Landgericht Köln:
Urteil vom 7. September 2011
Aktenzeichen: 28 O 351/11

(LG Köln: Urteil v. 07.09.2011, Az.: 28 O 351/11)

Tenor

Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 16.05.2011 - 28 O 351/11 - wird aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlaß zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Antragsteller auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Antragsteller kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages, sofern nicht die Antragsgegnerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Antragsteller wurde 1998 wegen Mordes zu 10 Jahren Jugendhaft verurteilt. Anschließend wurde gegen ihn zunächst eine vorläufige und später dann eine nachträgliche Sicherungsverwahrung verhängt. In dieser befindet er sich nunmehr seit zwei Jahren.

In Hinblick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009 zur nachträglichen Sicherungsverwahrung hatte der Kläger einen Antrag auf Aufhebung der nachträglich verhängten Sicherungsverwahrung und Haftentlassung gestellt. Diesen Antrag hat der Bundesgerichtshof durch Beschluß vom 14.01.2010 abgelehnt. Auf eine hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde des Antragstellers sowie weiterer Beschwerdeführer hat das Bundesverfassungsgericht am 04.05.2011 entschieden, dass die nachträgliche Anordnung bzw. Verlängerung der Sicherungsanordnung verfassungswidrig sei.

Auf der Internetseite www.E.de, die ausweislich des Impressums von der W mbH & Co. KG, deren persönlich haftende Gesellschafterin die hiesige Antragsgegnerin ist, betrieben wird, erschien in diesem Zusammenhang am 29.04.2011 der als Anlage K 1 zur Antragsschrift zur Gerichtsakte gereichte und nachstehend wiedergegebene Artikel unter der Überschrift „Bundesverfassungsgericht entscheidet: Kommt der Kehlheimer Joggerin-Mörder frei€“:

- Es folgt eine einseitige Bilddarstellung. -

Dieser Artikel befand sich auch in dem auf der Internetseite zum Download angebotenen E-Paper der Printversion des „E“. Das in diesem Bericht veröffentliche Bildnis des Antragstellers wurde im Rahmen einer Anhörungsentscheidung des Landgerichts Regensburg zu seinem Freilassungsgesuch gefertigt. In die Aufnahme und Veröffentlichung der Fotos willigte der Antragsteller nicht ein.

Der Antragsteller ist der Auffassung, dass er durch die Veröffentlichung des Bildnisses und die Nennung seines abgekürzten Namens identifizierbar sei. Eine identifizierende Berichterstattung im Zusammenhang mit dem 12 Jahre zurückliegenden Verbrechen sei aber unzulässig, da ein zeitgeschichtliches Interesse hieran nicht mehr bestehe. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass der Bericht auch die gesellschaftlichen, politischen und gerichtlichen Fragen der nachträglichen Sicherungsverwahrung thematisiere. Diese begründe kein zeitgeschichtliches Interesse an einer den Antragsteller identifizierenden Berichterstattung über die Tat; jedenfalls aber überwiege sein Resozialisierungsinteresse.

Mit Schreiben vom 09.05.2011 forderte der Antragsteller die W mbH & Co. KG zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf. Dies wies die W mbH & Co. KG mit Schreiben vom 12.05.2011 durch die Kanzlei Dr. S3 unter Beifügung einer Prozeßvollmacht der W mbH & Co. KG zurück. Daraufhin stellte der Antragsteller am 13.05.2011 Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung gegen die hiesige Antragsgegnerin als Komplementärin der W mbH & Co. KG.

Durch einstweilige Verfügung vom 16.05.2011 hat die Kammer der Antragsgegnerin auf Antrag des Antragstellers unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt,

über den Antragsteller identifizierend mit dem Namen „E3“ und der Abkürzung seines Nachnamens „I.“ unter Beifügung des ihn identifizierenden Bildnisses, das in dem Beitrag „Bundesverfassungsgericht entscheidet: Kommt der Kehlheimer Joggerin-Mörder frei€“ (Evom 29.04.2011) - Anlage K 1 - veröffentlicht ist, öffentlich in der Zeitung „E“ oder im Internet auf der Seite www.E.de zu berichten oder dieses Bildnis zu verbreiten, soweit dies im Zusammenhang mit dem vom Antragsteller verübten Mord, wie in dem Beitrag „Bundesverfassungsgericht entscheidet: Kommt der Kehlheimer Joggerin-Mörder frei€“ (E vom 29. April 2011) (Anlage K 1) geschieht.

Diese einstweilige Verfügung wurde der Antragsgegnerin auf Veranlassung des Antragstellers am 26.05.2011 durch Gerichtsvollzieher zugestellt, der das Schriftstück in den Räumlichkeiten der Antragsgegnerin einem sich dort befindlichen Auszubildenden übergab. Die Antragsgegnerin hat gegen die einstweilige Verfügung Widerspruch eingelegt.

