Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 11. November 2009
Aktenzeichen: 13 U 190/08

(OLG Köln: Beschluss v. 11.11.2009, Az.: 13 U 190/08)

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 30.10.2008 - 30 O 416/06 - wie folgt abgeändert:

Der Schadensersatzanspruch der Klägerin ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Die Entscheidung über die Kosten dieses Berufungsverfahrens bleibt der abschließenden Sachentscheidung der Zivilkammer des Landgerichts Köln vorbehalten, an die der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen wird.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin, die von der Beklagten im Jahr 2003 anwaltlich vertreten worden ist, begehrt Schadensersatz wegen eines unterlassenen Hinweises auf eine tarifliche Ausschlussfrist. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes einschließlich der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 30.10.2008 (GA 193 ff.), auf das im Übrigen wegen der rechtlichen Würdigung durch die Zivilkammer verwiesen wird, abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Klägerin sei der Nachweis, die Beklagte auch mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen mandatiert zu haben, nicht gelungen; im Rahmen des bestehenden Mandats aber habe der einmalige Hinweis auf die Verfallfrist ausgereicht.

Mit der am 03.12.2008 eingegangenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Sie ist der Ansicht, das Gericht sei zu Unrecht von einem auf die Kündigungsschutzangelegenheiten beschränkten Mandat ausgegangen; aber selbst wenn man der Kammer insoweit folge, stelle es eine Pflichtverletzung dar, dass die Beklagte nicht nochmals auf den drohenden Ablauf der Ausschlussfrist aus dem Rahmentarifvertrag hingewiesen habe.

Die Klägerin beantragt,

1.

das Urteil des Landgerichts Köln - 13 U 190/08 - vom 30.10.2008 abzuändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen,

2.

den Rechtsstreit an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens im Berufungsrechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache insoweit Erfolg, als die Klage dem Grunde nach gerechtfertigt ist und der Rechtsstreit zur Aufklärung der streitigen Höhe von Schadensersatzansprüchen an die Zivilkammer zurückzuverweisen ist, § 538 Abs.2 Nr.4 ZPO.

1.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs.1 BGB zu, da die Beklagte es unterlassen hat, vor Ablauf der die Mitarbeiterin E. betreffenden, zeitlich ersten Verfallfrist nochmals auf den drohenden Fristablauf hinzuweisen; auch hat die Beklagte die Klägerin pflichtwidrig nicht über das Bestehen des gegen sie gerichteten Schadensersatzanspruchs und den Lauf der Verjährung informiert.

a)

Keinen Bedenken begegnet allerdings die Annahme des Landgerichts, der Klägerin sei der Nachweis einer umfassenden, sich auch auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen beziehenden Mandatserteilung nicht gelungen. Insoweit hat die Kammer zutreffend darauf hingewiesen, dass die vorgelegten Schreiben den Schluss auf eine umfassende Bevollmächtigung nicht zulassen und auch die Beweisaufnahme insoweit unergiebig war. Die dagegen mit der Berufung erhobenen Einwände führen nicht zu einer anderen Beurteilung, denn die Klägerin zieht aus den auch vom Landgericht berücksichtigten Schreiben und weiteren Umständen lediglich andere, in der Sache aber nicht zwingende Schlüsse und setzt damit nur ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Landgerichts.

b)

Allerdings ist der Beklagten nach Ansicht des Senats gleichwohl eine Pflichtverletzung zur Last zu legen. Zwar besteht die Pflicht des Anwalts, die Interessen seines Auftraggebers nach jeder Richtung umfassend wahrzunehmen und sich so zu verhalten, dass Schädigungen des Mandanten möglichst vermieden werden, grundsätzlich nur in den Grenzen des erteilten Mandats (BGH, Urt. v. 29. April 1993 - IX ZR 101/92, NJW 1993, 2045; v. 4. Juni 1996 - IX ZR 51/95, NJW 1996, 2648, 2649; zur Steuerberaterhaftung vgl. auch BGHZ 128, 358, 361). Indes muss der Rechtsanwalt vor Gefahren, die ihm bekannt oder für ihn offenkundig sind, den Mandanten auch bei einem eingeschränkten Mandat warnen (BGH, Urt. v. 13. März 1997 - IX ZR 81/96, NJW 1997, 2168, 2169), wenn er Grund zu der Annahme hat, dass sich der Mandant der ihm drohenden Nachteile nicht bewusst ist (BGH, WM 1998, 2246).

c)

