Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 6. Januar 2000
Aktenzeichen: L 11 B 45/99 KA

(LSG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 06.01.2000, Az.: L 11 B 45/99 KA)

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 07.06.1999 wird zurückgewiesen. Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten des Beklagten und der Beigeladenen zu 7) und 8) für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Der Gegenstandswert im Beschwerdeverfahren wird auf 200,68 DM festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Gegenstandswertes im gerichtlichen Verfahren der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung.

Der klagende VdAK beantragte für die Quartale II/1995 und III/1995 beim Prüfungsausschuß die Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Verordnung von Heilmitteln durch die Beigeladenen zu 7) und 8), die als Vertragsärzte in G ... zugelassen sind. Mit zwei Beschlüssen setzte der Prüfungsausschuß Regresse in Höhe von 1.350,-- DM und 1.000,-- DM fest. Auf die Beschwerde der Beigeladenen zu 7) und 8) hob der beklagte Beschwerdeausschuß mit Beschluss vom 17.03.1998 die Heilmittelregresse auf. Ein statistischer Kostenvergleich sei ihm auf der Grundlage des zur Verfügung stehenden Zahlenmaterials nicht möglich. Von einer zeitaufwendigen Einzelfallprüfung sah er ab.

Hiergegen richtete sich die Klage des VdAK. Die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit habe grundsätzlich unter Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnisquellen zu erfolgen, mit denen sich der Beklagte in keiner Weise auseinandergesetzt habe.

Auf den entsprechenden Antrag des Klägers hat das Sozialgericht mit Urteil vom 14.04.1997 den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides verurteilt, über den Widerspruch der Beigeladenen zu 7) und 8) gegen die Entscheidungen des Prüfungsausschusses unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Auf den Antrag der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten hat das Sozialgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 07.06.1999 den Gegenstandswert für das Klageverfahren auf 2.350,-- DM festgesetzt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, mit der er Festsetzung des Gegenstandswertes auf 1.175,-- DM begehrt. Im gerichtlichen Verfahren über einen Bescheidungsantrag bestimme sich das wirtschaftliche Interesse nach der Hälfte der Kürzungssumme.

II.

Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und statthaft (§ 10 Abs. 3 Satz 1 und 3 Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte - BRAGO -). Der Beschwerdewert von 100,-- DM ist überschritten.

Die Beschwerde ist aber unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit im Klageverfahren auf 2.350,-- DM festgesetzt.

Im Anwendungsbereich des § 116 Abs. 2 Satz 1 BRAGO ist der Gegenstandswert nach § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO zu bestimmen. Hierzu ist die für die Bestimmung des Gegenstandswertes im Verwaltungs- und Finanzgerichtsprozeß maßgebende Vorschrift des § 13 Gerichtskostengesetz (GKG) ergänzend heranzuziehen. Deswegen ist auch im sozialgerichtlichen Verfahren der Gegenstandswert nach der sich aus dem Antrag des Klägers ergebenden Bedeutung der Sache zu bemessen (BSG SozR 1930 § 8 Nr. 2; BSG vom 25.11.1992 - 1 RR 1/98 -). Die Bedeutung der Sache für den Kläger entspricht dabei in der Regel seinem wirtschaftlichen Interesse an der erstrebten Entscheidung und ihren Auswirkungen (BSG vom 19.02.1996 - 6 RKa 40/93 -; Senatsbeschluß vom 21.02.1997 - L 11 SKa 48/96). Maßgeblich und zu bewerten sind demnach in objektiver Beurteilung die rechtliche Tragweite der Entscheidung und die Auswirkungen, die ein Obsiegen für die wirtschaftliche oder sonstige Lage des Klägers hat (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.05.1994 - L 5 S 15/93 - in Breithaupt 1995, 155 m.w.N.). Dabei ist über den Antrag hinaus das aus dem Klagevorbringen ersichtliche wirtschaftliche Interesse in die Präzisierung des Gegenstandswertes einzubeziehen (vgl. Senatsbeschluß vom 18.09.1996 - L 11 SKa 60/96 -).

