Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 7. September 2011
Aktenzeichen: 1 BvR 1460/10

(BVerfG: Beschluss v. 07.09.2011, Az.: 1 BvR 1460/10)

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzung.

I.

1. Der Beschwerdeführer ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Durchsetzung von Aktionärsrechten zählt. Er ist Aktionär der Beklagten des Ausgangsverfahrens, der S. AG. In der Satzung der Beklagten hieß es: „Gegenstand des Unternehmens ist die Übernahme und Ausführung von Bauleistungen auf allen Gebieten des Straßen-, Ingenieur-, Wasser-, Hoch- und Tiefbaues... .“ Im Jahr 2006 hielt die S. SE, eine 2004 gegründete Europäische Aktiengesellschaft, etwa 66 % der Aktien der Beklagten; die übrigen Aktien befanden sich in Streubesitz. Die S. SE hielt zudem die Mehrheit der Aktien der Ed. AG, bei der es sich ebenfalls um ein Bauunternehmen handelt.

Die S. SE strebte eine Konzentration der Beklagten auf den Verkehrswegebau und eine Konzentration der Ed. AG auf den Hoch- und Ingenieurbau an. Dazu veräußerte die Beklagte, die S. AG, Ende Februar 2006 einen Großteil ihrer Hoch- und Ingenieurbauaktivitäten an die Ed. AG für 30,9 Mio. € netto. Bereits begonnene Projekte in der veräußerten Sparte führte die Beklagte zu Ende, nahm neue jedoch nur im Zusammenhang mit Straßen- und Tiefbauaufträgen an. Die Hauptversammlung beschloss wenige Monate nach der Veräußerung, Mitte Juli 2006, eine Änderung der Satzung, nach der Unternehmensgegenstand jetzt nur noch der Straßen- und Tiefbau ist.

Der Beschwerdeführer erhob Klage gegen die S. AG und verlangte die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verkaufs und der dazu gefassten Vorstands- und Aufsichtsratsbeschlüsse (Klageanträge zu 1-3) sowie die Rückabwicklung der dazu beschlossenen Maßnahmen (Klageantrag zu 7). Zudem beantragte er die Feststellung der Rechtswidrigkeit weiterer Maßnahmen zur Eingliederung der Beklagten in die Organisation der S. SE, insbesondere durch Übertragung der Projektentwicklungsaktivitäten von der S. GmbH auf die Z. GmbH und durch Übertragung von Beteiligungen an der BR. GmbH und an der BM. GmbH auf die Ed. AG (Klageantrag zu 4); weiter wollte er die Unwirksamkeit auch der dazu gefassten Vorstands- und Aufsichtsratsbeschlüsse festgestellt wissen (Klageanträge zu 5 und 6). Die „Eingliederung der Beklagten in die Organisation der S. SE“ konkretisierte er dahin, dass damit neben den ausdrücklich aufgeführten Maßnahmen zur Einbindung in die Organisation der S. SE gemeint seien: Die Auslagerung des Rechnungswesens, der Lohn- und Gehaltsabrechnungen, der Finanzen und der übrigen Verwaltungstätigkeiten auf eine im hälftigen Anteilsbesitz der Beklagten und der Ed. AG stehende GmbH, die ursprünglich zu 99 % im Besitz der Beklagten stand; weiter die Zusammenlegung der Rechtsabteilung der Beklagten und der Ed. AG und ihrer Tochtergesellschaften in der C. GmbH, den Verkauf der 49 %-Beteiligung der Beklagten an der D. GmbH & Co. KG und der D. GmbH an die bisherige Mitgesellschafterin W. OHG und den Beitritt zu einem syndizierten Avalkredit in Höhe von 1,5 Mrd. €, der wesentliche Teile der bisherigen Avalkreditfinanzierung der Beklagten bei Banken ersetzte und für den im Gegenzug der bisherige Sicherheitenpool aufgelöst und alle Sicherheiten der Beklagten freigegeben wurden.

Der Beschwerdeführer beantragte des Weiteren die Feststellung, dass die Beklagte ohne Schaffung einer konzernrechtlichen Rechtsgrundlage verpflichtet sei, die Eingliederung rückgängig zu machen (Klageantrag 8). Schließlich sollte festgestellt werden, dass der Vorstand der Beklagten den Abschluss eines Beherrschungsvertrages mit der S. SE verlangen könne (Klageantrag 9) und dass der Beklagten qualifizierte Nachteile zugefügt worden seien mit der Folge, dass ihr ein Anspruch auf Verlustausgleich und den außenstehenden Aktionären ein Anspruch auf angemessenen Ausgleich oder Abfindung zustehe (Klageantrag 10).

