliger Auffassung in Literatur und Rechtsprechung (vgl. nur Lauda in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 85 BRAO Rn. 5, § 87 Rn. 2; Weyland in Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl., § 85 Rn. 4; Hartung in Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 85 Rn. 3, § 87 Rn. 2; Kleine-Cosack, BRAO, 6. Aufl., § 87 Rn. 2; EGH Hamburg, NJW 1985, 1084, 1087; siehe auch "Entwurf einer Bundesrechtsanwaltsordnung" der Bundesregierung vom 8. Januar 1958, BT-Drucks. III/120, S. 90 zu § 98), dass dem Präsidenten - anders als bei Anträgen einzelner Kammermitglieder - insoweit kein Prüfungsrecht zusteht. Er muss deshalb einen solchen qualifizierten Antrag (Mindestquorum) auch dann auf die Tagesordnung setzen, wenn er die Behandlung des Themas auf der Kammerversammlung - z.B. weil der Antrag einen Gegenstand betrifft, der seiner Meinung nach nicht in den Funktionsbereich der Kammer fällt - für unzulässig hält. Es ist dann Aufgabe der Kammerversammlung, selbst darüber zu beschließen, ob und wie sie einen solchen Gegenstand behandeln will. Dem Präsidenten bleibt es hierbei unbenommen, bereits im Zuge der Übermittlung der Tagesordnung seine Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags deutlich zu machen.

Die Beklagte hat - ersichtlich vor dem Hintergrund, dass bei der großen Anzahl ihrer Mitglieder ein Quorum von 10 % praktisch kaum jemals zu erreichen ist - in ihrer nach § 89 Abs. 3 BRAO erlassenen Geschäftsordnung ein geringeres Quorum - zwar nicht für die Einberufung einer Kammerversammlung, aber für die Tagesordnung einer vom Präsidenten einberufenen Kammerversammlung - festgelegt. Ist dieses Quorum erreicht, "ist" der Gegenstand auf die Tagesordnung zu setzen. Dass - abweichend von § 85 Abs. 2 BRAO - in diesem Rahmen trotz des eindeutigen Wortlauts dem Präsidenten ein materielles Prüfungsrecht zustehen soll, ist nicht ersichtlich. Insoweit rügt der Kläger auch zu Recht, dass das angefochtene Urteil widersprüchlich ist. Zu Ziffer II 2 a begründet der Anwaltsgerichtshof zunächst zutreffend, dass dem Präsidenten keine Prüfungs- und Verwerfungskompetenz zusteht. Wieso dann unter Ziffer II 2 b eine Prüfungs- und Verwerfungskompetenz doch wieder bejaht wird, erschließt sich dem Senat nicht. Die dort in Bezug genommene Entscheidung des EGH Hamburg (aaO) differenziert an der zitierten Stelle gerade zwischen Anträgen, die ein einzelnes Mitglied stellt, und solchen, die von einer qualifizierten Mehrheit unterstützt werden. In diesen Fällen gibt es keine Prüfungs- und Verwerfungskompetenz des Präsidenten, sondern nur eine solche der Kammerversammlung als dem letztlich höchsten Organ der Rechtsanwaltskammer.

Insoweit spielt es auch keine Rolle, ob - worauf die Beklagte in ihrer Berufungserwiderung unter anderem abstellt - der Antrag des Klägers eine unwahre Tatsachenbehauptung (Rentenkürzung von 31 %) enthalte und "offenkundig" nicht in die Zuständigkeit der Kammer, sondern in die des Versorgungswerks falle. Diese von der Beklagten geltend gemachten Umstände des streitgegenständlichen Antrags sind von der Kammerversammlung zu prüfen, nicht aber vom Präsidenten. Die Kammerversammlung der Beklagten hat das Erfordernis von 25 Unterschriften vormals als ausreichenden Schutz gegen eine missbräuchliche Ausnutzung des Antragsrechts angesehen. Sie könnte im Rahmen des § 85 Abs. 2 BRAO das in § 5 Nr. 3 GO festgesetzte Quorum heraufsetzen oder für die Fälle, die nicht von der Bundesrechtsanwaltsordnung, aber von der Geschäftsordnung erfasst werden, dem Präsidenten zur Entlastung der Versammlung ein Prüfungsrecht einräumen. Solange dies aber nicht geschieht, verbleibt es dabei, dass dem Präsidenten kein Prüfungsrecht zusteht, wenn mit der erforderlichen Anzahl von Stimmen die Aufnahme eines Tagesordnungspunktes zur Kammerversammlung beantragt wird.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 BRAO, § 52 Abs. 2 GKG.

Kayser Roggenbuck Seiters Braeuer Schäfer Vorinstanz:

AGH München, Entscheidung vom 15.07.2013 - BayAGH I - 19/12 -






BGH:
Urteil v. 03.11.2014
Az: AnwZ (Brfg) 68/13


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