Wird um die Höhe des vertragsärztlichen Honorars gestritten, so bemißt sich der Gegenstandswert ausgehend von diesen Grundsätzen regelmäßig nach dem Differenzbetrag zwischen dem zugestandenen und dem vom Kläger im Rechtsstreit beanspruchten oder bestrittenen Honorar (Senatsbeschluß vom 19.09.1995 - L 11 SKa 52/95 -). Dieselben Grundsätze gelten auch, wenn die Höhe des Honorars unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit der Behandlungsweise oder ein sogenannter Verordnungsregress im Streit sind, unbeschadet der jeweiligen prozessualen Beteiligtenstellung (so auch LSG Baden-Württemberg, Jur Büro 1998, 1461.). Deswegen geht der Kläger in seiner Beschwerde zu Recht davon aus, daß das wirtschaftliche Interesse des klagenden Verbandes - welches maßgeblich für die Festsetzung des Streitwertes sei - vorliegend die Wiederherstellung der Entscheidungen des Prüfungsausschusses und damit eine Entscheidung des Beschwerdeausschusses ist, mit welchem eine Kürzung von 2.350,-- DM (wieder) festgesetzt wird. Nach dem eigenen Vortrag des Klägers ist somit der Beschluss des Sozialgerichts bereits nicht zu beanstanden.

Das wirtschaftliche Interesse eines Klägers an der erstrebten Entscheidung ist vielfach unmittelbar aus dem Klageantrag herzuleiten und steht damit fest i.S.d. § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO. Wird indessen der Klageantrag wie im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung (§ 106 SGB V) aus verfahrensrechtlichen Gründen als Bescheidungsantrag formuliert, ist für die Bestimmung des wirtschaftlichen Interesses auch auf den zugrundeliegenden und vom Kläger vorgetragenen Sachverhalt abzustellen. Ausgangspunkt für die Bestimmung des Gegenstandswertes ist mithin hier der erstinstanzliche Antrag des Klägers, den Bescheid des Beklagten aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, einen neuen Bescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gericht zu erteilen. Zwar kann sich auch insoweit das tatsächliche wirtschaftliche Interesse eines Klägers mit dem Interesse decken, das im Bescheidungsantrag zum Ausdruck kommt, indessen gilt dies nicht uneingeschränkt. Um das wirtschaftliche Interesse zu präzisieren, ist es deswegen geboten, über den Klageantrag hinaus auch das Klagevorbringen in die Erwägungen einzubeziehen. Ergibt sich dabei, daß das aus dem Klagevorbringen abzuleitende wirtschaftliche Interesse über das allein durch den formalen Bescheidungsantrag bestimmte wirtschaftliche Interesse hinausgeht, ist das Klagevorbringen maßgeblich (Senatsbeschluß vom 21.02.1997 - L 11 SKa 48/96 -). Das Bundessozialgericht hat dies dahin formuliert, daß das hinter Klageantrag und -vorbringen stehende wirtschaftliche Interesse als Auslegungs- und Korrekturprinz zur Ermittlung der "Bedeutung der Sache" heranzuziehen ist, um Mangels sonstiger Anhaltspunkte den wirtschaftlichen Belangen der Parteien angemessen Rechnung zu tragen (Beschluss vom 25.11.1992 - 1 RR 1/91 - NZS 1993, 228, 229). Vorliegend hat der Kläger wegen des Beurteilungssspielraums der Prüfgremien zutreffend nur einen Bescheidungsantrag gestellt. In seinem Klage- und Beschwerdevorbringen hat er jedoch ausdrücklich sein wirtschaftliches Interesse dahingehend formuliert, daß es in der Wiederherstellung der Entscheidung des Prüfungsausschusses und damit in einer Entscheidung des Beschwerdeausschusses über einen Regress von 2.350,-- DM liege. Der Senat kommt nicht umhin, den Kläger an diesem von ihm selbst definierten wirtschaftlichen Interesse festzuhalten. Das schließt nicht aus, im konkreten Fall anhand des jeweiligen Vorbringens zu anderen Ergebnissen zu kommen, z.B. könnte wegen eines gerügten Beurteilungsfehlers des Beschwerdeausschusses nach dem eigenen Vortrag des Klägers nur eine teilweise Aufhebung in Betracht kommen. Das ist hier aber nicht der Fall.

