Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 22. Februar 2010
Aktenzeichen: 18 W 1/10

(OLG Köln: Beschluss v. 22.02.2010, Az.: 18 W 1/10)

Die gerichtliche Anordnung einer Sonderprüfung bei einer Aktiengesellschaft setzt voraus, dass die bekannten Umstände es nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich erscheinen lassen, dass die zu untersuchenden Vorgänge auf unredlichem oder grob pflichtwidrigem Verhalten beruhen. Dies wird nicht schon dadurch indiziert, dass die Aktiengesellschaft einen Nachteil erlitten hat.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Landgerichts Köln vom 12.08.2009 wie folgt abgeändert:

Der Antrag auf Bestellung eines Sonderprüfers wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens und die außergerichtlichen Auslagen der Beteiligten trägt die Antragstellerin.

Der Gegenstandswert des Verfahrens wird auf 250.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die Voraussetzungen für die Bestellung eines Sonderprüfers bei der Antragsgegnerin gemäß § 142 Abs. 2 AktG gegeben sind.

Die Antragsgegnerin ist eine Holdinggesellschaft im Medienbereich, die früher die Firma T. AG führte. Sie hat ein Grundkapital in Höhe von 19.307.520 €, das in 7.520.000 Stückaktien aufgeteilt ist. Die Antragstellerin hielt bei Antragstellung mindestens 500.000 dieser Aktien.

Im Jahr 2006 erwarb die Antragsgegnerin sämtliche Geschäftsanteile an der I. Fernsehproduktion GmbH (künftig: I. ) in L. von den beiden bisherigen Gesellschaftern, der E. GmbH und Herrn U., der kurz darauf den Vorstandsvorsitz bei der Antragsgegnerin übernommen hat. Die I. produzierte eine Reihe von Comedy-Sendungen, die in verschiedenen Fernsehsendern ausgestrahlt wurden, u. a. gehörte dazu die bei Z. ausgestrahlte Sendung "W. ". Für das Jahr 2006 wies die I. bei Umsatzerlösen in Höhe von 17.407.118,24 € (Vorjahr: 17.409.305,54 €) einen Jahresüberschuss in Höhe von 1.628.185,02 € (Vorjahr: 1.298.385,78 €) aus. Der Kaufpreis für die Anteile betrug 33.100.000 € zuzüglich 450.000 € Erwerbsnebenkosten; er wurde teilweise durch Ausgabe neuer Aktien gedeckt. Nach einem Ergebnisrückgang bei der I. im Geschäftsjahr 2007 - der Jahresüberschuss schrumpfte auf 500.000 € - führte die Antragsgegnerin eine Wertberichtigung für die Beteiligung an dieser Gesellschaft von 33,5 Mio. € auf 16,817 Mio. € durch. Zu den Ursachen für die Entwicklung bei der I. heißt es in dem Bericht der E. GmbH über die Prüfung des Jahresabschlusses und Lageberichts 2007:

"Der Ergebnisbeitrag der I. Fernsehproduktion GmbH, L., hat sich gegenüber dem Vorjahr von TEUR 1.187 (bezogen auf den Zeitraum nach Erwerb zum zweiten Quartal 2007) auf TEUR 517 verringert. Ursächlich hierfür war im Wesentlichen die Produktionspause bei "W. " ab Mai 2007. Die daraus sowie aus einer geringeren Ausstrahlungsfrequenz bei "H. " resultierenden geringen Umsatzerlöse konnten durch neue Staffeln, beispielsweise "R. " oder neue Produktionen wie "N. " nicht kompensiert werden. Andere Formate wie "M. ", speziell aber "G. " konnten sich, für die Geschäftsführung unerwartet, nicht durchsetzen und wurden nach der ersten Staffel im November bzw. nach der sechsten Staffel im Juli nicht weiter produziert." (Seite 2 des Berichts, Bl. 46 AnlH)

Dies nahm die Antragstellerin zum Anlass, zur Hauptversammlung der Antragsgegnerin am 25.08.2008 folgenden Antrag zu stellen:

