Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Urteil vom 31. Mai 2007
Aktenzeichen: L 16 KR 229/06

(LSG Nordrhein-Westfalen: Urteil v. 31.05.2007, Az.: L 16 KR 229/06)

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26. April 2006 geändert und die Klage abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird auf 324,80 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin in ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin. Sie macht aus abgetretenem Recht eine zusätzliche Erledigungsgebühr (neben der Geschäfts- und Auslagengebühr) für ein erfolgreich abgeschlossenes Widerspruchsverfahren der von ihr vertretenen Versicherten, der Beigeladenen C H, geltend.

Die am 00.00.1973 geborene, mithin zur Zeit der Antragstellung 30-jährige Beigeladene, die seit dem Sommersemester 2003 ein Studium absolvierte, beantragte im Juli/August 2004 die Aufnahme in die studentische Kranken- und Pflegeversicherung (KV/PV) der Beklagten. Die zuvor über ihren Ehemann bestehende Mitgliedschaft in der Familienversicherung war nach Rechtskraft der Scheidung im Juni 2004 entfallen. Erläuternd wies die Beigeladene darauf hin, dass sie nach Abschluss der Berufsausbildung zunächst in dem erlernten Beruf als Friseurin gearbeitet und 1998 und 1999 ihre beiden Söhne geboren habe. Dadurch habe sich ihre weitere berufliche Ausbildung verzögert. Sie bezog sich insoweit auf folgende Unterlagen: Scheidungsurteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 21.06.2004; Studienbescheinigung der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe vom 24.06.2004 über ein im Sommersemester 2004 begonnenes Studium im Studiengang "Soziale Arbeit"; Bescheinigung der Fachhochschule E über ein dort im Studiengang "Sozialpädagogik" im Zeitraum 09.09.2003 bis 29.02.2004 absolviertes, aber nicht abgeschlossenes Studium; Prüfungszeugnis des Berufskollegs L-straße der Stadt X vom 11.07.2003 über den Erwerb der Fachhochschulreife in der Fachrichtung Ernährung und Hauswirtschaft (Beginn der Schulausbildung: 01.08.2002); Berufsausbildungsvertrag über eine Ausbildung zur Friseurin im Zeitraum 17.06.1991 bis 14.08.1994.

Mit Bescheid vom 23.08.2004 lehnte die Beklagte die Aufnahme der Beigeladenen in die studentische KV mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 9 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i. V. m. dem Gemeinsamen Rundschreiben der Spitzenverbände der Krankenkassen zur KV und PV der Studenten vom 12.06.2003 (im Folgenden: Rundschreiben) lägen nicht vor. Der Beigeladenen stehe jedoch die Möglichkeit der freiwilligen KV offen; der Beitrag für die KV und PV betrage 115,92 EUR monatlich.

Mit dem dagegen gerichteten Widerspruch vom 25.08.2004 machte die Beigeladene selbst geltend, die gesetzlichen sowie die Voraussetzungen des Rundschreibens lägen sehr wohl vor. Sie habe bei Studienbeginn das dreißigste Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt. Die späte Aufnahme des Studiums resultiere aus den Erziehungszeiten für die beiden Kinder. Auch habe sie zunächst - als Voraussetzung für die Aufnahme des Studiums - die Fachoberschulreife an einer anerkannten Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungsweges erwerben müssen. Zusätzlich sei die späte Antragstellung dadurch bedingt, dass sie erst wegen der Scheidung aus der Familienversicherung ausgeschieden sei. Eine freiwillige KV und PV könne sie als alleinerziehende Mutter zweier Kinder, die sich im Studium befinde, nicht finanzieren. Sie erhalte lediglich Leistungen nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz (BAFöG) in Höhe von 508 EUR sowie Wohngeld in Höhe von 290 EUR monatlich.

Mit Anhörungsschreiben vom 09.09.2004 verblieb die Beklagte dabei, dass eine studentische KV grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres durchgeführt werden könne. Zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Familienversicherung habe die Beigeladene diese zeitliche Grenze jedoch überschritten gehabt. Zugleich forderte die Beklagte mit Schreiben vom 13.09.2004 die Rückgabe der AOK-GesundheitsCard.

