Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 28. Februar 1991
Aktenzeichen: 5 S 1916/90

(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 28.02.1991, Az.: 5 S 1916/90)

1. Die Bemessung des Streitwerts bei einer Klage gegen einen Planfeststellungsbeschluß mit enteignender Vorwirkung nach dem Verkehrswert der betroffenen Grundstücksfläche verstößt weder gegen Art 14 oder 19 Abs 4 GG noch gegen die Rechtsprechung des BVerfG (NJW 1989, 2048).

2. Bei einer unbegründeten Streitwertbeschwerde können die Kosten eines im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens dem Beschwerdeführer auch ohne dessen Verschulden auferlegt werden.

Gründe

Beide Beschwerden sind zulässig. Auch der Beschwerdeführer zu 2), dem Prozeßbevollmächtigten 1. Instanz, der im eigenen Namen die Heraufsetzung des Streitwerts von der Hälfte auf den vollen Betrag des Verkehrswerts sowie zusätzlich dessen Heraufsetzung von 300.000,-- DM auf 450.000,-- DM begehrt, ist rechtsmittelbefugt (§ 9 Abs. 1 und 2 BRAGO i.V.m. § 25 Abs. 2 GKG) und durch die angegriffene -- aus seiner Sicht zu niedrige -- Streitwertfestsetzung des VG Karlsruhe beschwert.

Die Beschwerde des Klägers und Beschwerdeführers zu 1) ist unbegründet, die Beschwerde des Beschwerdeführers zu 2) ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Streitwert mit 200.000,-- DM zu niedrig angesetzt. Der hier festgesetzte Streitwert setzt sich zusammen aus einem Teilbetrag von 450.000,-- DM, dem geschätzten Verkehrswert der in Anspruch genommenen Fläche einschließlich des Gebäudes, sowie einem Teilbetrag von 50.000,-- DM wegen sonstiger Beeinträchtigung durch den Planfeststellungsbeschluß. Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit des kleineren Teilbetrages sind nicht ersichtlich. Gemäß § 13 Abs. 1 GKG ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Der Bedeutung der Sache für den Kläger und Beschwerdeführer zu 1) entspricht vorliegend der volle Verkehrswert der in Anspruch genommenen Fläche einschließlich des Gebäudes. Die subjektive Bedeutung der Sache für den Kläger ergibt sich aus seinem Klagebegehren, das auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses gerichtet ist. Dabei macht er vor allem einen schweren Eingriff in sein Eigentum geltend. Er wehrt sich damit hauptsächlich gegen die Inanspruchnahme seines Grundstückes, so daß es angemessen ist, dessen Verkehrswert anzusetzen. Der Verkehrswert von 450.000,-- DM ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers zu 2) und wurde vom Kläger und Beschwerdeführer zu 1) akzeptiert. Der Senat sieht keinen Anlaß, hiervon abzuweisen. Das Verbot der reformatio in peius gilt insoweit nicht (vgl. VGH Bad-Württ., Beschl.v. 23.3.1990 -- 1 S 81/90 --, VBlBW 1990, S. 298 (299) m.w.N.).

Nach einer grundsätzlichen, auch auf die zivilgerichtliche Rechtsprechung verweisenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der 5. Senat angeschlossen hat, ist als Streitwert der volle Betrag des Verkehrswertes anzusetzen (BVerwG, Beschl.v. 20.12.1988 -- 4 B 211.88 -- NVwZ-RR 1989, S. 458 (459); VGH Bad.-Württ., Beschl.v. 27.9.1989 -- 5 S 2132/89 --). Eine Reduzierung dieses Betrages um zu erwartende Entschädigungsleistungen nach Art. 14 Abs. 3 GG ist nicht möglich (vgl. VGH Bad.-Württ. ebenda, Bay.VGH, Beschl.v. 29.10.1986, Nr. 9 B 86.01926, BayVBl. 1987, 380). Mögliche Gegenleistungen bleiben im Streitwertrecht außer Betracht (BVerwG, ebenda).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der angeführten Rechtsprechung des BVerfG (NJW 1989, S. 2048 (2049)). Danach sieht es das BVerfG dort als nicht angängig an, den Wert der umstrittenen Grundstücke mit dem subjektiven Interesse des Beschwerdeführers gleichzusetzen. Obwohl dort der Verlust der Grundstücke drohte, war doch immerhin eine Abfindung in Land vorgesehen. Die dort vorgenommene Argumentation, das verfolgte Interesse reduziere sich daher darauf, Eigentümer bestimmter Grundstücke zu bleiben, also auf den möglichen materiellen (Lage und Beschaffenheit) sowie ideellen (Affektionsinteresse) Mehrwert des bisherigen Landes, weshalb es billigem Ermessen entspreche, den Mehrwert je Beschwerdeführer nur mit 10.000,-- DM einzuschätzen, ist auf die vorliegende Fallgestaltung nicht übertragbar. § 13 Abs. 1 GKG stellt ausdrücklich auf die subjektive Betroffenheit der Parteien ab (VGH Bad.-Württ., Beschl.v. 22.2.1990 -- 8 S 136/88 --, NVwZ-RR 1990, S. 386). Im vorliegenden Fall ist gerade keine Abfindung in Land, sondern nur eine normale Enteignungsentschädigung in Geld vorgesehen. Danach besteht hier kein Unterschied zu der oben genannten, vom BVerwG beurteilten Fallgestaltung und damit kein Anlaß von der Rechtsprechung des Senats zu vergleichbaren Fällen abzuweichen.

