Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 9. Oktober 2008
Aktenzeichen: 12 E 1256/07

(OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 09.10.2008, Az.: 12 E 1256/07)

Tenor

Der angefochtene Beschluss und der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 16. April 2007 werden teilweise geändert. Die von der Beklagten an die Kläger zu erstattenden Kosten werden auf 1.290,70 Euro festgesetzt.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Kläger zu zwei Dritteln und die Beklagte zu einem Drittel.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet; im Übrigen ist sie unbegründet.

Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass für die Kostenfestsetzung in Bezug auf die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Kläger im Widerspruchsverfahren die Bestimmungen des RVG anzuwenden sind.

Gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG ist die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) weiter anzuwenden, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG vor dem 1. Juli 2004 erteilt oder der Rechtsanwalt vor diesem Zeitpunkt gerichtlich bestellt oder beigeordnet worden ist. Da im vorliegenden Fall weder eine gerichtliche Bestellung noch eine Beiordnung des Prozessbevollmächtigten der Kläger vor dem 1. Juli 2004 erfolgt ist, setzt eine Anwendung der BRAGO auf die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Kläger in dem nach dem 1. Juli 2004 anhängig gewordenen Widerspruchsverfahren voraus, dass

die Kläger ihrem Prozessbevollmächtigten vor dem 1. Juli 2004 einen unbedingten Auftrag nicht nur für das Betreiben des Verwaltungsverfahrens, sondern darüber hinaus auch für das Betreiben des Widerspruchsverfahrens erteilt haben, und (kumulativ)

es sich bei dem Verwaltungsverfahren und dem Widerspruchsverfahren um dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG handelt.

Die unter Nr. 2 aufgeführte Tatbestandsvoraussetzung ist hier nicht gegeben, so dass für das Widerspruchsverfahren das RVG anzuwenden ist. Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren verschiedene Angelegenheiten sind. § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG stellt ausdrücklich darauf ab, ob es sich um dieselbe Angelegenheit „im Sinne des § 15 RVG" (Hervorhebung durch den Senat) handelt. Aufgrund der ausdrücklichen und eindeutigen Verweisung auf § 15 RVG entscheidet sich die Frage, wann dieselbe Angelegenheit vorliegt, nicht nach der BRAGO, sondern allein nach § 15 RVG sowie nach den weiteren Bestimmungen des RVG, die den in § 15 Abs. 2 RVG verwendeten Begriff „derselben Angelegenheit" näher konkretisieren und inhaltlich ausgestalten (insbesondere also die §§ 16 bis 21 RVG).

Vgl. Mayer, in: Gerold/Schmid, RVG, 18. Aufl. 2008, Rn. 11 zu § 60.

Gemäß der ausdrücklichen gesetzlichen Festlegung in § 17 Nr. 1 RVG sind das Verwaltungsverfahren und das Widerspruchsverfahren jeweils verschiedene Angelegenheiten.

Die Bedenken, die die Beklagte gegen die sich hieraus ergebende Anwendung des RVG auf die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Kläger in dem nach dem 1. Juli 2004 erfolgten Widerspruchsverfahren erhoben hat, teilt der beschließende Senat nicht. Soweit geltend gemacht wird, Sinn der Übergangsregelung des § 61 RVG sei es, die Einführung anderer als im Zeitpunkt der Auftragserteilung geltender Kosten zu verhindern, führt dies nicht weiter. Der beschließende Senat vertritt in den hier in Rede stehenden Fällen - ebenso wie hier das Verwaltungsgericht - die der Lebenswirklichkeit geschuldete Auffassung, dass bei einer Auftragserteilung vor und auch noch während des Verwaltungsverfahrens diese in der Regel auch das Widerspruchsverfahren umfasst, weil dieses gegenüber derselben Behörde durchzuführen ist und sich als - abgestufte - Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens darstellt. Da der Ausgang des Verwaltungsverfahrens bei der Auftragserteilung jedoch nicht absehbar und damit in diesem Zeitpunkt offen ist, ob es der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens überhaupt bedarf, kann mit Blick auf den Grundsatz der Privatautonomie dem Auftraggeber nicht ohne weiteres unterstellt werden, bereits im Zeitpunkt der Auftragserteilung im Innenverhältnis auch einen unbedingten Auftrag zur Durchführung des Widerspruchsverfahrens erteilen zu wollen. Daher ist im Regelfall davon auszugehen, dass in Bezug auf das Betreiben des Verwaltungsverfahrens ein unbedingter Auftrag und hinsichtlich des Betreibens des sich ggf. anschließenden Widerspruchsverfahrens ein weiterer, allerdings durch die Erfolglosigkeit des Verwaltungsverfahrens bedingter Auftrag erteilt wird, der erst mit dem Eintritt der Bedingung Wirksamkeit entfaltet.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. März 2008

- 12 E 275/08 -.

Tritt die Bedingung erst unter der Geltung neuen Rechts ein, fehlt es danach unter der Geltung alten Rechts an einem wirksamen Auftrag zum Betreiben des Widerspruchsverfahrens, so dass sich insoweit auch kein Vertrauen auf die Fortgeltung des alten Gebührenrechts bilden kann.

Soweit die Beklagte dem entgegenhält, es werde allgemein nur ein einheitlicher Auftrag angenommen, wenn der weitere Auftrag zu den gleichen Gebühren führt, die ohne die Erweiterung angefallen wären, wird verkannt, dass die Konstruktion einer Auftragserweiterung anstelle von mehreren Aufträgen lediglich dem Zweck dienen soll, zu vermeiden, eine Gebühr teilweise nach der BRAGO und teilweise nach dem RVG berechnen zu müssen.

