Bundespatentgericht:
Beschluss vom 16. September 2009
Aktenzeichen: 7 W (pat) 337/05

(BPatG: Beschluss v. 16.09.2009, Az.: 7 W (pat) 337/05)

Tenor

Das Patent 102 43 918 wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrecht erhalten:

Patentansprüche 1 bis 19, eingegangen am 22. Juli 2009, Beschreibung und Zeichnungen (Figuren 1 bis 10) gemäß Patentschrift DE 10243 918 B4.

Gründe

I.

Gegen die am 9. Dezember 2004 veröffentlichte Erteilung des am 20. September 2002 angemeldeten Patents 102 43 918 (Streitpatent) mit der Bezeichnung "Dreh-Linear-Einheit" ist Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht patentfähig sei.

Zum Stand der Technik hat die Einsprechende neben den im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patentund Markenamt berücksichtigten Druckschriften D1 DE 43 00 214 C2 D2 DE 42 29 989 A1 D3 DE 39 41 255 A1 D4 EP 0 911 530 A1 noch die D5 US3994539 genannt und geltend gemacht, dass der Patentgegenstand gemäß erteiltem Anspruch 1 durch den Stand der Technik gemäß Dokument D4 neuheitsschädlich vorweggenommen sei und auch die dem Anspruch 1 nachgeordneten Unteransprüche keine Merkmale enthielten, durch welche die Neuheit oder erfinderische Tätigkeit des Patentgegenstandes im Lichte der Druckschriften D4, D3 und D5 begründbar wäre.

Mit der Zwischenverfügung des Senats vom 22. Juni 2009, die der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, wurde den Beteiligten mitgeteilt, dass nach vorläufiger Beurteilung der Sachlage der Einspruch begründet, eine beschränkte Aufrechterhaltung des Streitpatents gegenüber dem aufgezeigten Stand der Technik aber nicht ausgeschlossen erscheint.

Die Patentinhaberin hat darauf mit Schriftsatz vom 22. Juli 2009 neue Ansprüche 1 bis 19 vorgelegt, die dem weiteren Verfahren zu Grunde gelegt werden sollen. Zugleich hat sie ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurückgenommen und sinngemäß um Entscheidung nach Aktenlage gebeten.

Mit Schreiben vom 20. August 2009 hat auch die Einsprechende auf eine mündliche Verhandlung verzichtet und um Abschluss des Einspruchsverfahrens auf schriftlichem Wege gebeten.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent 102 43 918 in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt sinngemäß, das Patent 102 43 918 mit den am 22. Juli 2009 eingereichten Ansprüchen 1 bis 19 sowie Beschreibung und Zeichnung nach Patentschrift beschränkt aufrecht zu erhalten und den darüber hinausgehenden Einspruch zurückzuweisen.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

"Dreh-Linear-Einheit mit einem fluidisch betätigbaren Linearantrieb

(400) und mit einem fluidisch betätigbaren Drehantrieb (600), die integriert zueinander angeordnet sind, mit einer integrierten Anordnung einer rotatorisch wirkenden Drehwelle (12) des Drehantriebs (600) innerhalb einer linear verschiebbaren Kolbenstange (14) des Linearantriebs (400), dadurch gekennzeichnet, dass die Kolbenstange

(14) des Linearantriebs (400) eine Hohlwelle ist, innerhalb derer der gesamte Drehantrieb (600) angeordnet ist."

Zum Wortlaut der dem Anspruch 1 nachgeordneten und auf ihn rückbezogenen Ansprüche 2 bis 19 wird auf den Schriftsatz der Patentinhaberin vom 22. Juli 2009 verwiesen.

Gemäß Streitpatentschrift DE 102 43 918 B4 liegt der vorliegenden Erfindung die Aufgabe zugrunde, eine möglichst kompakte Dreh-Linear-Einheit in integrierter Bauweise mit fluidischer Betätigung zur Verfügung zu stellen, die eine präzise Linearund Schwenkbewegung ermöglicht (S. 2 [0006]).

II.

