Verwaltungsgericht Berlin:
Beschluss vom 19. Mai 2014
Aktenzeichen: 1 L 69.14

(VG Berlin: Beschluss v. 19.05.2014, Az.: 1 L 69.14)

Tenor

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners zur Unterlassung der Nennung seines Namens in diversen, vor dem Land- und dem Kammergericht Berlin derzeit gegen den Antragsgegner geführten Amtshaftungsprozessen.

Im Frühjahr 2011 war der Antragsteller als Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel inhaftiert. Am 21. März 2011 stellte er unter Berufung auf verfassungsgerichtliche Rechtsprechung einen Antrag auf sofortige Verlegung von seinem gegenwärtigen in einen größeren Haftraum mit einer Mindestfläche von 8 m2. Diesem Antrag wurde zeitnah entsprochen. Anfang März 2013 wurde der Antragsteller unter Reststrafenaussetzung aus der Haft entlassen. Seitdem ist er bei einer A...firma als Justitiar fest angestellt.

Seit einiger Zeit sind vor dem Land- und dem Kammergericht Berlin mehrere hundert Amtshaftungsprozesse gegen den Antragsgegner anhängig, in welchen dieser unter Berufung auf eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin aus dem Jahr 2009 auf Schadenersatz für die zeitweilige Unterbringung von Strafgefangenen in menschenunwürdig kleinen Einzelhafträumen in der JVA Tegel in Anspruch genommen wird. Im Rahmen dieser Prozesse beruft sich der Antragsgegner zu seiner Rechtsverteidigung regelmäßig auf § 839 Abs. 3 BGB und macht geltend, dass eine Schadenersatzpflicht des Landes schon deswegen ausscheide, weil die (ehemaligen) Strafgefangenen es jeweils unterlassen hätten, rechtzeitig Verlegungsanträge im Sinne von § 108 Abs. 1 des Strafvollzugsgesetzes zu stellen. Zum Beweis der Tatsache, dass die Stellung entsprechender Anträge zum Erfolg, d.h. im Regelfall zur zeitnahen Verlegung in größere Hafträume, geführt hätte, hat der Antragsgegner anonymisierte Kopien des Verlegungsantrags des hiesigen Antragstellers vom 21. März 2011 vorgelegt sowie verschiedene Zeugen aus dem Bereich der damaligen Anstaltsverwaltung der JVA Tegel benannt. Daraufhin hat der 9. Zivilsenat des Kammergerichts in einem der bei ihm anhängigen Amtshaftungsprozesse (hier: Az. 9 U...) am 13. Februar 2014 in öffentlicher Sitzung den 2011 als Vertreter der Teilanstaltsleiterin in der JVA Tegel tätigen Zeugen S... vernommen. Im Vorfeld seiner Vernehmung war dem Zeugen seitens der JVA Tegel eine unbeschränkte Aussagegenehmigung erteilt worden. Im Rahmen seiner Vernehmung nahm der Zeuge beispielhaft Bezug auf den Verlegungsantrag des Antragstellers vom 21. März 2011 sowie dessen Behandlung durch die JVA und nannte auf Nachfrage des dortigen Klägervertreters den vollständigen Nachnamen des hiesigen Antragstellers.

Von diesen Vorgängen Kenntnis erlangte der Antragsteller am 26. Februar 2014 aufgrund des Schreibens einer Rechtsanwältin, welche den Kläger des Verfahrens 9 U...vor dem Kammergericht vertritt. Daraufhin forderte er unter dem 4. März 2014 den Antragsgegner auf, ihm binnen sieben Tagen zu bestätigen, dass er die Nennung seines Namens im Rahmen der anhängigen Amtshaftungsprozesse künftig unterlassen werde.

