Amtsgericht Essen:
Urteil vom 9. Februar 2005
Aktenzeichen: 29 C 518/04

(AG Essen: Urteil v. 09.02.2005, Az.: 29 C 518/04)

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von Gebührenansprüchen des Rechtsanwalts V, G-Platz, ..... E gemäß Rechnung vom 06.10.04 in Höhe von

50,00 € freizustellen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin, eine ausländische Mitbürgerin, macht mit der Klage einen Freistellungsanspruch wegen des Restbetrages eines Anwaltshonorars geltend, das ihr von ihrem Prozeßbevollmächtigten in Rechnung gestellt worden war nachdem dieser im Rahmen der Regulierung eines Verkehrsunfallschadens für die Klägerin anwaltlich tätig geworden war. Der Unfall, an dem der bei der Beklagten haftpflichtversichete Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen #-# ...#beteiligt war, ereignete sich am 04.09.04 in D, X-Straße auf einem Waschstraßengelände. Zum Unfall war es gekommen, weil der Versicherungsnehmer der Beklagten mit seinem Fahrzeug auf das Fahrzeug der Klägerin aufgefahren war. Die Polizei wurde zu dem Unfallereignis nicht hinzugezogen.

Nach den Angaben des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin geht er davon aus, dass er zur Abwicklung des der Klägerin entstandenen Schadens die Angelegenheit zunächst telefonisch und dann anschließend in seinen Kanzleiräumen besprochen habe. Weiterhin habe eine Besprechung mit dem Sachverständigen stattfinden müssen, um Altschäden, sowie bereits reparierte Vorschäden von dem Unfallschaden abzugrenzen. Mit Schreiben vom 27.09.04 machte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin für diese gegenüber der Beklagten folgende Schadenspositionen geltend, Reparaturkosten laut Gutachten 1.042,36 €, Gutachterkosten 248,82 €, Auslagenpauschale 20,45 €, somit insgesamt 1.311,63 €. Dieser Schadensersatzbetrag wurde durch die Beklagte 5 Tage später durch Überweisung eines Verrechnungsschecks beglichen, ohne das von der Beklagten irgendwelche Einwendungen gegenüber dem Anspruch der Klägerin erhoben worden wären und ohne das eine weitere Korrespondenz mit der Beklagten geführt worden wäre. Für seine Tätigkeit stellte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin unter dem 06.10.04 einen Betrag in Höhe von 181,54 € in Rechnung, wobei er ausgehend von einem Gegenstandswert von 1.311,63 € seiner Rechnung gemäß §§ 13, 14 RVG, Nummer 2400 WRVG eine Geschäftsgebühr von 1,3 zugrunde legte. Der Rechnungsbetrag in Höhe von 181,54 € wurde gegenüber der Beklagten geltend gemacht. Mit Schreiben vom 13.10.04 übersandte die Beklagte an den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin einen Verrechnungsscheck über 131,54 €. In diesem Schreiben der Beklagten heißt es: "Die Gebühren für ihre Inanspruchnahme übernehmen wir in Höhe von 131,54 €. Der Gebührenrahmen deckt ein weites Spektrum ab. Nach den Abwägungskriterien des § 14 RVG ist auch unter Einbeziehung eines anwaltlichen Ermessensspielraumes die Geschäftsgebühr im konkreten Fall allenfalls mit 0,9 zu bewerten".

Mit der Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten die Freistellung von dem

Gebührenanspruch ihres Prozeßbevollmächtigten in Höhe des von der Beklagten nicht gezahlten Betrages von 50,00 €.

Im Termin vom 19.01.05 hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers die Richtigkeit seiner Angaben über den Ablauf der Schadensregulierung anwaltlich versichert.

Die Klägerin trägt vor:

Der Erstellung der Rechnung vom 06.10.04 sei die Mittelgebühr von 1,5 zugrundegelegt worden. Bei der Abwicklung eines üblichen Verkehrsunfalles handele es sich grundsätzlich um eine durchschnittliche Angelegenheit, bei der dem zufolge der Mittelwert zugrunde zu legen sei. Dieser grundsätzlich angefallene Gebührenwert sei nur deshalb nicht angesetzt worden, weil Nummer 2400 WRVG vorschreibt: "Eine Gebühr von mehr als 1,3 kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war."