Am 24.09.2004 bestellte sich die Klägerin zur Prozessbevollmächtigten für die Beigeladene und beantragte Akteneinsicht. Mit weiterem Schreiben vom 08.10.2004 rügte die Klägerin, dass ihr die Akten immer noch nicht zugänglich gemacht worden seien, und wies noch einmal darauf hin, dass die Art der Ausbildung der Beigeladenen, insbesondere der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungsweges, die Überschreitung der Altersgrenze von 30 Jahren rechtfertige. Die Klägerin führte erneut den Lebenslauf der Beigeladenen auf und wies ergänzend auf Seite 17 Ziffer b des Rundschreibens hin. Danach müsse für Absolventen des Zweiten Bildungsweges die Altersgrenze für die KV der Studenten um die Zeiträume hinausgeschoben werden, die diese vor Vollendung des 30. Lebensjahres in einer entsprechenden Ausbildungsstätte für den Erwerb der Hochschulberechtigung benötigt hätten. Die dreijährige Berufsausbildung der Versicherten zur Friseurin aber sei Voraussetzung für das Beschreiten des Zweiten Bildungsweges gewesen. Den Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung habe sie unmittelbar im Anschluss an die Kindererziehungszeiten eingeleitet. Eine zusätzliche Verlängerung habe sich aus der familiären Situation (Geburt und Betreuung der Kinder) der Beigeladenen ergeben. Insgesamt verschiebe sich damit die Altersgrenze auf das 39. Lebensjahr. Für eine Abhilfeentscheidung setzte die Klägerin der Beklagten eine Frist bis zum 22.10.2004.

Die Beigeladene wandte sich parallel zum Widerspruchsverfahren - ohne Mandatierung der Klägerin - am 20.10.2004 selbst an das Landesversicherungsamt Nordrhein-Westfalen (LVA NRW) in Essen und bat unter Beifügung eines tabellarischen Lebenslaufs um aufsichtsrechtliche Überprüfung der ablehnenden Entscheidung der Beklagten. Weder dem Gesetzestext noch dem Rundschreiben könne sie Gründe für die Ablehnung ihrer Aufnahme in die studentische KV entnehmen. Vielmehr lägen bei ihr zwei Ausnahmetatbestände vor, die ihr trotz Überschreitens der Altersgrenze von 30 Jahren den Zugang zur studentischen KV/PV eröffneten: die familiäre Situation (Geburt und Erziehung von zwei Kindern) sowie der Erwerb der Fachoberschulreife auf dem Zweiten Bildungsweg, nachdem sie im März 1991 nach vorangegangenem Abschluss der Realschulausbildung im Jahre 1990 das Gymnasium ohne Abschluss verlassen hatte.

Nach Erteilung von Zwischennachrichten am 19.10.2004 und 29.10.2004 half die Beklagte dem Widerspruch mit Bescheid vom 05.11.2004 vollumfänglich ab: Sie hob den Bescheid vom 23.08.2004 auf und stellte fest, dass ab dem 22.06.2004 Versicherungspflicht der Beigeladenen in der KV/PV der Studenten bestehe. Die Zeiten der Kindererziehung vom 18.01.1998 bis zum 31.08.2002 sowie des Besuchs des Berufskollegs seien in vollem Umfang zu berücksichtigen und führten an sich zu einer Verschiebung der Altersgrenze um insgesamt 17 Semester, wobei die in § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V aufgeführte, im Fall der Beigeladenen niedrigere Grenze von 14 Fachsemestern zu beachten sei. Zugleich verpflichtete sich die Beklagte, die nachgewiesenen notwendigen Kosten des Vorverfahrens zu erstatten.

In ihrer Kostenrechnung vom 09.11.2004 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten folgende Kosten nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) geltend: Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2500 VV RVG 240,00 EUR Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1005 VV RVG 280,00 EUR Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR 16 % MWSt gemäß Nr. 7008 VV RVG 86,40 EUR Endsumme 626,40 EUR

Die Erledigungsgebühr sei im Hinblick auf den Abhilfebescheid vom 05.11.2004 angefallen, der das Vorverfahren erledigt habe.

