Bundespatentgericht:
Urteil vom 20. Mai 2008
Aktenzeichen: 1 Ni 2/08

(BPatG: Urteil v. 20.05.2008, Az.: 1 Ni 2/08)

Tenor

I. Das europäische Patent 1 057 507 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 6, 14 bis 17 sowie 25 und 26 für nichtig erklärt.

II. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagten sind eingetragene Inhaber des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 057 507 (Streitpatent). Das Streitpatent ist in englischer Verfahrenssprache unter Inanspruchnahme der Priorität der amerikanischen Patentanmeldung 326 490 vom 4. Juni 1999 erteilt worden. Es wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 600 10 180 geführt. Das Streitpatent trägt den Titel "Modular building blocks with color coding". Der Gegenstand des Streitpatents, das in der erteilten Fassung 26 Patentansprüche umfasst, ist in der deutschen Übersetzung bezeichnet mit "Modulare Bausteine mit Farbcodierung".

Der erteilte Patentanspruch 1 hat in der englischen Verfahrenssprache folgenden Wortlaut:

A set of building blocks comprising:

a plurality of polygonal nesting blocks (10, 102, 104, 106, 108) and at least one cap block (100), whereineach one of said nesting blocks is formed with a polygonal perimeter member (12) and said nesting blocks are in varying sizes so that each nesting block receives a succeeding nesting block in an inner portion of a preceding nesting block, and a terminal nesting block receives said cap block in an inner portion of said terminal nesting block.

characterized in that the perimeter member has a diamondshaped cross section.

Patentanspruch 1 lautet in der erteilten Fassung in deutscher Übersetzung wie folgt:

Ein Satz Bausteine, umfassend: eine Vielzahl von vieleckigen, ineinander passenden Steinen (10, 102, 104, 106, 108) und wenigstens einen Kopfstein (100), wobei jeder der ineinander passenden Steine mit einem vieleckigen Randelement (12) geformt ist und die ineinander passenden Steine in wechselnden Größen sind, so dass jeder Einpassstein einen nachfolgenden Einpassstein in einem Innenabschnitt eines vorangehenden Einpasssteins aufnimmt und ein Abschlusseinpassstein den Kopfstein in einem Innenabschnitt des Abschlusseinpasssteins aufnimmt, dadurch gekennzeichnet, dass das Randelement einen rautenförmigen Querschnitt aufweist.

Wegen der angegriffenen Unteransprüche, die unmittelbar oder mittelbar auf Anspruch 1 rückbezogenen sind, wird auf die Streitpatentschrift EP 1 057 507 B1 verwiesen.

Nach Auffassung der Klägerinnen ist der Gegenstand der angegriffenen Ansprüche des Streitpatents nicht patentfähig. Zur Begründung berufen sie sich auf:

- den Katalog "Naef Collection" aus dem Jahr 1994 (Anlage E1)

- die Preisurkunde des Fördervereins "Preis der Deutschen Kunsthandwerker e.V." vom 1. Oktober 1977 mit Auszug aus dem zugehörigen Ausstellungsheft (Anlage E2)

- Kopien aus der Zeitschrift "TURICUM Schweizer Kultur- und Wirtschaft", April/Mai 1993, Seiten 4 und 51 (Anlage E3)

- eine Kopie aus der Zeitschrift "Heimatwerk, Blätter für Volkskunst und Handwerk" Nr. 3/1984, Seite 17 (Anlage E4)

- das Produktblatt "Diamant" Nr. 9633 der Fa. Kurt Naef Spielzeug und die sich darauf beziehende Auszeichnungsurkunde der Spielgut-Auszeichnung vom 15. Januar 1983 (Anlage E5).

Die Klägerinnen und der Nebenintervenient beantragen, das europäische Patent 1 057 507 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 6, 14 bis 17 sowie 25 und 26 für nichtig zu erklären.

Die Beklagten verteidigen das Patent beschränkt wie folgt und beantragen, im Übrigen die Klage abzuweisen.