2. Das Landgericht gab den Anträgen zu 1 bis 8 statt und erachtete die Anträge zu 9 und 10 als unzulässig. Das Oberlandesgericht wies in der Berufungsinstanz die Klage insgesamt ab (veröffentlicht in AG 2009, S. 416 mit zust. Anm. Pluskat, EWiR 2009, S. 395). Dabei ging es im Wesentlichen von folgenden Erwägungen aus: Die Veräußerung der Hoch- und Ingenieurbausparte sei nicht deswegen rechtswidrig, weil damit die Tätigkeitsfelder der S. AG nicht mehr den in der Satzung genannten Unternehmensgegenstand ausgefüllt hätten (sogenannte Satzungsunterschreitung). Jedenfalls wegen des Umfangs der nach der Veräußerung bis zur Satzungsänderung noch durchgeführten Arbeiten im Hoch- und Ingenieurbau liege auch für den dazwischen liegenden Zeitraum von März bis Mitte Juli 2006 keine unzulässige Satzungsunterschreitung vor. Auch habe die Veräußerung mangels Erreichens der Erheblichkeitsschwelle oder einer grundlegenden Veränderung der Struktur der Gesellschaft nicht der Zuständigkeit der Hauptversammlung unterlegen (Anträge 1-3). Die Veräußerung (Anträge 1-3) und die weiteren Eingliederungsmaßnahmen (Anträge 4-6) seien hier im sogenannten faktischen Konzern gemessen an § 311 AktG nicht unzulässig; denn der Beschwerdeführer habe nicht dargelegt und unter Beweis gestellt, dass die beanstandeten Maßnahmen zu nicht kompensierbaren Nachteilen für die Beklagte geführt hätten. Die Feststellungsanträge zu 9 und 10 seien unzulässig. Die Verpflichtung eines Organs der Gesellschaft zum Abschluss eines Unternehmensvertrages sei weder im Aktiengesetz vorgesehen noch entspreche sie der Kompetenzordnung innerhalb der Aktiengesellschaft. Die Ausgleichs- und Abfindungsansprüche aus den §§ 302, 304, 305 AktG, deren Feststellung der Beschwerdeführer gegenüber der Beklagten begehre, richteten sich nicht gegen das abhängige, sondern gegen das herrschende Unternehmen, also die S. SE. Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Drittrechtsverhältnisses lägen nicht vor.

Die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde, mit der der Beschwerdeführer die Klageanträge zu 1 bis 8 weiterverfolgte und den Klageantrag zu 10 auf die Feststellung beschränkte, dass der Beklagten qualifizierte Nachteile zugefügt worden seien und ihr ein Anspruch auf Verlustausgleich analog § 302 AktG zustehe, wies der Bundesgerichtshof zurück.

II.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs und das Urteil des Oberlandesgerichts. Er sieht sich vornehmlich in seinen Grundrechten aus Art. 14 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, dem Anspruch auf Justizgewährung sowie in Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

Der Schutzbereich des Art. 14 GG sei betroffen und das Eigentumsgrundrecht durch die Entscheidungen der Fachgerichte verletzt, weil diese die bestehende Hauptversammlungskompetenz verkannt hätten. Ohne einen entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss könnten die Voraussetzungen für eine angemessene Entschädigung der außenstehenden Aktionäre nicht geschaffen werden. Die S. SE habe die Kompetenz der Hauptversammlung umgangen, indem sie die S. AG ohne eine konzernrechtliche oder umwandlungsrechtliche Rechtsgrundlage in andere Konzernunternehmen beziehungsweise in die S. SE selbst integriert habe.

Die Fachgerichte hätten zudem die hier relevanten Justizgrundrechte aus Art. 19 Abs. 4 GG, ergänzend auch aus Art. 103 Abs. 1 GG, sowie aus dem allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch und aus dem Rechtsstaatsprinzip verletzt. Da er, der Beschwerdeführer, keinen Zugang zu den Geschäftsunterlagen der beklagten S. AG gehabt habe, hätten die Fachgerichte dem mit Erleichterungen bei der Darlegungs- und Beweislast begegnen müssen.