Der Antragsteller beantragt nunmehr,

die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 16.05.2011, Az. 28 O 351/11, zu bestätigen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 16.05.2011, Az. 28 O 351/11, aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin rügt zunächst, dass die einstweilige Verfügung nicht ordnungsgemäß zugestellt und damit nicht vollzogen worden sei. Eine Zustellung hätte an die Verfahrensbevollmächtigten erfolgen müssen. Jedenfalls aber sei die Zustellung auch deshalb nicht wirksam, da einstweilige Verfügung zumindest an die Geschäftsführerin hätte übergeben werden müssen. Weiterhin rügt die Antragsgegnerin die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Köln. In der Sache ist sie zunächst der Auffassung, dass es an einer Passivlegitimation fehle: für die Internetseite und die Veröffentlichung sei allein die W mbH & Co. KG verantwortlich; sie - die Antragsgegnerin - trete als bloße Komplementär-GmbH nicht nach außen auf. Darüber hinaus fehle es aber auch an einer Rechtsverletzung, da der Antragsteller nicht identifizierbar sei: das Foto sei umfassend verpixelt und der abgekürzte Name ermögliche aufgrund seiner Häufigkeit ebenfalls keine Identifizierung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die einstweilige Verfügung vom 16.05.2011 ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung aufzuheben und der Antrag auf ihren Erlaß zurückzuweisen. Zwar ist die einstweilige Verfügung ordnungsgemäß zugestellt worden und ist das Landgericht Köln örtlich zuständig. Es fehlt jedoch an einem Verfügungsanspruch: die Antragsgegnerin ist nicht passivlegitimiert.

I.

Die einstweilige Verfügung ist ordnungsgemäß zugestellt worden. Einer Zustellung an die Verfahrensbevollmächtigten gemäß § 172 ZPO bedurfte es bereits deshalb nicht, weil eine Bevollmächtigung unstreitig nur seitens der abgemahnten W mbH & Co. KG erfolgt ist. Eine Bevollmächtigung durch und Bestellung für die hiesige Antragsgegnerin war demgegenüber zum damaligen Zeitpunkt nicht gegeben. Die Zustellung an die Antragsgegnerin persönlich war daher zulässig und ist auch für sich betrachtet ordnungsgemäß erfolgt. Die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung erfordert nicht zwingend die Übergabe an die Geschäftsführung; vielmehr kann die Zustellung gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO auch dadurch erfolgen, dass das zuzustellenden Schriftstück in den Geschäftsräumen des Zustellungsadressaten einer dort beschäftigten Person übergeben wird, wenn der Zustellungsadressat bzw. sein gesetzlicher Vertreter sich in den Geschäftsräumen nicht für das Zustellungsorgan erkennbar aufhält. So liegt der Fall hier.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig. Das Landgericht Köln ist insbesondere gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig. Nach der Entscheidung des BGH in Sachen New York Times (NJW 2010, 1752) ist für die Begründung der internationalen Zuständigkeit erforderlich, dass im Inland eine Kollision der betroffenen widerstreitenden Interessen eintreten kann. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sind die Grundsätze dieser Entscheidung vor allem vor dem Hintergrund der Abgrenzung internationaler Zuständigkeiten und der weltweiten Abrufbarkeit von Internetveröffentlichungen zu verstehen. Der BGH hatte zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen eine Internetveröffentlichung einen hinreichenden Bezug zum Inland aufweist, um die Zuständigkeit deutscher Gerichte zu begründen. Diese ist anzunehmen, wenn eine Kenntnisnahme von der beanstandeten Mitteilung nach den Umständen des konkreten Falls im Inland erheblich näher liegt, als dies aufgrund der bloßen Abrufbarkeit des Angebots der Fall wäre. Dass aber auch für die Begründung der örtlichen Zuständigkeit nicht die bloße Abrufbarkeit der Meldung genügt, sondern ein darüber hinaus gehender Bezug zum Gerichtsbezirk erforderlich ist, entsprach bereits vor der Entscheidung des BGH der überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung.

Ein solcher Bezug ist vorliegend gegeben: die Frage der Verfassungsmäßigkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung war zum damaligen Zeitpunkt eine Frage von bundesweitem Interesse mit der Folge, dass davon auszugehen ist, dass sich auch im hiesigen Gerichtsbezirk ansässige Personen hierfür interessierten und bei einer entsprechenden Recherche auch auf den streitgegenständlichen Artikel stoßen konnten, unabhängig davon, dass es sich bei dem E um eine regional ausgerichtete Zeitschrift handelt. Hinzu kommt, dass der E über die Internetseite auch als das Abonnement der Printversion ersetzendes E-Paper bezogen werden konnte. Bezüglich Printversionen aber ist seit jeher in der Rechtsprechung anerkannt, dass bereits die bestimmungsgemäße Verbreitung eines einzigen Exemplars im Gerichtsbezirk die örtliche Zuständigkeit begründen kann. Die Kammer sieht keinen Grund, warum dies für E-Paper anders zu beurteilen sein sollte. Damit ist Erfolgsort der möglichen unerlaubten Handlung gemäß § 32 ZPO auch Köln.