Am 11. März 2014 wurde die Zeugin L..., im Jahr 2011 Vollzugsleiterin in der JVA Tegel, vom 9. Zivilsenat des Kammergerichts im Verfahren 9 U...zu demselben Beweisthema wie der Zeuge S... als Zeugin vernommen. Zuvor war ihr eine unbeschränkte Aussagegenehmigung erteilt worden. Auch sie nannte im Rahmen ihrer Vernehmung in öffentlicher Sitzung den vollständigen Nachnamen des hiesigen Antragstellers.

Nachdem der Antragsgegner die vom Antragsteller geforderte Unterlassungserklärung nicht abgegeben hatte, stellte dieser am 18. März 2014 den vorliegenden Eilantrag. Ihm stehe ein Abwehr- und Unterlassungsanspruch in Hinblick auf den vom Antragsgegner begangenen Bruch des Datengeheimnisses zu. Dieser folge aus Art. 2 GG in Verbindung mit datenschutzrechtlichen Vorschriften. Die Offenbarung seiner persönlichen Daten im Rahmen der anhängigen Amtshaftungsprozesse, an denen er nicht beteiligt sei, sei unzulässig und führe für ihn zu Nachteilen in seinem beruflichen Fortkommen. Angesichts der laufenden Zivilverfahren seien weitere Namensnennungen durch die vom Antragsgegner benannten Zeugen konkret zu befürchten, weswegen der Erlass einer einstweiligen Anordnung geboten sei. Die Verhinderung einer erneuten Namensnennung könne nur durch die Verpflichtung des Antragsgegners zum Widerruf oder zur Beschränkung der den Zeugen erteilten Aussagegenehmigungen erreicht werden, notfalls auch durch ein an den Antragsgegner gerichtetes Verbot der (erneuten) Vorlage seines Verlegungsantrages vom 21. März 2011 zu Beweiszwecken in den aktuellen Amtshaftungsprozessen.

Der Antragsteller beantragt,

dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro zu unterlassen, ihn außer in den nach dem Justizvollzugsdatenschutzgesetz Berlin zugelassenen Fällen als Urheber des Verlegungsantrages vom 21. März 2011, gestellt in der Justizvollzugsanstalt Tegel, namentlich zu nennen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Ein Unterlassungsanspruch gegen ihn stehe dem Antragsteller nicht zu. Er selbst habe durch seinen Prozessbevollmächtigten stets nur anonymisierte Unterlagen vorgelegt und den Namen des Antragstellers weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung je genannt. Er habe auch nicht vor, von dieser Vorgehensweise abzurücken. Die von ihm benannten Zeugen stünden zwar in seinen Diensten. Bei den Vernehmungen im Rahmen der laufenden Amtshaftungsprozesse träten diese jedoch nicht als seine Vertreter auf, sondern kämen allein ihrer höchstpersönlichen, staatsbürgerlichen Zeugenpflicht nach. Im Übrigen sei die Erteilung unbeschränkter Aussagegenehmigungen an die benannten Zeugen rechtlich nicht zu beanstanden, da Versagungsgründe nach § 37 des Beamtenstatusgesetzes offensichtlich nicht vorlägen.

Für den 20. Mai 2014 hat das Kammergericht die Zeugin L... in mehreren Verfahren erneut zur Vernehmung geladen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners, welcher der Kammer bei Entscheidung vorlag.

II.

1. Bei sach- und interessengerechter Auslegung des gestellten Eilantrags ist - unter Berücksichtigung des gesamten sonstigen Vorbringens des Antragstellers, insbesondere seines letzten Schriftsatzes vom 8. Mai 2014 - davon auszugehen (vgl. § 88 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -), dass er sein eigentliches Antragsziel, nämlich die Verhinderung weiterer Namensnennungen in öffentlichen Sitzungen vor dem Land- oder Kammergericht Berlin in den streitgegenständlichen Amtshaftungsprozessen, primär im Wege eines dem Antragsgegner seitens des Gerichts auferlegten Verbots der Namensnennung in Form einer (teilweisen) Aufhebung der den Zeugen S... und L... erteilten unbeschränkten Aussagegenehmigungen erreichen will (Hauptantrag). Nur hilfsweise beruft er sich darüber hinaus auf einen ihm gegenüber dem Antragsgegner zustehenden Anspruch auf Unterlassung der (erneuten) Vorlage seines Verlegungsantrags vom 21. März 2011 als Beweismittel (Hilfsantrag).