Bei dem Wert von 1,3 handele es sich um die sogenannte Schwellengebühr. Selbst wenn die höhere Mittelgebühr angefallen sei, dürfe ein die Schwellengebühr überschreitender Geschäftswert nur angesetzt werden, wenn alternativ die zusätzlichen Merkmale des Umfangs oder der Schwierigkeit der Tätigkeit vorlägen. Umgekehrt bedeutet dies, dass, wenn die Rechnung auf diese zusätzlichen Merkmale nicht Bezug nehme, jedenfalls die Gebühr mit 1,3 anzusetzen sei.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von Gebührenansprüchen des

Rechtsanwalts V, G-Platz,..... E gemäß Rechnung vom 06.10.04 in Höhe von 50,00 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor:

Aus dem Regulierungsverlauf ergebe sich, dass der Fall sehr einfach gelagert

gewesen sei und einen sehr geringen Aufwand verursacht habe. Der Beklagten sei aus vielen anderen Unfallregulierungen mit den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin bekannt, dass die Anspruchsanmeldung mit einem standardisierten Schriftsatz vorgenommen werde. Lediglich die Unfalldaten würden in jeder Schadensache ausgewechselt. Für die Regulierung der Schäden benötige der

Prozeßbevollmächtigte der Klägerin in der Regel nur ein Schreiben.

Die Abrechnung einer 1,3 Geschäftsgebühr werde in sämtlichen Fällen damit begründet, dass der Mandant ausländischer Mitbürger mit mangelnden Deutschkenntnissen sei. Darüberhinaus hätten zur Regulierung mehrere Besprechungstermine in der Kanzlei stattgefunden.

Allein aus dem Umfang der Tätigkeit des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin mit der Beklagten werde deutlich, dass die Schadensabrechnung für den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin eine reine Routineangelegenheit in einem Massengeschäft darstelle. Nach Auffassung der Beklagten sei kaum ein einfacherer Fall, als die dem Streit zugrunde liegende Angelegenheit denkbar, so dass auch eine niedrigere Gebühr als 0,9 angemessen gewesen wäre.

Bei einem Fahrzeugschaden von gerade einmal 1.000,00 € handele es sich um einen Bagatellschaden, so dass die Angelegenheit auch keine besondere Bedeutung für die Klägerin besessen habe. Ein Studium der Ermittlungsakten und Beweisauswertungen seien ebenfalls nicht angefallen.

Bezüglich des weiteren Akteninhalts wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und auf die von ihnen zu den Gerichtsakten überreichten Unterlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf weiteren Schadensersatz aus dem Verkehrsunfallereignis vom 04.09.04, gerichtet auf Freistellung von den restlichen Anwaltsgebühren aus der Rechnung ihres Prozeßbevollmächtigten vom 06.10.04 zu (§ 3 PflVG in Verbindung mit § 249 BGB und § 2, 13, 14 RVG in Verbindung mit Nummer 2400 WRVG).

Zu den Schäden, die der Schädiger im Rahmen eines Verkehrsunfallereignisses dem Geschädigten zu ersetzen hat, gehören auch die Anwaltskosten, die dem Geschädigten für die außergerichtliche Geltendmachung von Ersatzansprüchen entstehen (vergleiche insoweit Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Auflage, § 12 Randziffer 50).

Das Gericht ist der Auffassung, das auch im vorliegenden Fall eine Geschäftsgebühr von 1,3 gerechtfertigt ist.