III.

Der Antrag auf Erlaß der einstweiligen Verfügung ist jedoch unbegründet. Es fehlt an einem Verfügungsanspruch: die Antragsgegnerin ist für den verfolgten Unterlassungsanspruch nicht passiv legitimiert.

1. Die Aktivlegitimation des Antragstellers ist zwar gegeben: dieser ist durch die streitgegenständliche Veröffentlichung in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen, da er durch die Bildnisveröffentlichung sowie durch die Nennung seines abgekürzten Namens identifizierbar ist. Für die Betroffenheit genügt die Erkennbarkeit für Personen, die den Antragsteller kennen. Diese ist nach Auffassung der Kammer jedenfalls aus dem Zusammenspiel aus Nennung des abgekürzten Namens, Beschreibung der Tat und Wiedergabe des Fotos, das lediglich über den Augen gepixelt ist, aber die für die Identifizierung wesentliche Kinn- und Mundpartie sowie den Haaransatz unverändert läßt gegeben.

2. Die Antragsgegnerin ist für die Veröffentlichung jedoch nicht verantwortlich und deshalb nicht passiv legitimiert. Sie ist lediglich die persönlich haftende Gesellschafterin der W mbH & Co. KG, die für die Veröffentlichung verantwortlich zeichnet, ohne dass sie den Haftungstatbestand in eigener Person als Täter, Teilnehmer oder Störer verwirklicht hätte.

a) Die Antragsgegnerin haftet nicht aufgrund ihrer Stellung als persönlich haftende und damit geschäftsführende Gesellschafterin der W mbH & Co.KG. Zwar haftet die Gesellschaft für das Handeln ihrer Organe (§ 31 BGB analog); es existiert jedoch keine gesetzliche Zurechnungsnorm und kein allgemeiner Grundsatz dahingehend, dass die Organe umgekehrt auch für Ansprüche einzustehen haben, die gegen die von ihnen vertretene Gesellschaft begründet sind. Eine Haftung des Organs kommt vielmehr nach allgemeinen deliktsrechtlichen Grundsätzen nur in Betracht, wenn und soweit dieses persönlich den Haftungstatbestand erfüllt hat. Die Antragsgegnerin würde daher nur dann auf Unterlassung haften, soweit sie die Rechtsverletzung selbst als Täter begangen oder als Teilnehmer veranlaßt bzw. gefördert hat oder die Rechtsverletzung eines anderen gekannt und pflichtwidrig nicht gehandelt hat (vgl. zum Wettbewerbsrecht Köhler, in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 8, Rz. 2.20). Nur dann kann die Komplementärin selbst als Täterin, Teilnehmerin oder Störerin betrachtet werden.

Für ein Verhalten, das eine Verantwortlichkeit der Antragsgegnerin als Komplementärin der W mbH in diesem Sinne begründen könnte, fehlt es indes an jeglichem Vortrag des Antragstellers. Der Antragsteller beschränkt sich darauf, die allgemeine Stellung der Antragsgegnerin als Vertreterin der W mbH & Co. KG zu betonen, ohne indes darzutun, inwieweit die Antragsgegnerin bzw. deren gesetzlicher Vertreter konkret an der streitgegenständlichen Veröffentlichung des Artikels beteiligt war oder davon Kenntnis hatte. Die bloße Stellung als Vertreter der W mbH & Co. KG begründet indes weder einen aktiven Tatbeitrag, der die Annahme einer Täterschaft oder Teilnehmerschaft an der streitgegenständlichen Veröffentlichung rechtfertigen könnte, noch stellt sie eine sonstige willentliche und adäquat kausale Mitwirkungshandlung an dieser Veröffentlichung dar, aufgrund derer die Antragsgegnerin als Störerin haftbar gemacht werden könnte. Deshalb mag zwar die W mbH & Co. KG für den durch ihre Mitarbeiter veröffentlichten Artikel haften; dies begründet jedoch in Ermangelung eines Zurechnungstatbestandes nicht ohne weiteres eine Haftung der persönlich haftenden Gesellschafterin.

b) Auch eine Haftung der Antragsgegnerin nach § 128 Abs. 1 HGB allein aufgrund ihrer Gesellschafterstellung kommt jedenfalls für den Unterlassungsanspruch nicht in Betracht. § 128 HGB betrifft die vermögensrechtliche Haftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft, erstreckt indes nicht die Haftung für höchstpersönliche Unterlassungsansprüche gegen die Gesellschaft auch auf deren Gesellschafter. Unterlassungsansprüche gegen diese sind vielmehr ebenfalls nur dann begründet, wenn diese in eigener Person den Haftungstatbestand verwirklicht haben, woran es vorliegend fehlt.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.

Streitwert: EUR 20.000,00.






LG Köln:
Urteil v. 07.09.2011
Az: 28 O 351/11


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