Mit Bescheid vom 29.11.2004, gerichtet an die Klägerin als Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen, kürzte die Beklagte die Kostenrechnung um die Erledigungsgebühr (280 EUR) und die anteilige MWSt (44,80 EUR) auf insgesamt 301,60 EUR. Die Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 VV RVG setze, wie zuvor § 24 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO), voraus, dass der Rechtsanwalt an der Erledigung mitgewirkt habe. Darunter sei eine besondere Tätigkeit, die über die bereits mit der Geschäftsgebühr abgegoltenen Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinausgehe, erforderlich. Eine solche liege jedoch nicht vor.

Mit dem dagegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin geltend, die gesetzliche Neuregelung habe die streitbeendende bzw. -vermeidende Tätigkeit des Rechtsanwalts bereits im Vorverfahren mit einer Gebührenanhebung um ca. 50 % im Vergleich zur früheren Rechtslage fördern wollen. Die Erledigungsgebühr falle bereits dann an, wenn ein Anerkenntnis abgegeben werde und der Rechtsanwalt daran mitgewirkt habe. Die Mitwirkung folge im vorliegenden Fall bereits daraus, dass sich die Beklagte in dem o. g. Abhilfebescheid ihre, der Klägerin, Begründung zu Eigen gemacht habe. Im Übrigen reiche Mitursächlichkeit in der Form aus, dass der Rechtsanwalt das Ziel der Erledigung des Verfahrens ohne förmliche Entscheidung durch seine darauf gerichteten Bemühungen offenbar verfolgt und damit zur Erledigung nicht nur unwesentlich beigetragen. Ein darüber hinausgehendes besonderes Bemühen des Rechtsanwalts um die Erledigung werde man unter Berücksichtigung der Zielrichtung der gesetzlichen Neuregelung nicht verlangen können.

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 05.04.2005 als unbegründet zurück, wiederum bekannt gegeben der Klägerin als Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen. Die Erledigungsgebühr sei nicht anzusetzen. Insoweit sei ein besonderes Bemühen des Rechtsanwalts um Erledigung zu verlangen, das vorliegend nicht gegeben sei. Ihre, der Beklagten, Rechtsauffassung werde von der überwiegenden Auffassung in der Literatur gestützt.

Zur Begründung ihrer am 06.05.2005 zum Sozialgericht Düsseldorf im eigenen Namen erhobenen Klage hat sich die Klägerin auf ihren bisherigen Vortrag bezogen und ergänzend vorgetragen, die Beigeladene habe ihr die Erstattungsforderung gegen die Beklagte wegen der außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten mit schriftlicher Erklärung vom 14.12.2004, also noch vor Einlegung des Widerspruchs, abgetreten. Sie mache die Forderung daher aus eigenem Recht geltend.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.11.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.04.2005 zu verurteilen, an sie weitere 324,80 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basissatz der Europäischen Zentralbank (EZB) seit dem 05.03.2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat den angefochtenen Bescheid als rechtmäßig erachtet und ergänzend vorgetragen, einem Rechtsanwalt, dessen Mandant gegenüber einem Dritten einen Kostenerstattungsanspruch besitze, stehe kein unmittelbares Erstattungsrecht zu. Daran ändere auch die erst mit Schriftsatz vom 02.06.2005 vorgelegte Abtretungserklärung nichts. Die Abtretung sei nach § 399 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ausgeschlossen, weil sich dadurch der Inhalt der Leistung ändere. Aus dem nach § 183 Sozialgerichtsgesetz (SGG) privilegierten Verfahren werde aufgrund der behaupteten Abtretung nunmehr ein Verfahren nach § 197a SGG unter Anwendung des Gerichtskostengesetzes (GKG).

