Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 12. Dezember 2012
Aktenzeichen: 4 EntV 3/12

(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 12.12.2012, Az.: 4 EntV 3/12)

Die Bestimmungen über eine Entschädigung nach den §§ 198 ff. GVG finden nach Art. 23 S. 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren (BGBl. I 2011, 2302) keine Anwendung auf ein zivilrechtliches Verfahren, das bei Inkrafttreten des Gesetzes am 3.12.2011 länger als sechs Monate abgeschlossen war, denn die Frist des Art. 35 Abs. 1 EMRK beginnt bei zivilrechtlichen Verfahren, für die eine überlange Verfahrendauer geltend gemacht wird, mit dem Abschluss des ordentlichen Rechtszuges. Auf den Abschluss eines sich daran anschließenden Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht kommt es auch dann nicht an, wenn mit der Verfassungsbeschwerde neben der überlangen Verfahrensdauer auch die Verletzung materieller Grundrechte gerügt wird.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Kläger nehmen das beklagte Land (Beklagter) wegen eines von ihnen als Erben ihrer Mutter A als (Mit)Antragsteller fortgeführten aktienrechtlichen Spruchstellenverfahrens vor dem Landgericht Frankfurt (Kammer für Handelssachen) auf eine Entschädigung für materielle und immaterielle Nachteile aufgrund unangemessener Verfahrensdauer in Höhe von jeweils für jeden Kläger 25.842,- Euro in Anspruch.

Gegenstand jenes Verfahrens, welches den Regelungen des damaligen FGG unterlag, war ein Antrag von insgesamt 35 außenstehenden Aktionären der B AG nach den §§ 304 ff. AktG gegen die B AG und die C AG, mit dem sie die Erhöhung eines in einem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen der C AG und der B AG vorgesehenen (Dividenden-) Ausgleichs je Aktie (§ 304 AktG) und die Erhöhung der Abfindung der B-Aktionäre durch C-Aktien (Umrechnungsschlüssel je gleichem Nennwert) nach § 305 AktG verlangten. Die Kläger waren als Erbengemeinschaft Inhaber von 55 Aktien der B AG zum Nennbetrag von 50,- Euro je Aktie zu einem Verkehrswert im Jahr 1988 von rund 6.800,- Euro.

Das aktienrechtliche Spruchstellenverfahren erstreckte sich in erster Instanz vom Eingang der Anträge der Rechtsvorgängerin der Kläger am 22.8.1988 bis zur Endscheidung am 24.9.2007 über eine Dauer von rund 19 Jahren. Im Einzelnen sind folgende Verfahrensabschnitte von Bedeutung:

Nach der Zusammenfassung der bislang eingegangenen Anträge und der vorgeschriebenen Veröffentlichung der Anträge im Bundesanzeiger (§ 306 Abs. 3 AktG) kam es zu einem Zuständigkeitsstreit mit dem Landgericht Berlin, weil die B AG dort gleichfalls einen Sitz hatte. Dieser Streit wurde endgültig durch Beschlüsse des Kammergerichts vom 20.12.1988 und vom 18.4.1989 (K 4 und K 5) dahin entschieden, dass das Landgericht Frankfurt zuständig sei.

Wegen einer nachträglichen Änderung des Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrages im Jahr 1991 stellten die Kläger den Antrag ein gesondertes Spruchverfahren einzuleiten, was das Landgericht mit Beschluss vom 23.9.1992 ablehnte. Über die dagegen gerichtete Beschwerde einer anderen Antragstellerin entschied das Oberlandesgericht erst rund 12 Jahre später durch Beschluss vom 5.7.2007 (Anlage K 9). Das Landgericht führte in dieser Zeit jedoch mittels Duploakten das Verfahren fort.

Aufgrund eines gleichfalls am 23.9.1992 ergangenen Beweisbeschlusses wurde in den folgenden 7 Jahren bis zum Jahr 2000 Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Angemessenheit des Ausgleichs- und des Abfindungsanspruchs (Gutachten, Ergänzungsgutachten, Stellungnahmen) erhoben.

