Hamburgisches Oberverwaltungsgericht:
Beschluss vom 5. November 2008
Aktenzeichen: 4 So 134/08

(Hamburgisches OVG: Beschluss v. 05.11.2008, Az.: 4 So 134/08)

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 25. August 2008 wird zurückgewiesen.

Gründe

Über die Beschwerde entscheidet der Senat.

Der nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 8 Satz 1 RVG an sich als Einzelrichter zuständige Berichterstatter des Senats hat das Verfahren gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG mit Beschluss vom 4. November 2008 wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache auf den Senat übertragen.

Die zulässige und fristgerecht eingegangene Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Mit ihr wendet sich die bevollmächtigte Rechtsanwältin der Klägerin, die diese bereits im Verwaltungsverfahren vertreten und die ihr im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein inzwischen durch Vergleich abgeschlossenes Klageverfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beigeordnet worden ist, gegen die Anrechnung einer anteiligen Geschäftsgebühr (225,75 Euro) auf die ihr aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung (1,3 Verfahrensgebühr in Höhe von 284,70 EUR, 1,2 Terminsgebühr in Höhe von 262,80 EUR, 1,0 Einigungsgebühr 201,00 Euro, Post- und Telekommunikationspauschale in Höhe von 20 EUR, insgesamt 786,50 Euro ohne Anrechung). Das Verwaltungsgericht hat die Erinnerung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen den nach Maßgabe des § 55 RVG ergangenen Beschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 25. Juli 2008 mit dem angefochtenen Beschlusses zu Recht zurückgewiesen.

Der Kostenbeamte hat die entstandene Geschäftsgebühr nach Maßgabe der Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) zutreffend mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr nach einem Streitwert von 5.000,00 Euro angerechnet. Der Senat folgt den Gründen des angefochtenen Beschlusses. Die Beschwerdebegründung, die dagegen u.a. verfassungsrechtliche Bedenken geltend macht, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Dazu im Einzelnen:

Nach Satz 1 der genannten Vorschrift wird, soweit wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 entsteht, diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Gemäß Satz 3 dieser Norm erfolgt die Anrechnung nach dem Wert des Gegenstandes, der auch Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens - hier 5.000,00 EUR - ist.

Die Anrechnung der hier unstreitig im Vorverfahren entstandenen Geschäftsgebühr auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung zwingend. Sie gilt insoweit nach der Überschrift des Teils 3 des Vergütungsverzeichnisses insbesondere auch für €Verfahren der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten€. Die Anrechnung einer (anteiligen) Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr eines denselben Gegenstand betreffenden Gerichtsverfahrens entspricht auch dem klaren Willen des Gesetzgebers. Nach der Begründung zu dem €Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts€ aller damaligen Fraktionen des Bundestages vom 11. November 2003 (BT-Drs. 15/1971, Teil 3, S. 208 f.) sollte mit dieser Neuregelung unter anderem der Missstand beseitigt werden, dass nach der bis dahin geltenden Bestimmung des § 118 Abs. 2 Satz 1 BRAGO nur die Geschäftsgebühr €für eine Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens€, nicht dagegen eine solche für ein behördliches, insbesondere ein vorangegangenes Widerspruchsverfahren auf die Gebühren im anschließenden gerichtlichen Verfahren angerechnet wurden. Dieser Rechtszustand sollte nach der Begründung des Gesetzentwurfes zum einen aus systematischen Gründen gerechtfertigt sein. Nach der Definition in Vorbemerkung 3 Abs. 2 VV RVG erhalte der Rechtsanwalt die gerichtliche Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Der Umfang dieser anwaltlichen Tätigkeit werde entscheidend davon beeinflusst, ob der Rechtsanwalt durch eine vorgerichtliche Tätigkeit bereits mit der Angelegenheit befasst gewesen sei. Eine Gleichbehandlung des Rechtsanwalts, der unmittelbar einen Prozessauftrag erhalte, mit dem Rechtsanwalt, der zunächst außergerichtlich tätig gewesen sei, sei nicht zu rechtfertigen (BT-Drs. 5/1971, S. 209).

Soweit in der Rechtsprechung teilweise die Auffassung vertreten wird, eine Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG finde im (verwaltungs-)gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 162, 164 VwGO nicht statt (vgl. etwa VGH München, Beschl. v. 16.1.2008, DÖV 2008, 563; OVG Münster, Beschl. v. 25.4.2006, NJW 2006, 1991, jeweils m.w.N.), dürfte dem im Hinblick auf die zwingende Regelung in der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG nicht zu folgen sein (vgl. dazu [mit ausführlicher Begründung] jetzt BGH, Beschl. v. 7.3.2007, NJW 2007, 2049; Beschl. v. 22.1.2008, VIII ZB 57/07; Beschl. v. 30.4.2008, III ZB 8/08; wie hier OVG Lüneburg, Beschl. v. 30.4.2008, 2 OA 128/08, juris).

