Sozialgericht Köln:
Urteil vom 15. Dezember 2011
Aktenzeichen: S 31 R 865/10

(SG Köln: Urteil v. 15.12.2011, Az.: S 31 R 865/10)

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 22.02.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2010 verurteilt, den Kläger für seine Tätigkeit bei der X mit Wirkung ab dem 01.12.2009 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Der Kläger wurde 1979 geboren und legte im Mai 2007 das 2. juristische Staatsexamen ab. Im August 2007 schloss er mit der X GmbH, die nunmehr unter X GmbH firmiert (im folgenden X), einen Anstellungsvertrag ab. Danach wurde er als Sachbearbeiter Prozess in der Abteilung Prozess/Regress eingestellt. Zum 01.12.2009 erteilte ihm die Rechtsanwaltskammer Köln die Zulassung zur Anwaltschaft und am 28.12.2009 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Er fügte ein Schreiben der X vom 11.12.2009 bei. Dort heißt es:

" Sie erhalten Ihre Stellen- und Funktionsbeschreibung zur Vorlage beim Ver- sorgungsamt für Rechtsanwälte. Sie sind in der Abteilung Prozess unserer Ge- sellschaft als Volljurist beschäftigt. Im Rahmen Ihrer spezifischen Beschäftigung üben Sie eine anwaltliche Tätigkeit aus. Zu dieser zählt die juristische, wirtschaft- liche und unfallanalytische Bearbeitung von spartenübergreifenden Schadensfäl- len, die vollständige Übernahme der Schadensbearbeitung ab Rechtshängigkeit des Vorgangs, die Abwägung der Chancen und Risiken eines Rechtsstreits, die selbständige Führung von Rechtsstreitigkeiten bzw. eine umfassende Beauftra- gung und Überwachung von externen Rechtsanwälten. Im Rahmen der Ihnen übertragenen Kompetenzen entscheiden Sie eigenverantwortlich über die Aufnahme von Prozessen bzw. den Abschluss eines Vergleichs mit der Anspruchsstellerseite, wobei Sie zum Teil Vergleichs- oder Gerichtstermine persönlich wahrnehmen. Ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt liegt in der Schulung interner und externer Mitarbei- ter in juristischen Sachfragen durch Vorträge bzw. Ausarbeitung schriftlicher Arbeits- anweisungen und Urteilsanmerkungen."

Mit hier angefochtenem Bescheid vom 22.02.2010 lehnte die Beklagte die begehrte Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Kläger arbeite als Sachbearbeiter Prozess. Dies entspreche nicht dem in § 3 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) zugrunde gelegten Bild der freien Berufsausübung als Rechtsanwalt.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und führte aus, bei seiner Arbeitgeberin handele es ich nicht um ein Versicherungsunternehmen, sondern um eine konzerneigene Servicegesellschaft, die für die Bearbeitung von Groß- und Spezialschäden sowie für das Management und die Steuerung des Segments Schaden der Generali Deutschlandgruppe verantwortlich sei. Er sei in der Spezialabteilung in der Gruppe Prozess tätig. Hier erfolge die zentrale Bearbeitung der gerichtlichen Verfahren aus allen Bereichen der Kompositversicherung. Sein Schwerpunkt liege in der Bearbeitung von Kraftfahrzeughaftpflicht- und Kaskoprozessen. Seine Tätigkeit sei rechtsberatend, rechtsentscheidend, rechtsgestaltend und rechtsvermittelnd. Eine Weisungsgebundenheit bestehe nicht. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31.05.2010 als sachlich unbegründet zurück: Die Vergütung des Klägers richte sich nach dem Manteltarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe und der Kläger sei nach Gehaltsgruppe VI (besonders qualifizierte Sachbearbeitung) eingruppiert worden. Dies sei ein weiteres Indiz dafür, dass die Tätigkeit des Klägers nicht anwaltlicher Natur sei.

Hiergegen richtet sich die Klage.