Mit Urteil vom 26.04.2006 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Änderung des angefochtenen Bescheides zur Zahlung des streitigen Betrages nebst Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, es liege eine wirksame Abtretung gemäß § 398 BGB vor. Diese sei auch nicht gemäß § 399 BGB ausgeschlossen. Die von der Beklagten angesprochene Konsequenz des § 197a SGG i. V. m. dem GKG betreffe nur die Kostenfolgen der erhobenen Klage, nicht aber den Erstattungsanspruch als solchen. Die Erledigungsgebühr sei auch mit Erteilung des Abhilfebescheides angefallen. Diese setze keine besondere weitere Tätigkeit des Rechtsanwalts voraus. Auf Fälle gegenseitigen Nachgebens sei Nr. 1005 VV RVG nicht beschränkt.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten vom 17.07.2006, der das Urteil am 29.06.2006 zugestellt worden ist, hat der Senat mit Beschluss vom 23.11.2006 die Berufung zugelassen. Die Beklagte trägt ergänzend vor, mit dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen -LSG NRW- (Urt. vom 29.09.2005, Az.: L 2 KR 43/05; Urt. vom 16.03.2006, Az.: L 5 KR 79/05, www.sozialgerichtsbarkeit.de) sowie dem Bundessozialgericht -BSG- (Urteile vom 07.11.2006, Az.: B 1 KR 13/06 R, Die Leistungen Beilage 2007, 107 ff.; Az.: B 1 KR 22/06 R, Die Leistungen, Beilage 2007, 72 ff., und Az.: B 1 KR 23/06 R, www.jurisweb.de) sei ein über die Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinausgehendes weiteres, gezielt auf die einvernehmliche Belegung des Streites gerichtetes Tätigwerden des Rechtsanwalts erforderlich, an dem es vorliegend fehle. Die Klägerin habe lediglich den von der Beigeladenen selbst eingelegten Widerspruch ergänzend begründet.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.04.2006 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.04.2006 zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, dass sich das Vorverfahren, betreffend die Aufnahme der Beigeladenen in die studentische KV, durch anwaltliche Mitwirkung erledigt habe. Sie habe eine besondere, nicht nur unwesentliche, sondern gerade auf die außergerichtliche Erledigung gerichtete Tätigkeit entfaltet. Diese habe darin bestanden, dass sie sich aufwändig das Rundschreiben beschafft habe; ansonsten hätte sie die dort aufgeführten, auf die Versicherte zutreffenden Ausnahmetatbestände nicht zitieren können. Diese Tätigkeiten müssten für die Ansetzung der Erledigungsgebühr genügen. Ansonsten sei - auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG - kein Fall denkbar, in dem diese Gebühr anfallen könnte.

Im Übrigen sei für die Fallkonstellation, dass der Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsaktes begehrt werde, im Gegensatz zu der Anfechtungssituation, bei der die Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsaktes Ziel des anwaltlichen Handelns sei, überhaupt keine anwaltliche Mitwirkung erforderlich. Dies folge aus der Gesetzesanmerkung zu Nr. 1002 VV RVG. Die Formulierung "Das Gleiche gilt ..." bedeute, dass die Erledigungsgebühr bereits dann entstehe, wenn sich die Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsaktes erledige. Hätte der Gesetzgeber auch hier die anwaltliche Mitwirkung zusätzlich gefordert, so hätte er vor dem Wort "erledigt" den Zusatz "durch die anwaltliche Mitwirkung" mit aufgenommen.

Der Senat hat die Versicherte zu dem Verfahren beigeladen und die Beteiligten darauf hingewiesen, dass das Verfahren nicht gerichtskostenfrei sei, vgl. § 197a SGG i. V. m. dem GKG, sowie einen vorläufigen Streitwert von 324,80 EUR für das Berufungsverfahren festgesetzt.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.

Gründe

Die Berufung der Beklagten hat in vollem Umfang Erfolg. Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 26.04.2006 zu Unrecht der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Änderung des angefochtenen Bescheides zur Zahlung des streitigen Betrages nebst Zinsen verurteilt. Der Bescheid der Beklagten vom 29.11.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05.04.2005 ist rechtmäßig. Der Klägerin steht ein Anspruch auf weitere 324,80 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basissatz der Europäischen Zentralbank (EZB) seit dem 05.03.2005 nicht zu.

Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen nicht; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden und - nach Zulassung der Berufung durch den erkennenden Senat - statthaft (§ 151 Abs. 1 und §§ 143, 144 SGG). § 144 Abs. 4 SGG, wonach die Berufung ausgeschlossen ist, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt, ist hier nicht einschlägig. Die Vorschrift bezieht sich allein auf gerichtliche Verfahren. In Rechtsstreitigkeiten, in denen als Hauptsache über die Kosten isolierter Vorverfahren gestritten wird, ist die Berufung durch diese Vorschrift nicht ausgeschlossen (BSG SozR 3 - 1300 § 63 Nr. 11).

Die Berufung der Beklagten ist auch begründet. Zwar ist dies nicht bereits deshalb der Fall, weil die Klage wegen fehlender Aktivlegitimation der Klägerin unbegründet (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 54 RdNr. 13 m. w. N.) gewesen wäre. Dass dies nicht zutrifft, hat das Sozialgericht zutreffend entschieden. Die Klägerin ist ursprünglich nicht Inhaberin der geltend gemachten Forderung gewesen; denn Adressat von Kostengrund- und Kostenhöhenentscheidung ist stets der Widerspruchsführer, an den sich auch der Widerspruchsbescheid gerichtet hätte, hier die Beigeladene. Er allein wird durch die Kostenfestsetzungsentscheidung in seinen Rechten betroffen. Ist er mit dem Betrag der berechneten anwaltlichen Kosten nicht einverstanden, so kann sich der Widerspruchsführer selbst - gegebenenfalls vertreten durch seinen Rechtsanwalt - dagegen wenden, nicht hingegen der Rechtsanwalt aus eigenem Recht, denn durch die behördliche Festsetzung wird seine dem Widerspruchsführer erteilte Berechnung nur faktisch betroffen (LSG- Baden-Württemberg, Urt. vom 13.12.2006, Az.: L 5 KA 5567/05, www.jurisweb.de, m. w. N.). Da die Beigeladene ihre Forderung gegen die Beklagte an die Klägerin abgetreten hat, bestehen gegen eine Aktivlegitimation der Klägerin keine Bedenken, zumal bei der Entscheidung über die hier anhängige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage auch bezüglich des Vorliegens der Sachurteilsvoraussetzungen der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat maßgebend ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., § 54 RdNr. 32 m. w. N.), die Klägerin aber mit Klageerhebung die Abtretung offen gelegt hat. Bezüglich der Bejahung der Aktivlegitimation der Klägerin reicht es im Übrigen aus, dass diese die Wirksamkeit der Abtretung behauptet. Unerheblich ist, dass die Abtretung erst nach Erlass des angefochtenen Bescheides erfolgt ist. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage kommt es bei Leistungsklagen nämlich auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor Gericht an. Die Abtretung ist weit davor erfolgt.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht jedoch mit Urteil vom 26.04.2006 der Klage stattgegeben. Ein Anspruch auf höhere Vergütung für die Tätigkeit der Klägerin stand weder ursprünglich der Beigeladenen noch steht er nunmehr der Klägerin aus abgetretenem Recht zu, wobei Gegenstand des Verfahrens allein die Entscheidung darüber ist, in welcher Höhe die zu erstattenden Aufwendungen festzusetzen sind (§ 63 Abs. 3 S. 1 Halbsatz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch -SGB X-); denn die Beklagte hat bereits mit Abhilfebescheid vom 05.11.2004 bindend festgestellt, dass der Beigeladenen die Kosten des Vorverfahrens dem Grunde nach zu erstatten sind (§ 63 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 S. 1 SGB X). Auch hat die Beklagte nie in Frage gestellt, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig im Sinne von § 63 Abs. 3 S. 2 i. V. m. Abs. 2 SGB X gewesen sei.

