Verwaltungsgericht München:
Beschluss vom 20. April 2011
Aktenzeichen: M 17 S 11.635

(VG München: Beschluss v. 20.04.2011, Az.: M 17 S 11.635)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 7.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin € bietet als privater Rundfunkveranstalter in Deutschland in dem gemeinsam mit dem Fernsehprogramm ausgestrahlten Teletext eine Vielzahl an Informations- und anderen Zusatzangeboten an. Einzelne Seiten und Seitenbereiche werden als Werbeflächen an Kunden verkauft, welche zum Teil hierauf Werbung für Telefon-Mehrwertdienste aus dem Erotikbereich platzieren.

Der Vorsitzende der Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten (KJM) wandte sich mit Schreiben vom € 2007 an die Geschäftsführer der privaten Fernsehanbieter und bat anlässlich einer Vielzahl von eingegangenen Bürgerbeschwerden dringend darum, die Teletext-Angebote im Hinblick auf kinder- und jugendbeeinträchtigende Inhalte zu überprüfen und gegebenenfalls entsprechende Schutzvorkehrungen zu treffen, um den Anforderungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) zu genügen. Eine stichprobenhafte Sichtung der Teletext-Angebote habe ergeben, dass bei mehreren Angeboten, insbesondere bei den Texten, von einer entwicklungsbeeinträchtigenden Wirkung auf Kinder und Jugendliche auszugehen sei. Der Vorsitzende der KJM verfolgte dieses Anliegen mit Schreiben vom € 2008 und € 2009 weiter.

Die Antragstellerin wies mit Schreiben vom € 2009 darauf hin, sie sei seit September 2008 ordentliches Mitglied der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Dienstanbieter e.V. (FSM). Sie habe zusammen mit weiteren FSM-Mitgliedern die streitigen Teletext-Inhalte von einem regelgerecht besetzten Gutachter-Ausschuss der FSM in Untersuchungen ausführlich begutachten lassen, die nunmehr als Jugendschutz-Leitlinien für die Vermarktung des Teletextes dienten.

Eine Prüfgruppe der KJM sichtete am € 2009 eine Camtasia-Aufzeichnung der Antragsgegnerin vom € 2009 und kam laut Prüfbegründung (Bl. 119 - 114 Behördenakte) zu dem Ergebnis, die frei zugängliche Verbreitung des Erotik-Teletext-Angebots von € in der Zeit von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr verstoße gegen § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 und Abs. 4 Satz 2 JMStV. Die sexualisierten Inhalte der Teletext-Tafeln seien geeignet, Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren sozial-ethisch zu desorientieren und somit in ihrer Entwicklung zu beeinträchtigen. Das vorliegende Angebot präsentiere ein einseitiges, funktionalistisches Bild von Sexualität und diene ausschließlich dem Ziel der sexuellen Stimulation sowie der Animation erwachsener Nutzer, die beworbenen Dienste in Anspruch zu nehmen. Weiter wird ausgeführt:

€Folgende Beispiele verdeutlichen den entwicklungsbeeinträchtigenden Charakter des Angebots:

Beispiel 1: Startseite des Teletext-Angebots (TC 00:09 der Camtasia- Aufzeichnung vom €)

Auf der Startseite des Teletext-Angebots von € sind teilweise in dynamischen Bannern folgende Inhalte zu lesen: €Die besten XXX-Dates S. 700€, €Frech & Vulgär S. 601€, €Lauschen für 99 ct. S. 766€, €Unanständige Frauen für nur 5 Cent/Min. € S. 750€, €Nur lauschen S. 690€, €Frauen ab 55 S. 796€.

Beispiel 2: Erotik-Tafel S. 618 (TC 02:21 der Camtasia-Aufzeichnung vom €).

Auf der Erotik-Tafel ist folgender Text zu lesen: €Private Tele-XXX. Junge Frau kann nicht nur Französisch natur! Komm mit zum Sparpreis! Für 3 Cent/Minute 01377-€. Neu! SM-Tempel Spezialbehandlung Für 3 Cent/Min. € 01377-€€. In der Mitte der Tafel ist eine große rote Pixel-Graphik weiblicher, nackter Brüste abgebildet.€

Weiter unten heißt es:

€Kriterien für die Festlegung des Bußgelds

Das Erotik-Teletext-Angebots umfasst insgesamt etwa 300 Seiten. Davon ist eine hohe Anzahl - ca. 136 Seiten - als problematisch einzustufen. ...€ .

Die KJM-Stabsstelle übermittelte der FSM mit Schreiben vom € 2009 (Bl. 124 - 114) insgesamt 14 KJM-Prüffälle samt Prüfbegründungen sowie den zugrunde liegenden Aufzeichnungen zur Präsenzprüfung und bat diese, die betreffenden Fälle nach § 20 Abs. 5 JMStV zu prüfen. Die FSM bestätigte mit Schreiben vom € 2009 (Bl. 127 - 125) den Eingang u.a. folgender Beanstandung:

€10. €Teletext der € (FSM-Prüfungsnummer €) Tafeln 100, 618€.

Daraufhin nahm die KJM-Stabsstelle mit Schreiben vom € 2009 (Bl. 131 - 130) zu Unklarheiten und Fragen in der Eingangsbestätigung der FSM vom € 2009 Stellung, ohne das Angebot der Antragstellerin zu erwähnen.

