Bundespatentgericht:
Beschluss vom 22. Oktober 2009
Aktenzeichen: 6 W (pat) 323/05

(BPatG: Beschluss v. 22.10.2009, Az.: 6 W (pat) 323/05)

Tenor

Das Patent 103 52 839 wird aufrechterhalten.

Gründe

I.

Gegen das Patent 103 52 839, dessen Erteilung am 24. März 2005 veröffentlicht wurde, ist am 21. Juni 2005 Einspruch erhoben worden.

Der Einspruch stützt sich auf die Widerrufsgründe der fehlenden Ausführbarkeit der Lehre sowie fehlender Patentfähigkeit des Patentgegenstandes. Außerdem führt der Einsprechende an, die Patentschrift enthalte unzulässige Nachteilsbehauptungen zum dort aufgeführten Stand der Technik, was i. S. § 2 (1) PatG gegen die guten Sitten verstoße.

Der Einsprechende stützt seine Einspruchsbegründung bezüglich fehlender Patentfähigkeit auf folgende Druckschriften:

(D1) DE 100 58 855 C1, Ferner behauptet er eine offenkundige Vorbenutzung durch den Einsprechenden selbst und legt hierzu eine als "Kopie eines Auftrags vom 25.04.2001" bezeichnete Zeichnung vor (Anlage 12).

(D8) RÖMPP Chemielexikon, 9. Aufl., 1995, Bd. 3, S. 2406, Sp. 1,

(D9) DE 203 00 408 U1 und

(D10) DE 101 26 203 C2.

Weiterhin macht der Einsprechende geltend, die Beschreibung des Streitpatents enthalte sittenwidrige, wettbewerbswidrige und gegen die PatV verstoßende herabsetzende Äußerungen hinsichtlich der Erfindung des Einsprechenden.

Die neben der o. a. D1 im Erteilungsverfahren in Betracht gezogenen weiteren Druckschriften DE 299 12 121 U1, DE 298 04 136 U1, DE 202 19 772 U1, DE 202 18 349 U1, DE 201 04 999 U1 und WO 2004/018793 A1 sind im Einspruchsverfahren nicht aufgegriffen worden.

Der Einsprechende beantragt, das angegriffene Patent zu widerrufen.

Der ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladene, jedoch nicht erschienene Patentinhaber stellt schriftsätzlich den Antrag, das angegriffene Patent aufrechtzuerhalten.

Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Gegenstand des Patents ist nach dem Wortlaut des erteilten Patentanspruchs 1 eine Reinigungsvorrichtung (1) zum Aufbringen auf eine dem Wetter ausgesetzte Oberfläche, insbesondere ein Dach, eine Dachoberfläche, eine Solaranlagenoberfläche oder eine Fassade, wobei die Reinigungsvorrichtung Reaktionsflächen aufweist, die lagenweise angeordnet sind und eine metallische, vorzugsweise kupferhaltige, Oberfläche aufweisen, welche in Verbindung mit Wasser reinigende, vorzugsweise fungizide und/oder bakterizide, Verbindungen erzeugen, die in Wasser gelöst das Dach zumindest teilweise benetzen können, wobei mindestens eine erste unten angeordnete Lage (1.1) und mindestens eine darüber angeordnete weitere Lage (1.2-1.n) vorgesehen sind, wobei die Lagen (1.1-1.n) über Verbindungselemente (2) untereinander verbunden sind und natürliche Feuchte zwischen die Lagen (1.1-1.n) eindringen und wieder ausgespült werden kann, dadurch gekennzeichnet, dass die mindestens eine weitere Lage (1.2-1.n) beweglich mit der unteren Lage (1.1) verbunden ist.

Hieran schließen sich rückbezogene Unteransprüche 2 bis 33 an, zu deren Wortlaut auf die Patentschrift verwiesen wird.

II.

1.

