Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. März 2006
Aktenzeichen: 7 W (pat) 40/05

(BPatG: Beschluss v. 15.03.2006, Az.: 7 W (pat) 40/05)

Tenor

Auf die Beschwerde der Patentanmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F 01 L des Deutschen Patent- und Markenamts vom 22. April 2005 aufgehoben und das Patent erteilt mit den jeweils am 15. März 2006 überreichten Patentansprüchen 1 bis 8, 9 Seiten Beschreibung (Seiten 1-3, 3a, 4-8) und 2 Blatt Zeichnungen (Figuren 1 bis 3).

Gründe

I Die Patentanmeldung 44 99 784.1-13 mit der Bezeichnung "Schaltbares Abstützelement" ist aus der internationalen, beim Europäischen Patentamt am 2. Dezember 1994 eingereichten Patentanmeldung PCT/EP94/04007 hervorgegangen, die als Dokument WO 95/16851 veröffentlicht worden ist. Die Priorität der deutschen Gebrauchsmusteranmeldung G 93 19 435.8 vom 17. Dezember 1993 ist in Anspruch genommen.

Zum Stand der Technik sindin den ursprünglichen Unterlagen (siehe WO 95/16851) das Patentdokument 1. DE 40 00 531 A1, im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt die Patentdokumente 2. DE 32 39 941 A1 3. JP 61-118 514 A 4. JP 61-118 518 A 5. JP 54-57 009 A 6. DE 42 13 855 A1 7. DE 93 06 685 U1 8. WO 91/12 415 A1 9. JP 03-64 607 A 10. DE 42 11 631 A1 und 11. DE 28 15 334 A1 genannt worden.

In Bescheiden der Prüfungsstelle für Klasse F 01 L des Deutschen Patent- und Markenamts vom 2. Mai 1997, 21. November 2002 und vom 16. November 2004, der letztgenannte folgte auf eine Anhörung am 9. November 2004, hat die Prüfungsstelle zu den jeweils geltenden neuen Anspruchsfassungen einen neuen Stand der Technik genannt und sinngemäß ausgeführt, dass mit einer Patenterteilung nicht gerechnet werden könne, da dem Gegenstand der Anmeldung die Patentfähigkeit gegenüber dem aufgezeigten Stand der Technik fehle.

Mit Schriftsatz vom 7. Februar 2005 hat die Anmelderin ein überarbeitetes Patentbegehren vorgelegt, dem die in der Anhörung mit der Prüfungsstelle erarbeitete Anspruchsfassung (Ansprüche 1 bis 8) zugrunde liegt. Die Anmelderin hat die Auffassung vertreten, dass die entgegengehaltenen Druckschriften nicht geeignet seien, die Erfindungshöhe des Anmeldungsgegenstandes gemäß geltender Anspruchsfassung in Frage zu stellen.

Durch Beschluss vom 22. April 2005 hat die Prüfungsstelle die Anmeldung mit der Begründung zurückgewiesen, dass ihr Gegenstand in der Fassung der Patentansprüche vom 7. Februar 2005 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

In der mündlichen Verhandlung legt sie neue Patentansprüche 1 bis 8 vor. Sie macht geltend, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber dem aufgezeigten Stand der Technik neu sei und auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Sie stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent zu erteilen mit den jeweils am 15. März 2006 überreichten Patentansprüchen 1 bis 8 mit 9 Seiten Beschreibung und 2 Blatt Zeichnungen (Figuren 1 bis 3).

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

1) Abschaltbares Abstützelement (1) für einen Schlepphebel eines Ventiltriebs einer Brennkraftmaschine, 2) mit einem hohlzylindrischen Gehäuse (2), 3) in dessen Innerem ein axial bewegliches Innenelement (8) verläuft, 4) welches an seinem unteren Ende über eine Druckfeder (9) gegenüber einem Boden des Gehäuses (2) abgestützt ist, 5) wobei ein oberes Ende (6) des Innenelements (8) mit dem Schlepphebel kommunizierbar ausgelegt ist, 6) wobei im Gehäuse (2) und im Innenelement (8) je eine in einer Nockengrundkreisphase zueinander fluchtende, radiale Bohrung (13, 18) angeordnet sind, 7) wobei in der Bohrung (18) des Innenelements (8) ein oder zwei in Richtung zur jeweiligen Bohrung (13) des Gehäuses (2) verschiebliche(r) Kolben (14) als Koppelmittel angeordnet (ist) sind, 8) welcher Kolben (14) im Koppelfall einen zwischen dem Gehäuse (2) und dem Innenelement (8) gebildeten Ringspalt (20) so übergreift, dass eine formschlüssige Verbindung des Gehäuses (2) mit dem Innenelement (8) besteht, 9) wobei der Kolben (14) in eine Richtung über Hydraulikmitteldruck und in die entgegengesetzte Richtung über eine in der Bohrung (18) des Innenelements (8) angeordnete Schraubenfeder (16, 27) verlagerbar ist 10) und wobei ein den Ringspalt (20) übergreifender Anschlag zur Begrenzung einer Bewegung des Innenelements (8) in dessen beide Verschieberichtungen vorgesehen ist, bestehend aus einem am Gehäuse (2) oder Innenelement (8) angeordneten und radial in eine Aussparung des anderen Bauteils (8, 2) überstehenden Element, welcher Anschlag einerseits in der Nockengrundkreisphase einen geschlossenen inneren Kraftfluss der Schraubenfeder (16, 27) bewirkt und andererseits eine axial einwärts gerichtete Bewegung des Innenelements (8) begrenzt.

