Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 8. Dezember 2010
Aktenzeichen: 2 Ws 770/10

(OLG Köln: Beschluss v. 08.12.2010, Az.: 2 Ws 770/10)

Die Revisionsverfahrensgebühr steht einem Pflichtverteidiger auch dann zu, wenn er auf die Gebühren verzichtet hat, die bei dem bisher beigeordneten Verteidiger bereits angefallen waren.

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluss der 1. großen Strafkammer des Landgerichts B. vom 28.10.2010 aufgehoben und der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin vom 2.7.2010 wie folgt abgeändert:

Zugunsten des Beschwerdeführers wird eine Vergütung in Höhe von 624,75 € festgesetzt.

Gründe

I.

Zum Sachstand hat das Landgericht in der Entscheidung vom 28.10.2010 Folgendes ausgeführt:

"Der Angeklagte wurde am 07.10.2009 von der Kammer wegen schweren Raubes und versuchten Computerbetruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und acht Monaten verurteilt. Pflichtverteidiger in erster Instanz war Rechtsanwalt S. aus E., welcher am 08.10.2009 gegen das Urteil Revision einlegte. Am 15.10.2009 suchte der Verteidiger den Angeklagten in der JVA K. auf und beriet diesen über die Erfolgsaussichten der Revision. Das Hauptverhandlungsprotokoll lag ihm zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor, auch die Urteilsgründe waren noch nicht schriftlich abgefasst.

Mit Schreiben vom 02.11.2009, eingegangen bei der Staatsanwaltschaft B. am 06.11.2009 und bei Gericht am 11.11.2009, beantragte der Angeklagte, ihm statt Rechtsanwalt S. den Erinnerungsführer als Pflichtverteidiger für das Revisionsverfahren beizuordnen. Am selben Tage erklärte auch der Erinnerungsführer gegenüber dem Gericht, der Angeklagte habe ihn mit der Verteidigung in der Revisionsinstanz beauftragt. In seinem Schriftsatz vom 06.11.2009 heißt es u.a.:

"... Diesem Antrag ist zu entsprechen, da keine wichtigen Gründe entgegenstehen und insbesondere keine zusätzlichen Gebühren anfallen..."

Mit Beschluss vom 18.11.2009 hob das Gericht die Bestellung von Rechtsanwalt S. als Pflichtverteidiger auf und bestellte statt seiner den Erinnerungsführer. Wegen der näheren Begründung wird auf den Beschluss vom 18.11.2009 Bezug genommen. Nach erhaltener Akteneinsicht verfasste der Erinnerungsführer sodann die Revisionsschrift. Die Revision wurde mit Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 07.04.2010 als unbegründet verworfen.

Mit Antrag vom 10.12.2009 beantragte der Erinnerungsführer die Festsetzung der Verfahrensgebühr für das Revisionsverfahren gemäß Nr. 4131 AnI. 1 RVG nebst Auslagenpauschale in Höhe von 20,00 € und Umsatzsteuer. Den Antrag lehnte die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 02.07.2010 mit der Begründung ab, die Verfahrensgebühr sei bereits für Herrn Rechtsanwalt S. festgesetzt worden, für den die Gebühr zuerst entstanden sei. Hiergegen richtet sich die Erinnerung."

In der Sache hat das Landgericht die Erinnerung zurückgewiesen. Dem Beschwerdeführer stehe kein Anspruch auf die geltend gemachte Verfahrensgebühr zu, weil er wirksam auf die Festsetzung derjenigen Gebühren verzichtet habe, die bereits beim bisherigen Pflichtverteidiger angefallen seien. § 49 Abs. 1 S. 1 BRAO stehe der Wirksamkeit des Verzichts nicht entgegen, denn die Vorschrift betreffe nur den Fall der vertraglichen Vereinbarung der Höhe der Gebühren, nicht aber den Anspruch gegen die Staatskasse.

Die Entscheidung ist dem Verteidiger am 3.11.2010 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 9.11.2010, der am selben Tag beim Landgericht eingegangen ist, hat er Gegenvorstellungen erhoben, hilfsweise beantragt, die weitere Beschwerde zuzulassen, und für den Fall, dass das Landgericht dem nicht nachkomme, Amtshaftungsansprüche angekündigt.

Das Landgericht hat am 18.11.2010 eine Nichtabhilfeentscheidung getroffen und die Sache dem Senat zur Entscheidung über die - vom Verteidiger sichtlich gewollte - Beschwerde vorgelegt. Unter dem 24.11.2010 hat der Verteidiger "die Beschwerde vom 9.11.2010" ergänzend begründet.

II.

Das Schreiben des Verteidigers vom 9.11.2010 ist als befristete Beschwerde nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG auszulegen. Zwar werden mit dem an das Landgericht gerichteten Schreiben Gegenvorstellungen erhoben und wird - in offensichtlicher Verkennung der Rechtslage - die Zulassung der weiteren Beschwerde beantragt. Mit der an den Senat gerichteten ergänzenden Beschwerdebegründung vom 24.11.2010 hat der Verteidiger aber hinreichend klargestellt, dass er bereits mit dem Schreiben vom 9.11.2010 Beschwerde einlegen wollte.