Eine Pflicht der Beklagten, auf die Verfallfrist des § 22 RTV hinzuweisen, bestand hier, nachdem der Beklagten am 23.09.2003 vom Zeugen Q. der Rahmentarifvertrag übergeben worden war, aus dem sich die zweimonatige Ausschlussfrist ergab. Diese Pflicht entfiel auch nicht dadurch, dass dem Zeugen Q. - wie er bei seiner Vernehmung bekundet hat - die in § 22 RTV enthaltene Ausschlussfrist dem Grunde nach bekannt war; die Beurteilung der rechtlichen Frage, ob und gegebenenfalls bei welchen Mitarbeitern bzw. Scheinmitarbeitern diese Frist im Einzelfall einschlägig war und wann der Lauf dieser Frist jeweils begann, hatte der Zeuge Q. ersichtlich nicht selbst vorgenommen; vielmehr wollte er dies der fachkundigen Beurteilung durch die Beklagte überlassen. Dass die Beklagte - auch wenn ihr ein Mandat für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen seinerzeit noch nicht erteilt worden war - dies ebenso gesehen hat, zeigt ihr Schreiben vom 25.09.2003 (GA 60), in welchem sie die Klägerin auf den Verfall der Ansprüche bei nicht rechtzeitiger Geltendmachung ausdrücklich hingewiesen hat.

Anders als das Landgericht ist der Senat aufgrund der Einzelfallumstände allerdings der Auffassung, dass die Beklagte den ihr obliegenden Pflichten mit diesem einen Hinweis nicht genügt hat.

Richtig ist, dass - wäre das Mandat nach diesem Hinweis insgesamt beendet worden - eine Pflichtverletzung zu verneinen wäre. Vorliegend besteht allerdings die Besonderheit, dass das Mandat in Bezug auf die Kündigungsschutzverfahren fortbestand und die Frage einer Erweiterung hinsichtlich der Geltendmachung von Schadensersatz auch aus Sicht der Beklagten völlig in der Schwebe hing: So teilte die Beklagte der Klägerin unter dem 14.10.2003 mit (GA 127), dass das Arbeitsgericht in der Kündigungsschutzklage Termin auf den 30.10.2003 anberaumt habe und sie davon ausgehe, dass die Klägerin das Verfahren auch dazu nutzen möchte, den ihr entstandenen Schaden gegenüber Frau E. geltend zu machen; zugleich bat sie um Weisung, ob der sich aus der erstatteten Strafanzeige ergebende Schadensersatzbetrag von insgesamt 43.236,44 € insgesamt geltend gemacht werden solle. Ferner richtete die Beklagte am 14.10.2003 eine Deckungsschutzanfrage in Sachen E. auch bezüglich einer beabsichtigten Widerklage wegen der Schadensersatzansprüche an die Rechtsschutzversicherung der Klägerin (GA 127); eine entsprechende Bitte um Deckungsschutz für Ansprüche gegen Herrn F. erfolgte bei der Rechtsschutzversicherung unter dem 23.10.2003 (GA 188). Zu diesem Zeitpunkt ging die Beklagte - wie sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt hat - davon aus, die Klägerin wolle die Schadensersatzansprüche geltend machen. Erst nachdem sie in der Folgezeit weder eine konkrete Weisung noch Unterlagen über die Schadenshöhe erhielt, will die Beklagte bei dem Gespräch mit dem Geschäftsführer der Klägerin und dem Zeugen Q. anlässlich des Gütetermins am 11.11.2003 erklärt haben, dass die Klägerin „das mit den Schadensersatzansprüchen selbst machen“ (GA 259) solle; letzteres sollen der Geschäftsführer und der Zeuge Q. zustimmend bejaht haben.

Angesichts der Tatsache, dass nach dem ersten Hinweis bereits mehrere Wochen verstrichen waren, die Klägerin auch aus Sicht der Beklagten ihre Absicht, Schadensersatz geltend zu machen, nicht aufgegeben hatte und der Ablauf der Verfallfrist in der Sache E. kurz bevorstand (im Schreiben vom 25.09.2003 hatte die Beklagte als spätesten Termin Mitte November 2003 benannt), wäre die Beklagte in dieser Situation auch unter Zugrundelegung ihres Vortrags, nach welchem sie am 11.11.03 eine Mandatsübernahme im Hinblick auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen abgelehnt hat, zu einem nochmaligen Hinweis verpflichtet gewesen. Aus ihrer Sicht stand nämlich der Ablauf der Verfallfrist und damit die Gefahr eines Anspruchsverlustes unmittelbar bevor. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin sich der Eilbedürftigkeit der Angelegenheit (noch) bewusst war, bestanden für die Beklagte nicht; auch hatte die Beklagte durch den letzten Absatz ihres bereits erwähnten Schreibens vom 14.10.2003 (GA 42) den Eindruck vermittelt, die Darlegung des Sachverhalts - und zwar auch bezüglich einer Widerklage auf Schadensersatz - eile nicht besonders, bis zum Gütetermin müsse zwingend nur die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats und gegebenenfalls die Möglichkeit einer Nachholung geprüft werden.

Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erstmals behauptet hat, den Geschäftsführer der Klägerin und den Zeugen Q. in dem Gespräch am 11.11.2003 mit den Worten „jetzt wird es eng“ auf die Eilbedürftigkeit hingewiesen zu haben (der diesbezügliche Teil der Aussage ist nicht protokolliert worden), handelt es sich um neuen, streitigen und damit gemäß § 531 Abs.2 ZPO nicht zu berücksichtigenden Vortrag. Letztlich zeigt aber auch dieses Vorbringen, dass die Beklagte selbst von einer erneuten Hinweispflicht zum damaligen Zeitpunkt ausging.

d)

Der der Klägerin damit zustehende Schadensersatzanspruch - das Verschulden der Beklagten wird vermutet - ist nicht unter dem Gesichtspunkt eines Mitverschuldens zu mindern. Der Umstand, dass der Klägerin das Bestehen einer Verfallfrist nach dem Rahmentarifvertrag nicht nur dem Grunde nach, sondern im Hinblick auf das Schreiben der Beklagten vom 25.09.2003 auch bezogen auf die konkreten Einzelfälle bekannt war, führt nicht zu einem Mitverschulden. Vorliegend hatte die Beklagte ihre anfängliche Einschätzung nämlich wieder relativiert, indem sie durch den letzten Absatz des bereits erwähnten Schreibens vom 14.10.2003 den Eindruck fehlender Eilbedürftigkeit erweckte. Aufgrund der dort gewählten Formulierung konnte die Klägerin davon ausgehen, die Schadensersatzansprüche seien im Hinblick auf die bestehenden Schwierigkeiten bei der Bezifferung und die nach wie vor laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen noch nicht fällig i.S.d. § 22 RTV. Dies insbesondere, da das Schreiben der Beklagten vom 25.09.2003 keine definitive Aussage hinsichtlich des konkreten Beginns der Verfallfrist(en) enthielt, die Beklagte vielmehr nur erklärt hatte, dass „man sich auf den Standpunkt stellen“ könne, für die Fälligkeit der Schadensersatzansprüche nach § 22 RTV komme auf den Zugang der Kündigung an.

Da zum Zeitpunkt der Mandatierung von Rechtsanwalt C. mit der Geltendmachung der Schadensersatzansprüche Mitte Januar 2004 die Ansprüche der Klägerin bereits verfallen waren, kommt auch eine Kürzung des Schadensersatzanspruches unter dem Gesichtspunkt eines - der Klägerin zurechenbaren - Verschuldens von Rechtsanwalt C. nicht in Betracht.

e)

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Schadensersatzanspruch nicht verjährt. Zwar ist - geht man von einer Pflichtverletzung spätestens am 20.11.2003 aus (zu diesem Zeitpunkt sind nach dem Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 27.09.2004, 1 Ca 11464/03 [GA 18 ff.], die gegen F. gerichteten Ansprüche spätestens verfallen) - nach der hier noch anwendbaren Vorschrift des § 51b BRAO Verjährung hinsichtlich des Primäranspruchs grundsätzlich drei Jahre später und damit am 21.11.2006 eingetreten, hier greifen aber die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Sekundärhaftung des Rechtsanwalts ein; danach trifft den schadensersatzpflichtigen Rechtsanwalt grundsätzlich die Pflicht, den Mandanten auf das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs sowie den Lauf der Verjährung hinzuweisen. Diese - auch der Beklagten obliegende - sekundäre Hinweispflicht hat die Beklagte schuldhaft verletzt. Die Einschaltung von Rechtsanwalt C. hat auf das Bestehen dieser Pflicht keinen Einfluss, denn die Klägerin hat Rechtsanwalt C. allein mit der Verfolgung der - wegen der Primärpflichtverletzung letztlich nicht mehr durchsetzbaren - Schadensersatzansprüche gegen die ursprünglichen Schädiger beauftragt, nicht aber mit der Klärung der Haftungsfrage in Bezug auf die Beklagte (vgl. dazu etwa BGH, XI ZR 227/02, GI aktuell 2008, 14).

2.

Der Senat hat im Hinblick darauf, dass die Parteien auch über die Höhe des Schadensersatzanspruches streiten und der Rechtsstreit insoweit noch nicht zur Entscheidung reif ist (ausgehend von dem - in weiten Teilen allerdings noch ergänzungsbedürftigen - Vorbringen der Klägerin besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass in dem vor dem Landgericht durchzuführenden Betragsverfahren ein Schadensbetrag zuerkannt wird), von der Möglichkeit der Zurückverweisung nach Erlass eines Grundurteils (§ 538 Abs.2 Nr.4 ZPO) an die Zivilkammer, der auch die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens vorbehalten bleibt, Gebrauch gemacht; den nach § 538 Abs.2 ZPO erforderlichen Antrag hat die Klägerin gestellt.

3.

Ein Anlass, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO), besteht nicht. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern Belange der Rechtsfortbildung oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Die hier streitentscheidende Frage nach dem Bestehen einer erneuten Hinweispflicht hat der Senat - ausgehend von den vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätzen zu diesem Problemkreis - allein aufgrund der Einzelfallumstände beantwortet.

Streitwert im Berufungsverfahren: 230.581,99 €






OLG Köln:
Beschluss v. 11.11.2009
Az: 13 U 190/08


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