In der beschränkten Fassung gemäß Hauptantrag der Beklagten lautet Patentanspruch 1:

Ein Satz Bausteine, umfassend: eine Vielzahl von vieleckigen, ineinander passenden Steinen (10, 102, 104, 106, 108) und wenigstens einen Kopfstein (100), wobei jeder der ineinander passenden Steine mit einem vieleckigen Randelement (12) geformt ist und die ineinander passenden Steine in wechselnden Größen sind, so dass jeder Einpassstein einen nachfolgenden Einpassstein in einem Innenabschnitt eines vorangehenden Einpasssteins aufnimmt und ein Abschlusseinpassstein den Kopfstein in einem Innenabschnitt des Abschlusseinpasssteins aufnimmt, dadurch gekennzeichnet, dass das Randelement einen rautenförmigen Querschnitt aufweist, wobei der Satz ein Rechteckpostament (16) einschließt und ein Inneres des Postaments eine Gestaltung aufweist, die dieselbe ist wie die der geometrischen Form, die gebildet wird, wenn die ineinander passenden Steine in einer ineinander gefügten Anordnung platziert sind.

Die Unteransprüche sollen sich auf den beschränkten Anspruch 1 rückbeziehen.

Hilfsweise beantragen die Beklagten, Patentanspruch 1 in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

Ein Satz Bausteine, umfassend: eine Vielzahl von vieleckigen, ineinander passenden Steinen (10, 102, 104, 106, 108) und wenigstens einen Kopfstein (100), wobei jeder der ineinander passenden Steine mit einem vieleckigen Randelement (12) geformt ist und die ineinander passenden Steine in wechselnden Größen sind, so dass jeder Einpassstein einen nachfolgenden Einpassstein in einem Innenabschnitt eines vorangehenden Einpasssteins aufnimmt und ein Abschlusseinpassstein den Kopfstein in einem Innenabschnitt des Abschlusseinpasssteins aufnimmt, dadurch gekennzeichnet, dass das Randelement einen rautenförmigen Querschnitt aufweist, wobei der Satz ein gesondertes Postament (16) mit Füßen einschließt und ein Inneres des Postaments eine Gestaltung aufweist, die dieselbe ist wie die der geometrischen Form, die gebildet wird, wenn die ineinander passenden Steine in einer ineinander gefügten Anordnung platziert sind, und wobei der Satz wenigstens einen Einpassstein (108) einer ersten, größten Größe, wenigstens zwei ineinander passende Steine (106) einer zweiten, kleineren Größe, wenigstens drei ineinander passende Steine (104) einer dritten, noch kleineren Größe, wenigstens vier ineinander passende Steine (102) einer vierten, kleinsten Größe und wenigstens fünf Kopfsteine (100) umfasst und dadurch ein massives gleichseitiges Oktaeder bildet.

An diesen Anspruch 1 schließen sich nach dem Hilfsantrag der Beklagten die Ansprüche 2 bis 4 an. Anspruch 6 wird zu Anspruch 5, die Nummerierung 6 entfällt. Der erteilte Anspruch 17 wird zu Anspruch 16, Anspruch 17 entfällt.

Die Beklagten sind der Meinung, die von den Klägerinnen vorgelegten Entgegenhaltungen zeigten weder den Gegenstand des Streitpatents noch legten sie ihn nahe. Sie halten den Gegenstand des Streitpatents zumindest in der hilfsweise verteidigten Fassung für patentfähig.

Gründe

Die zulässige Klage, mit der der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. a, Art. 52, 54, 56 EPÜ) ist begründet.

I.

Die Nebenintervention ist gemäß § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. §§ 66 ff. ZPO zulässig. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung genügt es für die Zulässigkeit der Streithilfe im Patentnichtigkeitsverfahren auf Klägerseite, wenn der Nebenintervenient durch das Streitpatent in seiner geschäftlichen Tätigkeit als Wettbewerber beeinträchtigt werden kann (BGHZ 166, 18 - Carvedilol; BGH GRUR 2008, 60 = Mitt. 2008, 78 - Sammelhefter II). Dies ist hier der Fall. Der Nebenintervenient behauptet, Erfinder des Gegenstands nach dem Streitpatent zu sein und ist offenbar Lizenzgeber für eine ein entsprechendes Produkt vertreibende Firma. Durch eine Inanspruchnahme aus dem Streitpatent könnte auch er in seiner geschäftlichen Tätigkeit beeinträchtigt sein.

II.

1. Das Streitpatent betrifft in der verteidigten Fassung einen Satz zusammensetzbarer Bausteine für ein Spiel mit einem zur Aufbewahrung ineinander gefügter Bausteine geeigneten Halter. Nach der Patentbeschreibung werden derartige Bausteine, die ursprünglich aus Holz geformt waren, seit der Entwicklung des Spritzgussverfahrens zum großen Teil aus Kunststoff hergestellt. Dadurch würden deutlich vielgestaltigere Zusammenstellungen ermöglicht.

