Bundespatentgericht:
Urteil vom 1. Februar 2005
Aktenzeichen: 3 Ni 14/03

(BPatG: Urteil v. 01.02.2005, Az.: 3 Ni 14/03)

Tenor

Das europäische Patent 0 712 496 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 11. Juli 1994 unter Inanspruchnahme der schwedischen Priorität SE 9302573 vom 6. August 1993 angemeldeten, mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 0 712 496 B1 (Streitpatent), das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 694 23 894 geführt wird. Das in der Verfahrenssprache Englisch erteilte Streitpatent mit der Bezeichnung "Quantitation of Carbohydrate Deficient Transferrin in High Alcohol Consumption by HPLC" betrifft gemäß Patentanspruch 1 in der deutschen Übersetzung der erteilten Fassung ein 1. Verfahren zur Trennung und Quantifizierung von CD-Transferrin in Blutserum, dadurch gekennzeichnet, dass das Blutserum mit Eisen gesättigt wird und das Isoforme von Transferrin von anderen Serumproteinen in einer Ionenaustauschsäule unter Verwendung eines Salzgradienten abgetrennt werden, ein Chromatogramm mit Hilfe von Hochleistungsflüssigkeits-Chromatographie (HPLC) entwickelt wird, wobei das Chromatogramm die Beziehung zwischen Isoformen von Transferrin mit verschiedenen IP-Werten zeigt und dadurch, dass die Abtrennung in einer Pufferlösung stattfindet, die einen pH-Wert von 6,0 bis 6,4 aufweist.

Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 10 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerin macht geltend, das Streitpatent sei nicht patentfähig, weil der Gegenstand des Patents nicht neu sei, weil dem Anspruchsgegenstand die in Anspruch genommene schwedische Priorität nicht zukomme, und das Patent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Sie bezieht sich zur Begründung ua auf folgende Dokumente:

D1 Jeppson et al., Clin.Chem. 39/Heft 10 (1993) 2115-2120 D2 Stibler et al., Clin.Exp.Res. 10 (1986) 535-544 D3 Putnam & Takahashi, J. Chromatogr. 443 (1988) 267-284 D4 Strahler et al., J. Chromatogr. 266 (1983) 281-291 D5 Noel et al., Biotech.Appl.Biochem. 8 (1986) 210-216 D6 Godovac-Zimmermann, J.Biol.Chem. Hoppe-Seyler 369 (1988) 93-96 D7 Kilar & Hjerten, Electrophoresis 10 (1989) 23-29, nur als Abstract D8 Shen et al., Prot.Sci. 1 (1992) 1477-1484, nur als Abstract D9 WO 91/19983 A1 D10 FPLC Ion Exchange and Chromatofocusing, principles & methods, Handbuch der Fa. Pharmacia, Uppsala, Schweden, 1985, S 5, 9, 122, 123, 158-165 D11 4 L O 429/02 Urteil Landgericht Düsseldorf v. 2. Dezember 2003 D12 DIN 19 268, Februar 1985 D13 Jeppson, J. O. : "Isolation and partial characterization of three human transferrin variants", Biochim. Biophys. Acta 140 (1967) 468-476.

Der Senat führt in der mündlichen Verhandlung die bereits in der Streitpatentschrift genannte und auch im parallelen Verletzungsverfahren vor dem LG Düsseldorf (vgl D11 S 12 le Satz bis S 13 Abs 1) erörterte Druckschrift WO 85/03578 A1 in das Verfahren ein.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 712 496 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen;

hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent mit den Patentansprüchen gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 3, überreicht in der mündlichen Verhandlung, und beantragt insoweit Klageabweisung.

Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent in dem verteidigten Umfang für patentfähig.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als begründet.

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund führt zur Nichtigkeit des Streitpatents mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland (Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Abs 1 lit a), Art 52, 54, 56 EPÜ.

I 1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Trennung und Quantifizierung von an Kohlenhydraten verarmten Transferrinen (CDT), um daraus Rückschlüsse auf den Alkoholkonsum einer Person zu ziehen (vgl EP 0 712 496 B1 Sp 1 Z 3 bis 6). Als druckschriftlicher Stand der Technik wird darin die WO 85/03578 A1 zitiert, welche die Bestimmung des Alkoholkonsums bei einer Person durch Quantifizieren von Isotransferrin-Kombinationen in der Körperflüssigkeit der Person betreffe und verschiedene Methoden zum Trennen und Quantifizieren der relevanten Isotransferrine offenbare. Eine davon sei die Ionenaustausch-Chromatographie bei konstanter Ionenstärke und bei konstantem pH-Wert (isokrate Bedingungen). Eine weitere Methode sei FPLC mit einem linearen pH-Gradienten nach dem Reinigen von Transferrin (vgl EP 0 712 496 B1 Sp 1 Z 34 bis 42).

2. Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, eine HPLC-Methode zur Identifizierung von Personen mit hohem Risiko zur Alkoholabhängigkeit sowie zur Identifizierung von hohem Alkoholkonsum in bestimmten Bevölkerungsgruppen bereitzustellen, die routinemäßig einsetzbar ist, klinischen Standards genügt und dabei die Konzentration von an Kohlenhydrat verarmtem Transferrin als geeignetem biochemischem Marker bei hohem Alkoholkonsum spezifisch bestimmt (vgl EP 0 712 496 B1 Sp 2 Z 5 bis 15).

3. Zur Lösung beschreibt Patentanspruch 1 ein 1. Verfahren zur Trennung und Quantifizierung von CD-Transferrin in Blutserum 2. das Blutserum wird mit Eisen gesättigt 3. Isoformen des Transferrins werden von anderen Serumproteinen abgetrennt 3.1. in einer Ionenaustauschsäule 3.2. durch HPLC 3.3. unter Verwendung eines Salzgradienten 3.4. in einer gepufferten Lösung eines pH-Werts von 6,0 bis 6,4 4. das dabei entwickelte Chromatogramm zeigt die Beziehung zwischen Isoformen von Transferrin mit verschiedenen pI-Werten.

II Der Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 10 in der erteilten Fassung gemäß Hauptantrag sowie der Gegenstand in der Fassung der Patentansprüche gemäß Hilfsanträgen 1 bis 3 erweist sich als nicht patentfähig, da er gegenüber dem Inhalt der WO 85/03578 A1 (D14) in Verbindung mit dem Inhalt der Druckschriften D7 und D13 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

1. Der Senat erachtet den Inhalt der Druckschrift D 14 als dem Gegenstand des Streitpatents nächstkommenden und damit bei der Beurteilung der Patentfähigkeit zu berücksichtigenden Stand der Technik.

Der Senat hat es für erforderlich gehalten, die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung auf den Inhalt der im Streitpatent zitierten WO 85/0378 A1 (D14) aufmerksam zu machen und diese Druckschrift in das vorliegende Nichtigkeitsverfahren einzuführen, weil das LG Düsseldorf im parallelen Verletzungsverfahren die D14 bereits mit in die Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit einbezogen hatte (vgl D11 S 12 Punkt 2.).

In dem betreffenden Urteil des LG Düsseldorfs (vgl D11), auf das die Beklagte mit Schriftsatz vom 25. Januar 2005 (vgl S 5 Abs 3) hinsichtlich der Frage der rechtmäßigen Inanspruchnahme der Priorität des Streitpatents hingewiesen hat, wird auf die D14 wie folgt Bezug genommen (vgl D11 S 12 viertle Z bis S 13 Z 5):

"Ferner wird die WO-A-85/03578 (Anlage K 4) in der Patentbeschreibung (Anlage K 3, Seite 2, zweiter Absatz) ausdrücklich dahingehend gewürdigt, dass die Ionenaustausch-Chromatographie zum Trennen und Quantifizieren der relevanten Isotransferrine bekannt war. Demnach sieht es die Erfindung nach dem Klagepatent offenbar als erfinderische, dem Fachmann auf Grund seines allgemeinen Fachwissens - welches sich in den Entgegenhaltungen D2 bis D4 widerspiegeln mag - nicht nahegelegte Maßnahme an, die Ionenaustausch-Chromatographie um die in Patentanspruch 1 genannten Merkmale zu ergänzen."

Die betreffende Textstelle in der Streitpatentschrift lautet (vgl EP 0 712 496 B1 Sp 1 Z 34 bis 42):

"WO-A-85/03578 shows a method for determining the alcohol consumption of an individual by quantifying isotransferrin combinations in the individual's body fluids. Different methods for separating and quantifying the relevant isotransferrins are disclosed. One being ion exchange chromatography with constant ion strength and pH (isocratic conditions). Another method being FPLC with a linear pH gradient after purification of transferrin."