Zur Begründung lässt der Kläger u. a. ausführen, eine anwaltliche Tätigkeit sei auch in einem ständigen Dienstverhältnis mit einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber möglich, wie sich aus § 46 BRAO ergebe. Die Beklagte habe 2005 zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungswerke ein Merkblatt entworfen, in welchem die berufstypische Tätigkeit eines Rechtsanwaltes anhand von vier Merkmalen beschrieben werde. Der Kläger erfüllte diese vier Merkmale der Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung, die zwischenzeitlich von einer Vielzahl von Gerichten bestätigt worden seien. Alleine das Abstellen auf Bezeichnungen wie "Sachbearbeiter" sei nicht zulässig. Die Arbeitgeberin des Klägers sei eine Tochtergesellschaft der Generali Gruppe. Sie sei gegründet worden, um für deren Versicherungsunternehmen Schäden mit einer Schadenssumme von 50.000,- EUR an aufwärts zu regulieren sowie für die Bearbeitung sämtlicher Gerichtsverfahren, unabhängig von der Höhe der Schadenssumme. In der Gesellschaft arbeiteten rund 150 Rechtsanwälte. Im übrigen sei auch die Stelle des Klägers ausdrücklich für einen Volljuristen ausgeschrieben worden. Schließlich stehe die tarifliche Eingruppierung einer Tätigkeit in keinem Zusammenhang mit ihrer Bewertung als anwaltliche Tätigkeit.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 22.02.2010 in der Fassung des Wider- spruchsbescheides vom31.05.2010 aufzuheben und den Kläger für seine Tätigkeit als Rechtsanwalt bei der X GmbH vom 01.12.2009 von der Versicherungspflicht in der gesetzli chen Rentenversicherung zu befreien.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass aus den vorgelegten Unterlagen nicht ersichtlich sei, dass die Tätigkeit des Klägers zwingend eine Qualifikation als Volljurist voraussetze. Gegen die Annahme einer anwaltlichen Tätigkeit spreche auch, dass der Kläger diese bereits seit August 2007 ausübe, die Anwaltszulassung jedoch erst seit Dezember 2009 habe. Im übrigen komme der Eingruppierung in den Tarifvertrag eine hohe indizielle Wirkung zu.

Das beigeladene Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande Nordrhein-Westfalen stellt keinen Antrag. Es hält eine Anknüpfung an die tarifvertragliche Eingruppierung für nicht zulässig.

Das Gericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2011 persönlich angehört sowie seinen Vorgesetzten, den Gruppenleiter X, als Zeugen vernommen. Wegen des Inhalts der Aussagen wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2011. Wegen des sonstigen Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, welche zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat.

Gründe

Die Klage ist zulässig und in der Sache begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 22.02.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für seine Beschäftigung bei der X in der Zeit ab dem 01.12.2009 zu.

Dieser Anspruch ergibt sich aus § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch 6. Buch € Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI). Nach dieser Vorschrift werden von der Versicherungspflicht befreit Beschäftigte für die Beschäftigung, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlichrechtlichen Versorgungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständischen Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn (a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 01. Januar 1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat, (b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Einrichtung zu zahlen sind und (c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.

Bei der Tätigkeit des Klägers für die X handelt es sich € wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist € um eine (abhängige) Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch € Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV), die grundsätzlich eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI begründet.

Die Pflichtmitgliedschaft des Klägers in der Rechtsanwaltskammer Köln seit dem 01.12.2009 ergibt sich aus § 12 Abs. 3 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), wonach ein Rechtsanwalt mit seiner Zulassung Mitglied der zulassenden Rechtsanwaltskammer wird. Diese gesetzliche Pflichtmitgliedschaft der Rechtsanwälte in der Rechtsanwaltskammer Köln bestand am Beschäftigungsort Köln grundsätzlich auch schon vor dem 01. Januar 1995.