Vgl. Mayer, a.a.O., Rn. 9 zu § 60: „Anerkannt ist, dass dieselbe Gebühr sich nicht teilweise nach der BRAGO und teilweise nach dem RVG richten kann. Um dem Rechnung zu tragen, bleibt nichts anderes übrig, als eine Auftragserweiterung anstelle von mehreren Aufträgen vorzunehmen".

Die Notwendigkeit einer derartigen, lediglich aus Praktikabilitätsgründen zur Vermeidung rechtssystematischer Brüche erfolgenden rechtlichen Wertung des Auftragsverhältnisses (die mit Blick auf die gesetzliche Regelung in § 119 Abs. 1 BRAGO ohnehin entbehrlich gewesen ist) entfällt jedoch dann, wenn es sich zwar weiterhin um die gleiche Angelegenheit handelt, aber andere Gebühren anfallen.

Vgl. Mayer, a.a.O., Rn. 9 zu § 60.

Dies ist hier der Fall, da mit dem Inkrafttreten des RVG das Widerspruchsverfahren gemäß § 17 Nr. 1 RVG und Nr. 2401, nunmehr Nr. 2301, der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (im folgenden: VVRVG) gebührenrechtlich verselbständigt worden ist. Hier besteht kein Grund (mehr), einen einheitlichen Auftrag zu konstruieren, „die Aufträge können bleiben, was sie sind, mehrere gesonderte Aufträge".

Vgl. Mayer, a.a.O.,Rn. 9 zu § 60.

Die gesonderte Gebührenberechnung für das Betreiben des Widerspruchsverfahrens nach neuem Recht wirkt sich auch nicht auf eine nach altem Recht (§§ 118, 119 Abs. 1 BRAGO) vorzunehmende Gebührenbemessung für das Betreiben des Verwaltungsverfahrens aus. Insoweit würde es bei der im Regelfall anzusetzenden lediglich hälftigen Mittelgebühr (zzgl. der Hälfte der ggf. beantragten Postpauschale) verbleiben.

Vgl. zur Aufteilung der Geschäftsgebühr: OVG NRW, Beschluss vom 15. September 2006

- 12 E 1018/05 -.

Eine anteilige Berechnung derselben Gebühr einerseits nach der BRAGO und andererseits nach dem RVG ist damit ebenso wenig verbunden wie die von der Beklagten angeführte Doppelbezahlung des Widerspruchsverfahrens.

Die der Kostenfestsetzung zugrundegelegte Geschäftsgebühr für das Widerspruchsverfahren (anwaltliche Gebühren für die Tätigkeit im Verwaltungsverfahren können im Kostenfestsetzungsverfahren nicht geltend gemacht werden - vgl. § 162 Abs. 1 und 2 VwGO) ist allerdings zu reduzieren. Ist der Rechtsanwalt auch in dem einem Widerspruchsverfahren vorausgehenden Verwaltungsverfahren tätig gewesen, gilt für die Bemessung der Gebühr für die Tätigkeit in dem Widerspruchsverfahren nicht der Gebührenrahmen der Nr. 2400 VVRVG, sondern der niedrigere Gebührenrahmen der Nr. 2401 VVRVG (nunmehr Nr. 2300 bzw. Nr. 2301 VVRVG). Nach Satz 2 der Nr. 2401 VVRVG beträgt die Gebühr 2400 „für das weitere, der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienende Verwaltungsverfahren" 0,5 bis 1,3, wobei gemäß Ziffer 2 eine Gebühr von mehr als 0,7 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Letzteres ist hier nicht ersichtlich, so dass statt der angesetzten 985,40 Euro lediglich 530,60 Euro gerechtfertigt sind. Eine weitere Reduzierung der Gebühr von 0,7 mit Blick auf den Einwand der Beklagten, wonach der Schwerpunkt der Tätigkeit des Prozessbevollmächtigte im Verwaltungsverfahren gelegen habe, kommt nicht in Betracht. Nach Ziffer 1 der Nr. 2401 VVRVG ist bei der Bemessung der Gebühr gerade nicht zu berücksichtigen, dass der Umfang derTätigkeit infolge der Tätigkeit im Verwaltungsverfahren geringer ist.

Die Gebühr von 530,60 Euro ist nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VVRVG zur Hälfte (265,30 Euro) auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Februar 2008

- 12 E 165/08 -,

so dass sich die Verfahrensgebühr 3100 VVRVG von 985,40 Euro auf 720,10 Euro reduziert.

Danach betragen die Kosten, die die Beklagte den Klägern zu erstatten hat, insgesamt 1.290,70 Euro, was die Beteiligten auf den entsprechenden Hinweis des Senats

mittlerweile zustimmend zu Kenntnis genommen haben.

Gebühr nach Nr. 2401 VVRVG: 530,60 Euro

Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VVRVG: 20,00 Euro

Gebühr nach 3100 VVRVG: 985,40 Euro, reduziert auf 720,10 Euro

Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VVRVG: 20,00 Euro.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.






OVG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 09.10.2008
Az: 12 E 1256/07


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/ba115ec2d2d4/OVG-Nordrhein-Westfalen_Beschluss_vom_9-Oktober-2008_Az_12-E-1256-07




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share