Bundespatentgericht:
Urteil vom 8. Februar 2001
Aktenzeichen: 2 Ni 22/00

(BPatG: Urteil v. 08.02.2001, Az.: 2 Ni 22/00)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Das Urteil ist für den Beklagten im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 12.000,--DM vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des deutschen Patents 41 41 688 (Streitpatent), das am 18. Dezember 1991 angemeldet worden ist und eine Hißvorrichtung für einen Fahnenmast betrifft. Das Streitpatent umfaßt 9 Patentansprüche, von denen Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut hat (ohne Bezugszeichen):

"Hißvorrichtung für einen Fahnenmast, bestehend aus 1.

einer mit dem Fahnenmast fest verbundenen, kanalartigen, oben offenen Führungsschiene, die sich in Längsrichtung über den Fahnenmast von einem Ausgangspunkt in einem Abstand über dem unteren Mastende bis zum oberen Mastende erstreckt, 2.

einem am Ausgangspunkt in die Führungsschiene einführbaren Körper oder Schlitten aus elastischem Material, der in der Führungsschiene verschiebbar ist und der sich über die gesamte Länge der Führungsschiene oder, gerechnet vom Ausgangspunkt, über eine vorbestimmte Teillänge der Führungsschiene erstreckt, 3.

Mitteln zur Befestigung einer Fahne, die am oberen Ende des Körpers oder Schlittens befestigt sind und durch die Öffnung der Führungsschiene hindurchgreifen, und 4.

einer am Ausgangspunkt der Führungsschiene angeordneten Feststellvorrichtung, durch die der Körper oder Schlitten mit der von ihm getragenen Fahne in einer gewünschten Position feststellbar ist."

Wegen der Patentansprüche 2 bis 9 wird auf die Patentschrift DE 41 41 688 C 2 Bezug genommen.

Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig. Er sei nicht neu, beruhe aber jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Sie beruft sich hierzu auf folgende vorveröffentlichten Druckschriften DE-PS 740 003 DE-OS 39 39 707.

Außerdem sei ein technischer Gegenstand nach Patentanspruch 1 mit dem Merkmal einer "oben offenen" Führungsschiene nicht ausführbar.

Auch die Unteransprüche des Streitpatents enthielten nichts Patentfähiges. Die Klägerin beantragt, das deutsche Patent 41 41 688 für nichtig zu erklären.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält das Streitpatent für patentfähig.

Gründe

Die Klage, mit der die in § 22 Abs 2 iVm § 21 Abs 1 Nr 1 und 2 PatG vorgesehenen Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und unzureichender Offenbarung der Erfindung geltend gemacht werden, ist zulässig, aber nicht begründet.

I.

Das Streitpatent betrifft gemäß der Beschreibungseinleitung (Spalte 1, Absatz 1 der Streitpatentschrift) eine Hißvorrichtung für einen Fahnenmast.

Als nachteilig wird von der Beklagten angesehen, daß die aus der deutschen Patentschrift 740 003 bekannte Hißvorrichtung für einen Fahnenmast aufgrund ihrer Konstruktion zwar durch das Schlagen der Seilzüge gegen den Fahnenmast verursachte Geräusche weitgehend zu unterdrücken vermag, sich jedoch wegen der Kompliziertheit und mangelnden Handhabbarkeit der Konstruktion und der zu erwartenden Störanfälligkeit in der Praxis nicht durchsetzen konnte, zumal die als Feststellvorrichtung für die Fahne dienenden Rasten (Schlösser) in schwer erreichbarer Höhe in der Mitte oder oben am Fahnenmast angeordnet seien (Spalte 1, Absätze 2 und 3 der Streitpatentschrift). Die Fahne sei daher auch nicht in jeder gewünschten Position feststellbar (Schriftsatz vom 11. Dezember 2000, Seite 2, Absatz 3).

Dem Streitpatent liegt vor diesem Hintergrund das technische Problem zugrunde, eine Hißvorrichtung zu schaffen, die sich durch eine einfache technische Konstruktion auszeichnet und preiswert herzustellen ist und die sich leicht handhaben läßt, so daß eine ungelernte Person zum Bedienen der Hißvorrichtung völlig ausreicht und das Hissen in beliebiger Höhe, Einholen und Wechseln einer Fahne ohne zusätzliche Hilfsmittel möglich ist. Ferner soll die Hißvorrichtung wartungsfreundlich und geräuscharm sein, so daß sie die Umgebung auch bei starker Windeinwirkung nicht durch störende (zB klappernde) Geräusche belastet

(Spalte 2, Absatz 3 der Streitpatentschrift).

Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent im Patentanspruch 1 eine Hißvorrichtung für einen Fahnenmast mit folgenden Merkmalen vor:

1. Hißvorrichtung für einen Fahnenmast, bestehend aus 1.a. einer Führungsschiene (3), die 1.a.1. kanalartig ausgebildet ist, 1.a.2. oben offen ist, 1.a.3. mit dem Fahnenmast (1) fest verbunden ist, 1.a.4. sich in Längsrichtung über den Fahnenmast (1) von einem Ausgangspunkt (4) in einem Abstand über dem unteren Mastende bis zum oberen Mastende erstreckt, 1.b. einem Körper oder Schlitten (8), der 1.b.1. aus elastischem Material besteht, 1.b.2. am Ausgangspunkt (4) in die Führungsschiene (3) einführbarist, 1.b.3. in der Führungsschiene (3) verschiebbar ist, 1.b.4. sich über die gesamte Länge der Führungsschiene (3) oder, gerechnet vom Ausgangspunkt (4), über eine vorbestimmte Teillänge der Führungsschiene (3) erstreckt, 1.c. Mitteln (9) zur Befestigung einer Fahne (7), die 1.c.1. am oberen Ende des Körpers oder Schlittens (8) befestigtsind, 1.c.2. durch die Öffnung der Führungsschiene (3) hindurchgreifen 1.d. einer Feststellvorrichtung (10), 1.d.1. die am Ausgangspunkt (4) der Führungsschiene (3) angeordnet ist, 1.d.2. durch die der Körper oder Schlitten (8) mit der von ihm getragenen Fahne in einer gewünschten Position feststellbar ist.

Das Problem wird mit dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 gelöst (Spalte 2, vorletzter Absatz bis Spalte 3, Absatz 3 der Streitpatentschrift).

Zum Hissen wird die Fahne (7) zunächst an am oberen Ende des Körpers oder Schlittens (8) angebrachten Fahnen-Befestigungsmitteln (9) befestigt (Merkmale 1.c. und 1.c.1. iVm Spalte 3, Zeilen 21 bis 25 zur Fig 1). Danach wird der Körper oder Schlitten (8) in das untere offene Ende (Ausgangspunkt 4) der Führungsschiene (3) eingeführt (Merkmale 1.a. bis 1.a.4. sowie 1.b. und 1.b.2. iVm Spalte 3, Zeilen 26 bis 30 zur Fig 1). Der in der Führungsschiene (3) verschiebbare elastische Körper oder Schlitten (8) wird in der Führungsschiene (3) hochgeschoben, bis er sich über die gesamte Länge der Führungsschiene (3) oder -gemessen vom Ausgangspunkt (4) -über eine vorbestimmteTeillänge der Führungsschiene (3) erstreckt (Merkmale 1.b. bis 1.b.4. iVm Spalte 3, Zeilen 30 bis 40). Sobald die Fahne (7) die gewünschte Position erreicht hat, wird der Körper oder Schlitten (8) in der Führungsschiene (3) mittels der am Ausgangspunkt (4) der Führungsschiene (3) angeordneten Feststellvorrichtung (10) festgestellt (Merkmale 1.d. bis 1.d.2. iVm Spalte 3, Zeilen 41 bis 49 zur Fig 1).

II.

Der von der Klägerin (Klage-Schriftsatz vom 25. Mai 2000, Seite 5, Absätze 4 bis 6) geltend gemachte Nichtigkeitsgrund gemäß § 22 Absatz 1 iVm § 21 Absatz 1 Nr 2 PatG liegt nicht vor, denn das Streitpatent offenbart die Erfindung so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann sie ausführen kann.

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist bei der Auslegung eines Patents nicht am Wortlaut zu haften, sondern auf den technischen Gesamtzusammenhang abzustellen, den der Inhalt der Patentschrift - unter Berücksichtigung der in ihr objektiv offenbarten Lösung -dem Fachmann vermittelt. Nicht die sprachliche oder logischwissenschaftliche Bestimmung der in der Patentschrift verwendeten Begriffe ist entscheidend, sondern das Verständnis des unbefangenen Fachmanns. Denn Patentschriften stellen im Hinblick auf die dort gebrauchten Begriffe gleichsam ihr eigenes Lexikon dar. Weichen diese vom allgemeinen (technischen) Sprachgebrauch ab, ist letztlich nur der sich aus der Patentschrift ergebende Begriffsinhalt maßgebend (vgl. hierzu BGH Mitt 1999, 304, Leitsätze 1 und 2 "Spannschraube"; BGH, Urteil vom 7. November 2000 - X ZR 145/98 -, Leitsatz sowie Umdruckseite 9 - "Brieflocher").