Der Senat kann den vom Kläger bezogenen Entscheidungen des Hessischen Landessozialgericht vom 01.09.1998 und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27.03.1996 nicht folgen. Mit der Erörterung der Frage, in welchem Umfang eine Veurteilung zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes den Kläger ein Stück näher zu dem angestrebten Ziel bringt, wird verkannt, daß es bei der Bestimmung des wirtschaftlichen Interesses des Klägers nicht auf das Ergebnis der gerichtlichen Entscheidung ankommt. Dem kann gegebenenfalls durch eine differenzierende Kostenentscheidung Rechnung getragen werden. Auch sieht der sogenannte Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung 1996 (NVWZ 1996, 563 ff) unter I Nr. 6 lediglich die Möglichkeit vor, daß bei einem Bescheidungsantrag der Streitwert einen Bruchteil, mindestens jedoch einhalb des Wertes der entsprechenden Verpflichtungsklage betragen kann. Dem kann zugestimmt werden.

Wenn das Bundessozialgericht im Einzelfall (z. B. SozR 1930 § 8 BRAGO Nr. 8) bei einer Ermessensentscheidung den Gegenstandswert auf die Hälfte des streitigen Betrages festgesetzt hat, hat es sich u.a. davon leiten lassen, daß die Höhe der zu gewährenden Leistung nicht feststand und dem Ermessen der Beklagten unterlag. Die Grundsätze dieser Entscheidung sind auf das vorliegende Verfahren offensichtlich nicht übertragbar.

Der Senat sieht sich in seiner Rechtsauffassung, daß über den formalen Antrag hinaus auch das aus dem Klagevorbringen ersichtliche wirtschaftliche Interesse in die Erwägungen zur Bestimmung des Gegenstandswertes einzubeziehen ist, durch einen weiteren rechtlichen Ansatz bestätigt. Mit Beschluss vom 19.02.1996 - 6 RKa 40/93 - hat das Bundessozialgericht entschieden, daß für einen Beigeladenen ein niedrigerer oder jedenfalls anderer Gegenstandswert als für die Hauptbeteiligten in Betracht kommt, wenn der Rechtsstreit für den Beigeladenen eine erheblich geringere wirtschaftliche Bedeutung hat. Hierzu hat das BSG ausdrücklich nicht auf einen etwaigen Antrag des Beigeladenen abgestellt. Ein solcher kann im übrigen auch nicht deswegen allein bestimmend für die Höhe des Gegenstandswertes sein, weil Beigeladene - insbesondere im Verfahren der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung - vielfach auf eine eigene Antragstellung verzichten, mithin auch insoweit allein das dem Vorbringen zugrundeliegende wirtschaftliche Interesse den Gegenstandswert präzisiert.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 176, 183 und 193 SGG.

Gerichtskosten entstehen nicht (§ 183 SGG).

Der Kläger hat gemäß § 193 Abs. 1 Satz 4 Satz 2 SGG, § 116 Abs. 2 Nr. 1 BRAGO die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu erstatten, weil er mit seinem Begehren auf Herabsetzung des Gegenstandswertes erfolglos geblieben ist.