Es liegt eine gemäß § 398 BGB wirksame Abtretung vor. Dass der Widerspruchsbescheid vom 05.04.2005 mangels Offenlegung der Abtretung noch an die Klägerin in ihrer Funktion als Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen ergangen ist, muss die Klägerin analog § 407 Abs. 2 BGB gegen sich gelten lassen. Im Übrigen war sie durchgehend in das Verfahren einbezogen. Es hat in ihrer Hand gelegen, der Beklagten die Abtretung zeitnah mitzuteilen und bereits das Vorverfahren in eigenem Namen zu führen. Der Wirksamkeit der Abtretung steht auch nicht § 53 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) entgegen. Weder steht eine Dienst- noch Sachleistung (vgl. insoweit § 53 Abs. 1 SGB I) im Streit noch eine laufende Geldleistung (§ 53 Abs. 3 SGB I) bzw. Sozialleistungen (§ 53 Abs. 2 SGB I). Einen Ausschluss der Abtretung gemäß § 399 BGB sieht der Senat mit dem Sozialgericht ebenfalls nicht. Insoweit bezieht sich der Senat zur Begründung auf dessen zutreffende Entscheidungsgründe.

Ein Anspruch auf eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 VV RVG und mit ihr auf die anteilige MWSt. ist aber zur Überzeugung des Senates nicht entstanden. Der der Klägerin durch die Beigeladene erteilte Auftrag zur Erledigung der Angelegenheit ist nach dem 30. Juni 2004 erteilt worden, sodass das RVG in Verbindung mit dem VV in der ab 01.07.2004 geltenden Fassung durch das Gesetz vom 5. Mai 2004 (BGBl I 2004, 718) zur Anwendung kommt (§§ 60, 61 RVG). Nach § 2 Abs. 2 S. 1 RVG bestimmt sich die Höhe der Vergütung nach der VV der Anlage 1 zum RVG. Dass die Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2500 VV RVG, die Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG und die sich rechnerisch aus dem Gesamtbetrag ergebende 16 %-ige MWSt gemäß Nr. 7008 VV RVG dem Grunde und der Höhe nach zu Recht seitens der Klägerin geltend gemacht worden sind, ist unstreitig und nicht Gegenstand des Verfahrens. Eine zusätzliche Erledigungsgebühr kann die Klägerin jedoch nicht verlangen, weil die Voraussetzungen der Nr. 1005 VV i. V. m. Nr. 1002, dass sich die Rechtssache durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt hat, nicht vorliegen. Insoweit hat der 1. Senat des BSG (Urt. vom 07.11.2006, Az.: B 1 KR 23/06 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, mit zustimmender Anm. Keller, jurisPR-SozR 5/2007 Nr. 6; Urteile vom 07.11.2006, Az.: B 1 KR 22/06 R und B 1 KR 13/06 R, jeweils in www.jurisweb.de), dem der erkennende Senat vollumfänglich folgt, unter Zugrundelegung des Wortlauts, der systematischen Zusammenhänge mit vergleichbaren Gebührenpositionen, dem Sinn und Zweck der Regelung sowie ihrer Entstehungsgeschichte entschieden, dass die Gebührenposition im Widerspruchsverfahren regelmäßig eine Tätigkeit verlange, die über die bloße Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinausgehe. Dieser Rechtsprechung hat sich der 11a. Senat des BSG angeschlossen (Urt. vom 21.03.2007, Az.: B 11a AL 53/06 R, www.jurisweb.de), ebenso der Bundesfinanzhof -BFH- (Beschl. vom 12.02.2007, Az.: III B 140/06, www.jurisweb.de). Die Argumentation der Klägerin, dass der Gesetzgeber zwischen der Anfechtungs- und der Verpflichtungssituation unterschieden habe und nur für ersteren Fall eine qualifizierte Mitwirkung des Rechtsanwalts verlange, ist abwegig. Allen drei o. g. Entscheidungen des 1. Senates des BSG lagen Fallkonstellationen zugrunde, bei denen es um die Aufhebung eines ablehnenden und Verpflichtung zum Erlass eines begünstigenden Verwaltungsaktes ging. Der Gesetzgeber hat beide Konstellationen einer identischen Regelung unterziehen wollen und dies gerade durch die Formulierung "Das Gleiche gilt ..." zum Ausdruck gebracht. Im Übrigen hat die Klägerin keinerlei Begründung vorbringen können, die eine unterschiedliche Regelung gleicher Sachverhalte rechtfertigen könnte.