Im vorliegenden Fall entnimmt der unbefangene Fachmann dem Gesamtzusammenhang der in der Streitpatentschrift offenbarten Lehre, daß das Merkmal 1.a.2. des Patentanspruchs 1 des Streitpatents, wonach die Führungsschiene (3) oben offen ist, nicht wörtlich zu nehmen ist. Dies ergibt sich schon daraus, daß ausweislich der zur Erläuterung des Patentanspruchs 1 heranzuziehenden Beschreibung (BGH GRUR 1986, 803, 805 liSp Abs 2 - "Formstein"), in der die Führungsschiene (3) ebenfalls als oben offen bezeichnet ist (Spalte 4, Zeilen 64 und 65 zur Fig 2 bzw Spalte 5, Zeilen 30 und 31 zur Fig 3), die als Ösen (12) ausgebildeten gemäß den Merkmalen 1.c. und 1.c.2. des Patentanspruchs 1 durch die Öffnung der Führungsschiene (3) hindurchgreifenden - Mittel (9) zur Befestigung einer Fahne (7) durch eine seitliche Öffnung der Führungsschiene (3) hindurchgreifen. Daß sich das Merkmal "oben offen" nicht auf das obere Ende, sondern auf die Seitenwand der Führungsschiene (3) bezieht, folgt zudem eindeutig aus der Angabe, wonach ein Teil der Wandung im Inneren des Hohlmastes (11) gleichzeitig als Boden der Führungsschiene (3) dient und der obere Teil der oben offenen Führungsschiene (3) gleichzeitig als Teil der Außenwand des Hohlmastes (11) ausgebildet ist (Spalte 5, Zeilen 21 bis 32 zur Fig 3). Hierfür spricht auch, daß das obere Ende der Führungsschiene (3) durch eine als Anschlag für den Körper oder Schlitten (8) dienende Abdeckplatte (20) verschlossen sein kann, d.h. dann nicht offen ist (Spalte 6, Zeilen 24 bis 27 zur Fig 6 der Streitpatentschrift). Nach alledem lehren die Merkmale 1. bis 1.a.2. des Patentanspruchs 1 im technischen Gesamtzusammenhang des Streitpatents eindeutig, daß die Führungsschiene (3) als in Längsrichtung offener Kanal auszubilden ist, um - entsprechend der objektiv offenbarten Lösung -beim Hissen der Fahne (7) ein Verschieben der Ösen (12) in Längsrichtung der Führungsschiene (3) zu ermöglichen.

Nicht wörtlich zu nehmen ist zudem auch das Merkmal 1.c.1. des Patentanspruchs 1 des Streitpatents, wonach die Mittel (9) zur Befestigung einer Fahne (7) am oberen Ende des Körpers oder Schlittens (8) zu befestigen sind. Gemäß der Fig 1 und der dazugehörigen Beschreibung (Spalte 4, Zeilen 38 bis 43 der Streitpatentschrift) sind die Fahnen-Befestigungs-Mittel (9) nämlich am oberen Ende des Körpers oder Schlittens (8) in einem Abstand voneinander angebracht. Mithin lehrt das Merkmal 1.c.1. des Patentanspruchs 1 im technischen Gesamtzusammenhang des Streitpatents, daß die Mittel (9) zur Befestigung einer Fahne (7) am oberen Endbereich des Körpers oder Schlittens (8) im Abstand voneinander anzuordnen sind (vgl hierzu auch Spalte 3, Zeilen 21 bis 25 der Streitpatentschrift).

Auch ist das Merkmal 1.d.2. des Patentanspruchs 1 nicht etwa dahingehend auszulegen, daß der Körper oder Schlitten (8) mit der von ihm getragenen Fahne nur in einer einzigen gewünschten Position feststellbar ist. Ein Ziel der Erfindung besteht vielmehr darin, eine Hißvorrichtung zu schaffen, die ein Hissen der Fahne in beliebiger Höhe -dh in jeder gewünschten Position -ermöglicht (Spalte 2, Zeilen 32 bis 34 der Streitpatentschrift), wobei dieses Ziel mit den Merkmalen 1.b. bis 1.d.2. des Patentanspruchs 1 realisiert wird (Spalte 2, Zeilen 55 bis 59, Spalte 3, Zeilen 9 bis 13 und 41 bis 58, Spalte 4, vorletzter Absatz und Spalte 6, Absatz 2 der Streitpatentschrift).