Im Stand der Technik seien die Steine typischerweise mit einer bestimmten Form von Stift/Aufnahmelochverbindungselementen aufgebaut, um sie aneinander zu befestigen. Die Verbindungselemente seien einstückig mit den Steinen selbst ausgebildet. Nachteilig sei, dass es ohne Verwendung der Verbindungselemente keine rationelle Methode zur Aufbewahrung der Steine in einem minimalen Volumen gebe. Der Benutzer müsse die Steine auseinandernehmen, bevor er sie zum Spiel verwenden könne. Die Streitpatentschrift erwähnt als Beispiel aus dem Stand der Technik einen aus der US-Patentschrift 264 066 bekannten, aus Hohlprofilen zusammengesetzten Spielzeugobelisken. Bei diesem Obelisken seien die Ober- und Unterseiten jedes Profils offen und ihre Seiten mit Buchstaben des Alphabets, Zahlen und Bilderschriftzeichen ausgestattet. Jedes Profil habe die Form eines Pyramidenstumpfes. Die Profile könnten im untersten Profil aufbewahrt werden, indem immer das obere Profil in demjenigen direkt darunter platziert werde.

Vor diesem Hintergrund sei es Aufgabe der Erfindung, einen Bausteinsatz bereitzustellen, dessen Bausteine sich zur leichten und rationellen Aufbewahrung ineinander fügen lassen und hauptsächlich durch Reibungsmittel verbunden sind (Streitpatentschrift Absätze [0006] bis [0007]).

Zur Lösung dieser Aufgabe offenbart Patentanspruch 1 des Streitpatents in der verteidigten Fassung einen Satz Bausteine mit folgenden Merkmalen:

M1.1 Der Satz Bausteine umfasst eine Vielzahl von vieleckigen, ineinander passenden Steinen (10, 102, 104, 106, 108).

M1.1.1 Jeder der ineinander passenden Steine ist mit einem vieleckigen Randelement (12) geformt.

M1.1.2 Das Randelement weist einen rautenförmigen Querschnitt auf.

M1.2 Der Satz Bausteine umfasst weiter wenigstens einen Kopfstein (100).

M1.3 Die ineinander passenden Steine sind in wechselnden Größen, so dass jeder Einpassstein einen nachfolgenden Einpassstein in einem Innenabschnitt eines vorangehenden Einpasssteins aufnimmt und ein Abschlusseinpassstein den Kopfstein in einem Innenabschnitt des Abschlusseinpasssteins aufnimmt.

M2.1 Der Satz Bausteine schließt ein [Rechteck]Postament (16) ein.

M2.2 Ein Inneres des Postaments weist eine Gestaltung auf, die dieselbe ist wie die der geometrischen Form, die gebildet wird, wenn die ineinander passenden Steine in einer ineinander gefügten Anordnung platziert sind.

2. Als Fachmann beschäftigte sich mit dem technischen Gebiet des Streitpatents im Anmeldezeitpunkt ein Maschinenbautechniker mit Erfahrung im Bereich der Produktentwicklung und des Produktdesigns. Nach dem Verständnis dieses Fachmanns, das Maßstab sowohl für die Auslegung des Patentanspruchs als auch für die Beurteilung der erfinderischen Leistung ist, stellt sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in der verteidigten Fassung wie folgt dar:

Die einzelnen Bausteine des Bausteinsatzes sind jeweils als Vieleck ringförmig mit rautenförmigem Ringquerschnitt ausgeführt. Einer dieser Bausteine ist ein Abschlusseinpassstein. Er ist ein Einpassstein im Sinne der Merkmale M1.1, M1.1.1, M1.1.2 und M1.3 und darüber hinaus für die Aufnahme eines abschließenden Kopfbausteins ausgebildet. In ihrer Größenabstufung und Formgebung sind die Bausteine jeweils so aufeinander abgestimmt, dass man sie - innerhalb der geometrischen Systemgrenzen willkürlich - zur Bildung komplexer Figuren ineinander stecken kann. In einer möglichen, zusammengefügten Anordnung zur Aufbewahrung kann der Bausteinsatz auch eine Pyramide bilden.