Durch Beschluss des Landgerichts vom 17.1.2000 (Beiakte Bd. VII Bl. 1565d) wurde der bisher tätige Sachverständige €darauf hingewiesen€, dass aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27.4.1999 entgegen der früheren Beweisanordnung, die Prüfung der Angemessenheit nicht auf der Grundlage des Ertragswerts (der beteiligten Unternehmen), sondern nach dem Börsenkurs der Aktien erfolgen solle. Eine Beauftragung erfolgte zunächst nicht. Stattdessen erhielten die Beteiligten in der Folgezeit Gelegenheit zur Stellungnahme dazu. Der Sachverständige wurde erst drei Jahre später am 5.2.2003 mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt, obwohl der angeforderte Vorschuss von 2 x 50.000,- DM am 10.4.2000 und 9.5.2000 an die Gerichtskasse überwiesen worden war (Beiakte Bd. VII Bl. 1565ag). Ein Grund für die Verzögerung lag darin, dass Aktenbestandteile teilweise nicht mehr aufgefunden werden konnten und rekonstruiert werden mussten.

Der Sachverständige legte das weitere Gutachten am 5.7.2004 vor. Das Landgericht setzte daraufhin den Beteiligten eine Frist zur Stellungnahme bis zum 27.10.2004. Die letzte Stellungnahme eines Beteiligten nach Fristverlängerung ging am 1.3.2005 ein. Rund 1 ½ Jahre später, am 18.10.2006, gab das Landgericht weitere rechtliche Hinweise (Anlage K 16), die sich nur zum Teil auf das Gutachten bezogen. Es gab Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 20.12.2006.

Am 24.9.2007 erging durch Beschluss die die Instanz beendende Entscheidung (Anlage K 6). Die Antragsteller hatten teilweise Erfolg. Der Ausgleichsanspruch wurde von 20 % der Dividende der C-Aktien auf 34,5 % erhöht, der Abfindungsanspruch von einem Umtauschkurs von 5 B-Aktien zu 1 C-Aktie auf ein Verhältnis von 2,9/1.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts legte die Antragsgegnerin (C AG) am 11.10.2007 sofortige Beschwerde ein, über die nach Eingang der Beschwerdebegründung am 28.2.2008 das Oberlandesgericht mit einer Zurückweisung der Beschwerde am 17.11.2009 entschied (Beschluss Anlage K 2).

Die Kläger legten gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Verfassungsbeschwerde ein, mit der sie eine Verletzung von Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3, 3 Abs. 1, 14 Abs. 1 und Art. 103 GG geltend machten, weil das Oberlandesgericht es unterlassen habe, bei der Bemessung des Ausgleichs- und des Abfindungsanspruchs die Dauer des Verfahrens zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht stellte mit Beschluss vom 17.11.2011 (Anlage K 3) fest, dass die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Landgericht Frankfurt die Kläger in ihrem Grundecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt habe. Im Übrigen nahm es die Verfassungsbeschwerde nicht an, weil die Kläger gegen die landgerichtliche Entscheidung keine Beschwerde eingelegt und deshalb den Rechtsweg nicht ausgeschöpft hätten. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist den Klägern am 8.12.2011 zugestellt worden.

Die Kläger haben neben der hier eingereichten Klage innerhalb von 6 Monaten nach Zugang der Verfassungsgerichtsentscheidung auch Beschwerde bei Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingelegt.

Die Kläger vertreten die Auffassung, dass für den von ihnen geltend gemachten Anspruch die §§ 198 GVG in der am 3.12.2011 in Kraft getretenen Fassung nach dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 Anwendung fänden. Denn bei Inkrafttreten des Gesetzes habe das überlange Verfahren vor dem Landgericht Frankfurt noch Gegenstand einer Beschwerde beim EGMR werden können. Maßgeblich für die Einhaltung der 6-monatigen Frist nach Art. 35 EMRK sei die Zustellung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, da diese Entscheidung noch zum innerstaatlichen Rechtsweg gehöre.

In der Sache vertreten sie die Auffassung, dass das Spruchstellenverfahren in beiden Instanzen in 5 Jahren habe beendet werden können und deshalb um 16 Jahre unangemessen verzögert worden sei. Als nicht sachgerechte Verzögerung sehen sie im Einzelnen an: 7 Monate bis zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits im April 1989, rund 3 Jahre von April 1989 bis zum Beweisbeschluss am 23.9.1992, einen Zeitraum von 2 Jahren und 8 Monaten innerhalb der Beweiserhebung bis zur Einholung eines Ergänzungsgutachtens (März 1995 bis Dezember 1997) sowie 10 Monate, welche die Weiterleitung des eingegangenen Ergänzungsgutachtens an die Parteien benötigt hat. Ferner seien die Zeiträume von 3 Jahren zwischen dem Entschluss, ein weiteres Gutachten einzuholen, und der Beauftragung des Sachverständigen (2000 bis 2003) sowie von 2 Jahren vom Eingang des Gutachtens bis zur nächsten verfahrensfördernden Verfügung (Oktober 2004 bis Oktober 2006) als Verzögerung anzusehen. Das 12 Jahre dauernde Beschwerdeverfahren vor dem Oberlandesgericht über die Einleitung eines weiteren Spruchverfahrens sehen sie trotz Fortführung des Verfahrens mit Duplikaten als mitursächlich für die lange Verfahrensdauer an.