Das Beschwerdeverfahren nach § 10 Abs. 3 BRAGO, § 172 ff SGG ist ein eigenständiges Beschwerdeverfahren, in dem der Rechtsanwalt einen Anspruch auf anderweitige Vergütung hat, soweit es Verfahren sind, die im Dritten Abschnitt geregelt sind (Gerold-Schmidt- v. Eicken, BRAGO, 14. Auflage, 1999, § 61 Rdnr. 1 und 2). Gemäß § 116 Abs. 2 Satz 2 BRAGO gelten die Vorschriften des 3. Abschnitts sinngemäß. Im übrigen sind gemäß § 10 Abs. 3 Satz 4 BRAGO die für die Beschwerde in der Hauptsache geltenden Verfahrensvorschriften anzuwenden. Somit erhält im Beschwerdeverfahren der Rechtsanwalt gemäß § 61 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO 5/10 der im § 31 BRAGO bestimmten Gebühr. Das Beschwerdeverfahren gehört nicht gemäß § 37 BRAGO zum Rechtszug.

Zwar regeln § 10 Abs. 2 Satz 4 und 5 BRAGO für das Antragsverfahren , daß es gebührenfrei ist und der Rechtsanwalt im dem Verfahren keine Gebühren erhält. Diese Vorschrift gilt jedoch lediglich für das erstinstanzliche Wertfestsetzungsverfahren. Satz 5 schließt Gebühren des Rechtsanwaltes nur für diesen ersten Rechtszug aus. Im Beschwerdeverfahren entsteht sowohl für den betroffenen als für den eventuell gesondert beauftragten Rechtsanwalt eine Gebühr nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO (Gerold-Schmidtv. Eicken-Madert, BRAGO, a.a.O, § 10 Rdnr. 9 am Ende). Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut und entspricht der systematischen Stellung. Das selbständige Beschwerdeverfahren ist ausschließlich in § 10 Abs. 3 BRAGO geregelt.

Die Vorschrift des § 25 Abs. 4 Gerichtskostengesetz (GKG), wonach das Verfahren über die Beschwerde gegen die Wertfestsetzung von Gerichtsgebühren gerichtsgebührenfrei ist und außergerichtliche Kosten nicht erstattet werden, kann nicht zur Anwendung kommen. Das GKG gilt für die Verfahren vor den Sozialgerichten nicht (§ 1 GKG, § 183 SGG). Die Vorschrift des § 25 GKG ist für das sozialgerichtliche Verfahren nicht bezogen. Sie befaßt sich ausschließlich mit den Verfahren bezüglich der Wertfestsetzung von Gerichtsgebühren, welche auch für die Rechtsanwaltsgebühren maßgeblich sind (§§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 BRAGO). Nicht unter diese Regelung sind die Fälle zu subsumieren, bei denen es lediglich um die Wertfestsetzung für Rechtsanwaltsgebühren, z.B. nach § 8 Abs. 2 BRAGO geht (Gerold-Schmidtv.Eicken-Madert a.a.o. § 10 Rdnr. 5).

Die Entscheidung über den Gegenstandswert beruht auf §§ 116 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO. Gegenstandswert ist der Unterschiedsbetrag der Gebühren für den beantragten und den festgesetzten Gegenstandswert (Gerold-Schmidtv.Eicken-Madert a.a.O. § 10 Rdnr. 9 am Ende; Beschluss des LSG NRW vom 15.05.1996 - L 11 SKa 57/95 -).

Seit dem 01.07.1994 kommt es auf die Frage, ob ein Gegenstandswert nicht unter 300,-- DM festgesetzt werden kann, nicht mehr an (siehe dazu LSG NRW vom 09.11.1983 - L 11 Ka 60/82 - in Abweichung von BSG vom 21.01.1983 - 2 RU 60/81 - Breithaupt 1983, 466 f). Die seitdem geltende Fassung des § 8 Abs. 2 Satz 2 BRAGO enthält für die Annahme des Gegenstandswertes bei nicht vermögensrechtliche Streitigkeiten diese Untergrenze nicht mehr.

Dieser Beschluss ist endgültig (§ 177 SGG).






LSG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 06.01.2000
Az: L 11 B 45/99 KA


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