Verwaltungsgericht Minden:
Beschluss vom 6. Februar 2008
Aktenzeichen: 7 K 2953/05.A

(VG Minden: Beschluss v. 06.02.2008, Az.: 7 K 2953/05.A)

Tenor

Auf Antrag 1508/05BW10 CS M vom 17.12.2007 i.d. F. vom 14.01.2008 werden die nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 15.10.2007

von der Beklagtenan den Kläger

zu erstattenden und bereits mitgeteilten Kosten auf

254,02 EUR

(in Worten: Zweihundertvierundfünfzig 02/100 EUR)

nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuches ab 18.12.2007 festgesetzt.

Der weiter gehende Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Mit Schriftsatz vom 17.12.2007 meldete der Prozessbevollmächtigte des Klägers insgesamt 696,73 EUR Anwaltskosten zur Ausgleichung an. In der Berechnung der Kosten ist eine 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG enthalten.

Unter dem 03.01.2008 beantragte die Beklagte, Ihre Kosten i.H.v. 20,00 EUR bei der Kostenausgleichung zu berücksichtigen. Sie vertrat ferner die Ansicht, dass lediglich die Kosten des Klägers für die anwaltliche Vertretung im gerichtlichen Verfahren auszugleichen seien. Diese seien im vorliegenden Fall unter Beachtung vom Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG zu berechnen, weil der Kläger durch seinen Anwalt bereits im Verwaltungsverfahren vertreten worden sei. Ferner merkte sie an, dass die geltend gemachten Fahrtkosten des auswärtigen Anwaltes aus ihrer Sicht nicht in voller Höhe erstattungsfähig seien.

Der Anwalt des Klägers vertrat demgegenüber in seinem Schriftsatz vom 14.01.2008 die Ansicht, die Anrechnung habe in der Kostenfestsetzung zu unterbleiben. Zur tatsächlichen Höhe der Geschäftsgebühr für seine vorgerichtliche Tätigkeit äußerte er sich trotz gerichtlicher Aufforderung nicht.

II.

Die Festsetzung erfolgt gemäß § 164 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Nach der umseitigen Entscheidung tragen der Kläger und die Beklagte die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, je zur Hälfte.

Auszugleichen sind a) für den Kläger Anwaltskosten i.H.v.: 528,04 EUR, b) für die Beklagte: 20,00 EUR - insgesamt: 548,04 EUR.

Hiervon trägt die Beklagte ½: 274,02 EUR. Abzüglich ihrer eigenen Kosten: 20,00 EUR verbleiben festzusetzende 254,02 EUR.

Zu a): Der Ansatz der Fahrtkosten ist nicht zu beanstanden, weil der Kläger, seinerzeit in I. wohnhaft, bereits im behördlichen Asylverfahren durch seinen Prozessbevollmächtigten vertreten worden ist.

Abgesetzt wurden hingegen 141,75 EUR (0,75 Gebühr) von der Verfahrensgebühr nebst anteiliger Mehrwertsteuer.

Für die denselben Gegenstand betreffende Tätigkeit in dem behördlichen Asylverfahren steht dem Rechtsanwalt grundsätzlich eine Geschäftsgebühr zu. Zur Höhe dieser Geschäftsgebühr machte der Anwalt des Klägers trotz gerichtlicher Aufforderung keine Angaben. Aus diesem Grunde ist bei der Kostenausgleichung, wie nachstehend näher ausgeführt, anstelle der mit einem Gebührensatz von 1,3 geltend gemachten Verfahrensgebühr lediglich eine Verfahrensgebühr mit dem Mindestsatz von eine 0,55 zu berücksichtigen.

Nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ist die vorgerichtlich entstandene Geschäfts- gebühr auf die Verfahrensgebühr für die Vertretung im gerichtlichen Verfahren anzurechnen. Dieser Umstand ist aus Sicht des erkennenden Gerichts in der Kostenfestsetzung zwingend zu beachten. Die insoweit verbreitet vertretene gegenteilige Auffassung beruht im Wesentlichen auf der Annahme, der Erstattungspflichtige dürfe keinen Vorteil davon haben, dass der Erstattungsberechtigte seinen Anwalt bereits vorgerichtlich eingeschaltet habe, daher gelte die Anrechnungsbestimmung Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ausschließlich im Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandant. Diese Annahme findet im Gesetz keine Stütze und steht im Widerspruch zu den Grundsätzen der Festsetzung. Danach sind vorbehaltlich ihrer tatsächlichen Notwendigkeit nicht mehr als die mit der Rechtsverfolgung/-verteidung verbundenen tatsächlichen Aufwendungen des Erstattungsberechtigten festzusetzen - vgl. u.a. BVerfG, in Rd.Nr. 16 des Beschluss vom 03.11.1982 in 1 BvR 710/82 unter Hinweis auf RGZ, juris:

"Es gehört zum gesicherten Standard der Kostenfestsetzung (vgl. RGZ 35, S. 427 (428); Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., Anm. A II b zu § 104) und versteht sich von selbst, daß keinesfalls höhere Kosten als erstattungsfähig festge- setzt werden dürfen, als dem Berechtigten entstanden sind."

sowie Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., in Anm. 63 zu § 162:

"Was der erstattungsberechtigte Beteiligte dem von ihm beauftragten Rechts- anwalt nach dem RVG schuldet, kann er auf den erstattungspflichtigen Beteiligten abwälzen."

Dies gilt beispielsweise auch, wenn ein Mandant mit seinem Anwalt ein geringeres als das gesetzlich vorgesehene Honorar vereinbart hat.

Weshalb die Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ausschließlich im Innenverhältnis zwischen dem Mandanten und seinem Anwalt gelten soll, erschließt sich aber auch deshalb nicht, weil andere Vorbemerkungen des VV RVG regelmäßig auch im Außenverhältnis angewandt werden - vgl. z.B. Vorbemerkung 7 Abs. 3 VV RVG.

Dass ein Erstattungspflichtiger geringere Kosten zu erstatten hat, wenn ein Erstattungsberechtigter sich bereits vorgerichtlich anwaltlich vertreten lässt, ist auch keine Besonderheit der Kostenfestsetzung in Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Verfahren vor den Sozialgerichten sind kostenrechtlich ähnlich gelagert. Bei einer vorgerichtlichen Tätigkeit des Anwalts tritt dort die Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG mit einem geringeren Betragsrahmen an die Stelle der Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG. Festgesetzt wird die ihrem Betrag nach niedrigere Gebühr nach Nr. 3103 VV RVG - vgl. z.B. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.08.2007 in L 20 B 91/07 AS mit weiteren Rechtsprechungshinweisen, juris.

Entsprechendes gilt für die Festsetzung der in dem behördlichen Widerspruchsverfahren (Vorverfahren i.S.v. § 162 VwGO zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren) entstandenen Geschäftsgebühr. Diese wird bei einer vorherigen Tätigkeit des Rechtsanwalts im behördlichen Ausgangsverfahren nach Nr. 2301 VV RVG und nicht etwa nach Nr. 2300 VV RVG berechnet und festgesetzt (a.A. ist insoweit bisher lediglich der 3. Senat des Bayerischen VGH in seinem Beschluss vom 09.10.2007 in 3 C 07.1903, juris; der die o.g. Annahme der Gegenauffassung auch auf die Geschäftsgebühr erstreckt, die höhere der beiden Geschäftsgebühren zubilligt und darüber hinaus die zuletzt entstandene Geschäftsgebühren auf die Verfahrensgebühr anrechnet. Dies führte in dem so entschiedenen Fall dazu, dass der Erstattungspflichtige dem Erstattungsberechtigten höhere Anwaltskosten zu erstatten hatte als sie diesem für die Beauftragung eines Anwalts nur mit der Vertretung im Vorverfahren und im gerichtlichen Verfahren erwachsen wären.).