"a) Im Zusammenhang mit der am 28. März 2006 von Vorstand und Aufsichtsrat beschlossenen und am 04. April 2006 im Handelsregister eingetragenen Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage durch Erwerb der Geschäftsanteile der I. Fernsehproduktion GmbH soll eine Sonderprüfung stattfinden, die folgende Gegenstände untersucht:

Waren die im Rahmen einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage durch Beschluss von Vorstand und Aufsichtsrat vom 28. März 2006 erworbenen Anteile an der I. Fernsehproduktion GmbH überbewertet€ Wenn ja, in welcher Höhe€ Bestehen gegen den oder die Inferrenten der Sacheinlage gesetzliche und/oder vertragliche Ansprüche wegen Differenzhaftung auf Grund einer ggf. gem. Ziffer 1. Ermittelten Überbewertung und wenn ja, in welcher Höhe€ Bestehen auf Grund der in Ziffer 1. ggf. ermittelten Überbewertung der Sacheinlage Ansprüche gegen Berater, Prüfer, Gutachter etc.€ Gegen wen und in welcher Höhe richten sich diese Ansprüche€ Haben Vorstand und Aufsichtsrat bei der Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage vom 28. März 2006 ihre gesetzlichen Sorgfaltspflichten (§§ 93, 116 Aktiengesetz) sowie ihre Vermögensbetreuungspflicht ordnungsgemäß erfüllt€ Ggf. welcher Schaden ist der Gesellschaft durch die Verletzung der vorgenannten Pflichten entstanden. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu prüfen, ob der im Geschäftsjahr 2007 festgestellte Ergebnisrückgang bzw. die ‚nach unten korrigierten Ertragsaussichten für die Zukunft‘ bei der I. Fernsehproduktion GmbH ‚unerwartet‘ waren, oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt bereits im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung bzw. die Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister am 04. April 2006 absehbar und erkennbar waren.

b) Zu Sonderprüfern gemäß § 142 Aktiengesetz wird hinsichtlich der Bewertungsfragen

Herr Prof. Dr. H. , Wirtschaftsprüfer, …

und für die anstehenden Rechtsfragen

Herr Prof. Dr. N. , Rechtsanwalt, …

gewählt. …"

Die Hauptversammlung der Antragsgegnerin hat diesen Antrag entsprechend dem Vorschlag des Aufsichtsrates abgelehnt.

Am 10.09.2008 hat die Antragstellerin daraufhin beim Landgericht Köln den Antrag gemäß § 142 Abs. 2 AktG gestellt. Sie meint, dass die Halbierung des Wertes der Beteiligung an der I. den Verdacht nahe lege, dass bereits im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung, respektive deren Eintragung im Handelsregister, eine erkennbare Überbewertung der Sacheinlage "I. Fernsehproduktion GmbH" vorgelegen habe und deshalb die Inferrenten, Berater und ggf. Vorstand und Aufsichtsrat der Gesellschaft gegenüber zum Ausgleich des entstandenen Schadens verpflichtet seien. Es sei davon auszugehen, dass die Umsatzplanung und damit auch die Ertragsplanung für die Jahre 2006 bis 2008 deutlich zu positiv aufgestellt worden sei, was sowohl die Geschäftsführung der I. als auch der Verfasser der "C. ", die sich mit der Bewertung der I. befasst habe, hätte wissen bzw. erkennen können.