Der Begriff "Rechteck"postament findet sich in der für die Auslegung maßgeblichen englischen Originalfassung der Streitpatentschrift nicht wieder. Diese enthält den Begriff "pedestal base", den der Senat mit "Postament" oder "Sockel" übersetzt.

Dem Anordnungsprinzip, das aus der angepassten Gestaltung der Bausteine zur Verwendung als Bausteinsatz folgt, ist inhärent, dass bereits einer der Einpasssteine als "Sockel" zur Aufnahme übriger Einpasssteine einschließlich des Abschlusseinpasssteins und des Kopfsteines in willkürlichem Fügezustand dienen kann. Nach dem Anspruchswortlaut kann somit auch ein unten liegender Einpassstein ein Postament im Sinne der Merkmale M2.1 und M2.2 für weitere Steine und den Kopfbaustein bilden. Hierauf ist auch in der Beschreibung des Streitpatents hingewiesen, wonach bei einer gefügten Pyramide der größte der Einpasssteine als Sockel dient (vgl. Absatz [0010], dritter Satz).

Die Angabe "eine Vielzahl von Steinen" (Merkmal M1.1) lässt offen, wie viele "ineinander passende Steine" - abgesehen von dem "wenigstens einen Kopfstein" und dem "Abschlusseinpassstein" der Satz Bausteine umfassen soll. Erst die Angaben in den - von der Klage ebenfalls betroffenen - Unteransprüchen 4 und 16 lassen dezidiert auf eine bestimmte Anzahl von Bausteinen schließen.

Der Wortlaut des Merkmals M1.3, "dass jeder Einpassstein einen nachfolgenden Einpassstein in einem Innenabschnitt eines vorangehenden Einpasssteins aufnimmt", trifft in dieser Allgemeinheit auf jede mögliche, zu einer geometrischen Figur innerhalb der Grenzen des Systems zusammengesetzten Anordnung von Einpasssteinen zu. Denn die Variationsmöglichkeiten in der Zusammensetzung beruhen gerade auf der Formgebung jedes Einpasssteins als vieleckiges Randelement mit rautenförmigem Querschnitt, so dass ein Baustein in seinem Innenabschnitt einen anderen Baustein aufnehmen kann. Bereits zwei gefügte Bausteine bilden hierbei eine Einheit aus einem "vorangehenden" und einem "nachfolgenden" Einpassstein.

Weil die "ineinander gefügte Anordnung" selbst, d. h. die Anzahl der Einpasssteine und die Fügefigur nicht festgelegt ist, kann auch die implizite Definition des "Inneren des Postaments" nach dem Wortlaut des Merkmals M2.2 dessen "Gestaltung" nicht näher bestimmen. Die Angabe ist zwar so verstehen, dass das Postament dazu geeignet ist, eine darin "platzierte" Anordnung ineinander gefügter Steine bei Beibehaltung der zusammengesetzten geometrischen Figur aufzunehmen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Bausteine zwingend nach Art einer Pyramide gefügt sind und dass das Innere für eine (vollständige) Aufnahme der umgekehrten Pyramide gestaltet ist. Es kann beispielsweise auch eine aus zwei ineinander gefügten, in der Größe einander abfolgenden Einpasssteinen gebildete Figur in einem als Postament dienenden weiteren, in der Größe vorangehenden Baustein platziert sein. Auch bei solch einem Fügezustand ist die aus der Formulierung des Merkmals M2.2 folgende Bedingung erfüllt.

III.

Der so dem Streitpatent in der verteidigten Fassung zu entnehmende Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist gegenüber dem Stand der Technik nicht neu.

