Bundespatentgericht:
Beschluss vom 28. August 2002
Aktenzeichen: 32 W (pat) 282/01

(BPatG: Beschluss v. 28.08.2002, Az.: 32 W (pat) 282/01)

Tenor

Auf die Beschwerde des Widersprechenden wird der Erinnerungsbeschluss des Deutschen Patent- und Markenamts vom 3. August 2001 aufgehoben.

Gründe

I.

Gegen die für Verlagstätigkeit, nämlich Herausgabe und Veröffentlichung von Büchern und Scripten; Personalberatung; Veranstaltung von Schulungs- und Fortbildungsseminaren; Entwicklung von Schulungs- und Fortbildungsprogrammen sowie Beratungskonzepteneingetragene Wort-Bild-Marke 396 06 249 siehe Abb. 1 am Endeist Widerspruch erhoben aus der Wort-Bild-Marke 1 101 009 siehe Abb. 2 am Endedie seit 8. Januar 1987 für Unternehmensberatung, Beratung und Training von Führungskräften auf den Gebieten Management und Organisationeingetragen ist.

Das Deutsche Patent- und Markenamt hat die Löschung der angegriffenen Marke mit Beschluss vom 26. März 1998 für die Dienstleistungen Personalberatung; Veranstaltung von Schulungs- und Fortbildungsseminaren; Entwicklung von Schulungs- und Fortbildungsprogrammen sowie Beratungskonzeptenangeordnet, weil diese zu denen der Widerspruchsmarke sehr ähnlich seien und die Marken mit ihren kennzeichnungsstarken Wortbestandteilen benannt würden. "integro" und "integra" seien klanglich verwechselbar, zumal A und O klangverwandt seien und in romanischen Sprachen nur männlich/weiblich unterschieden.

Auf die Erinnerung der Markeninhaberin hat die Markenstelle den Widerspruch insgesamt zurückgewiesen, weil selbst bei identischen Dienstleistungen keine Verwechslungsgefahr bestehe. Die Widerspruchsmarke werde nicht von "integro" geprägt, weil es im italienischen "vollständig, umfassend" bedeute. Aus rechtlichen Gründen könne der Widersprechende deshalb aus diesem Bestandteil keine Rechte herleiten. Auch die angegriffene Marke werde nicht von dem beschreibenden "integra" geprägt, zumal "integra development" als Gesamtbegriff wirke. Der Erinnerungsbeschluss ist dem Widersprechenden am 21. August 2001 zugestellt worden.

Der Widersprechende hat am 10. September die Beschwerdegebühr bezahlt.

Laut begleitendem, an das Bundespatengericht adressiertem Schreiben hat der Widersprechende die an das Deutsche Patent- und Markenamt gerichtete Beschwerde am 4. September 2001 geschickt. Das Anschreiben wurde von der Poststelle des Bundespatengerichts als Empfangsnachweis mit Eingangsstempel vom 5. September 2001 versehen und zurückgeschickt.

Am 17. Oktober 2001 hat das Deutsche Patent- und Markenamt die Bevollmächtigten des Widersprechenden darauf hingewiesen, dass keine Beschwerde zu den Akten gelangt sei, und um ein Doppel mit Eingangsnachweis gebeten.

Mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2001, beim Deutschen Patent- und Markenamt am 29. Oktober 2001 eingegangen, haben die Bevollmächtigten des Widersprechenden eine Kopie des Beschwerdeschriftsatzes vom 4. September 2001 und das dazugehörige Anschreiben mit dem Eingangsstempel des Bundespatengerichts (05. SEP. 2001) übersendet. Dazu ist ausgeführt und mit eidesstattlicher Versicherung bestätigt, das Original der Beschwerdeschrift sei mit dem Begleitbrief versendet und vom Bundespatengericht nicht zurückgeschickt worden.

Zur Sache stellt der Widersprechende vor allem darauf ab, die Dienstleistungen seien identisch. A und O seien nicht geeignet, die Wörter "integro" und "integra" zu unterscheiden. Selbst die Graphiken der Zeichen seien verwechselbar. Aussprechbar seien sie jedoch nicht, so dass sie bei der klanglichen Verwechslungsgefahr keine Rolle spielen könnten.

Der Widersprechende beantragt sinngemäß, den Beschluss vom 3. August 2001 aufzuhebenund die Marke 396 06 249 zu löschen.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert. Vor dem Deutschen Patent- und Markenamts war sie der Ansicht, die angegriffene Marke sei eine Kombinationsmarke, deren Gesamteindruck deutlich von dem der Widerspruchsmarke abweiche. Die Bestandteile "integr-" seien oft zu finden und damit verbraucht. Personalberatung und die anderen Dienstleistungen seien nicht identisch zu Unternehmensberatung und speziellem Training.

II.

Die Beschwerde ist zulässig.

Es ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeschrift vom 4. September 2001 am 5. September 2001 beim Bundespatengericht eingegangen ist, weil das Fehlen der Anlagen nicht beanstandet und das Begleitschreiben als Empfangsbestätigung verwendet wurde.