Daraus ergibt sich für die Lehre der Druckschrift D14 unter anderem sinngemäß, dass FPLC mit einem linearen pH-Gradienten - neben Ionenaustauschchromatographie bei konstanter Ionenstärke und konstantem pH - eine weitere Methode ist zur Trennung und Quantifizierung relevanter Isotransferrine, nach Reinigung von Transferrin.

2. Als Fachmann ist im vorliegenden Fall ein mit der Reinigung und Analytik von Proteinen aus biologischem Material befasster und vertrauter Chemiker oder Biochemiker zu erachten.

Dem Fachmann sind FPLC und HPLC als Abkürzungen für im Zuge der analytischen und/oder präparativen Aufarbeitung von Proteinen gleiche bzw. vergleichbare Trennverfahren bekannt. Die Abkürzung FPLC, die in der Würdigung der Druckschrift D14 im Streitpatent verwendet wird, steht für Fast Protein Liquid Chromatography, ein von der Firma P... für Proteine entwickeltes Chro- matographiesystem, und entspricht der High Performance Liquid Chromatography (HPLC) und damit einem sowohl analytisch als auch präparativ zur Trennung und Analytik von Proteinen einsetzbaren, üblichen Chromatographieverfahren (vgl D10 S 5 Abs 1). Eine dem Fachmann am Prioritätstag des Streitpatents unter anderen geläufige Variante der FPLC ist die Anionenaustausch-Chromatographie an der Stationärphase Mono Q.

Zum Grundwissen dieses Fachmanns gehören unter anderem Prinzipien und Arbeitsweisen der Ionenaustausch-Chromatographie im Zuge der Aufarbeitung von Proteinen aus unterschiedlichem biologischem Material, beispielsweise aus Humanserum. Die Ionenaustausch-Chromatographie von Proteinen wird in der Regel mit einem Salzgradienten bei konstantem pH-Wert durchgeführt. Dabei lassen sich in Abhängigkeit von der unterschiedlichen Oberflächenladung der einzelnen Proteinkomponenten des aufzutrennenden Gemisches und daraus resultierender unterschiedlicher Bindung an die stationäre Phase unterschiedliche Verweilzeiten bzw. unterschiedliches Elutionsverhalten erzielen. Daneben kann die Ionenaustausch-Chromatographie von Proteinen - allerdings seltener angewandt - auch bei konstanter, jedoch geringer Salzkonzentration mit einem linearen pH-Gradienten und dadurch bedingter unterschiedlicher Ionenform der einzelnen Proteinkomponenten des zu trennenden Gemisches durchgeführt werden. Bei beiden Arbeitsweisen ist allerdings wesentlich, dass das aufzutrennende Proteingemisch bei solchen Bedingungen auf die Ionenaustauschersäule gegeben wird, bei denen sämtliche relevanten Komponenten zunächst an die stationäre Phase gebunden sind, d.h. bei einem pH-Wert, bei dem die zu trennenden und zu detektierenden Komponenten in Summe ihrer geladenen Aminosäurereste anionisch vorliegen, sowie bei einer geringen Salzkonzentration, welche die Wechselwirkung zwischen der Oberflächenladung der Proteine und der Stationärphase nicht aufhebt. Bei einem Anionenaustauscher ist dies der pH-Wert oberhalb des pI-Wertes der relevanten Komponente mit dem höchsten pI-Wert.

3. Der Senat ist zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Fachmann ausgehend von der WO 85/03578 A1 (D14), die den Nachweis des Alkolholkonsums durch quantitative Bestimmung von Isotransferrinen in Körperflüssigkeiten und damit unmittelbar ein der Gattung des Streitpatents entsprechendes Verfahren betrifft (vgl aaO S 1 Abs 1 Z 1 bis 4), ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents in der erteilten Fassung und damit nach Hauptantrag gelangen konnte.