Der Kläger ist als Rechtsanwalt zudem Pflichtmitglied des Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Nordrhein-Westfalen, des Beigeladenen, gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Rechtsanwaltsversorgung in Nordrhein-Westfalen in Verbindung mit § 10 der Satzung des Beigeladenen, wonach alle Mitglieder einer der Aufsicht des Landes Nordrhein-Westfalen unterstehenden Rechtsanwaltskammer zwingend auch Mitglied des Beigeladenen sind. Der Kläger ist nach Maßgabe des § 30 der Satzung des Beigeladenen verpflichtet, monatliche einkommensbezogene Beiträge an den Beigeladenen zu entrichten. Aufgrund dieser Beiträge erbringt der Beigeladene an den Kläger gem. § 15 Abs. 1 seiner Satzung u.a. eine Altersrente, eine Rente für den Fall der Berufsunfähigkeit sowie eine Hinterbliebenenrente.

Voraussetzung für eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ist jedoch darüber hinaus, dass der Kläger gerade wegen seiner Tätigkeit für die X Pflichtmitglied der Rechtsanwaltskammer und des Beigeladenen ist. Die Befreiungsmöglichkeit nach der vorgenannten Norm ist tätigkeits- und nicht personenbezogen. Bei der Tätigkeit des Klägers für die X seit dem 01.01.2009 muss es sich also um eine dem anwaltlichen Berufsbild entsprechende Tätigkeit handeln. Wann eine Tätigkeit anwaltlich im vorgenannten Sinne ist, ist gesetzlich nicht abschliessend bestimmt. Normative Anhaltspunkte finden sich jedoch in der BRAO. § 1 BRAO definiert den Rechtsanwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflege. Der Rechtsanwalt übt gem. § 2 Abs. 1 BRAO einen freien Beruf aus und ist gem. § 3 Abs. 1 BRAO der unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten. Hieraus lassen sich grob zwei konstituierende Elemente der anwaltlichen Tätigkeit ableiten: Zum einen handelt es sich um eine Tätigkeit, die mit Bezug auf das Recht ausgeübt wird, zum anderen handelt es sich um einen Beruf, der von Unabhängigkeit und Freiheit geprägt wird. Zu letzterem Element und zur Vereinbarkeit der anwaltlichen Tätigkeit mit einem (abhängigen) Beschäftigungsverhältnis bestimmt § 46 Abs. 1 BRAO:

"Der Rechtsanwalt darf für einen Auftraggeber, dem er aufgrund eines ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnisses seine Arbeitszeit und €kraft zur Verfügung stellen muß, vor Gerichten oder Schiedsgerichten nicht in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt tätig werden."

§ 46 Abs. 2 BRAO ergänzt:

"Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden: (1) wenn er in derselben Angelegenheit als sonstiger Berater, der in einem ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnis Rechtsrat erteilt, bereits rechtsbesorgend tätig geworden ist; ( )"

Welche Konsequenzen hieraus für die Bewertung einer im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübten Tätigkeit einer Person, die als Rechtsanwalt zugelassen ist, zu ziehen sind und unter welchen Voraussetzungen demzufolge eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI beansprucht werden kann, ist im Einzelnen umstritten.