III.

Der Gegenstand des im Sinne des vorstehenden Abschnitts II. auszulegenden Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist gegenüber dem von der Klägerin entgegengehaltenen Stand der Technik patentfähig.

a) Die deutsche Patentschrift 740 003 betrifft eine Fahnenund Flaggenhißvorrichtung, die -insoweit entsprechend den wohlverstandenen Merkmalen 1.a. bis 1.a.4. des Patentanspruchs 1 des Streitpatents -unbestreitbar eine kanalartige, in Längsrichtung geschlitzte Führungsschiene aufweist (Rohr b mit Schlitz e), die mit dem Fahnenmast (f) fest verbunden ist und sich in Längsrichtung über den Fahnenmast (f) von einem Ausgangspunkt in einem Abstand über dem unteren Mastende bis zum oberen Mastende erstreckt (vgl den Anspruch 1 iVm den Figuren 1 bis 4 nebst der dazugehörigen Beschreibung).

Auch ist hier -insoweit entsprechend den Merkmalen 1.b., 1.b.2. und 1.b.3. des Patentanspruchs 1 des Streitpatents -ein Körper oder Schlitten (Führungsstück d2) vorhanden, der am Ausgangspunkt in die Führungsschiene (b) einführbar und in der Führungsschiene (b) verschiebbar ist (Anspruch 1 iVm Seite 2, Zeilen 12 bis 24 zu den Figuren 1 bis 4).

Ferner sind -insoweit entsprechend den Merkmalen 1.c. bis 1.c.2. des Patentanspruchs 1 des Streitpatents -Mittel (Lappen d) zur Befestigung einer Fahne vorgesehen, die am Körper oder Schlitten (d2) befestigt sind und durch die Öffnung (e) der Führungsschiene (b) hindurchgreifen (Anspruch 1 iVm Seite 2, Zeilen 12 bis 24 zu den Figuren 1, 3 und 4).

Schließlich ist -entsprechend dem Merkmal 1.d. des Patentanspruchs 1 des Streitpatents -auch eine Feststellvorrichtung (Rast bzw Schloß a mit Bajonettschlitz a1) für den Körper oder Schlitten (d2) vorhanden (Ansprüche 1 und 6 iVm den Figuren 2 bis 4 mit der dazugehörigen Beschreibung).

Die Neuheit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 des Streitpatents gegenüber der Flaggenund Fahnenhißvorrichtung nach der deutschen Patentschrift 740 003 ergibt sich schon daraus, daß in letzterer jeglicher Hinweis darauf fehlt, daß der Körper oder Schlitten (d2) -entsprechend dem Merkmal 1.b.1. des Patentanspruchs 1 des Streitpatents -aus elastischem Material bestehen könnte.

Auch erstreckt sich der Körper oder Schlitten (d2) bei gehißter Fahne -im Unterschied zum Merkmal 1.b.4. des Patentanspruchs 1 des Streitpatents -nicht über die gesamte Länge der Führungsschiene (b) oder über eine vorbestimmte Länge der Führungsschiene (b) gerechnet von deren unterem Ausgangspunkt (vgl die Ansprüche 1 und 6 iVm den Figuren 1 und 3). Dazu ist zu bemerken, daß das Seil (c) hier insofern kein Bestandteil des Körpers oder Schlittens (d2) ist, als es leicht lösbar in das Führungsstück (d2) eingreift (Anspruch 3 iVm Seite 1, Zeilen 35 bis 36), um nach dem Hochschieben des Körpers oder Schlittens (d2) und dessen Verrasten in der Feststellvorrichtung (a) aus dem Rohr (b) herausgezogen und für andere Masten verwendet werden zu können (Seite 2, Zeilen 24 bis 26), dh erst zum Niederholen der Fahne wieder in das Rohr (b) eingeführt zu werden (Seite 2, Zeilen 26 bis 31).

