Oberlandesgericht München:
Beschluss vom 24. April 2009
Aktenzeichen: 11 W 1237/09

(OLG München: Beschluss v. 24.04.2009, Az.: 11 W 1237/09)

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Wert der Beschwerde beträgt 298,90 €.

IV. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin hat die Beklagte mit ihrer Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld sowie Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich materieller und immaterieller Zukunftsschäden in Anspruch genommen. Vor Klageerhebung hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin deren Ansprüche mit Schriftsatz vom 02.08.2007 dem Grunde nach geltend gemacht. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten hatten mit Schreiben vom 09.08.2007 deren Eintrittspflicht bereits dem Grunde nach endgültig abgelehnt. Die Parteien haben im Termin vom 05.12.2008 einen Vergleich geschlossen, wonach von den Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Vergleichs die Klägerin 7/8 und die Beklagte 1/8 zu tragen hat.

Mit ihrem Kostenfestsetzungsantrag vom 09.12.2008 haben die Beklagtenvertreter unter Anderem eine 1,3-Verfahrensgebühr in Höhe von 683,80 € netto geltend gemacht, die von der Rechtspflegerin im Beschluss vom 11.02.2009 auch antragsgemäß berücksichtigt worden ist.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Zur Begründung wird ausgeführt, die unterlassene Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr gemäß der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG sei fehlerhaft. Soweit der Beklagtenvertreter vorgetragen habe, es sei aufgrund der ständigen Geschäftsbeziehung mit der Beklagtenpartei eine Rahmenvereinbarung getroffen worden, durch welche die außergerichtliche Tätigkeit für die Beklagte durch eine Pauschalvergütung an Stelle der Geschäftsgebühr abgegolten werde, sei ein diesbezüglicher Nachweis nicht geführt worden. Der Beklagtenvertreter habe lediglich anwaltlich versichert, dass eine Geschäftsgebühr nicht entstanden sei.

Die Anrechnungsvorschrift gemäß der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG spreche zwar von dem Anfall einer Geschäftsgebühr. Die Bestimmung sei jedoch ihrem Zweck und ihrer Entstehungsgeschichte nach auszulegen. Wenn man der Argumentation des Beklagtenvertreters folgte, würde der Gesetzeszweck der Anrechnungsvorschrift, nämlich das Verbot einer Doppelbezahlung, unterlaufen. Der Kostenerstattungsanspruch bedeute schon begrifflich, dass ein Dritter nur insoweit Kosten zu erstatten habe, als der ursprünglich Kostentragungspflichtige im Innenverhältnis gegenüber seinem Rechtsanwalt zu zahlen habe. Hieraus ergebe sich, dass im Außenverhältnis gegenüber dem Kostenerstattungspflichtigen nicht mehr Kosten geltend gemacht werden könnten, als der Kostenerstattungsberechtigte im Innenverhältnis an seinen Rechtsanwalt zu zahlen habe.

Es sei davon auszugehen, dass im Innenverhältnis entweder eine Anrechnung der außergerichtlichen Vergütung auf die gerichtliche Verfahrensgebühr erfolge oder aber die Pauschale derart niedrig sei, dass selbst die gesetzlichen Gebühren bei einer Anrechnung höher wären.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO).

Das Rechtsmittel erweist sich jedoch als unbegründet.

1. Es trifft zwar zu, dass sich die im gerichtlichen Verfahren nach der Nr. 3100 VV-RVG anfallende 1,3-Verfahrensgebühr durch die anteilige Anrechnung einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr nach der Nr. 2300 VV-RVG gemäß der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG entsprechend vermindert. Dabei ist es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ohne Bedeutung, ob die Geschäftsgebühr auf materiell-rechtlicher Grundlage vom Prozessgegner zu erstatten und ob sie unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder bereits beglichen ist (u. a. BGH NJW 2008, 1323; FamRZ 2008, 1346 = AGS 2008, 364; NJW-RR 2008, 1528 = AGS 2008, 441 = JurBüro 2008, 468; AGS 2008, 377 = JurBüro 2008, 529; FamRZ 2008, 2023 = VersR 2008, 1666). Dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat sich der Senat mittlerweile in mehreren Entscheidungen aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Rechtssicherheit angeschlossen.

2. Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens kann jedoch bereits nach dem Wortlaut der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG nur dann in Betracht kommen, wenn die Geschäftsgebühr tatsächlich entstanden ist. Dies ist dann nicht der Fall, wenn der Rechtsanwalt mit seinem Auftraggeber ein über oder unter dem gesetzlichen Gebührenanspruch liegendes Pauschalhonorar gemäß § 4 Abs. 1 RVG vereinbart.

a) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die von der Beklagten vorgebrachte Vereinbarung einer pauschalen Vergütung durch die im Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 20.01.2009 erfolgte anwaltliche Versicherung hinreichend glaubhaft gemacht. Die Glaubhaftmachung reicht im Kostenfestsetzungsverfahren zur Berücksichtigung eines Ansatzes aus (§§ 104 Abs. 2 Satz 1, 294 Abs. 1 ZPO). Der Strengbeweis gilt entgegen der Auffassung der Klägerin in diesem vereinfachten Verfahren also nicht.

11b) Pauschal- oder Zeithonorare sind keine Geschäftsgebühren im Sinne der Nr. 2300 VV-RVG und somit auch nicht gemäß der Vormerkung 3 Abs. 4 VV-RVG auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen (Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 18. Aufl., VV 2300 Rn. 39; AnwK-RVG/Rieck, 4. Aufl., § 4 Rn. 12; OLG Frankfurt AnwBl. 2009, 310; zur vergleichbaren Regelung in der BRAGO: Hansens, BRAGO, 8. Aufl., § 3 Rn. 28).

c) Entgegen der vom Oberlandesgericht Stuttgart vertretenen Auffassung (Beschluss vom 03.09.2008 - 8 W 348/08 - AGS 2008, 510 = RVGreport 2008, 468 mit ablehnender Anmerkung von Hansens) kommt die Anrechnung einer fiktiven Geschäftsgebühr auf die angefallene Verfahrensgebühr nicht in Betracht (ebenso: Schons, AnwBl. 2009, 203, 204 und AGS 2008, 511; N. Schneider, AGS 2008, 512). Für eine auf § 91 ZPO gestützte Auslegung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG dahingehend, dass eine grundsätzlich nach der gesetzlichen Regelung entstandene Geschäftsgebühr nicht durch eine abweichende Gebührenvereinbarung umgangen werden darf, besteht kein Anlass. Eine derartige Auslegung ist mit dem Gesetzeswortlaut nicht in Einklang zu bringen.

d) Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 22.01.2008 (NJW 2008, 1323) steht dem nicht entgegen. Der Bundesgerichtshof schließt in der genannten Entscheidung zwar eine Erstattung der Verfahrensgebühr aus, soweit diese wegen der vorzunehmenden Anrechnung €von vornherein nur in gekürzter Höhe€ entsteht. Gleichzeitig wird aber darauf hingewiesen, dass für die von selbst einsetzende Kürzung entscheidend sei, ob und in welcher Höhe eine Geschäftsgebühr bei vorausgesetzter Identität des Streitgegenstandes entstanden sei. Diese Voraussetzung trifft im Falle der Vereinbarung eines Pauschalhonorars aber gerade nicht zu.

e) Hinzu kommt schließlich, dass die Anrechnung einer fiktiven Geschäftsgebühr bereits rechnerisch schwer möglich wäre, weil der Anteil für eine bestimmte Angelegenheit an dem gesamten Pauschal- oder Zeithonorar auch für die betreffende Partei selbst kaum zu ermitteln sein wird (Hansens, BRAGO, a.a.O. ).

3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

4. Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil die Rechtsfrage, ob eine Anrechnung von Pauschal- oder Zeitvergütungen für eine vorgerichtliche Tätigkeit auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens vorzunehmen ist, grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und aufgrund der abweichenden Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).






OLG München:
Beschluss v. 24.04.2009
Az: 11 W 1237/09


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