Oberlandesgericht München:
Beschluss vom 29. April 2011
Aktenzeichen: 34 Wx 183/11 ThUG, 34 Wx 183/11

(OLG München: Beschluss v. 29.04.2011, Az.: 34 Wx 183/11 ThUG, 34 Wx 183/11)

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Deggendorf vom 17. März 2011 aufgehoben.

II. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den Antrag des Betroffenen vom 3. März 2011 zurückgegeben.

Gründe

Der Maßregelvollzugsleiter der Forensischen Klinik M. hat am 15.2.2011 beim örtlich zuständigen Landgericht Deggendorf beantragt, den derzeit in Sicherungsverwahrung befindlichen Betroffenen gemäß § 1 Abs. 1 ThUG in einer geschlossenen Einrichtung unterzubringen. Auf den dem Betroffenen zugestellten Antrag zeigte die im Bezirk des Landgerichts Regensburg kanzleiansässige Rechtsanwältin W. dessen Vertretung an und stellte den Antrag, sie dem Betroffenen gemäß § 7 Abs. 1 ThUG beizuordnen. Mit Beschluss vom 17.3.2011 hat das Landgericht diesen Antrag wegen fehlender Niederlassung der Rechtsanwältin im Bezirk des Prozessgerichts zurückgewiesen. Mit bisher nicht mitgeteilter Verfügung vom 17.3.2011 hat der Kammervorsitzende dem Betroffenen den im Bezirk des Landgerichts ansässigen Rechtsanwalt V. gemäß § 7 Abs. 1 ThUG, § 78c ZPO beigeordnet.

Am 23.3.2011 hat der Betroffene gegen den ihm zugestellten Beschluss vom 17.3.2011, mit dem die Beiordnung von Rechtsanwältin W. abgelehnt wurde, sofortige Beschwerde eingelegt. Begründet wird die Beschwerde mit einem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen dem Betroffenen und Rechtsanwältin W., die ihn bereits im Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer verteidigt habe. Deshalb habe er sie auch mit der Wahrung seiner rechtlichen Interessen im Verfahren nach dem Therapieunterbringungsgesetz beauftragt. Die Kammer hat mit Beschluss vom 25.3.2011 der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Senat vorgelegt.

II.

Das Rechtsmittel ist insoweit erfolgreich, als die angegriffene Entscheidung aufzuheben ist.

1. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 17.3.2011, bei dem es sich um eine negative Auswahlentscheidung handelt, ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 7 Abs. 1 Satz 2 ThUG, § 78c Abs. 3 Satz 1, § 567 Abs. 1 Nr. 1, § 569 Abs. 1 und 2 ZPO). Die eigenständige Beschwerderegelung in § 16 ThUG betrifft nach der gesetzlichen Begründung nur Endentscheidungen (vgl. BT-Drucks. 17/3403, S. 95).

52. Die Ablehnung der Beiordnung von Rechtsanwältin W. ist rechtsfehlerhaft. Sie kann nicht darauf gestützt werden, dass diese ihren Kanzleisitz nicht im Bezirk des Landgerichts habe. § 78c Abs. 1 ZPO kann in Verfahren nach dem Therapieunterbringungsgesetz nicht dahingehend ausgelegt werden, dass der nach § 7 Abs. 1 Satz 1 ThUG beizuordnende Anwalt zwingend aus der Zahl der im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwälte gewählt werden muss (so schon Senat vom 18.3.2011, 34 Wx 114/11; auch OLG Nürnberg vom 6.4.2011, 15 W 460/11 ThUG). Die Ablehnung der Beiordnung von Rechtsanwältin W. ist daher ermessensfehlerhaft, weil andere Gründe als die fehlende Ortsansässigkeit in die Entscheidung nicht mit einbezogen worden sind.

Nach § 7 Abs. 1 ThUG ist dem Betroffenen zur Wahrnehmung seiner Rechte im Verfahren und für die Dauer der Therapieunterbringung ein Rechtsanwalt beizuordnen. Nach der Gesetzesbegründung soll sichergestellt werden, dass der Betroffene während des gesamten Zeitraums € auch noch während einer sich anschließenden Therapieunterbringung € über einen anwaltlichen Beistand/eine anwaltliche Vertretung verfügt (vgl. BT-Drucks. 17/3403 zu § 7 ThUG). Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 ThUG gilt für das Beiordnungsverfahren § 78c Abs. 1 und 3 ZPO entsprechend. Naturgemäß ist ein Betroffener durch die Bestimmung nicht gehindert, dem beigeordneten oder einem anderen Rechtsanwalt Verfahrensvollmacht zu erteilen, die zu einer umfassenden und über die Wirkungen der Beiordnung hinausgehenden Vertretungsmacht führt. Dass der Betroffene bei einer Mandatserteilung nicht auf einen gerade im Bezirk des Landgerichts niedergelassenen Rechtsanwalt beschränkt werden kann, ergibt sich von selbst.