Die Antragsgegnerin vertritt dagegen die Auffassung, dass der Umsatzrückgang, der im Wesentlichen auf der Unterbrechung der Serie "W. " beruhe, nicht vorhersehbar gewesen sei. Hierzu hat der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin im erstinstanzlichen Verfahren wie folgt Stellung genommen:

"Zur Verifizierung eventueller Risiken wurde eine umfassende Unternehmensprüfung (C. ) bei der I. in Auftrag gegeben Diesbezüglich lag der Antragsgegnerin im Februar ein umfassender C.-Bericht vor. Darüber hinaus wurde ein professionelles Bewertungsgutachten hinsichtlich des Wertes der I. in Auftrag gegeben als Entscheidungsgrundlage für den Vorstand und den Aufsichtsrat der Antragsgegnerin hinsichtlich des Erwerbs der I. . Dieses Gutachten wurde Ende Januar 2006 erstellt … Das Gutachten kam bei Anwendung verschiedener Bewertungsverfahren zu einem Wert der I. in einer Bandbreite zwischen EUR 25 Mio. bis EUR 37,8 Mio. Eine Anwendung des in dem Bewertungsgutachten maßgeblichen B.-Verfahrens ergab einen Unternehmenswert in Höhe von EUR 37,8 Mio.. Aufgrund der besonderen Risiken der Unternehmensgröße sowie der Besonderheiten der I. in Bezug auf Schlüsselpersonen und Produktionsaufträge erfolgte ein Risikozuschlag, nach dessen Berücksichtigung sich für die I. ein Unternehmenswert von EUR 31,1 Mio. ergab." (Seite 2 der Erklärung des Aufsichtsrats vom Dezember 2008, Bl. 64 d. A.)

Das Landgericht hat dem Begehren der Antragstellerin mit Beschluss vom 19.08.2009 weitgehend entsprochen. Wegen der Einzelheiten wird auf diesen Beschluss verwiesen, der der Antragsgegnerin am 31.08.2009 zugestellt worden ist.

Am 14.09.2009 hat die Antragsgegnerin hiergegen sofortige Beschwerde eingelegt. Diese hat sie insbesondere damit begründet, dass keine Anhaltspunkte für Unredlichkeiten oder grobe Verletzungen des Gesetzes oder der Satzung bestünden.

Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die gemäß §§ 142 Abs. 5 S. 2 AktG, 22 Abs. 1 FGG zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Das Landgericht hat nicht festgestellt, dass bei dem Erwerb der Beteiligung an der I. durch die Antragsgegnerin Unredlichkeiten oder grobe Verletzungen des Gesetzes oder der Satzung vorgekommen sind. Es ergeben sich auch weder aus der Akte noch sonst zureichende Anhaltspunkte dafür, dass ein solcher Verdacht gerechtfertigt wäre.

1. Die gerichtliche Bestellung eines Sonderprüfers kann nicht bereits dann erfolgen, wenn Vorgänge bei der Gründung der Gesellschaft oder bei der Geschäftsführung (möglicherweise) zu einem Nachteil für die Gesellschaft geführt haben. Das Gesetz verlangt vielmehr zusätzlich, dass dies auf Unredlichkeiten oder groben Verletzungen des Gesetzes oder der Satzung beruhen muss. Daraus folgt zugleich, dass nicht bereits aus dem Eintreten von Nachteilen für die Gesellschaft auf das Vorliegen von Unredlichkeiten oder groben Pflichtverletzungen geschlossen werden darf, denn sonst hätte der Gesetzgeber allein auf diese objektiven Umstände abstellen und darauf verzichten können, die Bestellung von Sonderprüfern vom Verdacht derartiger subjektiver Umstände abhängig zu machen.

Die Auslegung dieser Voraussetzungen für die Bestellung eines Sonderprüfers entspricht derjenigen der entsprechenden Begriffe in § 148 AktG (vgl. BT-Drs. 15/5092, S. 18). Dazu heißt es in der Begründung des Gesetzesentwurfs:

