Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 31. März 2003
Aktenzeichen: NotZ 31/02

(BGH: Beschluss v. 31.03.2003, Az.: NotZ 31/02)

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Senats für Notarsachen des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 8. August 2002 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und die dem Antragsgegner im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 10.000 festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist Rechtsanwalt und Notar. Er ersuchte den Antragsgegner am 5. Dezember 2001, Rechtsanwältin M. für die Zeit vom 2.

bis 4. September 2002 zu seiner Vertreterin im Amt als Notar zu bestellen. Wegen der anwaltlichen Wahrnehmung eines auswärtigen Gerichtstermins am 3.

September 2002 sei er verhindert, sein Amt als Notar auszuüben.

Der Antragsgegner wies den Antrag mit Verfügung vom 8. Mai 2002 zurück; er begründete das damit, daß die Anwaltstätigkeit eines Rechtsanwalts und Notars kein die Bestellung eines Notarvertreters rechtfertigender Verhinderungsfall sei. Der Antragsteller hat daraufhin beantragt, im Wege gerichtlicher Entscheidung die Verfügung des Antragsgegners vom 8. Mai 2002 aufzuheben und diesen zu verpflichten, die Notarvertreterin antragsgemäß zu bestellen. Das Oberlandesgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers. Er begehrt -weil die in Aussicht genommene Vertretungszeit inzwischen verstrichen ist -festzustellen, daß die Entscheidung des Antragsgegners vom 8. Mai 2002, die Bestellung einer Notarvertreterin für die Zeit vom 2. bis 4. September 2002 abzulehnen, rechtswidrig war. Hilfsweise erklärt er das Verfahren in der Hauptsache für erledigt. Der Antragsgegner beantragt mit der Beschwerdeerwiderung festzustellen, daß seine Verfügung vom 8. Mai 2002 rechtmäßig war, hilfsweise die sofortige Beschwerde zurückzuweisen; äußerst hilfsweise schließt er sich der Erledigungserklärung des Antragstellers an.

II.

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet.

1.

Der Feststellungsantrag des Antragstellers ist im Verfahren nach § 111 BNotO als Fortsetzungsfeststellungsantrag entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig (vgl. Senatsbeschluß vom 9. Januar 1995 -NotZ 6/93 NJW-RR 1995, 1081, 1082 und vom 31. Juli 2000 -NotZ 12/00 -ZNotP 2000, 398, 399). Denn der Antragsteller wäre sonst in seinen Rechten beeinträchtigt, und die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG könnte andernfalls leerlaufen. Durch die begehrte Feststellung wird eine Rechtsfrage geklärt, die sich dem Antragsgegner bei künftigen Anträgen des Antragstellers auf Bestellung eines Notarvertreters stellen wird. Der Antragsteller erwartet solche Kollisionsfälle auch in Zukunft. Wegen Zeitablaufs wird es dann wahrscheinlich wiederum nicht zu einer abschließenden gerichtlichen Entscheidung kommen.

2.

Der Antrag ist unbegründet. Der Bescheid des Antragsgegners vom 8. Mai 2002 war nicht ermessensfehlerhaft und damit nicht rechtswidrig.

a) Die Aufsichtsbehörde entscheidet über den Antrag des Notars, ihm für die Zeit seiner Abwesenheit oder Verhinderung einen Vertreter zu bestellen, nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 39 Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. und Abs. 3 BNotO); der Notar hat keinen Anspruch auf die Bestellung eines Vertreters. Die Aufsichtsbehörde hat -außer einem Auswahlermessen hinsichtlich der Person des Vertreters -ein Entschließungsermessen, ob wegen der Verhinderung eines Notars überhaupt und in welchem Umfang eine Vertretung geboten ist (vgl.

Senatsbeschlüsse vom 9. Januar 1995 aaO, vom 31. Juli 2000 aaO und vom 2. Dezember 2002 -NotZ 11/02 -Umdruck S. 4 f).