Schließlich sei Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Die fachgerichtlichen Entscheidungen ließen außer Acht, dass der Privatautonomie Grenzen gesetzt seien; sie begründeten im Aktien- und Kapitalmarktrecht unverhohlen das Recht des Stärkeren. Damit seien zugleich auch Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK verletzt.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte des Beschwerdeführers angezeigt. Anhaltspunkte dafür, dass die angegriffenen Entscheidungen gegen die als verletzt gerügten verfassungsmäßigen Rechte des Beschwerdeführers verstoßen könnten, sind auf der Grundlage des Vorbringens der Verfassungsbeschwerde nicht ersichtlich.

1. Die Verfassungsbeschwerde genügt hinsichtlich der im fachgerichtlichen Verfahren gerügten Satzungsunterschreitung nicht den Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG. Ihre Begründung lässt insoweit die Möglichkeit einer Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen. Sie enthält dazu nur pauschale Verweisungen auf frühere Schriftsätze und verkennt, dass es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist, verfassungsrechtlich Relevantes aus den in Bezug genommenen und vorgelegten Schriftsätzen herauszusuchen (vgl. BVerfGE 80, 257 <263>; 83, 216 <228>).

2. Im Übrigen hat die Verfassungsbeschwerde in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.

a) Eine Verletzung des Anteilseigentums des Beschwerdeführers (Art. 14 Abs. 1 GG) durch die Veräußerung der Sparte „Hoch- und Ingenierbau“ der Beklagten des Ausgangsverfahrens sowie die in Rede stehenden Umstrukturierungsmaßnahmen lässt sich nicht feststellen.

aa) Das Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) gewährleistet das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum, das im Rahmen seiner gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung durch Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis gekennzeichnet ist (vgl. BVerfGE 25, 371 <407>; 50, 290 <339>; 100, 289 <301>). Der Schutz erstreckt sich auf die mitgliedschaftliche Stellung in einer Aktiengesellschaft, die das Aktieneigentum vermittelt. Aus dieser Stellung erwachsen dem Aktionär im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Gesellschaftssatzung sowohl Leitungsbefugnisse als auch vermögensrechtliche Ansprüche (vgl. BVerfGE 14, 263 <276>; 100, 289 <301 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. September 2007 - 1 BvR 2984/06 -, WM 2007, S. 2199 <2200>).

Die durch die Aktie vermittelten Leitungsbefugnisse des Aktionärs betreffen nach der gesetzlichen Kompetenzverteilung, die sich insoweit als verhältnismäßige Inhaltsbestimmung des Aktieneigentums erweist, nicht die Geschäftsführung. Die Geschäftsführung weist das Gesetz in § 76 Abs. 1 AktG ausschließlich dem Vorstand einer Aktiengesellschaft zu; gemäß § 119 Abs. 2 AktG ist die Befassung der Hauptversammlung mit Geschäftsführungsmaßnahmen nur auf Verlangen des Vorstands vorgesehen. In fachrichterlicher Rechtsfortbildung ist die Hauptversammlungszuständigkeit dahin erweitert worden, dass der Vorstand verpflichtet sein kann, bei schwerwiegenden Eingriffen in die Rechte und Interessen der Aktionäre eine Entscheidung der Hauptversammlung herbeizuführen (vgl. BGHZ 83, 122 <131 f.> - „Holzmüller“). In Anerkennung der gesetzlichen Kompetenzverteilung nimmt die fachgerichtliche Rechtsprechung bei einer von dem Vorstand in Aussicht genommenen Umstrukturierung der Gesellschaft eine die Hauptversammlungsbefassung gebietende wesentliche Beeinträchtigung der Mitwirkungsbefugnisse der Aktionäre aber erst dann an, wenn die wirtschaftliche Bedeutung der Maßnahme an die Kernkompetenz der Hauptversammlung rührt, über die Verfassung der Aktiengesellschaft zu bestimmen (vgl. BGHZ 159, 30 <44 f.> - „Gelatine I“; BGH, Beschluss vom 20. November 2006 - II ZR 226/05 -, juris).

bb) Das Oberlandesgericht hat mit vertretbaren Erwägungen festgestellt, dass unter Berücksichtigung dieser Kriterien die Veräußerung der Unternehmenssparte „Hoch- und Ingenieurbau“ und die weiteren Umstrukturierungsmaßnahmen die Rechte des Beschwerdeführers nicht in diesem Sinne wesentlich beeinträchtigten und nicht die Grenze des § 179a AktG erreichten.