"Die Minderheit kann also auch bei offensichtlichen und ohne Zweifel feststehenden leichtesten und leichten Verletzungen des Gesetzes oder der Satzung mit Schadensfolge keine Klagezulassung erlangen. In solchen Fällen soll eine kleine Minderheit der schweigenden oder andersdenkenden Mehrheit ihren Verfolgungswunsch nicht aufdrängen können. Im Fall von Unredlichkeiten, welche stets ins Kriminelle reichende Treupflichtverstöße sind, wird eine solche Einschränkung freilich nicht gemacht. Mit der Norm sollen also vor allem solche Fälle einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden, in denen wegen der besonderen Schwere der Verstöße, die nicht im Bereich unternehmerischer Fehlentscheidungen liegen, sondern regelmäßig im Bereich der Treupflichtverletzung, eine Nichtverfolgung unerträglich wäre und das Vertrauen in die gute Führung und Kontrolle der deutschen Unternehmen und damit in den deutschen Finanzplatz erschüttern würde." (BR-Drs. 3/05, S. 44)

Eine Unredlichkeit ist danach ein subjektiv vorwerfbares, sittlich anstößiges Verhalten. Ein grober Verstoß gegen Gesetz oder Satzung liegt dann vor, wenn dies die Umstände des Einzelfalles nahe legen und eine Nichtverfolgung unerträglich erscheinen würde (OLG Düsseldorf ZIP 2010, 28; Wilsing/Neumann, in: Heidel, AktG, 2. Aufl., 2007, § 142 Rn 19; Hüffer, AktG, 8. Aufl., 2008, § 148 Rn 8; Spindler, in: K. Schmidt/Lutter, AktG 2008, § 142 Rn 53f.).

Ein Verdacht i. S. des § 142 Abs. 2 AktG ist erst dann gegeben, wenn tatsächliche Umstände vorliegen, die eine Unredlichkeit oder einen groben Verstoß nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich erscheinen lassen (G. Bezzenberger, in: GK-AktG, 4. Aufl., 1999 ff., § 142 Rn 61). Dies entspricht in etwa dem, was im Strafprozessrecht als hinreichender Tatverdacht angesehen wird (OLG Düsseldorf ZIP 2010, 28; Holzborn, in: Bürgers/Körber, AktG, 2007, § 142 Rn 15; Schröer, in: MünchKomm-AktG, 2. Aufl., 2004, § 142 Rn 69; weitergehend Trölitzsch/Gunßer, AG 2008, 833, 836: "dringender Tatverdacht"). Dies entspricht der Auffassung der Gesetzesbegründung, wonach "hohe Anforderungen an die Überzeugung des Gerichts zum Vorliegen der Tatsachen zu stellen" sind (BT-Drs. 15/5092, S. 18).

2. Der erkennbare Sachverhalt im Zusammenhang mit dem Erwerb der Beteiligung der Antragsgegnerin an der I. rechtfertigt einen Verdacht im vorstehend dargestellten Sinne nicht. Es ergibt sich hieraus für den Senat auch kein Anlass zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen (§ 12 FGG). Weder aus dem Vortrag der Antragstellerin noch aus sonstigen Umständen ergeben sich zureichende Anhaltspunkte dafür, dass Organe der Antragsgegnerin oder andere Beteiligte bereits vor Vertragsschluss erkannt hätten oder es sich ihnen hätte aufdrängen müssen, dass die Anteile an der I. den dafür gezahlten Preis von über 33 Mio. € nicht wert waren.

a) Die Bewertung eines Unternehmens erfolgt regelmäßig nach dem Ertragswertverfahren; so war es auch bei dem Erwerb der Anteile an der I. . Das bedeutet aber nichts anderes, als dass auf der Grundlage prognostizierter künftiger Erträge ein Wert ermittelt wird. Wie bei jedem prognostischen Verfahren besteht hier notwendigerweise das Risiko oder die Chance, dass der tatsächlich erzielte Ertrag - und damit der "wahre" Wert des Unternehmens - nach unten oder oben von dem prognostizierten Ertrag abweicht. Die Verwirklichung dieses methodenimmanenten Risikos besagt deshalb noch nichts über die Fehlerhaftigkeit der Prognose. Gerade deshalb stellt auch die Halbierung des Wertes der Beteiligung an der I. selbst noch kein aussagekräftiges Indiz für ein vorwerfbares Fehlverhalten beim Erwerb dieser Beteiligung dar.

Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Ermittlung des Kaufpreises nicht nach dem Ertragswertverfahren erfolgt ist. Die A. GmbH hat in der von ihr erstellten C. (Anlage AG 1, Bl. 80 ff. AnlH) bei Anwendung der C.-Methode einen Unternehmenswert in Höhe von 31,084 Mio. € ermittelt (S. 31 der C. , Bl. 112 AnlH). Dieser Wert liegt in dem Rahmen, der sich bei einer Hochrechnung von Umsatz bzw. EBIT des Jahres 2005 unter Berücksichtigung eines Branchenmultiplikators ergibt, denn danach beläuft sich der Unternehmenswert auf einen Betrag zwischen 25,107 Mio. und 43,563 Mio. € (S. 33 der C. , Bl. 114 AnlH). Es ist nicht erkennbar, dass bei diesen Berechnungen grundsätzliche methodische Fehler begangen worden sind. Der Vorwurf der Antragstellerin, es hätten bei der Vergleichsrechnung die Werte für 2004 zugrunde gelegt werden müssen und nicht diejenigen des Jahres 2005, weil es sich hierbei nur um vorläufige Werte handelte, ist nicht gerechtfertigt. Es wird in der C. ausdrücklich offen gelegt, dass die Werte für 2005 noch nicht endgültig festgestellt sind (S. 11 der C. , Bl. 92 AnlH). Gleichwohl war es sachgerecht, diese der Berechnung zugrunde zu legen, denn die Abweichung der vorläufigen Werte für 2005 von den tatsächlichen war deutlich geringer als die Differenz zwischen den Werten für 2004 und 2005. Beim Umsatz beläuft sich die Differenz etwa auf ca. 270.000 € gegenüber ca. 9 Mio. €. Dies erhellt ohne Weiteres, dass die Berechnung auf der Basis des Jahres 2004 den im Jahr 2005 erzielten deutlichen Umsatz- und Ertragszuwachs ausgeblendet hätte.

Es begründet auch keinen Verdacht i. S. des § 142 Abs. 2 AktG, dass die Antragsgegnerin für die Anteile an der I. noch 2.016 Mio. € mehr gezahlt hat als den in der C. ermittelten Unternehmenswert. Der tatsächlich gezahlte Kaufpreis lag damit nur ca. 6,5 % über dem ermittelten Wert. Im Hinblick darauf, dass es einen einzig richtigen, "wahren" Wert nicht gibt bzw. sich dieser ex ante nicht feststellen lässt, sondern die Preisbildung in einem marktwirtschaftlichen System grundsätzlich das Ergebnis von Verhandlungen sein sollte, liegt diese Abweichung noch in dem Rahmen dessen, was auf der Grundlage der C. als "vertretbarer" Preis anzusehen ist. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil der Kaufpreis nur zu einem geringen Teil in bar aufgebracht worden ist, im Übrigen aber durch Ausgabe von Aktien und Verrechnung von Ansprüchen. Zudem ist hierbei auch zu berücksichtigen, dass die Entscheidung, die Beteiligung an der I. zu diesem Preis zu erwerben, in den Bereich der unternehmerischen Entscheidungen fällt, bei denen ein Beurteilungsspielraum besteht (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG - "business judgement rule"). Erst bei eindeutiger Überschreitung dieses Beurteilungsspielraums kommt dann eine Unredlichkeit bzw. ein grober Verstoß gegen Gesetz oder Satzung in Betracht.

b) Es bestehen auch keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, dass bei der Ermittlung des Wertes der I. bewusst oder zumindest ohne Weiteres erkennbar falsche Prämissen zugrunde gelegt worden sind, so dass es deshalb trotz ansonsten methodisch richtiger Berechnung zu einem überhöhten Wert gekommen wäre.