2. Sowohl der Haupt- als auch der Hilfsantrag haben keinen Erfolg.

A. Der in der Sache auf (teilweise) Aufhebung der den Zeugen S... und L... erteilten Aussagegenehmigungen gerichtete Hauptantrag ist bereits unzulässig.

17a. Der seitens des Antragstellers unter Bezugnahme auf § 123 VwGO beantragte Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist im vorliegenden Fall nicht statthaft. § 123 Abs. 5 VwGO schließt die Anwendbarkeit der Absätze 1 bis 3 derselben Norm aus, wenn der Anwendungsbereich der §§ 80, 80a VwGO eröffnet ist. Letzteres ist hier der Fall. Bei der Entscheidung über die Erteilung oder Versagung einer Aussagegenehmigung nach § 37 Abs. 3 und 4 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern (BeamtStG) handelt es sich um einen Verwaltungsakt auf dem Gebiet des Beamtenrechts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. August 1999 - 2 VR 1/99 - juris, Rdnr. 21; BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1982 - 2 C 91/81 - juris, Rdnr. 32; BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 1969 - VI C 138.67 - juris, Rdnr. 16; BVerwG, NJW 1964, S. 1088; OVG Berlin, Beschluss vom 8. Juni 1971 - IV B 9.71 - juris; Plog/Wiedow, Kommentar zum Bundesbeamtengesetz mit Beamtenversorgungsgesetz, Beamtenbesoldungsgesetz, Beamtenstatusgesetz; Bd. I [Stand: 03/2014], BBG 2009 § 67, Rdnr. 30 m.w.N.; a.A. noch: VG Berlin, Beschluss vom 4. Juni 1976 - 1 A 181/76 - juris). Das Erfordernis der Aussagegenehmigung für Beamte und Angehörige des öffentlichen Dienstes beruht auf der diesem Personenkreis auferlegten Pflicht zur Amtsverschwiegenheit, die hier mit der grundsätzlich jeden Staatsbürger treffenden Pflicht, als Zeuge auszusagen, kollidiert. Durch die Aussagegenehmigung wird der Angehörige des öffentlichen Dienstes im Rahmen der erteilten Aussagegenehmigung von seiner Pflicht zur Amtsverschwiegenheit entbunden und das auf seiner Verschwiegenheitspflicht beruhende Aussagehindernis beseitigt. Es handelt sich somit bei der Aussagegenehmigung um eine behördliche Maßnahme, durch die in dem von ihr geregelten Einzelfall unmittelbare Rechtswirkungen ausgelöst werden (st. Rspr. seit: BVerwG, NJW 1964, 1088 [1089]). Insofern ist die Entscheidung über die Erteilung einer Aussagegenehmigung zu unterscheiden von der Abgabe behördlicher Sperrerklärungen gemäß § 96 StPO entsprechend, mit denen der akten- oder personalführenden Behörde von der obersten Dienstbehörde intern die Weitergabe von Akten oder Informationen zu bestimmten Vertrauensleuten an das anfordernde Gericht versagt wird (zuletzt: VG Berlin, Beschluss vom 13. Mai 2014 - 1 L 117.14 - amtlicher Abdruck, S. 8), ohne dass dadurch - wie hier - höchstpersönliche Pflichten eines Beamten geregelt würden.