Die Geschäftsgebühr gemäß §§ 13, 14 RVG im Verbindung mit Nummer 2400 WRVG ist an die Stelle des § 118 BRAGO getreten. Nach der Neufassung des anwaltlichen Gebührenrechts im RVG soll für alle in einer Angelegenheit anfallenden Tätigkeiten nur eine Gebühr anfallen. Für die außergerichtliche Tätigkeit eines Rechtsanwalts ist dies in erster Linie die Geschäftsgebühr mit einem Gebührensatzrahmen von 0,5 bis 2,5. Unter Berücksichtigung der in § 14 RVG enthaltenen Grundsätze ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts davon auszugehen, dass im Rahmen der Gebühr Nummer 2400 WRVG in durchschnittlichen Angelegenheiten grundsätzlich von der Mittelgebühr (1,5) auszugehen ist. Dies wird jedoch durch die Anmerkung zu Nummer 2400 WRVG dahingehend eingeschränkt, dass eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Wenn jedoch Umfang und Schwierigkeit der Sache nur von durchschnittlicher Natur sind, verbleibt es nach dem so formulierten Willen des Gesetzgebers bei der Regelgebühr von 1,3 (vergleiche insoweit auch Urteil des AG Landstuhl vom 23.11.04 in NJW 2005, Seite 161).

Nach Auffassung des erkennenden Gerichts handelt es sich - auch bei der zügigen - Abwicklung eines Schadensersatzanspruchs aufgrund eines Verkehrsunfalls um eine durchschnittliche Angelegenheit. Dementsprechend wurde auch früher im Rahmen des § 118 BRAGO insoweit die Mittelgebühr von 7,5/10 in Ansatz gebracht. Durch die Geschäftsgebühr nach Nummer 2400 WRVG wird die außergerichtliche Tätigkeit des Prozeßbevollmächtigten des Geschädigten die in dem Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information und möglicherweise auch der Teilnahme an Besprechungen besteht in vollem Umfang abgegolten. Bei der Abwicklung eines Schadensersatzanspruchs aus einem Verkehrsunfall gehört es dazu in der Regel, dass der Anwalt zunächst die Haftpflichtversicherung des Schädigers zu ermitteln hat und dann mit dem Geschädigten den tatsächlichen Hergang des Unfallgeschehens zu erörtern hat, um insoweit festzustellen, ob und in welchem Umfang Schadensersatzansprüche gegenüber den anderen Unfallbeteiligten geltend gemacht werden können. Im Anschluß daran hat der Rechtsanwalt die möglichen Schadenspositionen zu ermitteln und mit dem Geschädigten und gegebenenfalls auch mit dem Sachverständigen zu besprechen.

Insoweit ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass sich der streitgegenständliche Verkehrsunfall auf einem Waschstraßengelände ereignet hat, wodurch sich bei der Bewertung der jeweiligen Haftung der Beteiligten Fragen ergeben können, die einer genaueren Überprüfung bedürfen.

Weiterhin war nach den Angaben des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin die Durchführung von Besprechungen dadurch erschwert, dass es sich bei der Klägerin um eine ausländische Mitbürgerin handelt. Schließlich war eine Besprechung mit dem von der Klägerin beauftragten Sachverständigen zur Abklärung von Vor- und Altschäden erforderlich. Erst danach konnte die Schadensersatzforderung der Klägerin gegenüber der Beklagten beziffert werden, welche dann umgehend die geltend gemachten Schadensersatzansprüche der Klägerin erfüllte.

Insgesamt handelte es sich somit um eine Angelegenheit, deren Behandlung keine besonderen Schwierigkeiten bereitete, die sich nach Auffassung des erkennenden Gerichts jedoch durchaus - noch - als eine "durchschnittliche Angelegenheit" darstellt.

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass durch die Gebühr Nummer 2400 WRVG im Gegensatz zu der Regelung die in der BRAGO enthalten war auch im Zusammenhang mit der Abwicklung des Verkehrsunfallschadens anfallende Besprechungen abgegolten werden. Gerade die früher für eine Besprechung anfallende zusätzliche Gebühr hat sich in der Vergangenheit bei der Abwicklung von Schadensersatzansprüchen aus Verkehrsunfällen eher als hinderlich bewiesen. Es ist gerichtsbekannt, dass insbesondere die Versicherer sich scheuten die im Rahmen der Abwicklung eines Schadensersatzanspruches aus Verkehrsunfällen auftretenden Fragen mit dem Rechtsanwalt des Geschädigten zu erörtern, da sie auf jeden Fall das Anfallen der damals zusätzlichen Besprechungsgebühr vermeiden wollten.