Unter den geschilderten Umständen ist es entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch von Verfassungs wegen im Lichte des Art. 14 Abs. 1 GG nicht geboten, zum Schutz von Minderheitsaktionären einfachrechtlich eine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz - unabhängig von der wirtschaftlichen Bedeutung der Maßnahme - stets schon dann anzunehmen, wenn ein Unternehmensteil veräußert wird. Die von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte mitgliedschaftliche Komponente des Aktieneigentums wird durch die Veräußerung eines Unternehmensteils in der Regel nicht berührt, da eine Verkürzung der mitgliedschaftlichen Aktionärsrechte grundsätzlich nicht stattfindet. Ein etwa nachteiliger Einfluss auf die vermögensrechtliche Beteiligung an der Gesellschaft soll nach der gesetzgeberischen Wertung durch das Ausgleichssystem der §§ 311 ff. AktG entschädigt werden. Dieses System des Einzelausgleichs genügt grundsätzlich den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Der Gesetzgeber hat seiner Pflicht zum Schutz der Aktionärsrechte mit der Möglichkeit einer Schadensersatzklage gegen das herrschende Unternehmen genügt. Neben einem Schadensersatzanspruch der beherrschten Gesellschaft, den der einzelne Aktionär zu ihren Gunsten verfolgen kann, statuiert § 317 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 i.V.m. § 309 Abs. 4 AktG einen jedem einzelnen Aktionär zustehenden Schadensersatzanspruch gegen das herrschende Unternehmen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers gebietet es der Grundrechtsschutz der Aktionäre nicht, dass der Aktionär darüber hinaus grundsätzlich ausgleichsfähige Nachteile, die innerhalb der Frist des § 311 AktG nicht ausgeglichen werden, für rechtswidrig erklären lassen kann. Die darauf gerichteten Anträge des Beschwerdeführers hat das Oberlandesgericht im Einklang mit der Wertung des Gesetzgebers für unzulässig gehalten. Da der nachteilige Einfluss des herrschenden Unternehmens sich in erster Linie auf die vermögensrechtliche Komponente des Aktieneigentums auswirkt, ist die von dem Gesetzgeber vorgesehene finanzielle Kompensation aus verfassungsrechtlicher Sicht geboten, aber auch ausreichend. Dies gilt jedenfalls solange, wie die Einflussnahme durch das herrschende Unternehmen nicht ein solches Ausmaß erreicht, dass das System des finanziellen Ausgleichs versagt.

Das Oberlandesgericht hat in seiner Entscheidung eine solche Fallgestaltung verneint und dabei die rechtlichen Grenzen des Einzelausgleichs nicht verkannt. Es hat ausdrücklich klargestellt, dass eine derart intensive Einwirkung der Konzernleitung, die das System des Einzelausgleichs außer Funktion setze, weil der Nachteil im Rahmen eines Einzelausgleichs nicht mehr bestimmbar sei, rechtmäßig nur auf der Grundlage eines Beherrschungsvertrages oder einer förmlichen Eingliederung zulässig sei.

Nach der ausführlich und sorgfältig begründeten, mindestens vertretbaren und deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden tatsächlichen Würdigung des Oberlandesgerichts war dies indessen nicht der Fall. Im Ergebnis hat die Beklagte eine Betriebssparte mit der damit zusammenhängenden Projektentwicklungsgesellschaft veräußert, die Rechtsabteilung und kaufmännische Verwaltungsaufgaben ausgelagert, die Verwaltung des Maschinenparks mit der Ed. AG zusammengelegt, ohne dabei jedoch das Eigentum an dem Maschinenpark aufzugeben, ist - unangegriffen schon vom Landgericht als nicht nachteilig eingestuft - in den konzernweiten Avalkredit einbezogen worden, hat ein Vorstandsmitglied der Beklagten ein Vorstandsmandat bei der S. SE übernommen und hat die Beklagte die D.-Beteiligung an die Ed. AG veräußert. Diese letzte Maßnahme hing nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts zumindest auch mit einem Fusionskontrollverfahren des Bundeskartellamts zusammen und ging nicht allein auf die Konzernierungsbestrebungen der S. SE zurück. Es lässt sich nicht feststellen, dass die dem Urteil des Oberlandesgerichts zugrundeliegende Wertung der Veräußerung der Sparte sowie der Umstrukturierungsmaßnahmen als jeweils dem Einzelausgleich gemäß § 311 AktG zugängliche Einflussnahmen und im Grundsatz zulässige faktische Konzernierungsmaßnahmen nicht haltbar und damit krass fehlerhaft wäre.

b) Ebensowenig sind der Justizgewährungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) und das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt verletzt, dass die Fachgerichte die Anforderungen an die ihn treffende Darlegungslast zu den durch die Geschäftsführungsmaßnahmen verursachten Nachteilen überspannt hätten.