Statthafte Vorgehensweise wäre die - hier nicht erfolgte - Einlegung von Drittwidersprüchen gegen die beanstandeten Aussagegenehmigungen gewesen, welche dann gemäß § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO ohne Weiteres aufschiebende Wirkung entfaltet hätten. Wäre es in einem nächsten Schritt zu einer behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung gekommen, hätte es dem Antragsteller freigestanden, je nach Konstellation, bei Gericht Anträge nach § 80a Abs. 3 in Verbindung mit § 80 Abs. 5 VwGO zu stellen. Insofern ist die vorliegende prozessuale Situation durchaus zu vergleichen mit Fällen des Drittwiderspruchs im Baurecht. In beiden Fällen handelt es sich um mehrpolige Rechtsverhältnisse, in welchen einem Begünstigten oder Berechtigten seitens einer Behörde eine Genehmigung erteilt wird, die geeignet ist, Rechte Dritter zu beeinträchtigen. Diesen Dritten steht dann, sofern sie sich auf (auch) ihre Interessen schützende Normen berufen können, unter bestimmten weiteren Umständen ein Widerspruchs- und Klagerecht gegen die sie mittelbar belastenden Genehmigungen zu (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 80 Rdnr. 44 f.; § 80a Rdnr. 14 ff.).

b. Allerdings fehlt es dem Antragsteller vorliegend auch an der analog § 42 Abs. 2 VwGO zu fordernden Antragsbefugnis.

Um als außenstehender Dritter gegen die den verbeamteten Zeugen von ihren Dienstherrn erteilten Aussagegenehmigungen vorgehen zu können, müsste der Antragsteller sich auf eine öffentlich-rechtliche Norm berufen können, die ihn als Dritten zu schützen bestimmt ist. Der sogenannten Schutznormtheorie zufolge vermitteln einen derartigen Drittschutz nur solche öffentlich-rechtlichen Normen, die nach dem in ihnen enthaltenen und durch Auslegung zu ermittelnden Entscheidungsprogramm auch der Rücksichtnahme auf die Interessen des betreffenden Dritten dienen (BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1995 - 3 C 27/94 - juris, Rdnr. 18 m.w.N.). Dabei kann sich der drittschützende Charakter unmittelbar aus dem Wortlaut der Norm ergeben, etwa dann, wenn sie Abwehrrechte Betroffener ausdrücklich begründet. In der Regel allerdings wird insoweit - da der Normgeber nur in Ausnahmefällen derartige Abwehrrechte ausdrücklich statuiert hat - eine Auslegung der Norm nach Sinn und Zweck in Betracht kommen; gelegentlich mag sich auch aus der Entstehungsgeschichte der Wille des historischen Normgebers ermitteln lassen, die Interessen Dritter zu schützen (BVerwG, Urteil vom 19. September 1989 - 4 C 8/84 - juris, Rdnr. 11 ff.).