1. Die als E1 vorgelegten Kopien sind Auszüge aus einem dem Senat in der mündlichen Verhandlung im Original vorgelegten Katalog "Naef Collection". Ausweislich des Impressums einschließlich einer beiliegenden Preisliste aus dem Jahre 1994 ist dieser druckschriftliche Stand der Technik vorveröffentlicht und war auch einem unbeschränkten Personenkreis zugänglich. Die maßgebliche Katalogseite zeigt unterschiedliche, teilweise komplexe Fügefiguren aus einer Vielzahl von vieleckigen, ineinander passenden Steinen. Aus der enthaltenen Artikelbeschreibung, dass es sich bei dem so bezeichneten "Diamanten" um einen "zerlegbaren Oktaeder (...) als Objektspiel" handeln soll, zum "Bauen" von "Pyramiden, Pagoden, Teehäuser usw.", wie die abgebildeten Fotos auch darstellen, erschließt sich dem Fachmann ohne Weiteres, dass die für die komplexen Fügefiguren verwendeten Bausteine einen Bausteinsatz entsprechend Merkmal M1.1 bilden. Ausweislich der in einer weiteren Abbildung gezeigten Einzelpyramiden sind die einzelnen Bausteine wechselnder Größe ineinander passend und bilden einander aufnehmende Einpasssteine einschließlich eines Abschlusseinpasssteines entsprechend Merkmal M1.3. Der kleinste Baustein dieses Satzes bildet dabei einen Kopfstein entsprechend Merkmal M1.2, soweit er an die Spitze in den Abschlusseinpassstein eingesetzt ist, wie in gleich mehreren Abbildungen von Fügefiguren auf dem Katalogblatt deutlich gezeigt. Weil die Einpasssteine dort eine viereckige Ringform aufweisen, sind sie als vieleckiges Randelement entsprechend Merkmale M1.1.1 geformt. Die Randelemente sind im Querschnitt auch rautenförmig entsprechend Merkmal M1.1.2: Denn die in einzelnen Fügefiguren stehend eingesetzten Einpassteine mit viereckigem Außenumriss sind ersichtlich nicht nur mit ihren umfänglichen Eckkanten, sondern auch mit ihren flächigen Außenabschnitten in den Innenabschnitten eines aufnehmenden Bausteins anliegend aufgenommen. Diese Eigenschaft des Bausteinsatzes kann als geometrische Randbedingung des Fügesystems nur für Winkelverhältnisse mit allseitig ähnlichen Eckkantenlängen erfüllt sein, aus denen zwingend ein rautenförmiger Querschnitt der Randelemente folgt. Dem Fachmann drängt sich eine den geometrischen Randbedingungen genügende Formgebung bereits aus der bloßen Ansicht dieser abgebildeten komplexen Fügefiguren auf, wobei ihn sein allgemeines Fachwissen unmittelbar auf den notwendigerweise rautenförmigen Querschnitt der Randelemente schließen lässt.

In der Abbildung rechts unten auf der maßgeblichen Katalogseite ist eine Fügefigur gezeigt, bei der ein einzelner Einpassstein des Bausteinsatzes als Sockel entsprechend Merkmal M2.1 dient, indem zumindest zwei weitere Einpasssteine in einer ineinander gefügten Anordnung darin platziert sind. Die innere Gestaltung dieses als Sockel dienenden Einpasssteines ist dieselbe wie die der geometrischen Form, die von den beiden darin platzierten Einpasssteinen gebildet ist. Diese Gestaltung folgt den geometrischen Eigenschaften des Fügesystems; sie entspricht Merkmal M2.2.

Sämtliche Merkmale des beanspruchten Bausteinsatzes sind somit aus diesem Katalog bekannt.

Die Beklagten meinen, das Postament müsse als spezieller, separater Sockel zur Aufbewahrung aufgefasst werden, wie dies in der Streitpatentschrift für das Ausführungsbeispiel in den Absätzen [0019] und [0020] angegeben und den Figuren 1 und 1a gezeigt ist. Dies wäre jedoch eine Auslegung unterhalb des Wortlauts des Patentanspruchs bzw. dessen Sinngehalts, die nicht zulässig ist (BGH Urt. V. 12. Dezember 2006 - X ZR 131/02, GRUR 2007, 309 - Schussfädentransport). Nach der Beschreibung a. a. O. ist nämlich die Anzahl und der Fügezustand der platzierten Bausteine nicht eindeutig definiert und selbst die Formgebung als Oktaeder ("Octahedron") ist dort lediglich als bevorzugte Ausführung vorgeschlagen. Auch soll der Sockel als Plattform ("design platform") für komplexe Aufbauten verwendbar sein, wie dies in der Patentschrift im Absatz [0012] angegeben ist und für einen Einpassstein zutrifft; der Sockel soll nicht ausschließlich für eine Aufbewahrung hergerichtet sein.