In der Ansetzung des vollen Verkehrswertes liegt auch kein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 und 14 Abs. 1 GG, wie von Seiten des Klägers und Beschwerdeführers zu 1) behauptet. Insbesondere liegt insoweit keine Verletzung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG vor, als danach eine einfachgesetzliche Regelung nicht so gestaltet sein darf, daß der Zugang zu den Gerichten in unsachgemäßer und unzumutbarer Weise erschwert wird, und die Regelung in ihrer tatsächlichen Auswirkung nicht tendenziell dazu führen darf, den Rechtsschutz vornehmlich nach Maßgabe wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu eröffnen (vgl. BVerfGE 50, 217 (231)). Die hier vorgenommene Bestimmung des Streitwertes aus dem vollen Verkehrswert wirkt nicht rechtsschutzhemmend. Der Zugang zum Gericht wird weder durch die gesetzliche Regelung des § 13 Abs. 1 GKG noch durch die gerichtliche Streitwertfestsetzung verhindert oder unzumutbar erschwert. Es ist nicht zutreffend, daß der Kläger und Beschwerdeführer zu 1) mehrmals in derselben Sache Rechtsschutz in Anspruch nehmen muß. Jedenfalls gilt dies nicht für die Anfechtung eines Planfeststellungsbeschlusses im Verhältnis zu einem späteren Enteignungsverfahren. Denn der angegriffene Planfeststellungsbeschluß besitzt hinsichtlich der Enteignung eine Vorwirkung, sofern sich der Kläger -- wie hier -- gegen die Planfeststellung wehrt, um eine ihm drohende Enteignung abzuwenden. In diesem Falle kann im Enteignungsverfahren die Enteignungsfrage nicht (mehr) geltend gemacht werden (vgl. BVerwG, Beschl.v. 20.12.1988 -- 4 B 211.88 -- NVwZ-RR 1989, S. 458 (459)). Das ist vorliegend der Fall, denn der Kläger macht vor allem einen schweren Eingriff in sein Eigentum geltend. Im übrigen ergibt sich gerade in Enteignungssachen stets ein potentielles Kostenrisiko aus zwei verschiedenen Verfahren, nämlich zum einen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Enteignung und zum anderen der Höhe der Entschädigung. Dies wurde bislang von der Rechtsprechung nicht als Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG angesehen. Wegen der enteignungsrechtlichen Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses verbleibt es daher (lediglich) bei einem Kostenrisiko des Klägers in bezug auf zwei Verfahren (Planfeststellungsbeschluß oder Enteignungsverfahren plus Höhe der Enteignungsentschädigung). Auch ein Verstoß gegen die sich aus der verfassungsrechtlichen Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG ergebenden Verfahrensgarantie liegt aus diesen Gründen nicht vor.

Im übrigen hat der Kläger als Planbetroffener seine (privaten) Belange gegenüber den öffentlichen so hoch eingeschätzt, daß sie -- wie sich aus seinem Klageantrag ergibt -- sogar eine Aufhebung der Planungsentscheidung rechtfertigten, womit er zwangsläufig ein beträchtliches Kostenrisiko eingegangen ist. Dieser Umstand kann in der Streitwertfestsetzung nicht unbeachtet bleiben (vgl. VGH Bad.-Württ, Beschl.v. 22.2.1990 -- 8 S 136/88 -- NVwZ-RR 1990, S. 385).

Eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen und sozialen Lage des Klägers und Beschwerdeführers zu 1) ist nicht zulässig (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 23. Aufl. 1989, § 13 GKG Anm. 3 C; Markl, Gerichtskostengesetz, 2. Aufl. 1983, § 13 RdNr. 4 f); gegen eine Berücksichtigung spricht insbesondere ein Vergleich zwischen § 13 Abs. 1 GKG und § 113 Abs. 2 S. 3 BRAGO, denn die Regelung der BRAGO sieht im Gegensatz zu § 13 Abs. 1 GKG ausdrücklich die Berücksichtigung der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers vor.

Ein vom Kläger und Beschwerdeführer zu 1) behaupteter Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG liegt aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht vor. Dem Kläger und Beschwerdeführer zu 1) war der Schriftsatz des Beschwerdeführers zu 2) vom 6.9.1990, in dem dieser erstmals die Erhöhung des Verkehrswertes auf 450.000,-- DM ansprach, in Abschrift übermittelt worden und sein Prozeßbevollmächtigter hat auch dazu in einem allgemein gehaltenen Schriftsatz vom 12.9.1990 Stellung genommen. Bis zum Erlaß des Beweisbeschlusses vom 13.12.1990 hatte der Kläger und Beschwerdeführer zu 1) daher zwei Monate Zeit, diesen Verkehrswert zu akzeptieren, wie es dann schließlich mit Schriftsätzen vom 24.1. und 7.2.1991 geschehen ist. Im übrigen war eine nochmalige Anhörung nicht geboten (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl.v. 22.2.1990 -- 8 S 136/88, NVwZ-RR 1990, S. 385).

Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, weil Gerichtsgebühren nicht erhoben und außergerichtliche Kosten nicht erstattet werden (§ 25 Abs. 3 GKG). Der Kläger hat jedoch die Kosten zu tragen, die durch die Beauftragung eines Sachverständigen zur Ermittlung des Verkehrswerts seines Hauses entstanden sind (§ 26 GKG). Nach § 26 S. 2 GKG können die Sachverständigenkosten der Partei auferlegt werden, die sie durch eine unbegründete Beschwerde veranlaßt hat. Dabei kann dahinstehen, ob die sonstigen Alternativen des § 26 S. 2 GKG ein Verschulden der Partei voraussetzen, weil im Regelfall die Staatskasse die Kosten eines zur Festsetzung des Streitwerts erforderlichen Sachverständigengutachtens zu tragen habe (so Hartmann, Kostengesetze, § 26 GKG Anm. 2; Schneider, Streitwert Stichwort: Sachverständigenschätzung; a.M. Markl, GKG, § 26 RdNr. 5). Für die letzte Alternative des § 26 S. 2 GKG ist ein Verschulden der Partei jedenfalls nicht erforderlich. Die Erwägung, daß ein zur Streitwertfestsetzung erhobenes Gutachten in der Regel dem Interesse der Staatskasse an einer zutreffenden Festsetzung der Gerichtsgebühren dienen solle, trifft jedenfalls für das Beschwerdeverfahren nicht zu, das im Interesse der beschwerdeführenden Partei durchgeführt wird. Es ist daher gerechtfertigt, daß diese Partei die Sachverständigenkosten trägt, wenn die Streitwertbeschwerde unbegründet ist. Dem stimmt im Ergebnis auch Hartmann (a.a.O.) zu, der in einer objektiv unbegründeten Beschwerde ein Verschulden des Beschwerdeführers sieht. Im vorliegenden Fall kommt noch hinzu, daß der Kläger selbst vorgetragen hat, der Verkehrswert des Gebäudes könne nur durch einen Sachverständigen ermittelt werden, ohne auch nur ungefähr die Größenordnung des Gebäudewerts anzugeben. Erst mehrere Wochen nach dem Beweisbeschluß des Senats vom 13.12.1990 hat er ausgeführt, daß er einen Verkehrswert von 450.000,-- DM akzeptiere, was zur Folge hatte, daß seine Streitwertbeschwerde als unbegründet zurückzuweisen war. Die bis dahin bereits entstandenen Kosten für die Tätigkeit des Sachverständigen zur Vorbereitung seines Gutachtens muß der Kläger nach § 26 S. 2 GKG tragen.






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Beschluss v. 28.02.1991
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