21§ 37 Abs. 4 BeamtStG, auf dessen Grundlage die vom Antragsteller beanstandeten Aussagegenehmigungen erlassen worden sind, kommt jedenfalls in Hinblick auf nicht am Ausgangsprozess beteiligte Dritte kein drittschützender Charakter in dem genannten Sinne zu. Bereits der Wortlaut des § 37 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG legt nahe, dass bei der Entscheidung über die Versagung einer beamtenrechtlichen Aussagegenehmigung allein öffentliche Belange und staatliche Interessen zu berücksichtigen sind. Schließlich werden als mögliche Versagungsgründe dort nur erhebliche Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes oder die erhebliche Erschwerung oder ernstliche Gefährdung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben genannt. Die Gesetzesmaterialien bestätigen diese Sichtweise; ihnen zufolge sind bei der Entscheidung über Erteilung oder Versagung einer Aussagegenehmigung die €durch die Geheimhaltung zu schützenden öffentlichen Interessen€ zu berücksichtigen (BT-Drs. 1/2846, S. 43 zu § 61 BBG a.F., auf welchen die Gesetzesmaterialien zu § 39 Abs. 3 BRRG, dem Vorläufer des § 37 Abs. 4 BeamtStG, Bezug nehmen, vgl. BT-Drs. 2/1549, S. 43f.; siehe auch: RGZ 54, 1 [2]: €nur Rücksichten des öffentlichen Rechts€). Auch ihrem Sinn und Zweck nach dienen sowohl § 37 Abs. 4 BeamtStG als auch der im Wesentlichen wortlautgleiche § 68 Abs. 1 Bundesbeamtengesetz (BBG) der Auflösung der Kollision zwischen der beamtenrechtlichen Pflicht zur Amtsverschwiegenheit auf der einen und der allgemeinen staatsbürgerlichen Zeugenpflicht des Beamten auf der anderen Seite. Bei ihrer Anwendung sind daher die widerstreitenden Interessen des Staatswohls und der Erfüllung öffentlicher Aufgaben - mithin ausschließlich Allgemeinwohlbelange - abzuwägen gegen das Interesse an einer umfassenden und uneingeschränkten Wahrheitsfindung sowie den schutzwürdigen Belangen, denen sie dient (BVerwG, Beschluss vom 13. August 1999, a.a.O., Rdnr. 30; BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1982, a.a.O., Rdnr. 33). Mit zu berücksichtigen sind bei der Entscheidung über die Erteilung oder Versagung auch die Interessen von Prozessbeteiligten, die sich - zum Beispiel zu ihrer strafrechtlichen Entlastung - auf das Zeugnis eines Beamten berufen. Diesen €Dritten€, die sich im konkreten Fall auf die allgemeine staatsbürgerliche Zeugenpflicht der Beamten berufen, gesteht die Rechtsprechung ein eigenes Klagerecht auf Erteilung einer Aussagegenehmigung zu (BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 1969, a.a.O., Rdnr. 18; Plog/Wiedow, BBG, a.a.O., BBG 2009 § 68, Rdnr. 14 m.w.N.). Dass die Vorschrift darüber hinaus auch die individuellen Belange von nicht verfahrensbeteiligten Dritten - wie hier dem Antragsteller - schützen will, ergibt sich aus alldem nicht. Vielmehr erscheint es durchaus systemgerecht, insoweit zu trennen zwischen dem Schutz öffentlicher Interessen über die zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gehörende allgemeine Verschwiegenheitspflicht auf der einen und dem Schutz individuell-persönlicher Rechte über die dem jeweiligen Geheimnisträger im entsprechenden Fachrecht gesondert auferlegte Schweigepflicht. Während über die Aufhebung oder Lockerung der allgemeinen Verschwiegenheitspflicht des Beamten der Dienstvorgesetzte im Rahmen seiner öffentlich-rechtlichen Entscheidung nach § 37 Abs. 4 BeamtStG oder § 68 Abs. 1 BBG befindet, wird der Schutz individueller Belange über die Zeugnisverweigerungsrechte der verschiedenen Prozessordnungen, in der Zivilprozessordnung (ZPO) vor allem über die §§ 383 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 3, 385 Abs. 2 ZPO, gewährt. Letztere bleiben nämlich unberührt, auch wenn der zuständige Dienstvorgesetzte zuvor eine unbeschränkte Aussagegenehmigung erteilt hat (Plog/Wiedow, BBG, a.a.O., BBG 2009 § 68 Rdnr. 9 a. E.; Berger in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2006, § 376 Rdnr. 43, § 383 Rdnr. 48). Während die seitens des Dienstherrn erteilte Aussagegenehmigung lediglich von der allgemeinen dienstrechtlichen Verschwiegenheitspflicht aus § 37 Abs. 1 BeamtStG bzw. § 67 Abs. 1 BBG befreit, liegt es damit regelmäßig in der Hand des individuell Betroffenen, den in einem Prozess als Zeugen benannten Beamten von einer gesetzlichen, ihm gegenüber bestehenden Schweigepflicht zu entbinden oder eben nicht (vgl. § 385 Abs. 2 ZPO; Berger in: Stein/Jonas, ZPO, a.a.O., § 385 Rdnr. 13). Dieser Zweiteilung des Rechts- und Interessenschutzes entspricht im Übrigen auch die Ausgestaltung der strafrechtlichen Konsequenzen etwaiger Verstöße gegen die verschiedenartigen Schweigepflichten (vgl. §§ 203 Abs. 2, 353b Abs. 1 StGB). Auch die prozessualen Folgen des Fehlens einer Aussagegenehmigung unterscheiden sich von denjenigen des Fehlens einer Schweigepflichtsentbindung. Aus der Versagung einer Aussagegenehmigung folgt ein Verwertungsverbot; der Zeuge darf vom Gericht nicht vernommen werden. Fehlt es hingegen an einer wirksamen Schweigepflichtsentbindung eines individuell Betroffenen, so folgt hieraus keine Vernehmungsverbot. Der Zeuge darf aussagen (vgl. § 383 Abs. 3 ZPO), riskiert aber strafrechtliche Konsequenzen, wenn er einen Geheimnisbruch begeht, was allerdings nichts an der Verwertbarkeit seiner Aussage ändert (BVerwG, Beschluss vom 15. November 1991 - 1 B 146/91 - juris, Rdnr. 6 m.w.N.; Berger in: Stein/Jonas, ZPO; a.a.O., § 385 Rdnr. 10; Damrau in: Münchener Kommentar zur ZPO, 2. Aufl. 2000, § 383 Rdnr. 42). Der Schutz individueller Interessen von nicht verfahrensbeteiligten Dritten findet mithin nicht über eine Einbeziehung der speziellen Schutznormen in das Prüfungsprogramm des Dienstherrn nach § 37 Abs. 4 BeamtStG statt, sondern über die Gewährung von Zeugnis- und/oder Aussageverweigerungsrechten in der jeweils anwendbaren Prozessordnung.