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 19.03.2004, Az. L 4 RA 12/03, die Auffassung vertreten, dass die Tätigkeit eines zugelassenen Rechtsanwaltes als Angestellter für einen nichtanwaltlichen Arbeitgeber nicht die Voraussetzung für eine Befreiung von der Versicherungspflicht gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erfülle. Denn € so das Landessozialgericht € ein Syndikusanwalt werde innerhalb eines festen Beschäftigungsverhältnisses nicht anwaltlich tätig. Das Prinzip der Über- und Unterordnung im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses sei mit dem anwaltlichen Berufsbild, wie es in der Allgemeinheit bestehe, nämlich dem des unabhängigen freiberuflich tätigen Rechtsanwaltes nicht zu vereinbaren. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat insoweit Bezug genommen auf die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vertretene Zwei-Berufe-Theorie, wonach der Syndicusanwalt außerhalb seines Beschäftigungsverhältnisses einer anwaltlichen Tätigkeit nachgehe, innerhalb desselben jedoch nicht (u.a. BGH, Urteil vom 25.02.1999, Az. IX ZR 384/97). Diese Auffassung, der sich u.a. das Sozialgericht Stade mit Urteil vom 08.05.2007, Az. S 27 RA 186/03, angeschlossen hat, überzeugt die Kammer nicht. Zwar hat sie den Vorteil, dass sie eine trennscharfe Differenzierung bei Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ermöglicht: Befreit werden könnten danach nur solche Rechtsanwälte, die für einen Arbeitgeber tätig werden, der selbst Rechtsanwalt ist. Entscheidend wird bei konsequenter Befolgung des vorgenannten Auffassung die standesrechtliche Bindung des Arbeitgebers, die zu beurteilende Tätigkeit des Beschäftigten selbst rückt demgegenüber in den Hintergrund und vermag eine Befreiungsmöglichkeit selbst dann nicht mehr zu begründen, wenn die Tätigkeit des Beschäftigten selbst vollständig derjenigen eines bei einer Rechtsanwaltssozietät beschäftigten Rechtsanwaltes entspricht. Ein solches Absehen von den Inhalten und Rahmenbedingungen der Tätigkeit im Einzelfall entspricht jedoch nicht der in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI getroffenen Regelung, die gerade auf die Beschäftigung und Tätigkeit der zu befreienden Person abstellt. Auch erschliesst sich nicht, weshalb das mit einer Beschäftigung notwendig verbundene Über-Unterordnungsverhältnis bei einem standesrechtlich nicht gebundenen Arbeitgeber einer anwaltlichen Tätigkeit immer entgegenstehen soll, bei einem Arbeitgeber, der selbst Rechtsanwalt ist, jedoch nie. Es darf in diesem Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden, dass die Unabhängigkeit in § 1 BRAO historisch gesehen in erster Linie eine Unabhängigkeit vom Staat darstellt, die Weisungsbefugnis eines privaten Arbeitgebers also der Unabhängigkeit im vorgenannten Sinne nicht per se entgegenstehen kann, zumal auch der freie Rechtsanwalt von seinem Mandanten Weisungen erhält (Hartung in Hartung/Römermann, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 4. Auflage 2008, § 46 BRAO Rn 9 ff.).

Eine andere Bewertung rechtfertigt sich auch nicht in Hinblick auf die weiteren Bestimmungen der BRAO, insbesondere nicht aus § 46 BRAO. Absatz 1 dieser Vorschrift statuiert ein Vertretungsverbot, das jedoch seiner Formulierung nach voraussetzt, dass auch die Tätigkeit des Syndicusanwaltes für seinen Arbeitgeber grundsätzlich eine solche anwaltlicher Natur ist. § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO wiederum lässt nicht erkennen, wann jemand als "sonstiger Berater, der in einem ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnis Rechtsrat erteilt, ( )" tätig geworden ist und wann als Rechtsanwalt. Gegen eine Auslegung des § 46 BRAO hin zu einer den Begriff der anwaltlichen Tätigkeit begrenzenden Norm spricht neben dem Wortlaut auch die systematische Stellung der Bestimmung im dritten Teil der BRAO, welcher die "Rechte und Pflichten des Rechtsanwaltes und die berufliche Zusammenarbeit der Rechtsanwälte" regelt. Eine entsprechende berufsdefinierende Regelung hätte systematisch in den ersten Teil "Der Rechtsanwalt", zumindest aber in den die Zulassung des Rechtsanwaltes regelnden zweiten Teil gehört. Schliesslich führt auch die historische Auslegung der Norm, welche die Vorstellungen der an der Gesetzgebung beteiligten Personen berücksichtigt, zu keinem anderen Ergebnis. Der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte, mit welchem § 46 BRAO seine heutige Form erhielt, lässt sich auf Seite 49, BT-Drucksache 12/7656, entnehmen, dass der Rechtsausschuss seinerzeit den von Vertretern der Syndikusanwälte im Deutschen Anwaltverein vorgebrachten Vorschlag, durch eine Änderung des § 46 BRAO dem Syndikusanwalt einzuräumen, dass er auch im Angestelltenverhältnis als Anwalt tätig werde, nicht aufgegriffen habe. Zwar spricht die vorgenannte Fundstelle dafür, dass die im Rechtsausschuss an der Beratung beteiligten Abgeordneten mehrheitlich die Auffassung vertreten haben, dass der Syndikusanwalt im Angestelltenverhältnis keine anwaltliche Tätigkeit ausübe. Diese Auffassung hat jedoch € wie bereits ausgeführt € in Wortlaut und Systematik des Gesetzes keinen Niederschlag gefunden. Im übrigen ist nicht der Rechtsausschuss, sondern der Bundestag als Ganzes das zuständige Gesetzgebungsorgan und die Motive der Mitglieder des Rechtsausschusses sind nicht repräsentativ für die Motive der Gesamtheit der Bundestagsabgeordneten (zu den Grenzen der historischen Auslegungsmethode vgl. deshalb auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1. Auflage 1960, S. 247 ff.).