Die Kläger verlangen für jeden der Kläger einen immateriellen Schadensersatz von 1.200,- € pro Jahr der Verzögerung, also 16 x 1.200,- € = 19.200,- €. Sie beanspruchen darüber hinaus als materiellen Schaden den Zinsverlust auf die Erhöhung des Ausgleichsanspruchs von 1988 bis 2008 von zusammen 2.030,33 € (676,77 € anteilig je Kläger) und eine Entschädigung für den Wertverlust der Abfindung in Gestalt der C-Aktien während des verzögerten Verfahrens von 5.600,- € je Kläger sowie den Ausgleich eines sich ab dem Jahr 2001 ergebenden Steuernachteils von 366,67 € je Kläger. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf Bl. 21 - 25 d. A. verwiesen.

Die Kläger beantragen,

den Kläger zu verurteilen, an jeden der Kläger zu 1. - 3. € 25.842,00 Entschädigung zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte hat die Klageforderung in Höhe von 501,83 € nebst Zinsen, nämlich den Zinsschaden für 7 Jahre und 1 Monat Verzögerung anerkannt. Insoweit hat der Senat am 31.7.2012 ein Teil-Anerkenntnisurteil erlassen.

Im Übrigen beantragt der Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte vertritt die Auffassung, das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlanger Verfahrensdauer (§§ 198 ff. GVG) sei nach der Überleitungsvorschrift des Art. 23 nicht anwendbar. Die Dauer des Spruchverfahrens habe bei Inkrafttreten des Gesetzes nämlich nicht mehr Gegenstand einer Beschwerde beim EGMR werden können, weil die Beschwerdefrist nicht mit dem Ende des verfassungsgerichtlichen Verfahrens, sondern mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 17.11.2009 zu laufen begonnen habe.

In der Sache räumt der Beklagte eine unangemessene Dauer des Verfahrens ein. Er ist jedoch der Ansicht, dass dieses nur um 7 Jahre und 1 Monat verzögert worden sei und bei angemessener Länge im Oktober 2002 hätte abgeschlossen sein müssen. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf S. 10 - 16 der Klageerwiderung (Bl. 44 - 50 d.A.) verwiesen.

Hinsichtlich der Entschädigung für immaterielle Nachteile vertritt der Beklagte die Auffassung, dass den Klägern Wiedergutmachung bereits in anderer Weise im Sinne von § 198 Abs. 4 GVG zuteil geworden sei. Die Feststellung der überlangen Dauer durch das Bundesverfassungsgericht sei ausreichend. Zudem könnten die Kläger, weil sie als Beteiligte einer Erbengemeinschaft geklagt hätten, die in § 198 Abs. 2 GVG vorgesehene Entschädigung nur einmal erhalten.

Einen Schaden durch €Entwertung€ der C-Aktien hätten die Kläger nicht erlitten. Sie hätten nämlich auch bei früherer Beendigung des Verfahrens keine wertvolleren Aktien erhalten. Die Kläger seien offensichtlich konservative Anleger und hätten die Aktien auch bei einem früheren Erhalt nicht verkauft.

Gründe

Die Entschädigungsklage ist nicht statthaft und war deshalb abzuweisen.

Auf das Verfahren, auf welches die Kläger ihren Entschädigungsanspruch gründen, finden die §§ 198 ff. GVG keine Anwendung.

Nach Art. 23 S. 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (BGBl. I 2011, 2302) finden die verfahrensrechtlichen und die materiell-rechtlichen Regelungen der §§ 198 - 201 GVG auf bei seinem Inkrafttreten am 3.12.2001 bereits abgeschlossene Verfahren nur dann Anwendung, wenn sie zu diesem Zeitpunkt wegen ihrer Dauer noch Gegenstand einer Beschwerde beim EGMR werden konnten. Dies ist nicht der Fall.