Auch aus anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften kann der Antragsteller keine Antragsbefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO analog herleiten. Dies gilt insbesondere für die von ihm in Bezug genommene Vorschrift des § 11 Justizvollzugsdatenschutzgesetz Berlin (JVollzDSG Bln). Zwar kommt dem dort normierten Datengeheimnis zweifellos individualschützende Wirkung zu, schließlich ist Ziel und Zweck desselben der Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. auch § 1 Nr. 1 JVollzDSG Bln). Allerdings ist es dem Antragsteller verwehrt, sich im hiesigen Zusammenhang hierauf zu berufen. Nach dem oben Gesagten beschränkt sich das Prüfungsprogramm des Dienstvorgesetzten bei Entscheidungen nach § 37 Abs. 4 BeamtStG oder § 68 Abs. 1 BBG auf die dort konkret normierten Voraussetzungen (Staatswohl/Erfüllung öffentlicher Aufgaben). Liegen die in der Vorschrift genannten Versagungsgründe nicht vor, so ist dem Beamten in der Regel die Aussagegenehmigung zu erteilen, da sowohl § 37 Abs. 4 BeamtStG als auch § 68 Abs. 1 BBG dem Interesse an der Wahrheitsfindung grundsätzlich den Vorrang gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse einräumen (gesetzliche Abwägung). Dasselbe gilt, wenn das Vorliegen eines Versagungsgrundes festgestellt wird; auch dann ist eine nochmalige Abwägung der widerstreitenden Interessen aufgrund der gesetzlich vorgegebenen Wertung in der Regel entbehrlich und die Genehmigung ist zu versagen (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1982, a.a.O., Rdnr. 33 zu § 62 Abs. 1 BBG a.F.; ebenso: BVerwG, Beschluss vom 13. August 1999, a.a.O., Rdnr. 30; Plog/Wiedow, BBG, a.a.O., BBG 2009 § 68, Rdnr. 6 m.w.N.). Weitere, Individualinteressen schützende Vorschriften wie etwa die vom Antragsteller hier in Bezug genommenen datenschutzrechtlichen Vorschriften sind nicht bei der Entscheidung über Erteilung oder Versagung einer Aussagegenehmigung zu berücksichtigen, sondern allein bei der im Rahmen des jeweiligen Verfahren nach der einschlägigen Prozessordnung zu beantwortenden Frage, ob sich zu Gunsten des Beamten aus bestimmten Geheimhaltungsvorschriften ein Zeugnis- und/oder Auskunftsverweigerungsrecht ergibt oder nicht.