Richtschnur für die Ausübung des Ermessens sind die Erfordernisse einer geordneten vorsorgenden Rechtspflege (vgl. §§ 1; 4 Satz 1 BNotO; Senatsbeschluß vom 10. März 1997 -NotZ 39/96 -DNotZ 1997, 827, 828); sie kann durch den Ausfall eines Notars für die Ausübung seines Amtes im Ganzen gestört sein. Insbesondere muß der Grundsatz gewahrt bleiben, daß der Notar als Träger eines öffentlichen Amtes dieses Amt, jedenfalls in dessen Kernbereich, der Beurkundungstätigkeit, persönlich ausübt (Senatsbeschluß vom 10. März 1997 aaO). Daneben ist das Interesse des Notars an der Bestellung eines Vertreters zu beachten. Die Notarvertretung hat aber jedenfalls nicht in erster Linie den Zweck, die Praxis des Notars vor einem Rückgang zu schützen. Dem Notar wird weder die volle Ausnutzung seiner Leistungsfähigkeit zugesichert (vgl. BGHZ 73, 54, 61), noch Schutz vor wirtschaftlichen Einbußen während eines Ausfalls seiner Amtstätigkeit gewährt (vgl. BGHZ 67, 296, 298 und Senatsbeschluß vom 9. Januar 1995 aaO 1082 f).

Zur Wahrung einer geordneten vorsorgenden Rechtspflege müssen so viele Notare zur Verfügung stehen, daß eine angemessene Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Leistungen gewährleistet ist (vgl. § 4 Satz 2 BNotO). Das bedeutet aber nicht, daß die Justizverwaltung dafür zu sorgen hätte, daß die Rechtsuchenden alle Dienste eines bestimmten Notars jederzeit in Anspruch nehmen können. Sie muß einem Notar nicht bei jeder Verhinderung die Aufrechterhaltung seiner Geschäftsund Beurkundungstätigkeit ermöglichen, wenngleich es wünschenswert ist, daß der Amtsbetrieb keine Unterbrechung erleidet (Senatsbeschlüsse vom 9. Januar 1995 aaO 1082 und vom 10. März 1997 aaO 830). Die Aufsichtsbehörde kann bei ihrer Entscheidung davon ausgehen, daß es einer geordneten Rechtspflege regelmäßig nicht zuwiderläuft, wenn ein Notariat bei zeitweiliger Verhinderung des Notars den Rechtsuchenden nicht uneingeschränkt zu Gebote steht, solange ihren Belangen in angemessener Weise und Zeit entsprochen ist (vgl. Senatsbeschluß vom 9. Januar 1995 aaO und BGH, Urteil vom 4. Oktober 1956 -III ZR 41/55 -DNotZ 1958, 33). Daher muß ein Notar, dem ein ständiger Vertreter (§ 39 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. BNotO) bestellt ist, diesem nicht das Amt übergeben (Senatsbeschluß vom 9. Januar 1995 aaO; Schippel/Vetter, BNotO 7. Aufl. 2000 § 38 Rn. 11). Er muß die bis zu einer Woche dauernde Verhinderung nicht anzeigen (§ 38 Satz 1 BNotO). Selbst bei längerer und genehmigungspflichtiger Abwesenheit vom Amtssitz (§ 38 Satz 2 BNotO) ist -von seiten der Aufsichtsbehörde -regelmäßig nichts zu veranlassen (Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO 5. Aufl. 2003 § 38 Rn. 10 a.E.). Den Belangen einer geordneten Rechtspflege kann entsprochen sein, wenn bei der Verhinderung nicht die Geschäftsstellenund Beurkundungstätigkeit, sondern nur die Verwaltung des Urkundenbestandes aufrechterhalten wird; auch diese kann auf Dringlichkeitsmaßnahmen beschränkt sein, die das Amtsgericht veranlaßt (vgl. § 45 Abs. 1 und 3 BNotO; Senatsbeschluß vom 9. Januar 1995 aaO).

b) Gemessen an diesen Grundsätzen kann im Streitfall nicht die Rede davon sein, daß die Bestellung eines Notarvertreters im öffentlichen Interesse geboten (im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null) gewesen wäre. Es ist nicht ersichtlich, daß durch die dreitägige Amtsabwesenheit des Antragstellers das öffentliche Interesse an einer jederzeit verfügbaren vorsorgenden Rechtspflege durch Notare hätte beeinträchtigt werden können. Der Antragsteller konnte seine Amtstätigkeit zumindest in wesentlichen Teilen auf die kurzzeitige Amtsabwesenheit einstellen; denn der Gerichtstermin war geraume Zeit imvoraus bekannt. In eilbedürftigen Sachen standen den Rechtsuchenden jedenfalls andere Urkundspersonen zur Verfügung.