Ein genereller Ausschluss von Syndikusanwälten von der Befreiungsmöglichkeit gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI kann schliesslich nicht aus der von der Beklagten zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 14.09.2010, Az. C-550/07 P (Akzo Nobel), abgeleitet werden. In diesem Verfahren hatte der EuGH über die Reichweite von Beweiserhebungsverboten in Kartellverfahren der Europäischen Kommission zu entscheiden. Die Entscheidung erging weder in Anwendung der hier streitentscheidenden Normen noch hat der EuGH die Aussage getroffen, dass Syndikusanwälten in jeder Hinsicht eine Anwaltseigenschaft oder die mit dem Rechtsanwaltsberuf verbundenen besonderen Rechte und Pflichten abzusprechen seien.

Dementsprechend ist nach Auffassung der Kammer entscheidend, ob die Tätigkeit der die Befreiung beantragenden Person ihrem Inhalt nach anwaltlicher Natur ist. In Anlehnung an die berufsrechtliche Literatur zu § 46 BRAO (vgl. u.a. Kleine-Cosack, Kommentar zur Bundesrechtsanwaltsordnung, 6. Auflage 2009, § 7 Rn 80) kann zur Beantwortung dieser Frage grundsätzlich auf die Kriterien zurückgegriffen werden, die die Deutsche Rentenversicherung Bund im Jahr 2005 zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft der berufsständischen Versorgungseinrichtung erarbeitet und in einem Merkblatt niedergelegt hat. Danach ist eine Tätigkeit eines Rechtsanwaltes bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber dann eine berufsspezifisch anwaltliche, wenn sie (1.) rechtsberatend; (2.) rechtsentscheidend, (3.) rechtsgestaltend und (4.) rechtsvermittelnd ist (siehe auch Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 29.10.2009, Az. L 8 KR 189/08; SG Köln, Urteil vom 29.04.2011, Az. S 6 R 218/10; SG München, Urteil vom 28.04.2011, Az. S 30 R 148/11). Die vorgenannten Kriterien sind nicht abschließend und können durch die besonderen Umstände des Einzelfalles ergänzt und gegebenenfalls auch aufgehoben werden. Für den Regelfall bieten die vorgenannten Kriterien jedoch nach Auffassung der Kammer eine schlüssige und praktikable Entscheidungsgrundlage. In Hinblick auf die hervorgehobene Bedeutung, die der Unabhängigkeit des Rechtsanwaltes sowohl in § 1 als auch in § 3 Abs. 1 BRAO eingeräumt wird, ist nach Auffassung der Kammer ein besonderes Augenmerk auf das Kriterium der Rechtsentscheidung zu legen: Die die Befreiung beantragende Person muss befugt sein, rechtliche Entscheidungen von einigem wirtschaftlichen Gewicht eigenständig zu fällen und ihr dürfen keine abstraktgenerellen Vorgaben zur Lösung bestimmter Rechtsfragen gemacht werden. Gerade letzteres unterscheidet eine anwaltliche von einer juristischsachbearbeitenden Tätigkeit. Von einem Organ der Rechtspflege im Sinne des § 1 BRAO wird man schliesslich nur dann sprechen können, wenn die Rechtsanwendung in ihren verschiedenen Formen den deutlichen Schwerpunkt der Tätigkeit bildet, was etwa bei einer in erheblichem Umfang personalführenden oder kaufmännischen Tätigkeit nicht der Fall sein wird.