Der Senat ist für die Entscheidung im vorliegenden Einspruchsverfahren auch nach der -mit Wirkung vom 1. Juli 2006 erfolgten -Aufhebung der Übergangsvorschriften des § 147 Abs. 3 PatG noch auf Grund des Grundsatzes der "perpetuatio fori" gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO analog i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG zuständig (vgl. BGH GRUR 2009, 184, 185 -Ventilsteuerung; GRUR 2007, 862 f. -Informationsübermittlungsverfahren II).

III.

Der fristund formgerecht erhobene Einspruch ist zulässig. Er ist insoweit begründet, als er zu einer Beschränkung des Streitpatents geführt hat.

Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt in der Fassung der Patentansprüche 1 bis 19 vom 22. Juli 2009 eine patentfähige Erfindung i. S. d. §§ 1 bis 5 PatG dar.

Die geltenden Patentansprüche sind zulässig. Die Merkmale des Anspruchs 1 sind ursprünglich offenbart und aus den erteilten Ansprüchen 1 und 5 hervorgegangen. Die geltenden Ansprüche 2 bis 4 entsprechen den erteilten Ansprüchen 2 bis 4, die geltenden Ansprüche 5 bis 19 den erteilten Ansprüchen 6 bis 20, letztere unter Anpassung ihrer jeweiligen Rückbezüge auf vorhergehende Ansprüche.

Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ist unbestritten neu. In keiner der Entgegenhaltungen D1 bis D5 ist eine Dreh-Linear-Einheit beschrieben, bei der der gesamte Drehantrieb innerhalb der Kolbenstange eines Linearantriebs angeordnet ist, wie das gemäß dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 gefordert ist.

Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Als hier zuständiger Fachmann ist ein Maschinenbauingenieur anzusehen, der auf dem Gebiet der Entwicklung von hydraulisch oder pneumatisch betätigbaren Antrieben mehrjährige Berufserfahrung besitzt.

Der verteidigte Patentgegenstand betrifft gemäß dem Oberbegriff des Anspruchs 1 eine Dreh-Linear-Einheit mit einem Linearantrieb und einem Drehantrieb, die fluidisch, d. h. hydraulisch oder pneumatisch, betätigbar und derart integriert zueinander angeordnet sind, dass die Drehwelle des Drehantriebs sich innerhalb einer linear verschiebbaren Kolbenstange des Linearantriebs befindet.

Eine Dreh-Linear-Einheit dieser gattungsgemäßen Art ist aus dem Dokument EP 0 911 530 A1 (D4) bekannt (Fig. 1 und zugehörige Beschreibungsteile). Sie umfasst in einer Achse (8) aufeinanderfolgend angeordnet einen Drehantrieb (3) und einen Linearantrieb (2). Die Drehwelle (Antriebswelle 26) des Drehantriebs ist mit einer Lagerstange (43) einstückig ausgebildet (Sp. 5 Z. 43, 44) oder über eine Kupplungshülse (44) fest mit der Lagerstange verbunden ist (Fig. 1, Sp. 5 [0024]), wobei die Lagerstange in den Bereich des Linearantriebs (2) und hier in eine teilweise als Hohlwelle (Ausnehmung 67, Aufnahme 72) ausgebildete Kolbenstange (Abtriebsstange 6) des Linearantriebs (2) hineinragt. Mit der Kolbenstange bzw. der Abtriebsstange (6) ist ein Kolben (Teile 56, 56') verbunden. Durch Beaufschlagung des Kolbens mit Druckmittel ist eine lineare Verschiebung der Abtriebsstange des Linearantriebs entlang der Lagerstange bzw. Drehwelle (26) des Drehantriebs (3) erzielbar. Zugleich kann mittels des Drehantriebs (3) durch entsprechende Fluidbeaufschlagung eines auf dessen Antriebswelle befestigten Schwenkkolbens (27) eine Drehbewegung auf die Abtriebseinheit (6, 19) des Linearantriebs übertragen werden (Sp. 5 [0022]).