23Nichts anderes folgt aus einer bis heute vielzitierten Entscheidung des Bundesfinanzhofes aus dem Jahr 1967 (BFH, Beschluss vom 25. April 1967 - VII 151/60 - NJW 1967, S. 2228 sowie juris, Rdnr. 2 f.). Zwar hat dieser in der Entscheidung ausgeführt, dass es sich bei dem damals in § 22 der Abgabenordnung geregelten Steuergeheimnis um ein Spezialgesetz handele, welches bei der Entscheidung über Erteilung oder Versagung einer Aussagegenehmigung vom Dienstvorgesetzten über den Wortlaut des § 39 BRRG - Vorläufer des heutigen § 37 Abs. 4 BeamtStG - hinaus zu berücksichtigen sei. Der Fall lag aber insofern besonders, als der Steuerpflichtige selbst seine Einwilligung in die Preisgabe der strittigen Tatsachen und Daten schon erteilt, mithin auf seine individuellen Rechte bereits verzichtet hatte. Im Übrigen stützt sich die Argumentation des Bundesfinanzhofes essentiell auf den Umstand, dass das Steuergeheimnis nicht nur im Interesse des Steuerpflichtigen, sondern gerade auch im Interesse der Allgemeinheit erlassen worden sei. Die Entscheidung erscheint daher auf den vorliegenden Fall, in welchem es um den Schutz des im persönlichen Interesse des Betroffenen erlassenen Datengeheimnisses geht (vgl. § 1 Nr. 1 JVollzDSG Bln; § 1 Abs. 1 BDSG), nicht übertragbar, zumal ohnehin zweifelhaft ist, ob und inwieweit die damaligen, in einem sehr knappen Hauptsachenerledigungsbeschluss enthaltenen Aussagen des Bundesfinanzhofes verallgemeinerungsfähig sind. Auch die in der Vergangenheit erfolgte Einbeziehung der aus § 9 des Gesetzes über das Kreditwesen (KWG) resultierenden Verschwiegenheitspflichten der für die Bundesanstalt für die Finanzdienstleistungsaufsicht Tätigen in das Prüfungsprogramm des Dienstherrn nach § 37 Abs. 4 BeamtStG bzw. § 68 Abs. 1 BBG (VG Berlin, Beschluss vom 28. Oktober 2010 - 28 L 177.10 - amtlicher Abdruck, S. 6 f.) fordert keine Abweichung von dem oben Ausgeführten. § 9 KWG erweitert bloß den persönlichen Anwendungsbereich der allgemeinen beamtenrechtlichen Verschwiegenheitspflicht; um spezielle, im höchstpersönlichen Interesse Einzelner zu beachtende Geheimnisvorschriften wie in den vom Antragsteller genannten Datenschutzvorschriften geht es dort hingegen nicht.

B. Der auf die (teilweise) Aufhebung der erteilten Aussagegenehmigungen gerichtete Hauptantrag wäre allerdings - bei zu Gunsten des Antragstellers unterstellter Zulässigkeit - auch in der Sache als unbegründet abzulehnen gewesen.

Dem Antragsteller steht kein Anspruch auf Widerruf bzw. Beschränkung der den beiden Zeugen S... und L... gemäß § 37 Abs. 4 BeamtStG erteilten Aussagegenehmigungen zu, da sich Letztere bei der hier allein möglichen, aber auch gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig erweisen. § 37 Abs. 4 BeamtStG sieht vor, dass die Genehmigung, als Zeuge oder Zeugin auszusagen, vom Dienstherrn nur dann versagt werden darf, wenn die Aussage dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes erhebliche Nachteile bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so ist, wie oben bereits ausgeführt, die Aussagegenehmigung zu erteilen (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1982, a.a.O., Rdnr. 33). Dem jeweiligen Dienstherrn steht insofern kein gerichtlich nicht überprüfbarer Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zu (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1982, a.a.O., Rdnr. 33; Plog/Wiedow, BBG, a.a.O., BBG 2009 § 68, Rdnr. 7 m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 98 Rdnr. 9).