Gemäß einer in D14 zwar nicht beanspruchten, aber als Beispiel 1 beschriebenen Ausführungsform wird Transferrin zunächst aus dem Serum Alkoholabhängiger und aus dem Serum von Blutspendern gereinigt (vgl aaO S 11 bis 12, Beisp 1). Angaben über die Art der Reinigung werden nicht gemacht und darin auch nicht zitiert. Auf diese Weise erhaltenes Transferrin wird daraufhin mittels FPLC in die einzelnen Isoformen Pentasialo-, Tetrasialo-, Trisialo-, Disialo-, Monosialo- und Asialotransferrin aufgetrennt (vgl aaO S 11 Abs 1). Dabei wird in einer Chromatographiesäule als stationäre Trennphase das Anionenaustauscherharz Mono Q der Firma P... eingesetzt, das mit 0,02 M Piperazin/Ameisensäure-Puffer pH 6,8 äquilibriert ist. Nach dem Auftragen der Transferrinprobe wird die chromatographische Trennung an dieser Anionenaustauscherphase mit 0,02 M Piperazin/Ameisensäure mit einem linearen pH-Gradienten von pH 6,8 bis pH 4,8 als Elutionsmittel durchgeführt, wobei der Verlauf der Trennung und die Elution der einzelnen Isoformen mit einem Spektrophotometer beobachtet wird, um die Isoformen getrennt aufzufangen und auf diese Weise den dem jeweiligen pH-Wert in der Probenfraktion des jeweiligen Isoformen entsprechenden pI-Wert zu ermitteln (vgl aaO S 11 Abs 2 bis S 12 Abs 2).

Damit ist aus Beispiel 1 der D14 bereits unmittelbar ein Verfahren zur Auftrennung der im Serum vorhandenen, an Kohlenhydrat verarmten Isoformen des Transferrins (Merkmal 1) an einer Ionenaustauschsäule mittels der einer HPLC entsprechenden FPLC (Merkmale 3.1, 3.2) entnehmbar.

Aber auch das Merkmal 3 ist erfüllt, weil mittels Ionenaustausch-Chromatographie stets auch in der vorgereinigten Transferrinprobe zwangläufig noch vorhandene andere Serumproteine von den isoformen Transferrinen abgetrennt werden. Denn wenn im Beispiel 1 eine zuvor gereinigte Transferrinprobe auf die Mono Q-Anionenaustauschersäule gegeben wird, so bedeutet dies nicht, dass diese Probe zu 100 % aus Transferrinprotein in seinen möglichen Isoformen besteht, sondern es ist, mangels anderweitiger spezifizierter Angaben, vielmehr von einer üblichen Vorreinigung auszugehen, die jedoch nur zu einer mehr oder minder starken Anreicherung der Transferrine aus dem biologischen Material, hier Humanserum, führt. Darüber hinaus ist für den Fachmann ohnehin selbstverständlich, dass die Lehre des Beispiels 1 der D14 nicht nur auf die Ionenaustausch-Chromatographie von solchen Transferrin-Präparaten beschränkt ist, die bereits in hoher Reinheit vorliegen, sondern sich auch auf Transferrin-Präparate unterschiedlicher Reinheitsstufe anwenden lässt.

Das Merkmal 2 ergibt sich unmittelbar aus der im Anschluss an die Ausführungsbeispiele plazierten Anmerkung, dass die Korrelation der Analyse durch Eisensättigung des Serums verbessert werden kann (vgl D14 S 17 le Abs).

Mit der Anweisung zur spektrophotometrischen Detektion (vgl D14 S 11 vorle Z bis S 12 Z 3) verbindet ein Fachmann auch ohne nähere Angaben eine gegebenenfalls computergestützte Aufzeichnung des Chromatographieverlaufs und damit die Möglichkeit zur Quantifizierung der Trennung der Isoformen, sodass sich hieraus nicht nur das Merkmal 1 sondern auch das Merkmal 4 einer Quantifizierung anhand der Auswertung eines mittels spektrophotometrischer Durchflussmessung erstellten Chromatogramms ergibt.

Auch die beiden verbleibenden Merkmale 3.3 und 3.4 ergeben sich für den Fachmann in naheliegender Weise ausgehend von Beispiel 1 der Druckschrift D14.

Bei der in D14 nicht erwähnten Verwendung eines Salzgradienten (Merkmal 3.3) handelt es sich genau um diejenige der beiden grundsätzlichen Arbeitsweisen zur Trennung von Proteinen nach dem Prinzip des Ionenaustausches, die, weil die üblichere der beiden Varianten, ein Fachmann ohnehin zunächst in Betracht ziehen wird.