Die Bestimmung des § 7 ThUG dürfte nach dem Willen des Gesetzgebers auch dann gelten, wenn der Betroffene einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt gefunden hat. Denn der Gesetzgeber wollte offensichtlich neben einer etwaigen Vertretung durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt jedenfalls eine Beistandschaft sicherstellen, die auch ohne Erteilung oder im Falle eines Entzugs der Prozessvollmacht über die verschiedenen € unter Umständen langwierigen - Verfahrensabschnitte durchgängig fortbesteht.

8Allerdings dürfte es kaum gesetzliche Absicht gewesen sein, ohne besonderen Anlass dem Betroffenen neben dem bevollmächtigten Rechtsanwalt einen weiteren Rechtsanwalt als Beistand (§ 12 FamFG) zur Seite zu stellen. In Betreuungs- und Unterbringungssachen soll die Bestellung eines Verfahrenspflegers grundsätzlich unterbleiben oder aufgehoben werden, wenn die Interessen des Betroffenen von einem Rechtsanwalt vertreten werden (vgl. § 276 Abs. 4, § 317 Abs. 4 FamFG). Zwar kommt auf der Grundlage von § 7 Abs. 1 ThUG eine Aufhebung der Beiordnung in diesem Fall nicht in Frage. Aus den erwähnten Bestimmungen lässt sich aber der Schluss ziehen, dass für die Auswahl des beizuordnenden Rechtsanwalts entsprechenden Wünschen des Betroffenen erhebliches Gewicht zumal dann zukommt, wenn dieser bereits von einem Anwalt vertreten wird. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 ThUG gilt § 78c Abs. 3 ZPO nur €entsprechend€. Die zivilprozessualen Vorschriften über den Notanwalt (§§ 78b, 78c ZPO) gehen davon aus, dass der Betroffene bei notwendiger Anwaltsvertretung gerade keinen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt findet und deshalb aus Fürsorgegesichtspunkten vom Gericht ein Anwalt ausgewählt werden muss, der dann auch zur Prozessvertretung gesetzlich verpflichtet ist (§ 48 Abs. 1 Nr. 2 BRAO). Diese Pflicht zur Übernahme der Prozessvertretung, wohl nicht der Gesichtspunkt der Eignungskontrolle, erklärt im Wesentlichen, weshalb dafür nur ein im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt herangezogen werden kann. In derselben Weise gilt diese Erwägung indessen nicht, wenn der Betroffene einen (zwar auswärtig niedergelassenen) Rechtsanwalt mandatiert hat, dieser aber, wie auch im gegebenen Fall, mit der Beiordnung zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts ausdrücklich einverstanden ist. Ob die Entfernung zum Gerichtsort für die Entscheidung über die Beiordnung als einer von mehreren Gesichtspunkten überhaupt eine Rolle spielen könnte, bedarf hier schon wegen der geografischen Nähe von Regensburg zum Gerichtsort Deggendorf keiner Vertiefung.

3. Die Sache wird unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur erneuten Entscheidung über den Antrag des Betroffenen, ihm Rechtsanwältin W. beizuordnen, zurückgegeben (§ 572 Abs. 3 ZPO), da derzeit eine Beiordnungsentscheidung durch den Senat nicht ergehen kann. Dem Betroffenen wurde durch Verfügung des Vorsitzenden vom 17.3.2011, die mangels Bekanntgabe vom Betroffenen bisher auch nicht gesondert angegriffen werden konnte, bereits ein ortsansässiger Rechtsanwalt beigeordnet. Solange eine Beiordnung besteht, kommt regelmäßig eine weitere Beiordnung nicht in Betracht. Der dafür zuständige Vorsitzende der Kammer (§ 78c Abs. 1 ZPO) wird deshalb seine Auswahlentscheidung zu überprüfen haben. Die bereits getroffene Beiordnung steht dem nicht entgegen, da mit Zustimmung des Betroffenen deren Widerruf bei gleichzeitiger Beiordnung eines anderen Anwaltes möglich ist (vgl. MüKo/v.Mettenheim ZPO 3. Aufl. § 78c Rn. 7).

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 19 ThUG).






OLG München:
Beschluss v. 29.04.2011
Az: 34 Wx 183/11 ThUG, 34 Wx 183/11


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