Anhaltspunkte dafür, dass durch die Aussagen der seitens des Antragsgegners benannten Zeugen erhebliche Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes zu erwarten sind, werden weder vom Antragsgegner noch vom Antragsteller geltend gemacht und sind auch sonst nicht ersichtlich. Dasselbe gilt für den Eintritt einer ernstlichen Gefährdung oder erheblichen Erschwerung der Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch die zu erwartenden Zeugenaussagen bzw. die konkret befürchtete Nennung des Namens des Antragstellers. Weitere Gesichtspunkte, insbesondere der Schutz individueller datenschutzrechtlicher Belange des Antragstellers, waren vom Antragsgegner, wie oben in Zusammenhang mit den Ausführungen zur Antragsbefugnis dargestellt, im vorliegenden Zusammenhang nicht zu prüfen oder mit zu berücksichtigen.

Dass die vom Antragsgegner benannten Zeugen den Namen des Antragstellers trotz der datenschutzrechtlichen Regelungen des ihn schützenden Justizvollzugsdatenschutzgesetzes Berlin bereits mehrfach in öffentlicher Sitzung genannt haben und dass angesichts des bisherigen Verlaufs der Zeugenvernehmungen - soweit aus den vorliegenden Aktenstücken ersichtlich - auch eine konkrete Wiederholungsgefahr besteht, ist offensichtlich. Ob dem hiesigen, nicht unmittelbar verfahrensbeteiligten Antragsteller hiergegen ein prozessual durchsetzbarer, vorbeugender Unterlassungsanspruch zusteht, ist nach dem Gesagten jedoch keine Frage des Rechts der öffentlich-rechtlichen Aussagegenehmigungen, sondern eine Frage des Bestehens und der Reichweite eines möglicherweise den verbeamteten Zeugen zustehenden persönlichen Zeugnisverweigerungsrechts gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO.

C. Der auf künftige Unterlassung der Vorlage des unter dem 21. März 2011 seitens des hiesigen Antragstellers gestellten Verlegungsantrags gerichtete Hilfsantrag ist ebenfalls unzulässig. Insoweit ist bereits nicht ersichtlich, woraus sich das gerade im Falle der Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes zu verlangende qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers ergeben sollte (BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1989 - 7 C 2/87 - juris, Rdnr. 46 m.w.N.). Der Antragsgegner hat den fraglichen Verlegungsantrag den mit den Amtshaftungsprozessen befassten Gerichten bisher nur in anonymisierter Form vorgelegt und auch in seinen Schriftsätzen den hiesigen Antragsteller lediglich als €Insassen des Haftraums A3-077€ bezeichnet. Auch hat er unwidersprochen angekündigt, von der bisherigen Handhabung nicht abweichen zu wollen. Inwiefern durch diese Vorgehensweise künftig Rechte des Antragstellers verletzt werden könnten, erschließt sich nicht und wurde von ihm auch nicht ansatzweise dargelegt.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Verfahrenswertes ergibt sich aus den §§ 39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes (GKG) in Verbindung mit dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31.05./01.06.2012 und am 18.07.2013 beschlossenen Änderungen (vgl. unter: http://www.bverwg.de/medien/pdf/streitwertkatalog.pdf) nach der dortigen Nr. 1.5 Satz 2, wobei die Kammer mit Blick auf die von dem Antragsteller begehrte Vorwegnahme der Hauptsache den vollen Auffangstreitwert zugrunde gelegt, von einem gesonderten Ansatz des Wertes des Hilfsantrags nach § 45 Abs. 1 GKG jedoch angesichts des verschwindend geringen zusätzlichen wirtschaftlichen Werts abgesehen hat.






VG Berlin:
Beschluss v. 19.05.2014
Az: 1 L 69.14


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