1. Das aktienrechtliche Spruchstellenverfahren war vor Inkrafttreten des Gesetzes, nämlich mit der Zustellung des Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 17.11.2009, im ordentlichen Rechtszug abgeschlossen. Wegen der im Anschluss daran von den Klägern erhobenen Verfassungsbeschwerde, deren Verfahren bis zum 8.12.2011 andauerte, machen die Kläger einen Entschädigungsanspruch nicht geltend (Klarstellung S. 6 des Schriftsatzes vom 1.10.2012). Wegen einer etwaigen Verzögerung des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht wäre im Übrigen Verzögerungsbeschwerde bei diesem Gericht zu erheben (§ 97 b BVerfGG).

2. Die Kläger konnten wegen des aktienrechtlichen Spruchstellenverfahrens am 3.12.2011 wegen seiner Dauer nicht mehr in zulässiger Weise eine Beschwerde beim EGMR erheben, denn zu diesem Zeitpunkt war die dafür nach Art. 35 Abs. 1 EMRK einzuhaltende Beschwerdefrist abgelaufen.

Nach Art. 35 Abs. 1 EMRK kann die Beschwerde nur €innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung€ erhoben werden. Dass diese Frist seit der Beendigung des ordentlichen Rechtszuges für das Spruchstellenverfahren mit der letztinstanzlichen Entscheidung des Oberlandesgerichts im Jahre 2009 abgelaufen war, ist evident. Entgegen der Auffassung der Kläger stellt das sich an das aktienrechtliche Spruchstellenverfahren anschließende Verfassungsgerichtsverfahren keinen innerstaatlichen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 35 EMRK mehr dar.

a) Zwar ist nach der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung des EGMR grundsätzlich auch die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht ein Rechtsbehelf, der im Hinblick auf das in den Art. 13 und 35 Abs. 1 EMRK enthaltene Subsidiaritätsprinzip erschöpft sein muss, obwohl es sich bei der Verfassungsbeschwerde um einen außerordentlichen Rechtsbehelf handelt (Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 35 Rn. 27 und 19).

b) Dieser Grundsatz gilt aber für die deutsche Verfassungsbeschwerde bei Rügen überlanger Verfahrensdauer seit der Entscheidung des EGMR vom 08.06.2006 (Sürmeli ./. Deutschland, Nr. 75529/01, NJW 2006, 2389) nicht ausnahmslos. Danach sind unter Rechtsbehelfen im Sinne von Art. 13 EMRK nur wirksame, das heißt mit effektiven Rechtsfolgen ausgestattete Rechtsbehelfe zu verstehen. Wirksam sind deshalb nur solche innerstaatlichen Rechtsbehelfe gegen die überlange Verfahrensdauer, mit denen die fortdauernde Verletzung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verhindert oder angemessene Abhilfe für schon eingetretene Verletzungen erlangt werden kann. Ein Rechtsbehelf ist demnach wirksam im Sinne von Art. 13 EMRK, wenn er geeignet ist, die Entscheidung des zuständigen Gerichts zu beschleunigen oder eine angemessene Wiedergutmachung für schon eingetretene Verzögerungen zu erlangen. Nur wenn die Verfassungsbeschwerde in diesem Sinne als €wirksam€ verstanden werden kann, wird die Frist des Art. 35 Abs. 1 EMRK erst durch die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde in Lauf gesetzt.

Bei einem in diesem Sinne nicht €wirksamen€ Rechtsbehelf braucht dieser - entgegen der Meinung der Kläger - auch nicht zum Zwecke der Rechtswegerschöpfung im Sinne von Art. 13 EMRK ergriffen zu werden. Daraus folgt, dass die Frist für die Beschwerde im Sinne von Art. 35 Abs. 1 EMRK nicht an den Abschluss eines solchen Verfahrens anknüpft (EGMR, Urteile vom 8.11.2005, Nr. 34056/02, NJW 2007, 895, 896, Rz. 155 und vom 18.9.2009, Nr. 16064/90, NVwZ-RR 2011, 251, 255 Rz. 156 f.; Karpenstein/Meyer/Schäfer, EMRK, 2012, Art. 35 Rz. 53 f. m.w.N.). Bei einem nicht €wirksamen€ außerordentlichen Rechtsbehelf läuft die Frist ab der Entscheidung über den €normalen€ Rechtsbehelf (Meyer-Ladewig, a.a.O., Art. 35 Rn. 27), bei Beschwerden über die Länge zivilrechtlicher Verfahren also mit der Zustellung der den fachgerichtlichen Rechtszug abschließenden Entscheidung (Karpenstein/Meyer/Schäfer, a.a.O., Art. 35 Rz. 57).