Die Beklagten sind weiter der Auffassung, die Einpasssteine des im Stand der Technik mit "Diamant" bezeichneten Bausteinsatzes seien im Querschnitt quadratisch und nicht rautenförmig, wodurch beim Streitpatentgegenstand mehr Bausteine in kompaktester, zudem auch den Innenraum befüllender Anordnung für eine platzsparende Aufbewahrung möglich seien. Die Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung hierzu ein Blatt mit farbigen Figuren, die diesen behaupteten Unterschied belegen sollen, übergeben. Es mag sein, dass ein Bausteinsatz mit Randelementen quadratischen Querschnitts begrenzte Möglichkeiten der Zusammenfügung bietet. Auf dem maßgeblichen Katalogblatt der E1 ist rechts eine große Figur mit einem liegend angeordneten Einpassstein abgebildet. Bei seitlicher Draufsicht auf den Einpassstein ist deutlich ein Eckenwinkel von 90¡ abzulesen. Aus dieser Winkelgröße folgt zwangsläufig in der Fläche, die die Diagonale über die Ecken eines vieleckigen Randelementes beinhaltet, eine doppelseitig spitzwinklige Dreiecksform und somit eine rautenförmige Querschnittsfläche des Randelementes.

Auch kann dahinstehen, aus wie vielen Bausteinen ein Bausteinsatz besteht. Jedenfalls ermöglicht der als "zerlegbarer Octader" konzipierte Bausteinsatz nach E1 eine Aufbewahrung einer Vielzahl von Einpasssteinen in seinem Inneren bis zur vollständigen Füllung. Dies erschließt sich dem Fachmann ohne Weiteres aus der Darstellung der doppelseitigen Pyramide oben links und den daraus aufbaubaren einzelnen Pyramiden darunter auf dem maßgeblichen Katalogblatt der E1. Diese bilden jeweils selbst einen im Inneren ungefüllten Bausteinsatz mit wenigen Steinen, wie es - ausweislich des Anspruchs 4 des Streitpatents in der beschränkt verteidigten Fassung - auch beim patentgemäßen Bausteinsatz vorgesehen ist.

Im Übrigen überlässt es das Streitpatent dem Fachmann, in welcher Zusammenfügung eine Aufbewahrung erfolgen soll. Die in der Patentschrift selbst genannte Aufgabe einer rationellen Aufbewahrung ("efficient storage", vgl. Absatz [0007]) impliziert über die allgemeinen Angaben im geltenden Anspruch 1 hinaus keinen besonderen Fügezustand. Selbst der auf dem maßgeblichen Katalogblatt der E1 rechts unten abgebildete Aufbau eignet sich zur effizienten Aufbewahrung, weil er selbsthaltend ohne Demontage auf einer kleinen Grundfläche abstellbar ist.

2. Auch die Unteransprüche - die ohnehin nur, soweit sie angegriffen sind, auf dem Prüfstand stehen - weisen keinen eigenen erfinderischen Gehalt auf. Etwas Anderes wurde auch von der Beklagten nicht vorgetragen.

IV.

1. Auch der Gegenstand der hilfsweise verteidigten Fassung des Patentanspruchs 1 ist nicht patentfähig. Soweit die Merkmale des beanspruchten Bausteinsatzes mit denen des Bausteinsatzes nach Patentanspruch 1 des Hauptantrags übereinstimmen, wird auf die Ausführungen zu diesem hingewiesen.

Nach Patentanspruch 1 des Hilfsantrages ist zusätzlich vorgesehen, dass der Bausteinsatz "wenigstens einen Einpassstein (108) einer ersten, größten Größe, wenigstens zwei ineinander passende Steine (106) einer zweiten, kleineren Größe, wenigstens drei ineinander passende Steine (104) einer dritten, noch kleineren Größe, wenigstens vier ineinander passende Steine (102) einer vierten, kleinsten Größe und wenigstens fünf Kopfsteine (100) umfasst und dadurch ein massives gleichseitiges Oktaeder bildet". Gegenüber dem Hauptantrag wird mit dem Patentanspruch 1 des Hilfsantrags weiterhin gefordert, dass der Bausteinsatz ein "gesondertes" Postament "mit Füßen" einschließt.