aa) Ein wesentlicher Faktor bei der Berechnung war die Ertragsplanung der Geschäftsführung der I. für die Jahre 2006 bis 2008. Auch hier besteht methodenimmanent eine erhebliche Unsicherheit, weil Planungen naturgemäß risikobehaftet sind. Dieses Risiko bestand hier darin, dass der wirtschaftliche Erfolg künftiger Fernsehsendungen nur schwer abschätzbar ist. Nicht wenige Fernsehsendungen, die von Produzenten und Sendern mit großen Erwartungen gestartet werden, erweisen sich aus den unterschiedlichsten und teilweise kaum beeinflussbaren Gründen nach kurzer Zeit als Misserfolg. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass derartige Sendungen häufig personenabhängig sind, ihr Erfolg mit einem Darsteller steht oder fällt. Gleichwohl wäre es nicht gerechtfertigt, der Ertragsplanung keine Bedeutung beizumessen; dies gilt jedenfalls für ein bereits seit längerer Zeit am Markt tätiges Unternehmen, wie es die I. auch schon 2005 war. Die Ertragserwartungen können nämlich einer Plausibilitätskontrolle unterzogen werden. Aufgrund des Verhältnisses von Umsatz und Ertrag in der Vergangenheit lässt sich überprüfen, ob die angenommenen Erträge realistisch erscheinen. Angesichts der Geschäftsentwicklung bei I. in den vergangenen Jahren stellen sich die Planungen der Geschäftsführung für die Jahre 2006 bis 2008 nicht als unplausibel dar. Nach einer "Konsolidierungsphase" im Jahr 2006 mit einem Umsatz- und Gewinnzuwachs von ca. 20 bzw. 9 %, folgen zwei Jahre mit deutlicher Umsatzsteigerung - 36 bzw. 23,5 % - und entsprechend hohem Gewinnzuwachs - 27 % bzw. 13,6 % - (vgl. C. S. 5, Bl. 86 AnlH). Diese Prognosen liegen aber immer noch deutlich unter den tatsächlich erzielten Umsatzsteigerungen in den Jahren 2004 und 2005 in Höhe von 77,5 % bzw. 113,5 % und entsprechenden Gewinnsteigerungen in Höhe von jeweils deutlich über 100 %.

Es ist auch in keiner Weise erkennbar, dass die in den Vorjahren erzielten Umsatz- und Gewinnsteigerungen auf besonderen Umständen beruhten, die nur in diesen Jahren relevant geworden sind und deshalb bei einer Plausibilitätsbetrachtung herauszurechnen gewesen wären. Soweit von der Antragstellerin Überlegungen zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des mit dem Sender Z. vereinbarten Total-Buyout angestellt werden, sind diese spekulativ. Konkrete Anhaltspunkte für eine hierdurch erzielte Beeinflussung wesentlicher Bewertungsfaktoren ergeben sich daraus nicht.

Der Geschäftserfolg der I. in den Vorjahren beruhte ganz entscheidend auf der Serie "W. ". Es war vorgesehen, diese Serie in den Folgejahren fortzusetzen. Diese Erwartung war auch nicht unrealistisch, denn aus aktuellen Fernsehprogrammen ist zu entnehmen, dass sie - mit anderer Besetzung - auch im Jahr 2010 noch läuft. Ebenso verhält es sich für andere Produktionen ("N. "). Von daher erscheint es auch nicht fehlerhaft, dass die mit dieser Produktion ("W. ") erzielten erheblichen Gewinne auch für das Jahr der ewigen Rente (2009) angesetzt wurden.