Die Klägerin hat als Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen zur Überzeugung des Senates im Vorverfahren keine Tätigkeit entfaltet, die über das Maß dessen hinausgegangen wäre, was schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren abgegolten wird. Bereits die Einlegung des Widerspruchs ist durch die Beigeladene selbst erfolgt. Die Klägerin hat in der weiteren Begründung des Widerspruchs lediglich die Ausnahmeindikationen für die Aufnahme in die studentische KV/PV nach Vollendung des 30. Lebensjahres, die die Beigeladene bereits selbst vorgetragen hatte, wie beruflicher Werdegang, Erwerb der Fachhochschulreife über den Zeiten Bildungsweg und familiäre Situation, nochmals wiederholt. Wie ebenfalls schon zuvor die Beigeladene hat sie darauf verwiesen, dass sich die Ausnahmeindikationen auch aus dem Rundschreiben ergäben. Sie hat in der Begründung des Widerspruchs lediglich ergänzend die konkrete Fundstelle benannt. All dies stellt jedoch keine über die Einlegung und Begründung eines Widerspruchs hinausgehende Tätigkeit dar. Vielmehr setzt eine tatsächliche und rechtliche Würdigung im Rahmen der ordnungsgemäßen Begründung eines Rechtsmittels voraus, dass der Rechtsanwalt über die entsprechenden gesetzlichen und sonstigen Grundlagen der Entscheidung, die von der Beklagten im ablehnenden Bescheid im Übrigen bereits zutreffend benannt worden waren, verfügt bzw. sich diese gegebenenfalls verschafft. Ansonsten dürfte kaum eine auf das Ziel, die Behörde zu einer anderen Entscheidung zu bewegen, gerichtete Widerspruchsbegründung möglich sein. Im Übrigen - wobei dies ohne weiteren Belang ist - war das Rundschreiben auch im Jahre 2004 nach den glaubhaften Angaben der Beigeladenen ohne Weiteres über das Internet zu erlangen und stand ihr offensichtlich bereits zum Zeitpunkt der Einlegung des Widerspruchs zur Verfügung. Über die vom BSG genannten Tätigkeiten des Einlegens und Begründens des Widerspruchs hinaus hat die Klägerin lediglich - wenn auch ohne Erfolg - Akteneinsicht gefordert und eine Frist für die Bescheidung des Widerspruchs gesetzt. Beides hat erkennbar nicht den Erfolg - Erlass des Abhilfebescheides - herbeigeführt. Vielmehr hat, wie deren Verwaltungsvorgänge deutlich zeigen, wohl letztlich das Einbeziehen des LVA NRW die Beklagte zu der Abkehr von der zuvor vertretenen eigenen Auffassung bewegt. Die Aufsichtsbehörde aber hat nicht die Klägerin, sondern die Beigeladene selbst eingeschaltet.

Da der Klägerin der geltend gemachte Hauptanspruch nicht zusteht, gilt dies auch hinsichtlich der akzessorischen Zinsforderung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i. V. m. § 1 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), vgl. Landessozialgericht -LSG- Baden-Württemberg, Urt. vom 13.12.2006 (Az.: L 5 KA 5567/05, www.jurisweb.de).

Für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG hat der Senat keinen Anlass gesehen. Die beim 9a. Senat des BSG derzeit anhängigen Revisionsverfahren B 9a SB 3/07 R und B 9a SB 5/07 R betreffen Fallkonstellationen, bei denen über die Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinaus weitere Handlungen des Rechtsanwalts vorliegen, deren Bewertung als qualifizierte Mitwirkung jedoch streitig ist. An solchen Tätigkeiten fehlt es vorliegend bereits, so dass es auf deren rechtliche Bewertung nicht ankommen kann.

Der Streitwert orientiert sich an dem Differenzbetrag zwischen geforderten und zuerkannten Gebühren.






LSG Nordrhein-Westfalen:
Urteil v. 31.05.2007
Az: L 16 KR 229/06


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