Von diesen Grundsätzen ausgehend gilt vorliegend:

aa) Soweit die Kläger mit ihrer Verfassungsbeschwerde die Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz im Hinblick auf die überlange Verfahrensdauer geltend gemacht haben (Art. 20 Abs. 4, 103 GG), stellte die Verfassungsbeschwerde keinen wirksamen Rechtsbehelf im vorgenannten Sinne dar. Denn bei der Verfassungsbeschwerde des deutschen Rechts kann, soweit sie sich gegen die überlange Verfahrensdauer eines Zivilrechtsstreits richtet, das Bundesverfassungsgericht allein die Feststellung treffen, dass das Verfahren unangemessen lange gedauert hat (EGMR, Urteil vom 08.06.2006, Nr. 75529/01 - Sürmeli ./. Deutschland, NJW 2006, 2389, 2390 - 2392 Rz. 97 - 108). Die Kläger hätten deshalb, soweit sie vor dem EGMR eine Verletzung von Art. 6 EMRK wegen überlanger Verfahrensdauer hätten rügen wollen, die Beschwerde nach Art. 35 Abs. 1 EGMR binnen 6 Monaten nach Zustellung der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 17.11.2009 beim EGMR erheben müssen.

bb) Die Kläger können sich nicht darauf berufen, dass sich ihre Verfassungsbeschwerde nicht in der Rüge der Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz erschöpft hat, sondern sie unter anderem auch einen Verstoß gegen Art. 14 GG deshalb geltend gemacht hätten, weil das Oberlandesgericht bei der Bemessung des Ausgleichs und des Abfindungsanspruchs nach den §§ 304 ff. AktG die zu lange Verfahrensdauer habe erhöhend berücksichtigen müssen.

Zum einen ist ein Beschwerdeführer auch beim Zusammentreffen einer Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf effektiven Rechtsschutz wegen einer überlangen Verfahrensdauer mit einer Verletzung von materiellen Grundrechten gehalten, allein wegen ersterer eine Beschwerde beim EGMR binnen der Frist des Art. 35 Abs. 1 EMRK einzulegen. Hinsichtlich der Verletzung materieller Grundrechte stellt die Verfassungsbeschwerde zwar einen wirksamen Rechtsbehelf dar, den die Kläger im Hinblick auf die Subsidiarität der Beschwerde zum EGMR hätten ergreifen müssen. Bei einem solchen Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Rügen bedarf es indes, wie der EGMR mit Urteil vom 20.01.2011 - Kuhlen-Rafsandjani, Nr. 21980/06 u.a. = FamRZ 2011, 533 Rz. 73 ff) klargestellt hat, einer getrennten konventionsrechtlichen Behandlung der Rügen. Während die Beschwerde wegen der Verfahrenslänge innerhalb der 6-Monats-Frist nach Abschluss des fachgerichtlichen Verfahrens einzureichen ist, kann der EGMR wegen anderer Rügen der Verletzung der Konvention erst nach Abschluss des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht angerufen werden (so auch Karpenstein/Mayer/Schäfer, a.a.O., Art. 35, Rn. 57). Diese getrennte konventionsrechtliche Behandlung erfährt ihre Berechtigung aus Gründen der Rechtsklarheit und der notwendigen Gleichbehandlung der Beschwerdeführer (Schäfer a.a.O.). Sie ist auch nicht mit dem Grundsatz unvereinbar, dass der EGMR mit derselben Beschwerde von einem Beschwerdeführer nicht erneut angerufen werden darf (Art. 35 Abs. 2 b) EMRK). Denn mit der Rüge überlanger Verfahrensdauer (Art. 6 EMRK) und derjenigen, die wegen anderer, materieller Grundrechte der EMRK erhoben wird, werden verschiedene Beschwerdepunkte der Sache geltend gemacht, so dass keine Übereinstimmung besteht (vgl. Karpenstein/Meyer/Schäfer, a.a.O., Art. 35 Rz. 71 ff.). Dementsprechend hätte es den Klägern oblegen, die Beschwerde zum EGMR in eine Rüge wegen der Dauer des Verfahrens und sonstige Rügen aufzuspalten und die Beschwerde über die Verfahrenslänge unmittelbar nach Abschluss des aktienrechtlichen Spruchstellenverfahrens, ggf. unter Hinweis auf das im Übrigen anhängige Verfassungsbeschwerdeverfahren, einzureichen.