b) Für die Ermittlung des β-Faktors, durch den das unternehmensspezifische Risiko in Relation zum allgemeinen Kapitalmarktrisiko in die Wertberechnung eingeführt wird, kommt es bei nicht börsennotierten Unternehmen ganz wesentlich auf die Bildung der Q. an. Auch insoweit ist die C. , die bei der Preisvereinbarung auf Seiten der Antragsgegnerin zumindest die Funktion eines Kontrollinstruments hatte, nicht erkennbar fehlerhaft. Es wurden nicht nur eine ganze Reihe von Unternehmen aus dem Medienbereich berücksichtigt, sondern im Hinblick auf ihre Vergleichbarkeit mit I. auch gewichtet (vgl. S. 26 der C. , Bl. 107 AnlH). Den Bedenken der Antragstellerin, gegen die Aufnahme bestimmter größerer Unternehmen in die Q. wurde in der C. nicht nur durch eine entsprechende Gewichtung der einzelnen Unternehmen Rechnung getragen S. 26 der C. , Bl. 107 AnlH), sondern auch durch einen Risikozuschlag aufgrund der geringen Unternehmensgröße der I. (S. 28 der C. , Bl. 109 AnlH). Man kann sicherlich trotzdem über die zu berücksichtigenden Unternehmen und deren Gewichtung unterschiedlicher Auffassung sein. Aber selbst wenn man - entsprechend dem Vortrag der Antragstellerin - zu dem Ergebnis kommen sollte, dass bestimmte Unternehmen gar nicht oder jedenfalls mit einer anderen Gewichtung zu berücksichtigen gewesen wären, macht das die Unternehmensbewertung in der C. nicht in dem Sinne offensichtlich unrichtig, dass dies den Organen der Antragsgegnerin oder den sonstigen hieran beteiligten Personen hätte auffallen müssen, so dass der Vorwurf der Unredlichkeit oder der groben Verletzung von Gesetz oder Satzung deswegen gerechtfertigt wäre.

c) Die Risikofaktoren, die in den Annahmen enthalten sind, die der Ertragsplanung zugrunde lagen, werden z. T. bereits beim β-Faktor berücksichtigt. Das gilt für die Risiken, die für alle Unternehmen der jeweiligen Q. gleichermaßen gelten. Zu Recht wird dabei die Abhängigkeit des Erfolgs bestimmter Sendungen von einzelnen Protagonisten (J., D.) nicht als spezifisches Risiko der I. angesehen, weil sich die Abhängigkeit des Erfolgs von Produktionen insbesondere im Unterhaltungsbereich als ein allgemeines Phänomen darstellt, dass alle anderen Unternehmen im Medienbereich - sowohl Produzenten als auch Sender - in vergleichbarer Weise trifft. Dasselbe gilt für das "allgemeine Lebensrisiko" aller Unternehmen, dass bestimmte in der Ertragsplanung bereits berücksichtigte Produkte nie in die Produktionsphase gelangen bzw. nicht den prognostizierten Erfolg haben. Dies unterscheidet ein Medienunternehmen nicht von einem Autohersteller.

Es wurden für die Ermittlung des Wertes aber auch spezifische Risiken, die bei der I. bestanden, nicht unberücksichtigt gelassen, sondern durch einen Risikozuschlag von 1,5 % auf den Diskontierungsfaktor berücksichtigt (S. 29 der C. , Bl. 140 AnlH). Als besondere Risiken wurden dabei die geringe Unternehmensgröße, die Abhängigkeit des Geschäftserfolgs von einzelnen Personen in der Geschäftsleitung und das geringe Kundenportfolio berücksichtigt. Es ist nicht erkennbar, dass weitere spezifische Risiken bei I. bestanden haben, deren Nichtberücksichtigung offensichtlich fehlerhaft gewesen wäre.

Die Auffassung der Antragstellerin, dass ein Risikozuschlag wegen der Abhängigkeit von einzelnen Personen in der C. gerade nicht erfolgt sei, ist falsch. Die von der Antragstellerin insoweit zitierte Aussage

"Aus diesem Grund soll dieser Aspekt nicht mit einem zusätzlichen Risikozuschlag berücksichtigt werden." (S. 28 der C. , Bl. 109 AnlH)