Das Bundespatentgericht ist für die Entscheidung über den vorliegenden Einspruch nach § 147 Abs. 3 PatG in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung zuständig geworden und auch nach der ab 1. Juli 2006 in Kraft getretenen Fassung des § 147 Abs. 3 PatG gemäß dem Grundsatz der perpetuatio fori zuständig geblieben (vgl. hierzu BGH GRUR 2007, 859, 861 f. -Informationsübermittlungsverfahren I; BGH GRUR 2007, 862 f. -Informationsübermittlungsverfahren II; BGH GRUR 2009, 184 f. -Ventilsteuerung).

2.

Der formund fristgerecht erhobene Einspruch ist substantiiert auf Widerrufsgründe gem. § 21 PatG gegründet und daher zulässig. Er ist jedoch nicht erfolgreich, da keiner der geltend gemachten Widerrufsgründe durchgreift.

3.

Als zuständiger Fachmann ist für den vorliegenden Sachverhalt ein Bauingenieur mit Erfahrung und speziellen Kenntnissen im Bereich der Dacheindeckung und der Eigenschaften von Dachmaterialien, insbesondere hinsichtlich Witterungseinflüssen anzusetzen.

4.

Das Patent offenbart die Erfindung so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Der Einsprechende bemängelt diesbezüglich im Wesentlichen, die Patentschrift gebe an keiner Stelle eine nähere Angabe dazu, welchen konkreten Abstand die lagenweise angeordneten Reaktionsflächen aufweisen müssen, damit die angestrebte Wirkung, nämlich eine ausreichende Bildung von Kupfer-Ionen in wässriger Lösung, eintritt. Auch mache die Patentschrift keine konkreten Angaben dazu, wie die im Kennzeichen des Patentanspruchs 1 beanspruchte Beweglichkeit der mindestens einen weiteren Lage gegenüber der unteren Lage hergestellt werden soll.

Nach Auffassung des Senats sieht sich der zuständige Fachmann, wie er oben definiert wurde, ohne weiteres in der Lage, schon aus dem Hauptanspruch, insbesondere i. V. m. der Diskussion des Standes der Technik eingangs der Beschreibung, die wesentlichen Maßnahmen zur Realisierung der patentierten Lehre zu entnehmen und konkret umzusetzen. Auch erhält der Fachmann aus der in den Ausführungsbeispielen geschilderten und in den Zeichnungen dargestellten Funktionsweise der Vorrichtung die Information, in welcher Größenordnung die Abstände grundsätzlich liegen sollen, nämlich wenigstens so groß bemessen, dass sich eine nennenswerte Niederschlagsmenge ansammeln kann, die Gesamtabmessungen aber auch im Bereich des Handhabbaren bleiben. Im Übrigen kommt es zur Ausführbarkeit der Erfindung nicht darauf an, dass die Patentschrift sämtliche Bemessungsangaben mitliefert, die zu einem optimalen Ergebnis führen. Vielmehr ist die konkrete Ausführung des im Patent offenbarten allgemeinen Lösungsweges in das Wissen und die Erfahrung des zuständigen Fachmanns gestellt, solange er hierzu nicht seinerseits erfinderisch tätig werden muss. Ihm ist durchaus zuzumuten, hierzu ggf. auch Versuche durchzuführen, um im Rahmen der grundsätzlich vorgegebenen Handlungsanweisung die optimalen Parameter herauszufinden (vgl. u. a. Schulte PatG, 8. Aufl., § 34, Rn. 362, 363, 367).

5.

Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ist patentfähig. Bei dem hierbei zu berücksichtigenden Stand der Technik hat die von dem Einsprechenden ursprünglich geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung außer Betracht zu bleiben, weil weder die hierzu vorgelegte Zeichnung an sich noch die diesbezüglichen schriftsätzlichen Ausführungen erkennen lassen, welche Merkmale mit solchen des angegriffenen Patentanspruchs 1 übereinstimmen sollen. Auch wurde nichts dazu vorgetragen, wo, wann, was und wem durch welche Umstände bekannt geworden sein soll. Es fehlt somit gänzlich an einer hinreichenden Substantiierung der behaupteten Vorbenutzung. Diese wurde in der mündlichen Verhandlung -obwohl vom Senat kurz angesprochen -auch nicht mehr aufgegriffen.