Somit erfüllt die bekannte Dreh-Linear-Einheit nicht nur alle Merkmale des Oberbegriffs des geltenden Anspruchs 1, sondern auch das Merkmal im kennzeichnenden Teil des Anspruchs, wonach die Kolbenstange des Linearantriebs eine Hohlwelle ist.

Es verbleibt demgegenüber beim verteidigten Patentgegenstand noch unterschiedlich, dass innerhalb der Hohlwelle des Linearantriebs der gesamte Drehantrieb angeordnet ist.

Nach der Streitpatentschrift ist als gesamter, fluidisch betätigbarer Drehantrieb zumindest der Antrieb selbst samt Abtriebswelle, z. B. in Gestalt eines Schwenkflügelantriebs gemäß Stand der Technik, zu verstehen (S. 2 [0002]). Ein erfindungsgemäßes Ausführungsbeispiel ist in Figur 5 der Streitpatentschrift gezeigt. Der Schwenkflügelmotor (Schwenkflügel 28) und seine Antriebsbzw. Drehwelle (12) sind dort innerhalb der als Hohlwelle ausgebildeten Kolbenstange (14) des Linearantriebs angeordnet. Wie ersichtlich kann hierdurch eine sehr kompakte Bauweise einer Dreh-Linear-Einheit erzielt werden.

Zu dem gegenüber der Dreh-Linear-Einheit nach Druckschrift D4 verbleibenden Unterschiedsmerkmal konnte die im Einspruchsverfahren darüber hinaus genannten Druckschriften D1 bis D3 und D5 dem Fachmann keine Anregungen geben, weil sie dieses Merkmal wie Schrift D4 ebenfalls nicht offenbaren und dem Fachmann auch keine Gedanken in diese Richtung vermitteln. Dass die Lehre des beschränkten Anspruchs 1 durch diese Entgegenhaltungen nahe gelegt wird, hat die Einsprechende im Übrigen auch nicht geltend gemacht.

Die Druckschriften DE 43 00 214 C2 (D1) und DE 39 41 255 A1 (D3) befassen sich ausschließlich mit fluidbetätigten Schwenkflügelbzw. Schwenkkolbenmotoren. Eine bauliche Integration des Drehantriebs mit einem Linearantrieb ist in diesen Schriften nicht behandelt. In der Druckschrift DE 42 29 989 A1 (D2) ist zwar eine Dreh-Linear-Einheit beschrieben, bei der wie bei der nach Schrift D4 ein Drehantrieb und ein Linearantrieb in Richtung der Längsachse eines Abtriebsteils aufeinanderfolgend angeordnet und somit baulich kombiniert ausgebildet sind. Anders als beim Gegenstand nach Druckschrift D4 ist hier jedoch die Drehwelle des Drehantriebs als Hohlwelle ausgeführt und die Abtriebswelle des Linearantriebs taucht koaxial in die Hohlwelle des Drehantriebs ein (Fig. 1 und zugehörige Beschreibungsteile). Wie bei der Dreh-Linear-Einheit nach der Schrift D4 fehlt aber auch bei der Dreh-Linear-Einheit nach Schrift D2 der erfindungswesentliche Gedanke, einen gesamten Antrieb (hier Drehantrieb) innerhalb einer Hohlwelle eines weiteren Antriebs (hier Linearantrieb) anzuordnen. Die Druckschrift D5, die lediglich einen Linearantrieb zum Gegenstand hat, hat die Einsprechende nur zu den Merkmalen der erteilten Ansprüchen 12 und 13 (geltende Ansprüche 11 und 12) betreffend Fluiddurchführungen in bewegten Bauteilen (z. B. Drehwellen, Kolbenstangen) genannt. Sie liegt ersichtlich weiter ab vom angefochtenen Patentgegenstand als die vorstehend gewürdigten Entgegenhaltungen.

Die Patentfähigkeit der Gegenstände der auf den Anspruch 1 zurückbezogenen Ansprüche 2 bis 19 folgt aus der des Gegenstandes nach Anspruch 1.

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Beschluss v. 16.09.2009
Az: 7 W (pat) 337/05


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