Diese Frage bedarf im vorliegenden Zusammenhang jedoch keiner Entscheidung. Denn vorliegend geht es nicht um die Festsetzung der von der Beklagen, die nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 23. Juni 2008 die Verfahrenskosten zu tragen hat, der Klägerin zu erstattenden Aufwendungen, und ob es insoweit gerechtfertigt ist, dass die Kostenschuldnerin gegebenenfalls durch eine Anrechnung der (vorgerichtlichen) Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr (teilweise) entlastet wird. Das hier anhängige Verfahren betrifft vielmehr ausschließlich den Antrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin - als für das Klageverfahren beigeordneter Rechtsanwältin - auf Festsetzung der ihr aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung nach § 55 RVG. Dieser Antrag hat seine Grundlage, wie das Verwaltungsgericht insoweit in dem angefochtenen Beschluss im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, (nur) im Innenverhältnis zwischen der beigeordneten Rechtsanwältin und der Klägerin als ihrer Auftraggeberin. Insoweit tritt die Staatskasse im Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe an die Stelle des bedürftigen, an sich zahlungspflichtigen Mandanten, hier die Klägerin. Die Prozesskostenhilfe bezieht sich mit anderen Worten auf den Vergütungsanspruch des Prozessbevollmächtigten gegen seinen Auftraggeber, die Staatskasse ist bezogen auf die Vergütungsansprüche des Prozessbevollmächtigten kein €Dritter€ wie etwa die beklagte Behörde. Für dieses Innenverhältnis wird die Anrechung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr auch von der o.g. Rechtsprechung nicht in Zweifel gezogen.

Soweit die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit ihrer Beschwerde noch geltend macht, die Geschäftsgebühr für ihre Tätigkeit im Widerspruchsverfahren sei ohne Wert, weil ihre Mandantin, die Klägerin, sie nach ihren wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen € die gerade zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren geführt hätten € nicht zahlen könne, wird dadurch die Anrechnung dieser Gebühr auf die Verfahrensgebühr nicht berührt. Nach dem auch insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG kommt es ausschließlich darauf an, dass die Geschäftsgebühr entstanden ist. Das steht hier nach dem eigenen Vortrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin außer Frage. Dagegen ist es für die Anrechnung ohne Bedeutung, ob die Geschäftsgebühr auf materiell-rechtlicher Grundlage vom Prozessgegner zu erstatten und ob sie unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder bereits beglichen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 7.3.2007, NJW 2007, 2049; Beschl. v. 22.1.2008, VIII ZB 57/07; Beschl. v. 30.4.2008, III ZB 8/08). Dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin insoweit vor Aufnahme ihrer Tätigkeit im Vorverfahren auf einen Vorschuss bzgl. der Geschäftsgebühr verzichtet oder einen Antrag nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO (gerichtliche Feststellung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorfahren) stellt, mit dem diese Gebühr nach der Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis gegebenenfalls realisiert werden kann, berührt die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden Gerichtsverfahrens nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG nicht. Die Geltendmachung der Geschäftsgebühr für das Widerspruchsverfahren gegenüber der Klägerin ist insoweit auch nicht - wie ihre Prozessbevollmächtigte allerdings mit der Beschwerde vorträgt € durch § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen. Denn diese Regelung bezieht sich nur auf die Vergütung für das Verfahren, für das Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist. Das war hier ausschließlich das Klageverfahren erster Instanz.

Die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr muss ferner auch nicht - wie die Prozessbevollmächtigte der Klägerin meint € aufgrund der Regelung des § 58 Abs. 2 RVG unterbleiben. Der Ansicht, dass insoweit die (vorgerichtliche) Geschäftsgebühr zunächst auf die Differenz zwischen der Wahlanwaltsvergütung (nach §§ 13 ff. RVG) und der PKH-Vergütung (nach §§ 45 ff. RVG) anzurechnen sei und nur ein etwaiger überschießender Betrag auf die Verfahrensgebühr anzurechnen sei, kann nicht gefolgt werden. Dieser Anrechnungsverzicht ist durch den eindeutigen Wortlaut der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ausgeschlossen. Außerdem werden von § 58 Abs. 2 RVG nur solche Vorschüsse und Zahlungen des Mandanten an den beigeordneten Rechtsanwalt erfasst, die in Bezug auf den Rechtszug geleistet worden sind, für den das Gericht Prozesskostenhilfe bewilligt und einen Rechtsanwalt zur Vertretung beigeordnet hat. Das war hier (wie bereits ausgeführt) ausschließlich das Klageverfahren erster Instanz.

Schließlich greifen die von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG nicht durch, soweit dort auch die (anteilige) Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts angeordnet wird. Dass durch diese Anrechnung und vor dem Hintergrund der in § 49 RVG ab einem Wert von 3.500,00 Euro gegenüber § 13 RVG abgesenkten Gebührensätze in Grundrechte der Klägerin aus Art. 12 GG eingegriffen und die sogenannte Sozialverpflichtung der freien Berufe überspannt wird - beides trägt die Prozessbevollmächtigte der Klägerin vor € wird in der Beschwerde nur ganz allgemein und ohne jede Substantiierung behauptet. Das reicht zur Darlegung des genannten Verstoßes der hier fraglichen gebührenrechtlichen Regelung gegen höherrangiges Recht, für den im Übrigen auch sonst Anhaltspunkte nicht vorliegen, nicht aus.

Eine Kostenentscheidung ist € auch im Beschwerdeverfahren € im Hinblick auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG nicht veranlasst.






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Beschluss v. 05.11.2008
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