5.1 Der zweifellos gewerblich anwendbare Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist gegenüber dem aufgezeigten Stand der Technik neu. Dies ergibt sich schon daraus, dass keine der aus den angeführten Druckschriften bekannten Vorrichtungen mehrere Lagen von Reaktionsflächen aufweist, welche miteinander beweglich verbunden sind. Soweit dies der Einsprechende hinsichtlich der DE 100 58 855 C1 (D1) mit dem Argument bezweifelt, bei den dort übereinander liegenden zwei Lagen aus Kupferblech, welche miteinander vernietet sind, könnten sich im Laufe der Zeit die Nieten lockern, wodurch die Lagen dann gegeneinander beweglich seien, geht dies ins Leere; denn eine Nietverbindung bezweckt grundsätzlich eine feste Verbindung, während die im angegriffenen Patentanspruch 1 beanspruchte bewegliche Verbindung gerade dies nicht will. Eine feste Verbindung wird nicht zu einer dezidiert beweglichen Verbindung, wenn sie durch besondere Umstände wie Verschleiß oder Verwitterung allmählich die eigentlich bezweckte Eigenschaft mehr oder weniger einbüßt.

5.2 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die mit der patentierten Lehre angestrebte verbesserte Wirkung einer Reinigungsvorrichtung nach dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 (vgl. die Aufgabenstellung in Abs. [0005] der Patentschrift) wird gemäß dessen Kennzeichen dadurch erreicht, dass die gegenseitig beabstandeten und beweglich miteinander verbundenen Lagen der Reaktionsflächen eine gewisse Speicherwirkung für Niederschläge aufweisen, so dass diese über eine bestimmte Zeit mit dem Material der Reaktionsflächen reagieren und so eine ausreichende Menge von Wirkstoff, beispielsweise Cu-Ionen, aus den Blechen herauslösen können. Wie exemplarisch in Fig. 5 und 6 der Patentschrift dargestellt, sammelt sich zwischen den zunächst an ihren unteren Enden aufeinanderliegenden Lagen Wasser an, welches bei Erreichen einer ausreichenden Menge aufgrund des gestiegenen Drucks die Lamellen aufspreizt und in Folge ablaufen kann.

Damit beschreitet die Erfindung einen gänzlich anderen Weg als die Lehre nach der DE 100 58 855 C1 (D1), die auf dem Prinzip der Kapillarwirkung beruht. Dort wird nämlich durch zwei relativ eng aufeinanderliegende, fest verbundene Lagen aus Kupferblech eine Kapillarspalte geschaffen, welche das Niederschlagswasser aufgrund der Kapillarwirkung eine ausreichende Zeitspanne festhält, bevor es durch nachströmendes Wasser ausgeschwemmt wird. Auf die Ausbildung von Speicherräumen zwischen beweglich verbundenen Lagen gibt diese Druckschrift somit gerade keinen Hinweis. Eine Anregung zu diesem, für die Funktion der streitgegenständlichen Vorrichtung wesentlichen Merkmal kann auch von den übrigen Entgegenhaltungen nicht ausgehen. So beschäftigt sich die DE 203 00 408 U1 (D9) mit der Befestigung von starren Kupferelementen auf den Firstziegeln eines Daches, wobei geeignete Klammerränder zum Anklammern der Elemente am First ausgebildet sind. Weiter zeigt die DE 101 26 203 C2 (D10) eine Vorrichtung, bei welcher die mit dem Wasser reagierenden Materialien als Geflecht oder Gestrick ausgebildet sind, das zwischen Firstziegel und einem Abdeckgitter angeordnet und zusammen mit diesem fest mit dem First verbunden ist. Der als Anlage D8 vorgelegte Auszug aus dem RÖMPP Chemielexikon beschreibta. a. O. lediglich die physiologische Wirkung von Kupfer-Ionen in saurer Umgebung auf niedere Pflanzen, also das dem Patentgegenstand zugrunde liegende biochemische Wirkprinzip. Auf Aspekte der technischen Umsetzung geht diese Literaturstelle nicht ein. Die im Erteilungsverfahren in Betracht gezogenen, im Einspruch nicht aufgegriffenen weiteren Druckschriften gehen in ihrem Offenbarungsgehalt nicht über den der oben abgehandelten Entgegenhaltungen hinaus. Insbesondere ist auch dort nirgends eine Anregung dahingehend zu entnehmen, im Sinne des Kennzeichens des erteilten Patentanspruchs 1 zwischen einzelnen Lagen von Reaktionsflächen eine bewegliche Verbindung herzustellen.