Bezieht sich nur auf die im vorhergehenden Satz beschriebene Abhängigkeit von bestimmten Künstlern, namentlich J. und D., nicht aber auf die Bedeutung bestimmter Personen aus dem Management für I. . Das folgt bereits daraus, dass der zitierte Satz den Absatz abschließt, in dem auf die Abhängigkeit von den genannten Künstlern hingewiesen wird, während die Abhängigkeit von bestimmten Personen in der Unternehmensleitung bereits in dem vorhergehenden Absatz thematisiert worden ist. Wäre auch diese Abhängigkeit nach Auffassung der Verfasser der C. nicht durch einen Risikozuschlag zu berücksichtigen gewesen, machte dieser ganze Abschnitt unter der Überschrift "Risikozuschlag für die Abhängigkeit von Schlüsselpersonen" keinen Sinn, weil ein solcher Risikozuschlag dann gar nicht erfolgt wäre. Das stände aber im Widerspruch zu dem Obersatz des Abschnitts, wonach "für folgende Positionen Risikozuschläge in Höhe von jeweils 0,5 Prozentpunkten … vorgenommen" werden.

Das Risiko, das sich verwirklicht hat und ursächlich dafür war, dass die Gewinnerwartung und damit auch der Wert der Beteiligung nach unten korrigiert werden musste, war der Umstand, dass die Serie "W. " vorübergehend eingestellt wurde und die Serie "H. " nur eine geringere Ausstrahlungsfrequenz erreicht hat. Beide Umstände sind in den Risikozuschlag auf den Diskontierungsfaktor eingeflossen. Der Risikozuschlag für die Unternehmensgröße beruht eben auch darauf, dass der Ertrag in besonderer Weise vom Erfolg einzelner Produkte ("W. ") abhängig war und bei der angenommenen Wachstumserwartung aufgrund neuer Produkte auch ein höheres Risiko bestand, dass diese nicht den prognostizierten Erfolg haben würden.

Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass bei Erwerb der Beteiligung an der I. für einzelne Beteiligte vorhersehbar gewesen wäre, dass sich bestimmte Risiken mit einer hohen Wahrscheinlichkeit verwirklichen würden, was einen entsprechend höheren Risikozuschlag erfordert oder sogar eine entsprechende Reduzierung der Gewinnerwartung gerechtfertigt hätte. Es war bekannt, dass nur ein Teil der Gewinnerwartung auf solchen Produktionen beruhte, für die bereits verbindliche Verträge bestanden. Es war auch bekannt, dass Verträge mit einzelnen besonders wichtigen Personen auslaufen konnten oder von diesen - zu Recht oder zu Unrecht - nicht erfüllt werden würden. Dies gehört zu den typischen Risiken der Branche. Anhaltspunkte dafür, dass Beteiligte an dem Erwerb der Beteiligung an der I. schon zu diesem Zeitpunkt wussten oder zumindest ernsthaft mit der Möglichkeit rechnen mussten, dass die Darstellerin D. sich im Frühjahr 2007 aus der "W. " zurückziehen würde und man Zeit brauchen würde, einen entsprechenden Nachfolger zu finden, bestehen nicht. Hätte es hierfür konkrete Anhaltspunkte gegeben, wären wohl schon frühzeitig Bemühungen erfolgt, einen Nachfolger zu finden, denn die Fortführung der Serie noch im Jahr 2010 mit einem anderen Hauptdarsteller belegt ja, dass man an der Erhaltung dieser gewinnträchtigen Produktion interessiert war. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass Beteiligte schon im Jahr 2006 aufgrund der bei ihnen vorhandenen spezifischen Kenntnisse davon ausgegangen sind oder zumindest davon ausgehen mussten, dass bestimmte Neuproduktionen nicht den in der Ertragsplanung angesetzten Erfolg haben würden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 13a FGG, 142 Abs. 8 AktG.

IV.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes erfolgt gemäß §§ 30, 131 Abs. 2 KostO, 142 Abs. 8 AktG. Angesichts des im Raume stehenden möglichen Schadens der Antragsgegnerin von ca. 16 Mio. € und der erhebliche Beteiligung der Antragstellerin an der Antragsgegnerin erscheint eine Festsetzung des Gegenstandswertes auf die Hälfte des Höchstwertes angemessen.






OLG Köln:
Beschluss v. 22.02.2010
Az: 18 W 1/10


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