Der objektive Gehalt der Grundrechte kann auch im Verfahrensrecht Bedeutung erlangen. Wie die Darlegungs- und Beweislast unter Beachtung verfassungsrechtlicher Positionen bei der Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften zu beurteilen ist, lässt sich allerdings nicht allgemein festlegen. Das Zivilprozessrecht bietet aber für eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast geeignete Handhabe (vgl. BVerfGE 97,169 <179>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 6. Oktober 1999 - 1 BvR 2110/93 -, NJW 2000, S. 1483 <1484>). Darüber hinaus schützt die Verbürgung der Justizgewähr vor unzumutbarer Verkürzung des Anspruchs auf Durchsetzung des materiellen Rechts durch übermäßig strenge Anwendung verfahrensrechtlicher Schranken (vgl. BVerfGE 84, 366 <369 f.>). Eine solche von Verfassungs wegen unzulässige Verkürzung des Rechtsschutzes durch die vom Oberlandesgericht hier zu Grunde gelegte Darlegungs- und Beweislastverteilung ist nicht feststellbar.

Das Oberlandesgericht ist zutreffend von der allgemeingültigen, ungeschriebenen zivilprozessrechtlichen Grundregel ausgegangen, nach der jede Partei, die sich auf eine Rechtsfolge beruft, die Voraussetzungen des ihr günstigen Rechtssatzes darzulegen und zu beweisen hat. Hinsichtlich der Anforderungen an die Substantiierungspflicht entspricht es gesicherter höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass es vom Einzelfall abhängt, in welchem Maße die Partei ihr Vorbringen durch die Darlegung konkreter Einzeltatsachen substantiieren muss (vgl. nur BGH, Urteil vom 4. Juli 2000 - VI ZR 236/99 -, MDR 2000, S. 1392 <1393>; BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 - II ZR 133/07 -, WM 2008, S. 1873). Dem darlegungspflichtigen Anspruchsteller können Erleichterungen hinsichtlich seiner Substantiierungslast insbesondere dann gewährt werden, wenn der Gegner im Gegensatz zum Anspruchsteller die maßgebenden Tatsachen kennt und ihm die Darlegung des Sachverhalts zumutbar ist. Kommt er dieser Darlegungslast nicht nach, so hat dies zur Folge, dass das Vorbringen des Anspruchstellers auch insoweit, als dieses mangels Einblicks in den dem Gegner zugänglichen Geschehensbereich nicht den sonst zu stellenden Anforderungen genügt, gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt (vgl. BGHZ 100, 190 <195 f.>; BGHZ 122, 123 <133> - „TBB“, jeweils m.w.N.). Weder Art. 14 Abs. 1 GG noch die verfassungsrechtlich geschützten Rechte auf ein faires Verfahren und auf effektiven Rechtsschutz gebieten über diese in ständiger Rechtsprechung praktizierte Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast hinaus eine generelle Abmilderung oder Umkehr für die hier vorliegende Fallgestaltung.

Unbeschadet dessen hat das Oberlandesgericht hier letztlich zugunsten des Beschwerdeführers in Anlehnung an die vom Bundesgerichtshof früher für die Haftung im sogenannten qualifiziert faktischen GmbH-Konzern aufgestellten Grundsätze unterstellt, dass der Beschwerdeführer nur Umstände darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen habe, die zumindest die Annahme nahegelegt hätten, bei der Unternehmensführung seien im Hinblick auf das Konzerninteresse die eigenen Belange der Beklagten des Ausgangsverfahrens über bestimmte, konkret ausgleichsfähige Einzeleingriffe hinaus beeinträchtigt worden (vgl. BGHZ 122, 123 <131> - „TBB“; vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 - II ZR 133/07 -, WM 2008, S. 1873; nachfolgend BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 8. April 2010 - 1 BvR 1473/09 -, AG 2010, S. 544). Damit hat das Oberlandesgericht dem Informationsgefälle zwischen Beschwerdeführer und beklagter Aktiengesellschaft im Ergebnis Rechnung getragen und die allgemeinen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast abgesenkt. Weitergehendes war von Verfassungs wegen nicht geboten, denn insoweit ist die Bestimmung des genauen Maßes einer Vortrags- und Substantiierungspflicht Sache der Auslegung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte und der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht zugänglich (stRspr; vgl. nur BVerfGE 18, 85 <92 f.>). In verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das Oberlandesgericht den Vortrag des Beschwerdeführers dann für nicht ausreichend erachtet.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.






BVerfG:
Beschluss v. 07.09.2011
Az: 1 BvR 1460/10


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