In Kenntnis der in D14 beschriebenen pI-Werte der relevanten Isoformen des Transferrins (vgl D14 Beispiel 1 S 12 iVm S 7 Abs 2) kommt ein Fachmann nicht umhin, den pH-Wert gerade oberhalb des höchsten pI-Wertes der relevanten Isotransferrine einzustellen. Denn nur dann liegen sämtliche relevanten Isotransferrine in anionischer Form vor und binden beim Auftragen des Gemisches, vor Beginn der Elution mit dem Salzgradienten, in einer scharfen, konzentrierten Zone zu Beginn der stationären Phase der Chromatographiesäule. Aufgrund der Ergebnisse des Ausführungsbeispiels 1, wonach bei Alkoholabhängigen das Isotransferrin mit dem höchsten pI-Wert, die sogenannte Asialoform, einen pI-Wert von 6.1 besitzt, wird der Fachmann daher sofort erkennen, dass bei einem pH-Wert von 6,2 sämtliche relevanten Isoformen auf der stationären Phase Mono Q binden. Dabei wird er allerdings den pH-Wert nicht zu weit über dem höchsten relevanten pI-Wertes festlegen, weil dann zunehmend auch andere Serumproteine binden und das Chromatographieverfahren ungünstig beeinflussen können. Dass ein Fachmann zum Auftragen der zu analysierenden Probe einen hierfür geeigneten Arbeitspuffer bei niedriger Salzkonzentration als Ausgangswert für den Salzgradienten wählt, versteht sich ohnehin von selbst.

Der Einsatz einer gepufferten Lösung eines pH-Werts von 6,2 und damit ein Arbeiten im Bereich der Vorgaben des Merkmals 3.4 liegt deshalb für den Fachmann ausgehend von Beispiel 1 in Verbindung mit der Beschreibung der D14 auf der Hand.

Für die Frage der erfinderischen Tätigkeit ist ohne Belang, ob das Verfahren gemäß Beispiel 1 der D14 tatsächlich als analytisches Verfahren zur Trennung und zur Quantifizierung von an Kohlenhydrat verarmten Transferrin herausgestellt wird oder Gegenstand der Patentansprüche der D14 ist. Vielmehr genügt die dem Fachmann durch das Beispiel 1 iVm der übrigen Beschreibung vermittelte Information, um, ergänzt durch sein Grundwissen zur Trennung von Proteinen durch Ionenaustauschchromatographie und sein Fachwissen betreffend die Eigenschaften der Isotransferrine, ohne weiteres zum Verfahren gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents zu gelangen.

Erfinderisches Zutun ist damit weder in der Wahl eines pH-Wert des Elutionspuffers aus dem pH-Bereich von 6,0 bis 6,4 bzw. 6.3 bis 6,1 bzw. in der Festlegung auf den Zahlenwert 6.2 noch in der Anwendung eines Salzgradienten anstelle eines linearen pH-Gradienten zu erkennen, sodass neben dem Patentanspruch 1 auch die Patentansprüche 2 und 3 nicht gewährbar sind.

Ein patentfähiges Verfahren ist aber auch nicht unter Einbeziehung des Merkmals einer Detektion bei 460 nm nach Patentanspruch 4 gemäß Hauptantrag zu erkennen. In der Druckschrift D14 ist die Verfahrensführung unter Sättigung des Transferrins mit Eisenionen als vorteilhaft für die Korrelation mit dem Alkoholgenuss herausgestellt, was durch Zugabe von konzentrierter Eisencitrat-Lösung zur Serumprobe erreicht wird (vgl D14 S 16 le Abs). Für diesen Fall und zumal die Lehre der Druckschrift D14 nicht auf eine bestimmte Detektionswellenlänge festgelegt ist, wird der Fachmann eine Detektion der von der Säule eluierten Isoformen des Transferrins über die Absorption der Eisenkomplexe der Transferrine bei 460 nm ohne weiteres in Betracht ziehen, weil ihm nicht nur das Absorptionsspektrum des Transferrins (vgl hierzu die in der mündlichen Verhandlung überreichte D13 Fig 3) geläufig ist, sondern für ihn darüber hinaus auch die Druckschrift D7 ein Vorbild liefert, welche die Detektion von Eisen-Komplexen des Transferrins neben eisenfreien Transferrinformen bei einer Wellenlänge von 460 nm betrifft.

Der Einwand der Beklagten, bei 460 nm nehme die Empfindlichkeit wegen eines geringeren Extinktionskoeffizienten des Eisen-Komplexes des Transferrins ab, sodass der Fachmann eine Detektion bei 460 nm zur Analyse feiner, aber signifikanter Unterschiede in der Zusammensetzung der Isoformen des Transferrins nicht in Erwägung gezogen hätte, greift nach Ansicht des Senats nicht. Vielmehr ist sich der Fachmann, wie auch die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dessen bewußt, dass bei 460 nm eine weitaus selektivere Detektion möglich ist als bei 280 nm, weil die meisten Serumproteine bei 460 nm keinen Absorptionsbeitrag liefern, falls sie sich chromatographisch ähnlich wie die Isoformen des Transferrins verhalten sollten.