Ferner fehlen die Merkmale 1.d.1. und 1.d.2 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents. Die Fahne kann nur in bestimmten Positionen gehißt werden, denn die Feststellvorrichtung besteht aus einem im oberen Teil des Schlitzes (e) der Führungsschiene (b) in Höhe der gewünschten Fahnen-Hiß-Position ausgebildeten Schloß (a) mit einem Bajonettschlitz (a1), in den die am Körper oder Schlitten (d2) befestigten Mittel (d) zum Befestigen einer Fahne einrasten (Ansprüche 1 und 6 iVm den Figuren 1 bis 4 nebst der dazugehörigen Beschreibung). Soweit hier ein Schloß (a) auch am Ausgangspunkt der Führungsschiene (b) angeordnet ist (Seite 2, Zeilen 12 bis 24 zur Fig 1), dient dieses jedenfalls nicht als Feststellvorrichtung für den Körper oder Schlitten (d2), denn nach dem umfassenden Offenbarungsgehalt des Anspruchs 1 sind die Rasten für den Lappen (d) des Körpers oder Schlittens (d2) nur im oberen Teil des Schlitzes (e) der Führungsschiene (b) ausgebildet.

Im Unterschied hierzu ist der Körper oder Schlitten (8) mit der von ihm getragenen Fahne gemäß dem Patentanspruch 1 des Streitpatents in jeder gewünschten Position feststellbar (Merkmal 1.d.2.). Erreicht wird dies letztlich durch ein synergistisches Zusammenwirken der Merkmale 1.b.4. und 1.d.1., denn der die Fahne tragende Körper oder Schlitten (8) (Merkmale 1.c. und 1.c.1.) erstreckt sich bei gehißter Fahne jeweils vom Ausgangspunkt (4) über eine entsprechende Teillänge der Führungsschiene (3) (Merkmal 1.b.4.) und ist daher mittels der am Ausgangspunkt (4) der Führungsschiene (3) angeordneten Feststellvorrichtung (10) (Merkmal 1.d.1.) in jeder beliebigen gewünschten Fahnen-Hiß-Position feststellbar (Merkmal 1.d.2.).

Die Neuheit des Gegenstands des Patentanspruchs 1 des Streitpatents gegenüber dem Stand der Technik nach der einen Fahnenmast mit außenliegender Hißvorrichtung betreffenden deutschen Offenlegungsschrift 39 39 707 ergibt sich implizit aus den nachfolgenden Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit.

b) Die Hißvorrichtung für einen Fahnenmast nach dem Patentanspruch 1 des Streitpatents beruht gegenüber dem von der Klägerin entgegengehaltenen Stand der Technik auch auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Durchschnittsfachmanns, der hier als ein mit der Entwicklung und Herstellung von Fahnenmast-Hißvorrichtungen befaßter, berufserfahrener Maschinenbau-Techniker oder Maschinenbau-Ingenieur mit Fachhochschulabschluß zu definieren ist.

Die deutsche Patentschrift 740 003 führt den Fachmann insofern vom Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents weg, als sie -wie dargelegt -als Feststellvorrichtung für den Körper oder Schlitten (d2) ein in Höhe der gewünschten Fahnen-Hiß-Position anzuordnendes Schloß (a) und zum Hochschieben des Körpers oder Schlittens (d2) in der Führungsschiene (b) ein von diesem leicht lösbares Seil (c) vorschlägt, das nach dem Einrasten des Körpers oder Schlittens (d2) in dem Schloß (a) aus der Führungsschiene (3) herausziehbar ist.

Soweit die Klägerin (Schriftsatz vom 28. August 2000, Seite 3, letzter Absatz bis Seite 7, Absatz 1) die Auffassung vertritt, es sei für den Fachmann naheliegend, bei der Fahnen-Hißvorrichtung nach der deutschen Patentschrift 740 003 (Fig 1) das Schloß (a) am Ausgangspunkt der Führungsschiene (b) als Feststellvorrichtung für den Körper oder Schlitten (d2) zu nutzen und hierzu am unteren Ende des Seils (c) einen weiteren Lappen (d) anzubringen, der bei der gewünschten HißPosition der Fahne in dem Schloß (a) am Ausgangspunkt der Führungsschiene (b) einrastet, beruht dies ersichtlich auf einer unzulässigen expost-Betrachtung in Kenntnis der Erfindung.