Die Tätigkeit des Klägers für die X stellte eine anwaltliche Tätigkeit im vorgenannten Sinn dar. Der Kläger ist unter Zugrundelegung seiner glaubhaften Einlassungen in der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2011 sowie im schriftlichen Verfahren (1.) rechtsberatend für die Generali tätig. Die Rechtsberatung umfasst die unabhängige Analyse von betriebsrelevanten, konkreten Rechtsfragen, die selbständige Herausarbeitung und Darstellung von Lösungswegen und Lösungsmöglichkeiten vor dem spezifischen betrieblichen Hintergrund und das unabhängige Bewerten der Lösungsmöglichkeiten (vgl. Hessisches Landessozialgericht, a.a.O., Rn 42 bei juris). Der Kläger berät die Mitarbeiter der Schadenszentren der Generali Gruppe telefonisch in allen rechtlichen Fragen, die bei der Bearbeitung von Versicherungsfällen auftreten. Ferner bearbeitet er eigenverantwortlich gegen die Generali geltend gemachte Ansprüche im Bereich der KfZ-Haftpflichtversicherung sowie der Kasko-Versicherung, wobei seine Zuständigkeit erst mit der Rechtshängigkeit der vorgenannten Ansprüche einsetzt. Der Kläger prüft sodann den Versicherungsfall unter allen rechtlichen Gesichtspunkten und entscheidet, ob der Rechtsstreit von Seiten der Generali aufgenommen werden soll, ob ein Anerkenntnis abgegeben werden oder in Vergleichsverhandlungen eingetreten werden soll. Bis zu einem Betrag von 20.000,- EUR trifft der Kläger diese Entscheidungen allein, bei darüber hinausgehenden Beträgen in Abstimmung mit seinen Vorgesetzten. Allgemeine Vorgaben zur Bearbeitung der Prozesse oder zur Bewertung bestimmter Rechtsfragen bestehen dabei nicht. Der Kläger wird damit auch (2.) rechtsentscheidend tätig.

Ferner wird der Kläger (3.) rechtsgestaltend tätig. Rechtsgestaltung ist das eigenständige Führen von Vertrags- und Einigungsverhandlungen. Der Kläger führt Vergleichsverhandlungen mit den Rechtsanwälten der jeweiligen Gegenseite, wenn und soweit er zuvor entschieden hat, dass solche Gespräche aus Sicht der Generali Gruppe sinnvoll sind.

Schließlich wird der Kläger rechtsvermittelnd (4.) tätig, indem er Vorträge zu rechtlichen Fragen gegenüber Mitarbeitern anderer Abteilungen hält. Schliesslich ist der Kläger verantwortlich für einen Newsletter, in welchem Rechtsfälle von allgemeinem Interesse für die Mitarbeiter der Schadenszentren der Gruppe aufbereitet werden. Die vorgenannten Tätigkeiten mit rechtlichem Bezug bilden überdies den Schwerpunkt der Tätigkeit des Klägers für den Beigeladenen.

Nach alldem ist der Kläger mit Wirkung ab dem 01.12.2009 € dem Zeitpunkt seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft - für seine Tätigkeit bei der X von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien. Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an. Der Kläger stellte den Befreiungsantrag noch im Dezember 2009 und somit binnen drei Monaten ab Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen, welche bei ihm mit Zulassung zur Rechtsanwaltschaft am 01.12.2009 erfüllt waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.






SG Köln:
Urteil v. 15.12.2011
Az: S 31 R 865/10


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