Die geltenden Patentansprüche 2 bis 8 betreffen Weiterbildungen des Gegenstandes nach Patentanspruch 1.

II Die Beschwerde ist zulässig. Sie hat in der Sache auch Erfolg.

Der Anmeldungsgegenstand stellt in der Fassung der geltenden Patentansprüche eine patentfähige Erfindung i. S. d. § 1 bis § 5 PatG dar.

1. Die geltenden Patentansprüche 1 bis 8 sind zulässig. Ihre Merkmale sind in den ursprünglichen Unterlagen offenbart.

2. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist neu. Keine der entgegengehaltenen Druckschriften offenbart ein abschaltbares Abstützelement für einen Schlepphebel eines Ventiltriebs einer Brennkraftmaschine mit sämtlichen Merkmalen des Patentanspruchs 1.

3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Als hier zuständiger Fachmann ist ein Ingenieur des Maschinenbaus anzusehen, der mit der Konstruktion von Ventiltrieben jeglicher Art für Brennkraftmaschinen befasst ist und über mehrjährige Berufserfahrung auf diesem Gebiet verfügt.

In der deutschen Offenlegungsschrift 32 39 941 (Figur 1 und zugehörige Beschreibungsteile) ist eine Vorrichtung zur Abschaltung des Ventiltriebs einer Brennkraftmaschine beschrieben, die ein schaltbares Abstützelement mit einem Innenelement aufweist, welches Innenelement als Lagerbolzen (10) für einen Kipphebel (2) ausgebildet ist. Dieser Lagerbolzen ist in einer zylindrischen Bohrung (13) eines Gehäuses (Kipphebelboden 14) axial beweglich geführt, an einem Ende mittels einer Druckfeder (15) gegen das Gehäuse abgestützt und am gegenüberliegenden Ende über einen Lagerkopf (11) an dem von einer Nockenwelle betätigbaren Kipphebel (2) angelenkt. Das Innenelement bzw. der Lagerbolzen ist im Gehäuse (14) verriegelbar. Hierzu ist in einer radial zur Lagerbolzenachse im Gehäuse verlaufenden Bohrung (19) ein verschieblicher, kolbenartiger Sperrbolzen (18) angeordnet, dessen dem Lagerbolzen zugewandtes Ende in einer Nockengrundkreisphase in Eingriff mit einer ebenfalls radial verlaufenden Ausnehmung (16) im Lagerbolzen gelangen kann (Fig. 1), wozu notwendigerweise die beiden radialen Bohrungen fluchten müssen. Der Sperrbolzen ist entgegen der Sperrrichtung durch eine Schraubenfeder (Rückstellfeder 22) belastet. In Sperrrichtung ist er hydraulisch, hier mit Drucköl, beaufschlagbar. (S. 5 le. Abs. bis S. 5 vierte Zeile von unten). Eine Ventilbetätigung ist nur in der Verriegelungsposition des Lagerbolzens möglich (S. 3 le. Abs.).

Wie der Fachmann ohne weiteres erkennt, weist der aus DE 32 39 941 A1 bekannte, ein Abstützelement bildende Lagerbolzen keine baulichen Merkmale auf, die abhängig von seiner Verwendung mit einem Schlepp- oder Kipphebel wären. Der Fachmann wird in Kenntnis der ihm geläufigen Ventiltriebe mit Kipp- und Schlepphebeln daher beim Studium der DE 32 39 941 A1 das bekannte Abstützelement auch in Verbindung mit einem Schlepphebel-Ventiltrieb mitlesen, da diese bekanntermaßen in ähnlicher Weise mit Abstützelementen genutzt werden. Die schon in der ursprünglichen Beschreibung der Anmeldung (vgl. WO 95/16851 A1 Seite 1) gewürdigte DE 40 00 531 A1 belegt im Übrigen die nahe liegende Verwendung eines verstellbaren Abstützelements gleichermaßen bei Ventiltrieben mit nockenbetätigbaren Kipphebeln, Schlepphebeln sowie im Übrigen auch mit Tassenstößeln (Sp. 2 Z. 3 bis 10).