Allerdings wäre eine nur beim Bundespatengericht rechtzeitig eingegangene beim Deutschen Patent- und Markenamt aber verspätet eingegangene Beschwerde gem. § 66 Abs. 2 MarkenG unzulässig. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Beschwerdeschrift noch rechtzeitig dem Deutschen Patent- und Markenamt zugeleitet worden ist, was eine ordnungsgemäße Einlegung zur Folge hatte (vgl. BPatGE 18, 65, 67; 18, 68, 70). Die Poststelle des Bundespatengerichts bringt Post für das Deutschen Patent- und Markenamt, die bei Gericht eingeht, jeweils am selben Tag zur Poststelle des Amtes (im selben Haus). Hier waren mehr als zwei Wochen Zeit, die Beschwerdeschrift von der Poststelle des Gerichts zu der des Amtes zu befördern. Sollte dies dennoch nicht oder nicht rechtzeitig geschehen sein, könnte dies jedenfalls nicht der Widersprechenden zur Last gelegt werden, so dass Wiedereinsetzung zu gewähren wäre, da das Schreiben vom 25. Oktober 2001 als zulässiger Wiedereinsetzungsantrag verstanden werden kann.

III.

Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg, denn die Markenstelle hat die angegriffene Marke mit dem Erstbeschluss zu recht gelöscht; wegen ihrer Ähnlichkeit mit der Widerspruchsmarke besteht bei teilweiser Identität der durch die beiden Marken erfassten Dienstleistungen die Gefahr von klanglichen Verwechslungen.

Nach § 9 Abs. 1 Nr. 2, § 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die Eintragung einer Marke im Falle eines Widerspruchs zu löschen, wenn wegen ihrer Ähnlichkeit mit einer eingetragenen Marke mit älterem Zeitrang und der Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, einschließlich der Gefahr, dass die Marken gedanklich miteinander in Verbindung gebracht werden. Die Verwechslungsgefahr ist dabei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, wobei eine Wechselwirkung zwischen den in Betracht kommenden Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der Marken und der Ähnlichkeit der damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen, der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke und der Aufmerksamkeit der Verbraucher besteht (vgl. BGH GRUR 2000, 886 - Bayer/-BeiChem; 2001, 158, 159 - Drei-Streifen-Kennzeichnung), so dass z.B. ein geringerer Grad an Ähnlichkeit der Waren durch einen höheren Grad an Markenähnlichkeit ausgeglichen werden kann und umgekehrt (EuGH MarkenR 1999, 236 - Lloyd/Loint's; BGH GRUR 2000, 1040 - FRENORM/FRENON).

Die sich gegenüberstehenden Dienstleistungen sind identisch. Unternehmensberatung kann auch in Form von Personalberatung angeboten werden oder diese umfassen. Die durch die Widerspruchsmarke geschützten Dienstleistungen "Beratung und Training von Führungskräften auf den Gebieten Management und Organisation" können auch Gegenstand der "Entwicklung von Schulungs- und Fortbildungsprogrammen sowie Beratungskonzepten" sein, und sie fallen unter "Veranstaltung von Schulungs- und Fortbildungsseminaren".

Die Widerspruchsmarke verfügt mangels entgegenstehender Anhaltspunkte über durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Eine Schwächung von "integro" wegen beschreibender Anklänge in Richtung "integer, umfassend" kann nicht festgestellt werden; diese Deutung ist weder zwangsläufig (genauso denkbar ist eine Assoziation in Richtung "integrativ"), noch erschließt sie sich aus dem Italienischen den hier maßgeblichen deutschen Verkehrskreisen ohne weiteres, sondern allenfalls durch mehrere gedankliche Schritte, die dem Verbraucher bei der Betrachtung von Marken nicht unterstellt werden dürfen.

Demzufolge wäre ein so deutlicher Markenabstand erforderlich, wie ihn die angegriffene Marke in klanglicher Hinsicht nicht einhält.

Zwar unterscheiden sich die zu vergleichenden Zeichen in ihrer Gesamtheit durch ihre jeweilige graphische Gestaltung. Damit ist aber lediglich eine bildliche Verwechslungsgefahr ausgeschlossen.

Eine klangliche Verwechslungsgefahr kann bei insgesamt deutlich unterschiedlichen Kombinationsmarken wegen der bloßen Gemeinsamkeit in gleichen oder ähnlichen Bestandteilen bestehen, wenn der Bestandteil jeweils den Gesamteindruck der Kombinationsmarken prägt (BGH BlPMZ 1996, - Springende Raubkatze).

Hier ist davon auszugehen, dass die angesprochenen Verkehrskreise das angegriffene Zeichen mit "integra" benennen werden, da die übrigen Wortbestandteile der Marke, "development" und "Unternehmensentwicklung", beschreibender Natur sind.

Somit stehen sich verwechslungsrelevant "integra" und "integro" gegenüber, die klanglich bis auf den letzten Buchstaben identisch sind. Da der angesprochene Verbraucher nach der Lebenserfahrung mehr auf die Wortanfänge achtet, die hier in den ersten fünf von sechs Buchstaben identisch sind, halten die Marken den zur Vermeidung von Verwechslungen erforderlichen Abstand nicht ein.

A und O sind klanglich nicht sehr unterschiedlich.

Es entspricht ferner dem Erfahrungsschatz, dass Übereinstimmungen stärker prägen als Abweichungen, zumal wenn sie - wie hier - quantitativ dominieren (vgl. BGH GRUR 1992, 110 - Dipa/Dib; 1993, 118 - Corvaton/Corvasal; 1993, 972 - Sana/ Schosana).

Zu einer Kostenauferlegung besteht kein Anlass (§ 71 Abs. 1 MarkenG).

Winkler Sekretaruk Dr. Albrecht Hu Abb. 1 http://agora/bpatgkollision/docs/D56231.3.gif Abb. 2 http://agora/bpatgkollision/docs/D56232.3.gif






BPatG:
Beschluss v. 28.08.2002
Az: 32 W (pat) 282/01


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/c6265a13866f/BPatG_Beschluss_vom_28-August-2002_Az_32-W-pat-282-01




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share