Aus den Zahlenangaben im hilfsweise beschränkten Patentanspruch 1 ergibt sich, dass ein Satz Steine insgesamt mindestens 15 Steine mit der angegebenen Mindestanzahl in der jeweiligen Größe umfassen soll. Diese 15 Steine ermöglichen eine Zusammensetzung zu einem im Inneren voll befüllten und somit massiven Oktaeder, wie in Figur 1 der Streitpatentschrift gezeigt ist. Hierbei bilden zwei der vier Steine (102) der vierten, kleinsten Größe in einer Fügung mit den Kopfsteinen die im Merkmal M1.3 noch benannten "Abschlusseinpasssteine". Die als "Oktaeder" und somit von acht ebenen Flächen begrenzte Fügefigur bedingt ein im Außenumriss viereckiges Randelement. Genau diese Anzahl von Steinen in dieser Größenstufung ist der Abbildung der vier zusammengesetzten Einzelpyramiden auf dem maßgeblichen Katalogblatt der E1 entnehmbar. Neben den vier eingesetzten Kopfsteinen ist der bei dieser Anordnung verbleibende fünfte Kopfstein, der zwischen der größten und zweitgrößten Pyramide einliegt, deutlich erkennbar. Die dort gezeigten, vereinzelten Pyramiden müssen aus dem oben auf dem Katalogblatt abgebildeten, dort "Diamant" benannten Oktaeder durch Zerlegung ableitbar sein. Sie können folglich auch zu einem massiven gleichseitigen Oktaeder zusammensetzt werden. Dies erkennt der Fachmann ohne Weiteres im sich aufdrängenden Umkehrschluss.

Der Gegenstand nach Patenanspruch 1 gemäß Hilfsantrag ist durch die Präzisierung, dass es sich um ein "gesondertes" Postament "mit Füßen" handelt, gegenüber dem aus E1 bekannten Bausteinsatz zwar neu, gleichwohl jedoch nicht patentfähig, weil er sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

Der Wortlaut des hilfsweise beschränkten Patentanspruchs 1 lässt offen, in welcher Weise die Steine im Inneren des Postaments zusammengefügt sein sollen. Aus dem Fügezustand der 15 benannten Steine zu einem massiven gleichseitigen Oktaeder folgt auch nicht zwangsläufig, dass genau die untere Hälfte speziell dieser Fügefigur die geometrische Gestalt des Inneren des Postaments bedingt. Die Fügesystematik des bekannten Bausteinsatzes regte den Fachmann bereits dazu an, die Anzahl und Anordnung der Bausteine bei ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung unabhängig von den Bestandteilen einer dichtest gepackten Grundform zu variieren. So hatte der Fachmann ausgehend von E1 Vorbild und Anlass, weitere passende Bausteine zur Ergänzung des gezeigten 15-teiligen Satzes bei einhergehender Erweiterung der erreichbaren Komplexität vorzusehen. Ein ergänzender Baustein könnte dabei als Postament für darin zu platzierende Fügefiguren dienen. Das als "gesondert" bezeichnete Postament ist somit nicht von einem kompatiblen Baustein unterscheidbar.

Ein Sockel als inhärenter Bestandteil eines derartigen Bausteinsatzes muss möglichen Fügefiguren, die in die Vertikale gerichtet sind, eine ausreichend stabile Basis bieten. Deshalb liegt gerade bei einem viereckigen Grundriss eines "Oktaeders" die Ausbildung von gleichfalls vier Füßen auf der Hand. So bilden bereits die vier auf einer Unterlage aufliegenden, vom rautenförmigen Querschnitt gebildeten Eckkanten eines als Sockel verwendeten, viereckigen Einpasssteins Auflager im Sinne von "Füßen" aus. Wenn sich in der Praxis eine unzureichende Stabilität der Anordnung ergeben sollte oder Einschränkungen der Figurenvielfalt offenbar werden sollten, ist der Fachmann aufgerufen, Abhilfe durch eine zweckmäßig angepasste Gestaltung zumindest eines kompatiblen Bausteines zu schaffen. Diese ist allerdings im Patentanspruch nicht näher definiert, insbesondere hat - entgegen eines von den Beklagten erhobenen Einwands - die augenfällig "materialsparende", den unteren Teil des Oktaeders vollständig aufnehmende Formgebung des in Figur 1 gezeigten Postaments mit diagonal verlaufenden Fußkanten im geltenden Patentanspruch 1 keinen Niederschlag gefunden.

2. Die angegriffenen Unteransprüche weisen keinen eigenständig erfinderischen Gehalt auf. Ein solcher wurde von den Beklagten auch nicht geltend gemacht.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. §§ 91 Abs. 1, 101 Abs. 1 1. Halbsatz ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG, § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

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BPatG:
Urteil v. 20.05.2008
Az: 1 Ni 2/08


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