Von dem bekannten unterscheidet sich das Abstützelement nach Patentanspruch 1 im Wesentlichen aber dadurch, dass das als Kolben gestaltete Koppelmittel in der Bohrung des Innenelements angeordnet und demzufolge in Richtung der Bohrung des Gehäuses verschieblich ist (Merkmal 7), und dass ein Anschlag zur Begrenzung der Bewegung des Innenelements gegenüber dem Gehäuse in beide Verschieberichtungen vorgesehen ist, derart, dass einerseits in der Nockengrundkreisphase ein geschlossener innerer Kraftfluss der Schraubenfeder bewirkt und andererseits eine axial einwärts gerichtete Bewegung des Innenelements begrenzt wird, wobei der Anschlag aus einem am Gehäuse oder Innenelement angeordneten Element besteht, das radial in eine Ausnehmung des jeweils anderen Bauteils ragt (Merkmal 10).

Zu dem Merkmal 7 erhält der Fachmann Anregung u. a. aus der JP 61-118514 A, in deren Figur 3 eine Verriegelungseinrichtung bei einem Tassenstößel gezeigt ist (s. a. Patent Abstract JP 61118514A, einzige Figur). Die auf einer Seite federbelasteten Sperrkolben 18 sind in radialen Bohrungen 17a eines Innenelements, hier des Ventilstangenkopfes 17, angeordnet und in die Bohrungen 15e eines Außenelements, hier der Tasse 15d, zur Herstellung einer Koppelung von Innen- und Außenelement verschiebbar. Die Übertragung der bei Tassenstößeln angewendeten kompakteren Anordnung einer Verriegelungseinrichtung auf einen Lagerbolzen nach DE 40 00 531 A1 bietet sich dem Fachmann an, wenn - was zu den ständigen Aufgaben des Fachmannes gehört - eine Verringerung des Bauraumes angestrebt werden soll.

Für das Merkmal 10) des Patentanspruchs 1 erhält der Fachmann nach Überzeugung des Senats jedoch keine Hinweise aus dem aufgezeigten Stand der Technik.

Nach den Ausführungen der Anmelderin in der mündlichen Verhandlung wird durch die der Nockengrundkreisphase zugeordnete Anschlagposition, etwa in der Position gemäß ursprünglicher Figur 1 rechte Hälfte oder geltender Figur 1 linke Hälfte, das radiale Verschieben (Einspuren) des Kolbens in den Verriegelungszustand von Gehäuse und Innenelement aus der Bewegung heraus erleichtert, durch die andere Anschlagposition (jeweils die andere Hälfte in Figur 1) der Weg des Innenelements in Richtung des Gehäusebodens begrenzt.

Die anspruchsgemäße Anordnung von Anschlägen entspricht hier nicht der an sich üblichen, auf der Hand liegenden Maßnahme zur gegenseitigen Lagesicherung von beweglichen Bauteilen, denn im montierten Zustand des Abstützelements zwischen Schlepphebel und Zylinderkopf bzw. bei den üblichen Bewegungszuständen der Vorrichtung befindet sich das Innenelement in einer durch dessen Druckfederkraft und der Druckkraft des nockenbetätigten Schlepphebels bestimmten Lage und bedarf an sich keiner Anschläge. Es ist das Verdienst der vorliegenden Erfindung, erkannt zu haben, dass mit zumindest einem Anschlag die Kopplung von Innenelement und Gehäuse sicherer bewerkstelligt werden kann, indem ein Anschlag in der Nockengrundkreisphase die Bewegung des Innenelements an einer vorgegebenen Position beendet, an der auch die radialen Bohrungen von Innenelement und Gehäuse fluchten, so dass an dieser Stelle ein unproblematisches Verschieben des Kolbens und damit ein verschleißärmerer Betrieb der Koppelvorrichtung ermöglicht ist.

Die oben gewürdigten Druckschriften lehren eine derartige Maßnahme ebenso wenig wie die übrigen im Prüfungsverfahren genannten Entgegenhaltungen. Letztere bedürfen daher auch keiner näheren Erörterung.

Der geltende Patentanspruch 1 ist somit gewährbar.

Gleiches gilt für die auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 8, durch deren Merkmale der Gegenstand des Anspruchs 1 in nichttrivialer Weise weiter ausgestaltet wird.






BPatG:
Beschluss v. 15.03.2006
Az: 7 W (pat) 40/05


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