Denn in der deutschen Patentschrift 740 003 findet sich - wie dargelegt -kein Hinweis darauf, daß es von Vorteil sein könnte, das Schloß (a) am Ausgangspunkt der Führungsschiene (b) als Feststellvorrichtung für den Körper oder Schlitten (d2) zu verwenden. Zudem hat der Fachmann aufgrund des Offenbarungsgehalts dieser Entgegenhaltung - wie dargelegt - auch keinerlei Veranlassung, das Seil (c) nach dem Hochschieben der Fahne bis in die gewünschte Hiß-Position in der Führungsschiene (b) zu belassen. Insbesondere kann der Fachmann durch diese Entgegenhaltung jedoch keine Anregung dazu erhalten, am unteren Ende des Seils (c) einen Lappen (d) zum Einrasten in dem Schloß (a) am Ausgangspunkt der Führungsschiene (b) anzubringen.

Auch würden die Überlegungen der Klägerin insofern nicht zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents führen, als der Körper oder Schlitten (d2) mit der von ihm getragenen Fahne durch ein Schloß (a) am Ausgangspunkt der Führungsschiene (b) und durch einen Lappen (d) am unteren Ende des Seils (c) lediglich in einer einzigen Position feststellbar wäre.

Gegen die von der Klägerin vertretene Auffassung, der Fachmann habe zu der beanspruchten Lösung ohne erfinderische Tätigkeit finden können, spricht zudem, daß die Fachwelt in der langen Zeitspanne zwischen der Bekanntmachung der deutschen Patentschrift 740 003 (26. August 1943) und dem Anmeldetag des Streitpatents (18. Dezember 1991), in der ein erhebliches Bedürfnis nach der Lösung des dem Streitpatentgegenstand zugrundeliegenden technischen Problems bestand, in eine andere Richtung gegangen ist, dh auf die Lösung gemäß dem Patentanspruch 1 des Streitpatents nicht gekommen ist (vgl hierzu die Seilzuglösungen gemäß den in der Streitpatentschrift zum Stand der Technik genannten deutschen Patentschriften 30 10 029 und 24 57 945 bzw die deutsche Offenlegungsschrift 39 39 707 und (BGH GRUR 1982, 289, 290 reSp Abs 1

-"Massenausgleich"; BGH GRUR 1959, 22, 24 reSp Ab 4 - "Einkochdose"). Die Klägerin versucht dies zwar damit zu erklären, daß die deutsche Patentschrift 740 003 aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg stamme, in der witterungsbeständige Kunststoffe für das Seil praktisch noch nicht bekannt bzw extrem teuer gewesen seien (vgl. den Schriftsatz vom 28. August 2000, Seite 5, Absätze 3 und 4). Dem kann jedoch insofern nicht beigetreten werden, als witterungsbeständige Kunststoffseile bereits Jahrzehnte vor dem Anmeldetag des Streitpatents verfügbar waren und korrosionsbeständige verzinkte Stahlseile zudem bereits vor dem 2. Weltkrieg verwendet wurden (vgl hierzu auch den Schriftsatz des Beklagten vom 1. November 2000, Seite 5, Absatz 1).

Die einen Fahnenmast mit außenliegender Hißvorrichtung betreffende deutsche Offenlegungsschrift 39 39 707 offenbart - im Unterschied zum Gegenstand des Streitpatents - eine Seilzuglösung mit zwei über eine Umlenkrolle laufenden Seilsträngen; sie ist von der Klägerin lediglich dem Patentanspruch 8 des Streitpatents entgegengehalten worden, weil daraus eine Diebstahlssicherung bekannt ist (vgl den Klage-Schriftsatz vom 25. Mai 2000, Seite 5, Absatz 2). Eine Anregung zu den Merkmalen 1.b.4. und 1.d.2. des Patentanspruchs 1 des Streitpatents, die -wie dargelegt -erst ein stufenloses Hissen der schlittengeführten Fahne im Sinne des wohlverstandenen Merkmals 1.d.2. ermöglichen, kann der Fachmann auch bei Einbeziehung dieser Entgegenhaltung nicht erhalten.

Der Patentanspruch 1 des Streitpatents ist daher rechtsbeständig.

IV.

Die Unteransprüche 2 bis 9 des Streitpatents betreffen vorteilhafte und nicht selbstverständliche Ausführungsformen der Hißvorrichtung für einen Fahnenmast nach dem Patentanspruch 1 und sind mit diesem rechtsbeständig.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.

Kurbel Dr. Meinel Dr. Gottschalk Gutermuth Lokyszugleich für den in Ruhestand getretenen Vorsitzenden Richter Kurbel Ja






BPatG:
Urteil v. 08.02.2001
Az: 2 Ni 22/00


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/abf319624d1d/BPatG_Urteil_vom_8-Februar-2001_Az_2-Ni-22-00




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