Dieses Schreiben ist innerhalb der Zwei-Wochenfrist gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 S. 3 RVG beim Landgericht eingegangen. Auch ist der Beschwerdewert von mehr als 200 € gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 S. 1 RVG erreicht.

In der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg.

Dem Beschwerdeführer steht der mit Kostenfestsetzungsantrag vom 10.12.2009 geltend gemachte Vergütungsanspruch zu.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Erklärung des Verteidigers, der Staatskasse entstünden durch die Auswechselung des Pflichtverteidigers keine Mehrkosten, dahingehend zu verstehen ist, dass er für den - von ihm ersichtlich nicht bedachten - Fall, dass beim bisherigen Pflichtverteidiger neben der Grundgebühr auch bereits die Verfahrensgebühr angefallen war, den Angeklagten letztlich ohne Vergütung im Revisionsverfahren vertreten wollte.

Ein Verzicht auf die Verfahrensgebühr wäre nach der Rechtsprechung des Senats jedenfalls unwirksam gewesen. Der Senat hat zur Wirksamkeit des Gebührenverzichts in der Entscheidung vom 28.7.2008 (Az. 2 Ws 371/08) folgendes ausgeführt:

"Ein derartiger Verzicht kann im Voraus nicht wirksam erklärt werden. Das gilt nicht nur für die vertraglich vereinbarte Gebühr, sondern auch für den Anspruch gegen die Staatskasse (Thüringer OLG JurBüro 2006, 365; SenE v. 19.03.2008 - 2 Ws 125/06 -; a.A. wohl 1. Strafsenat des OLG Köln SenE vom 25.1.2008 - 1 Ws 1/08 - ; OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.; OLG Bamberg NJW 2006, 1536; OLG Naumburg StrFo 2005, 73; Hartmann, Kostengesetze, 37. Auflage, Ziff. 4100 VV RVG Rdn. 9; Henssler/Prütting-Dittmann, BRAO, 2. Aufl. § 49 b Rdn. 8; Burghoff, RVG, 2. Auflage, § 54 Rdn. 20). Nach § 49 b Abs. 1 S. 1 BRAO ist es nicht nur unzulässig, geringere Gebühren und Auslagen, als das RVG vorsieht, zu vereinbaren, sondern es ist auch unzulässig, geringere Gebühren zu fordern. § 49 b Abs. 1 S. 2 BRAO ermöglicht es nur im Einzelfall und unter besonderen Umständen, nach Erledigung des Auftrags Gebühren oder Auslagen zu ermäßigen oder zu erlassen. Aus dem Wortlaut des § 49 b BRAO lässt sich nichts dafür herleiten, dass für die Forderung von Pflichtverteidigergebühren eine andere Regelung gelten soll.

Eine solche Einschränkung ergibt sich nicht aus Sinn und Zweck der Regelung. Mit dem Verbot der Gebührenunterschreitung soll nach den Gesetzesmaterialien ein Preiswettbewerb um Mandate verhindert werden. Die anwaltliche Tätigkeit soll nicht mit der eines Maklers verquickt werden, denn die Anwaltschaft ist kein Gewerbe, in dem Mandate "gekauft" und "verkauft" werden (BT-Dr. 12/4993 S. 31). Diese Erwägungen greifen auch für die Pflichtverteidigungen, die einen breiten Raum im Rahmen der Strafverteidigung einnehmen und denen daher wirtschaftlich durchaus eine erhebliche Bedeutung zukommt. Ein Gebührendumping muss im Interesse einer ordnungsgemäß funktionierenden Rechtspflege unbedingt verhindert werden. Durch die Zulassung eines teilweisen Gebührenverzichts durch den Pflichtverteidiger würde dem Konkurrenzkampf um die Pflichtverteidigermandate aber Tür und Tor geöffnet (SenE v. 19.03.2008 - 2 Ws 125/08 -).

Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Rechtsprechung einen Pflichtverteidigerwechsel nur mit Einverständnis des bisherigen Verteidigers für zulässig erachtet. Es wird sich häufig gar nicht feststellen lassen, wie ein solches Einverständnis zustande gekommen ist und welche Gründe den Anwalt zu seiner Abgabe bewogen haben. Insoweit gilt es die Integrität der Rechtspflege zu wahren. Mit dem Verbot eines Gebührenverzichts bei Pflichtverteidigungen wird auch ausgeschlossen, dass dieser seitens der Gerichte zur Voraussetzung für die Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers gemacht wird, was nach der Rechtsprechung des Senats ebenfalls unzulässig ist (SenE vom 13.12.2002 - 2 Ws 634/02 = StV 2004, 36; SenE v. 17.8.2005 - 2 Ws 317/05 -; Sen E . v. 19.03.2008 - 2 Ws 125/08)."

An dieser Rechtsprechung wird festgehalten. Danach hätte Rechtsanwalt Dr. B. nicht für das Revisionsverfahren beigeordnet werden dürfen.

Die demnach festzusetzende Vergütung errechnet sich wie folgt:

Verfahrensgebühr mit Zuschlag 4131 VV 505,00 €

Entgelt für Post- und Telekommunikationsleistungen 7002 VV 20,00 €

525,00 €

Umsatzsteuer von 19 % auf die Vergütung 99,75 €

Zu zahlender Betrag 624,75 €






OLG Köln:
Beschluss v. 08.12.2010
Az: 2 Ws 770/10


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