c) Das Interesse des antragstellenden Notars an der Bestellung eines Vertreters hatte nicht solches Gewicht, daß die Entscheidung des Antragsgegners nur dann ermessensfehlerfrei war, wenn er den Notarvertreter antragsgemäß bestellte. Das gilt auch unter Berücksichtigung dessen, daß der Antragsteller Rechtsanwalt und Notar war und die Verhinderung an der notariellen Amtsausübung ihren Grund in der Wahrnehmung anwaltlicher Pflichten hatte. Eine solche Verhinderung des Anwaltsnotars weist Besonderheiten auf, die es rechtfertigen können, sie anders zu behandeln als eine Verhinderung des Notars wegen Urlaubs oder Tätigkeit in Standesoder Prüfungsangelegenheiten; in diesen Fällen bestellt der Antragsgegner regelmäßig antragsgemäß einen Notarvertreter.

Die Bundesnotarordnung läßt unterschiedliche Ausgestaltungen des Notarberufs zu. Nach § 3 BNotO stehen das Nur-Notariat und das Anwaltsnotariat als gleichberechtigte Notariatsformen nebeneinander (BVerfG NJW 1998, 2269, 2272). Dementsprechend muß bei der Beurteilung des beruflichen Verhaltens jeweils der Eigenart der von der Bundesnotarordnung zugelassenen Notariatsgestaltung Rechnung getragen werden. Der Anwaltsnotar bestreitet regelmäßig sein Einkommen nicht allein aus dem Notariat; er vereint als Person beide Berufe auf sich und wird auch in seinem beruflichen Umfeld nur als eine Person wahrgenommen (BVerfG NJW 1997, 2510, 2511). An die Verfügbarkeit notarieller Leistungen dürfen bei Anwaltsnotaren keine zu strengen Anforderungen gestellt werden, da vornehmlich ihr Hauptberuf als Rechtsanwalt einer kontinuierlichen Anwesenheit am Amtssitz entgegensteht (BVerfG DNotZ 2000, 787, 791).

Der Rechtsanwalt, der das Amt des Notars im Nebenberuf ausübt (§ 3 Abs. 2 BNotO), bestimmt grundsätzlich in eigener Verantwortung (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG), in welchem Umfang er seine Arbeitskraft nicht für die anwaltliche Tätigkeit, sondern für die Amtstätigkeit als Notar einsetzt. Als unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) erfüllt er seine anwaltlichen Aufgaben unter anderem durch die Wahrnehmung von Gerichtsterminen am Ort oder auswärts. Die damit verbundene Einschränkung der notariellen Amtsausübung ist in der Einrichtung des Anwaltsnotariats angelegt. Die Aufsichtsbehörde hat sie, solange die Belange einer geordneten Rechtspflege nicht berührt sind, hinzunehmen. Der Rechtsanwalt und Notar hat grundsätzlich frei zu bestimmen, wie weit er der notariellen Amtsausübung neben seinem anwaltlichen Wirken -und gegebenenfalls weiteren ausgeübten Berufen (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 2 BNotO) -Raum gibt. Es ist seine Sache, die anwaltliche Tätigkeit so einzurichten, daß er das Amt des Notars im Nebenberuf (§ 3 Abs. 2 BNotO) ausüben kann. Dazu gehört die Koordination von Terminen. Dem Rechtsanwalt und Notar steht es zu, seine forensische Tätigkeit -z.B. durch die Wahl des Arbeitsgebiets und der Mandate, durch den Einsatz anwaltlicher Vertreter -so zu gestalten, daß er sein Amt als Notar wahrnehmen kann. Dem entspricht es andererseits, daß die Aufsichtsbehörde nicht im Sinne einer Ermessensbindung verpflichtet ist, gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 BNotO einen Notarvertreter zu bestellen, wenn der Rechtsanwalt und Notar infolge seiner anwaltlichen Tätigkeit verhindert ist, das Amt des Notars im Nebenberuf auszuüben (vgl. Wilke in Eylmann/Vaasen, BNotO/BeurkG 2000 § 39 BNotO Rn. 4). Es obliegt dem Rechtsanwalt und Notar grundsätzlich selbst, individuell den Ausgleich zwischen der anwaltlichen Tätigkeit und den Pflichten aus dem Amt des Notars zu finden.

Damit erweist sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers -auch bezüglich des Hilfsantrags, die Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache festzustellen -als unbegründet.

Rinne Tropf Galke Doye Ebner






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Beschluss v. 31.03.2003
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