Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 31. März 2009
Aktenzeichen: 11 U 77/08 (Kart)

(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 31.03.2009, Az.: 11 U 77/08 (Kart))

Der Kennzeichnungspflicht nach § 42 EnWG unterliegt Werbematerial, das Letztverbrauchern übersandt bzw. ausgehändigt wird. Von der Kennzeichnungspflicht ausgenommen sind Zeitungs- und Zeitschriftenanzeigen. Die Ausnahme von der Kennzeichnungspflicht für Zeitungswerbung gilt für einfache Werbeanzeigen in Zeitungen, nicht jedoch für Prospektbeilagen in Zeitungen, die an Abonnenten übersandt werden.

Tenor

Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das am 8.5.2008 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Wiesbaden - 13 O 30/08 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die einstweilige Verfügung der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Wiesbaden vom 25.3.2008 (Aktenzeichen 13 O 30/08) wird hinsichtlich des Untersagungsausspruchs zu Ziffer 1 bestätigt.

Der Untersagungsausspruch zu Ziffer 3 der einstweiligen Verfügung vom 25.3.2008 bleibt mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass der Verfügungsbeklagten untersagt wird, für den Verkauf von Elektrizität gegenüber Letztverbrauchern in Prospekten zu werben, welche Tageszeitungen beigelegt sind, die an Abonnenten versandt werden, ohne den Anteil der einzelnen Energieträger (Kernkraft, fossile oder sonstige Energieträger, erneuerbare Energien) an dem Gesamtenergiemix anzugeben, den der Lieferant im letzten oder vorletzten Jahr verwendet hat.

Im Übrigen wird die einstweilige Verfügung aufgehoben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag zurückgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens erster Instanz haben die Verfügungsklägerin 1/3 und die Verfügungsbeklagte 2/3 zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe

I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung ist zum Teil begründet.

1. Soweit sich die Berufung gegen den Untersagungsausspruch zu Ziffer 2 der einstweiligen Verfügung vom 25.3.2008 richtet, ist sie erfolgreich.

Ein Preisvergleich ist grundsätzlich auch dann objektiv, wenn der Werbende nur eines oder mehrere, aber nicht alle in Betracht kommenden Produkte eines Mitbewerbers in den Vergleich einbezieht, sondern gerade die Produkte für den Vergleich auswählt, bei denen eine für ihn günstige Preisdifferenz besteht (Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 27. Aufl. 2009, § 6 Rn. 55).

Eine vergleichende Preiswerbung für einen Ökostromtarif erfordert deshalb grundsätzlich nicht, auch den Ökostromtarif des Mitbewerbers in den Vergleich einzubeziehen. Die Werbung eines Energieversorgungsunternehmens ist nicht schon allein deswegen irreführend, weil es den eigenen Ökostromtarif nur mit den Tarifen eines Wettbewerbers für Strom aus nicht erneuerbaren Energien vergleicht, aber dessen Ökostromtarif verschweigt.

Etwas anderes kommt zwar dann in Betracht, wenn eine Werbeanzeige den Eindruck erweckt, im Verhältnis zwischen den verglichenen Tarifen der Parteien sei (sogar) der € normalerweise teurere € Ökostromtarif ausnahmsweise günstiger als der € normalerweise billigere € Normaltarif der Mitbewerberin, obwohl diese ebenfalls einen Ökostromtarif anbietet, der günstiger ist als beide im Vergleich genannten Tarife (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 24.07.2008, 6 U 73/08, GRUR-RR 2008, 410). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor, denn der Ökostromtarif der Klägerin (657,30 € bei einem Jahresverbrauch von 3000 kWh) ist hier teurer als der Ökostromtarif der Beklagten (648,65 € bei einem Jahresverbrauch von 3000 kWh) und teuerer als einer der in den Vergleich einbezogenen Normaltarife.

Unmaßgeblich ist, ob die Werbebroschüre den Eindruck erweckt, die Verfügungsbeklagte sei ein reiner Ökostromanbieter, denn dies hat keine Relevanz für die Frage, ob die Verfügungsbeklagte darauf hinweisen muss, dass auch die Verfügungsklägerin einen Ökostromtarif anbietet.

Die Werbebroschüre könnte hier zwar deswegen irreführend sein, weil ihre Aufmachung möglicherweise suggeriert, die Verfügungsklägerin biete keinen Ökostromtarif an, weshalb Kunden der Verfügungsklägerin € wenn sie Ökostrom wählen € den Stromlieferanten wechseln müssten. In diesem Sinne könnte der Einleitungssatz auf Seite 2 der Werbebroschüre €Stadt1 atmet auf € weniger CO2 dank 100% Ökostrom€ darauf hindeuten, es könne nun erstmals bei der Beklagten auch in Stadt1 ein Ökostromtarif gewählt werden. Ob eine Irreführung in diesem Sinn vorliegt, kann jedoch letztlich offen bleiben, denn der Antrag und der ihm entsprechende Tenor gehen über die konkrete Verletzungsform unzulässig hinaus. Der Untersagungsausspruch zu Ziffer 2 kann insoweit auch nicht mit einem einschränkenden auf die konkret verwendete Werbebroschüre bezogenen Zusatz aufrechterhalten werden. Es wäre dann nämlich nicht hinreichend bestimmt, welche Elemente der Werbebroschüre die Verfügungsbeklagte nicht mehr verwenden darf, um einen irreführenden Gesamteindruck zu vermeiden.

2. Ganz überwiegend erfolglos ist die Berufung, soweit sie sich gegen den Untersagungsausspruch zu Ziffer 3 der einstweiligen Verfügung vom 25.3.2008 richtet.