Darüber hinaus gibt gerade die Druckschrift D7 dem Fachmann den Hinweis, dass eine Detektion von eisenhaltigem Transferrin neben eisenfreiem Protein bei weniger als einem Mikrogramm Gesamtprotein und damit bei sehr geringen Probenmengen möglich ist.

Sofern die Beklagte darauf verweist, gemäß Streitpatent werde ohne Vorreinigung gearbeitet, so steht dem die Ausführungsform des Streitpatents entgegen, wonach ebenfalls eine Vorreinigung durch Ausfällung der Lipoproteine stattfindet (vgl StreitPS Sp 2 Z 35 bis 49).

Was die Merkmale des Patentanspruchs 5 anbelangt, so handelt es sich um eine übliche quantitative Methode zur Auswertung von Chromatogrammen, welche eine patentfähige Lehre nicht zu begründen vermag.

Auch zu den weiteren, auf Patentanspruch 1 direkt bzw. indirekt rückbezogenen Unteransprüchen 6 bis 10 hat die Beklagte nichts vorgetragen, was einen eigenen erfinderischen Gehalt erkennen lässt. Vielmehr handelt es sich dabei um naheliegende Ausgestaltungen im Rahmen von durch den Stand der Technik vorgegebenen Maßnahmen der Eisensättigung des Blutserums (vgl D14 S 16 le Abs) sowie einer üblichen Vorbehandlung von Serumproben durch vorherige Abtrennung von Lipoproteinen durch Dextransulfat und Calciumchlorid.

4. Auch die von der Beklagten hilfsweise verteidigten Fassungen der Patentansprüche erweisen sich als nicht bestandsfähig.

Die gemäß Hilfsantrag 1 verteidigte Fassung weist in Patentanspruch 1 wurde zusätzlich die selektive Absorption eines Fe-Transferrin-Komplexes bei 460 nm auf und entspricht damit dem Patentanspruchs 4 gemäß Hauptantrag.

Auf die betreffenden vorstehenden Ausführungen unter Punkt 3 wird vollumfänglich verwiesen. Entsprechendes gilt für die darauf rückbezogenen Unteransprüche.

Die weiter hilfsweise verteidigten Fassungen weisen in ihrem jeweiligen Patentanspruch 1 zusätzlich zu dem Merkmal der selektiven Absorption eines Fe-Transferrin-Komplexes bei 460 nm die Einschränkung des pH-Wertes des gepufferten Eluenten auf den Bereich von 6,1 bis 6,3 (Hilfsantrag 2) oder auf den Zahlenwert von 6,2 (Hilfsantrag 3) auf.

Der Senat kann nicht feststellen, dass eine Einengung des pH-Bereichs, in dem bereits bekannte, hinsichtlich ihres pI-Wertes charakterisierte Isoformen des Transferrin durch Ionenaustausch-Chromatographie aufgetrennt und quantifiziert werden sollen, im Zusammenhang mit einer Detektionswellenlänge von 460 nm erfinderisches Zutun erfordert. Auf die betreffenden Gründe unter Punkt 3 wird verwiesen. Entsprechendes gilt für die darauf rückbezogenen Unteransprüche.

5. Bei dieser Sachlage brauchte auf die weiteren von der Klägerin eingeführten Druckschriften nicht eingegangen zu werden.

Inwieweit dem Gegenstand des Streitpatents in der gemäß Hauptantrag sowie Hilfsanträgen 1 und 2 verteidigten Fassung die im Hinblick auf den pH-Bereich des gepufferten Eluenten angegriffene, in Anspruch genommene Priorität SE 9302573 vom 6. August 1993 zukommt und die erst im Prioritätsinterval veröffentlichte Druckschrift D1 zur Beurteilung der Patentfähigkeit heranzuziehen ist, braucht angesichts der Nichtigerklärung des Streitpatents im beantragten Umfang bereits ohne Rückgriff auf die D1 nicht entschieden zu werden.

III Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

(Vors. Ri. Hellebrand ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert) zugleich für Vors. Ri. Hellebrand: Dr. Niklas Dr. Niklas Dr. Jordan Brandt Dr. Egerer Be






BPatG:
Urteil v. 01.02.2005
Az: 3 Ni 14/03


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