Zum anderen war die Verfassungsbeschwerde der Kläger, soweit sie auf andere Verfassungsverstöße als die Verletzung der Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz von Verfahrensgrundrechten gestützt war, eindeutig unzulässig und ist deshalb vom Bundesverfassungsgericht insoweit auch nicht zur Entscheidung angenommen worden (vgl. Anlage K 3 unter II. 2. der Gründe). Die Kläger waren nämlich durch die angegriffene Entscheidung weder beschwert noch hatten sie den zivilrechtlichen Rechtsweg ausgeschöpft, weil sie gegen den erstinstanzlichen Beschluss des Landgerichts selbst keine Beschwerde eingelegt hatten. Eine innerstaatliche Verfassungsbeschwerde aber, die eindeutig unzulässig ist, stellt keinen wirksamen Rechtsbehelf dar. Ist die Verfahrensbeschwerde - wie hier - schon nach nationalem Recht mangels Erschöpfung des innerstaatlichen ordentlichen Rechtsweges unzulässig, so ist zudem im Sinne von Art. 13 EMRK der innerstaatliche Rechtsweg nicht ausgeschöpft (vgl. Grote/Marauhn, EMRK/GG Konkordanzkommentar, Kap. 30 Rz. 53).

cc) Die Kläger können sich für die Zulässigkeit ihrer Menschrechtsbeschwerde wegen überlanger Verfahrensdauer auch nicht darauf berufen, sie hätten die rechtliche Beurteilung durch den EGMR, wonach hinsichtlich der Verfahrensdauer von Zivilrechtsstreitigkeiten die deutsche Verfassungsbeschwerde keinen wirksamen Rechtsbehelf darstellt (EGMR vom 08.06.2005 - Sürmeli ./. Deutschland, a.a.O.), nicht gekannt. Zwar beginnt die Frist des Art. 35 Abs. 1 EMRK in dem Fall, wenn ein Beschwerdeführer einen nur vermeintlich effektiven Rechtsbehelf ergreift, erst mit dem Zeitpunkt, an dem er von den Umständen, die zur Ineffektivität des Rechtsbehelfs führen, Kenntnis hatte oder hätte haben müssen, (EGMR, Entscheidung vom 01.02.2000, Nr. 28293/95 - Aydin u.a., in: FamRZ 2000, 1077; EGMR, Entscheidung vom 18.09.2009, Nr. 16064/90 Varnava u.a., u.a. = NVwZ-RR 2011, 251, Rn. 157; Karpenstein/Mayer/Mayer, a.a.O., Art. 35, Rn. 55). Ein Kennenmüssen in diesem Sinne (fahrlässige Unkenntnis) ist aber jedenfalls dann anzunehmen, wenn seit der innerstaatlichen Veröffentlichung der Entscheidung des EGMR, in der der Rechtsbehelf als nicht wirksam eingestuft worden ist, ein Jahr vergangen ist (EGMR, Urteil vom 20.01.2011 - Kuhlen-Rafsandjani, Nr. 21980/06 u.a. Rz. 76, in: FamRZ 2011, 533; Karpenstein/Mayer/Schäfer, a.a.O., § 35 Rz. 56 und 57 a. E.; Senat, Urteil vom 07.11.2012, 4 EntV 5/12). Die genannte Sürmeli-Entscheidung des EGMR vom 08.06.2006 ist jedoch noch im Jahr 2006 in der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW 2006, 2389) veröffentlicht worden. Den Klägern hätte deshalb zum Zeitpunkt der letztinstanzlichen Entscheidung durch das Oberlandesgericht im Jahre 2009 bekannt sein müssen, dass eine Verfassungsbeschwerde wegen der überlangen Dauer des aktienrechtlichen Spruchstellenverfahrens nicht als wirksamer Rechtsbehelf im Sinne der Art. 13, 35 Abs. 1 EMRK einzustufen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Eine Zulassung der Revision war nicht geboten, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.






OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 12.12.2012
Az: 4 EntV 3/12


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