Der Patentanspruch 1 ist somit bestandsfähig.

6.

Mit dem sie tragenden Hauptanspruch haben auch die auf zweckmäßige Ausgestaltungen dessen Gegenstandes gerichteten Unteransprüche 2 bis 33 Bestand.

7.

Das angegriffene Patent ist auch nicht wegen herabsetzender Formulierungen in der Patentschrift zu widerrufen. Herabsetzende Äußerungen sind nicht ausdrücklich unter den Widerrufsund Nichtigkeitsgründen des § 21 PatG aufgeführt. Auch § 2 (1) Pat G i. V. m. § 21 (1) Nr. 1 PatG stellt im vorliegenden Fall keinen Widerrufsgrund dar. Der Senat hat bereits erhebliche Zweifel, ob -wie der Einsprechende meint -ein Verstoß gegen wettbewerbsrechtliche, für das Verfahren vor dem Deutschen Patentund Markenamt geltende oder sonstige Vorschriften durch Formulierungen in der Beschreibung überhaupt unter § 2 (1) PatG fallen kann; denn diese Vorschrift verbietet lediglich die Patentierung von Erfindungen, deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde. Ein Verbot irgendwelcher Formulierungen in der Beschreibung des Streitpatents ist daher von dem Wortlaut dieser Vorschrift nicht umfasst. Allerdings ist die Frage, ob herabsetzende Formulierungen in der Beschreibung eines Patents grundsätzlich zu dessen Widerruf oder Nichtigerklärung führen können, derzeit noch nicht höchstrichterlich entschieden. Auch der Senat braucht zu dieser Frage vorliegend nicht Stellung zu nehmen, weil ein solcher Verstoß jedenfalls nicht gegeben ist. Es ist nämlich nicht erkennbar, worin die Herabsetzung im Streitpatent liegen soll. Die diesbezüglich gerügte Passage der Beschreibungseinleitung, die sich mit dem Stand der Technik befasst, beschränkt sich auf eine sachliche Auseinandersetzung mit den Aspekten der als nächstkommende Druckschrift benannten DE 100 58 855 C1, die aus der (subjektiven) Betrachtung des Patentinhabers nachteilig und von daher verbesserungsbedürftig erscheinen mögen. Dies stellt nicht bereits eine Herabwürdigung des Standes der Technik bzw. dessen Erfinder dar; denn nahezu jede Erfindung baut auf einer vorhandenen technischen Situation auf, deren vermeintliche oder tatsächliche Nachteile mit der Erfindung überwunden werden sollen. Solange hierbei keine abfälligen oder beleidigenden Äußerungen über die betroffene Sache oder beteiligte Personen getroffen sind -was hier zweifellos nicht der Fall ist -ist eine solche Auseinandersetzung mit dem Stand der Technik üblich und zur Abgrenzung gegenüber diesem sogar erwünscht (vgl. § 10 (2) Nr. 2 und insbesondere Nr. 6 PatV sowie Schulte, PatG, 8. Aufl. § 34 Rn. 217 c), d) und e)).

Dr. Lischke Guth Hildebrandt Ganzenmüller Cl






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