Das unter diesem Gesichtspunkt die volle Abdeckung der außergerichtlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts in Verkehrsunfallsachen durch ~ Gebühr gemäß Nummer 2400 WRVG dazu führen, dass durch rechtzeitige Kontaktaufnahme zwischen den Prozeßbevollmächtigten des Geschädigten und dem Versicherer eine außergerichtliche Regelung herbeigeführt werden kann, ohne dass im Rahmen eines zu führenden Prozesses weitere Rechtsanwaltsgebühren anfallen, mit denen dann möglicherweise im Ergebnis der Versicherer des Schädigers belastet würde. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte, sowie auch der Tatsache, dass durch das RVG als Gesamtregelwerk nach dem Willen des Gesetzgebers die Rechtsanwaltsgebühren angehoben werden sollten, erscheint es angemessen bei der Abwicklung von durchschnittlich schwierigen Verkehrsunfällen eine Gebühr von 1,3 gemäß Nummer 2400 WRVG in Ansatz zu bringen (vergleiche insoweit auch Riedmeyer in DAR 2004, Seite 262).

Soweit die Beklagte hier einen Gebührenwert von 0,9 zugrunde gelegt hat, beruht dies möglicherweise auf der Annahme, dass in den Fällen, in denen die Tätigkeit des Rechtsanwalts weder umfangreich noch schwierig war, ausgehend von der für diesen Fall entsprechend der Anmerkung zu Nummer 2400 WRVG vorgesehenen Gebühr von 1,3 ein Gebührenrahmen im Bereich von 0,5 bis 1,3 zu bilden sei.

Demgegenüber ist das Gericht jedoch der Auffassung, dass es sich bei dem Wert von 1,3 um eine "Kappungsgrenze" oder einen "Schwellenwert" handelt, der nach dem Willen des Gesetzgebers aber nicht einen weiteren - unteren - Gebührenrahmen eröffnen soll (vergleiche insoweit Madert in ZfS 2004, Seite 301 ff).

Das Gericht kann sich auch nicht der Auffassung anschließen, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers der - weite - Rahmen von 0,5 bis 2,5 der Geschäftsgebühr Nummer 2400 WRVG das Gericht dazu veranlassen soll, in jedem ~ Einzelfall konkret zu prüfen, welche Gebühr anhand der Kriterien des § 14 RVG angemessen erscheint. Würde man dieser Ansicht folgen, so hätte dies zur Folge, das möglicherweise im Rahmen einer Beweisaufnahme im einzelnen geklärt werden müßte, welche Tätigkeiten der vom Geschädigten beauftragte Rechtsanwalt im Zusammenhang mit der Geltendmachung der Schadensersatzansprüche des Geschädigten erledigen mußte. Dies entspricht sicherlich nicht den Grundgedanken, die der Neufassung des anwaltlichen Gebührenrechts zugrunde gelegen habe.

Insgesamt ist somit festzustellen, dass bei einer durchschnittliche schwierigen Verkehrsunfallabwicklung eine Gebühr gemäß Nummer 2400 in Höhe von 1,3 angemessen ist. Insoweit ist das Gericht allerdings der Auffassung, dass der Begriff der durchschnittlichen Angelegenheit "sowohl nach oben wie nach unten" weit auszulegen ist, mit der Folge, dass ein strenger Maßstab an das Vorliegen der Voraussetzungen der Anmerkung zu Nummer 2400 WRVG, wonach eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war, anzulegen ist, wenn eine über den Wert von 1,3 hinausgehende Geschäftsgebühr geltend gemacht wird.

Die Einholung eines Gutachtens der Rechtsanwaltskammer (§ 14 Absatz 2 RVG) war nicht erforderlich, da mit "Rechtsstreit" nur der Gebührenprozeß zwischen dem Anwalt und seinem Auftraggeber zu verstehen ist, nicht aber - wie hier - der Schadensersatzanspruch des Auftraggebers des Rechtsanwalts gegen seinen Gegner (vergleiche insoweit Gerold-Schmidt-Maderi RVG 16. Auflage, § 14, Randnummer 109, 112).

Das Gericht hat die Berufung zugelassen, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dies erfordert

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Ziffer 11 und 713 ZPO.






AG Essen:
Urteil v. 09.02.2005
Az: 29 C 518/04


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