Dass die anwaltliche Vertretung im behördlichen Ausgangsverfahren für den Erstattungspflichtigen vorteilhaft sein kann, ist keine Neuerung des RVG. Bereits bei der Festsetzung der Gebühren für die anwaltliche Vertretung im Vorverfahren nach der BRAGO wirkte sich eine anwaltliche Tätigkeit im behördlichen Ausgangsverfahren gebührenmindernd aus (vgl. Urteil des BVerwG vom 05.10.2004 in 7 C 7.04, juris; sowie Beschlüsse des OVG Münster vom 15.09.2006 in 12 E 1018/05, juris; und vom 30.11.2007 in 2 A 366/07 zu § 119 Abs. 1 BRAGO).

Die Nichtanrechnung der Geschäftsgebühr führt in der Kostenfestsetzung dazu, dass der anzurechnende Anteil der Geschäftsgebühr festgesetzt und erstattet wird, obwohl ein materiellrechtlicher Anspruch auf Erstattung der Geschäftsgebühr nicht besteht bzw. für den anzurechnenden Teil nicht festgestellt worden ist. Sie führt immer dazu, dass der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle/Rechtspfleger über Gebührenanteile entscheidet, die tatsächlich einer nicht festsetzungsfähigen Geschäftsgebühr zuzurechnen sind, obwohl er hierzu gesetzlich nicht ermächtigt ist. Die Entscheidung darüber, ob ein materiellrechtlicher Erstattungsanspruch für eine Geschäftsgebühr besteht, ist auch weiterhin dem Richter vorbehalten - a.A. offenbar KG Berlin, Beschluss vom 17.07.2007 in 1 W 256/07, juris.

Wegen fehlender Angaben zur Höhe der Geschäftsgebühr ist eine höhere als die nach Maximalanrechnung verbleibende 0,55 Verfahrensgebühr derzeit nicht glaubhaft [Zum Erfordernis der Glaubhaftmachung vgl. VG Ansbach, Beschluss vom 20.07.2007 in AN 9 M 07.00439 sowie VG Minden, Kostenfestsetzungsbeschlüsse vom 09.11.2005 in 7 L 382/05, vom 01.08.2007 in 8 K 3544/06, juris; (bestätigt durch nicht bestandskräftigen Beschluss vom 06.09.2007, juris) und vom 03.08.2007 in 9 K 1968/06.A, juris (bestätigt durch Beschluss vom 02.10.2007, nrwe; mit einem Hinweis auf BGH, Beschluss vom 04.04.2007 in III ZB 79/06, juris)].

Ergänzend weist der Entscheider darauf hin, dass der BGH die Frage der Anrechnung entsprechend zu beurteilen scheint - vgl. grundlegende Entscheidung des BGH zur Frage der Anrechnung im Urteil vom 07.03.2007 in VIII ZR 86/06, juris; bestätigt durch Urteil vom 14.03.2007 in VIII ZR 184/06, juris; und Versäumnisurteil vom 11.07.2007 in VIII ZR 310/06, juris; sowie sinngemäß BGH, in Abschnitt 5 der Gründe des Beschlusses vom 25.09.2007 in VI ZB 22/07, juris. Die aus den vorstehenden Entscheidungen gewonnen Erkenntnisse sind bei genauer Betrachtung allerdings nicht neu. Der 7. Senat des BGH hat bereits in seinem Beschluss vom 27.04.2006 in VII ZB 116/05, NJW 2006, S. 2580 ff. darauf hinge- wiesen, dass die Aufwendungen für ein Mahnschreiben, zu denen auch der anzu- rechnende Teil der Geschäftsgebühr zählt, nicht im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden können. Er ist dabei in seiner Entscheidungsbegründung über die von ihm zu entscheidende Frage, ob der nicht anrechenbare Teil der Geschäftsgebühr zu den Kosten des Rechtsstreits gehört hinausgegangen.

Eine zusätzliche argumentative Auseinandersetzung mit dem Für und Wider der An- rechnung kann den in die Datenbanken nrwe und juris eingestellten Beschlüsse des VG Minden (Stichworte: Anrechnung und Geschäftsgebühr) sowie dem Aufsatz von Rechtsanwalt Dr. Peter Ostermeier in JurBüro 1/2008, S. 6 ff. entnommen werden.






VG Minden:
Beschluss v. 06.02.2008
Az: 7 K 2953/05.A


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