Die Beklagte trifft insoweit der Vorwurf eines wettbewerbswidrigen Verhaltens, weil die Werbebeilage nicht die gesetzlich geforderten Pflichtangaben nach § 42 EnWG enthält.

Bei § 42 EnWG handelt es sich gemäß der Zielsetzung des Gesetzes um eine Vorschrift, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln (§ 4 Nr. 11 UWG). Produktbezogene Kennzeichnungsvorschriften dienen nämlich durchweg dem Schutz der Verbraucher und stellen somit Marktverhaltensregelungen im Interesse der Verbraucher im Sinne von § 4 Nr. 11 dar (Köhler, a.a.O., § 4 Rn. 11.118 ff.).

Die streitbefangene Werbebeilage unterliegt der Kennzeichnungspflicht gemäß § 42 EnWG, soweit sie Tageszeitungen beigelegt wird, die an Abonnenten versandt werden. § 42 Abs. 1 EnWG verpflichtet Elektrizitätsversorgungsunternehmen, in oder als Anlage zu ihren Rechnungen an Letztverbraucher und in an diese gerichtetem Werbematerial Angaben gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EnWG zu machen. Mit der Formulierung €in an diese gerichtetem Werbematerial€ ist eine Beschränkung der Kennzeichnungspflicht auf bestimmte Formen der Werbung beabsichtigt. Das ergibt sich zwar noch nicht zwingend aus dem deutschen Gesetzestext, wenngleich die Formulierung €in ihrer Werbung€ ausreichend und naheliegend gewesen wäre, wenn die Stromkennzeichnungspflicht für jegliche Art von Werbung hätte eingeführt werden sollen.

§ 42 EnWG dient insbesondere der Transformation von Art. 3 Abs. 6 der Richtlinie 2003/54/EG über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt (ABl. EG L 176, S. 37 v. 15.07.2003). Die entsprechende Formulierung des Art. 3 Abs. 6 der Richtlinie 2003/54/EG lautet in der englischsprachigen Fassung €€in promotional materials made available to final customers€ und in der französischen Fassung: € €envoyés aux clients finals€.

Aus beiden Fassungen ergibt sich deutlicher als aus der deutschsprachigen Fassung, dass nur solches Werbematerial der Kennzeichnungspflicht unterliegt, das an den Letztverbraucher übersandt wird bzw. greifbar ist (available = verfügbar, greifbar, erhältlich). Dieses Verständnis folgt nicht zuletzt aus der Verlautbarung der Generaldirektion Energie und Transport zu Art. 3 Abs. 6, in welcher der Begriff promotional materials definiert wird wie folgt:

€Promotional materials are materials handed out or sent directly to consumers, but do not include newspaper, magazine, bill-board and television advertisements€.

Auch wenn das Dokument die Kommission nicht bindet, handelt es sich um eine Verlautbarung, mit der die Absichten des Richtliniengebers in Verbindung mit Art. 3 Abs. 6 der Richtlinie authentisch interpretiert werden.

Anhaltspunkte dafür, dass der deutsche Gesetzgeber mit der Formulierung des § 42 EnWG €in an diese gerichtetem Werbematerial€ eine weitergehende Kennzeichnungspflicht einführen wollte, als ihm durch die Richtlinie vorgegeben war, finden sich nicht. Die Gesetz gewordene Formulierung entspricht wörtlich Artikel 3 Abs. 6 der deutschen Fassung der Richtlinie. Auch die Gesetzesmaterialien zu § 42 EnWG enthalten keine Hinweise darauf, dass im Zuge der Umsetzung eine über die Vorgaben der Richtlinie hinausgehende Kennzeichnungspflicht eingeführt werden sollte.

Mangels anderweiter Anhaltspunkte hält es der Senat daher für geboten, bei der Auslegung des § 42 EnWG auf die Verlautbarung der Generaldirektion abzustellen.

Danach besteht eine Kennzeichnungspflicht zum Strommix in Prospekten, welche Tageszeitungen beigelegt sind, die an Abonnenten versandt oder ihnen durch einen Zeitungszusteller gebracht werden.

Die in der Verlautbarung der Generaldirektion enthaltene Ausnahme von der Kennzeichnungspflicht für Zeitungswerbung gilt zwar für einfache Werbeanzeigen in Zeitungen und Zeitschriften (vgl. Senat, Urt. v. 31.3.2009, 11 U 2/09 (Kart)), nicht jedoch für Prospekte, die wie hier Tageszeitungen beigelegt sind.

Den Grund für die Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht für Zeitungs-, Zeitschriften -, Plakat- und Fernsehwerbung in der Verlautbarung der Generaldirektion sieht der Senat in der Flüchtigkeit der Wahrnehmung dieser Art von Werbung. Werbebeilagen in Zeitungen werden jedoch nicht in gleicher Weise flüchtig wahrgenommen wie Werbeanzeigen in Zeitungen. Solche Beilagen heben sich vom Rest der Zeitung deutlich ab. Sie lassen sich von der Zeitung trennen und gesondert aufbewahren, wodurch sich die Möglichkeit ihrer intensiveren Wahrnehmung und einer Auseinandersetzung mit dem beworbenen Produkt im Vergleich zu einfachen Zeitungsanzeigen deutlich steigert. Der allgemein gehaltene und damit zu weit gefasste Untersagungsausspruch zu Ziffer 3 war dahin zu konkretisieren, dass er für Prospekte gilt, welche Tageszeitungen beigelegt sind, die an Abonnenten versandt werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Einer Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bedarf es nicht, weil das Urteil kraft Gesetzes (§ 542 Abs. 2 ZPO) nicht revisibel ist.






OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 31.03.2009
Az: 11 U 77/08 (Kart)


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