Mit Schreiben vom € 2009 (Bl. 161 - 137) übermittelte die FSM der KJM-Stabsstelle u.a. die €Entscheidung€ des FSM-Beschwerdeausschusses, dass die Vorlage als unbegründet zurückgewiesen werde. Gegenstand des Verfahrens bei der FSM seien die von der Antragsgegnerin stichprobenartig am € 2009 gesichteten und dokumentierten Teletext-Tafeln 100 und 618 des Angebots der Antragstellerin. Auf der Tafel 100 dominierten insgesamt Hinweise auf das Fernsehprogramm der Antragstellerin. Die jeweils sehr kurz gehaltenen Hinweise auf später folgende Tafeln aus dem Erotik-Bereich seien sowohl sprachlich als auch graphisch dicht ge-staltet. In der Gesamtschau der beanstandeten Tafel sei davon auszugehen, dass diese nicht geeignet sei, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen im Sinne des § 5 Abs. 1 JMStV zu beeinträchtigen. Die drei Bereiche von Tafel 618 seien deutlich voneinander abgetrennt, und die Inhalte würden einander weder bedingen noch beeinflussen. Die jeweils für sich betrachteten unproblematischen Segmente ergäben kein unzulässiges Gesamtmotiv. Die im Hauptteil der Seite enthaltene Graphik mit der Darstellung eines weiblichen Busens, die grundsätzlich eine aufreißerische Wirkung erzeugen könne, sei angesichts der beschränkten technischen Möglichkeiten im Vergleich zu allgemein verfügbaren und nicht altersbeschränkten Printmedien von derart schwacher Wirkung, dass schon aus diesem Grunde eine Entwicklungsbeeinträchtigung nicht zu befürchten sei.

Dem Vorlageschreiben war eine Stellungnahme des FSM-Prüfausschusses €Teletext I€ vom € 2009 beigefügt, in der die Rechtsansicht vertreten wird, dass die Entscheidungen des Prüfausschusses auf die konkret benannten Tafeln beschränkt bleiben mussten. Bei €dem Erotik-Angebot€ eines Teletext-Angebots sei es nicht so, dass es sich um einen homogenen Gesamtzusammenhang handele. Im Bereich Teletext wiesen die einzelnen Tafeln im Bereich der Werbung kaum inhaltliche Bezüge zueinander auf. Wie bei einem Werbeblock im Rundfunk würden in loser Folge einzelne Anzeichen unterschiedlichster Urheber aneinandergereiht, die, abgesehen möglicherweise von der Orientierung auf eine bestimmte Zielgruppe, keinerlei Bezugspunkte zueinander aufweisen würden. Wegen der inhaltlichen Heterogenität und sehr unterschiedlichen Qualität in sprachlicher und gestalterischer Hinsicht sei eine einheitliche Bewertung €des Angebots€ in den vorliegenden Fällen nicht möglich. In Anerkennung der Tatsache, dass erhebliche Teile der Werbetafeln für unproblematisch gehalten werden, sei es angesichts der im Verwaltungsverfahren erforderlichen inhaltlichen Klarheit unabdingbar, die als möglicherweise rechtswidrig angesehenen Inhalte zu benennen. Die Entscheidungen des damit befassten Prüfausschusses hätten auf die konkret benannten Tafeln beschränkt bleiben müssen. Mit den vorgelegten Entscheidungen seien die von der KJM konkret benannten vermeintlichen Verstöße abschließend geprüft und entschieden worden. Weitere Verstöße habe die KJM nicht im Sinne des § 20 Abs. 5 Satz 1 JMStV behauptet.

In einer €Präsenzprüfung Telemedien€ prüfte eine Prüfgruppe der KJM 11 Internet-Angebote im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin und stellte u.a. bei der Antragstellerin einen Verstoß gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag fest. Die KJM übermittelte der Antragsgegnerin die Prüfergebnisse mit Schreiben vom € 2009 (Bl. 189 - 162).

In ihrem Anhörungsschreiben vom € 2010 führte die Antragsgegnerin im wesentlichen aus, das Erotik-Teletext-Angebot der Antragstellerin sei von einer KJM-Prüfgruppe insgesamt als Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 und 4 Satz 2 JMStV eingestuft worden, da für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte verbreitet würden. Als Beispiele wurden Texte von der Startseite des Teletext-Angebotes und der Texttafel 618 angeführt, wobei darauf verwiesen wurde, die genannten Beispiele stellten nur einen Teil der gesichteten, aufgezeichneten und bewerteten Teletextseiten dar. Nach der vorläufigen Empfehlung der Prüfgruppe der KJM habe die FSM in ihren Entscheidungen jeweils ihren Beurteilungsspielraum überschritten, da sie insbesondere nicht jeweils das gesamte Erotik-Teletext-Angebot, sondern nur einzelne Texttafeln bewertet habe.

Die Antragstellerin beantragte mit Schreiben vom 12. März 2010 (Bl. 233 - 228), das Verfahren einzustellen. Die im Anhörungsschreiben vom € 2010 von der KJM vorgebrachten Verstöße seien nicht hinreichend bestimmt, die konkret bestimmten Inhalte seien bereits von der FSM überprüft worden, und darüber hinaus seien keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die FSM die rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums überschritten habe.

Die KJM beschloss in ihrer Sitzung am € 2010 (Bl. 218 - 201) eine Beanstandung des Teletext-Angebotes der Antragstellerin sowie eine Sendezeitbeschränkung für das Erotik-Angebot auf die Zeit zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr für den Fall, dass der Anbieter keine sonstige Maßnahmen ergreift, die die Wahrnehmung des Angebots durch Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren zumindest wesentlich erschweren. Die KJM-Geschäftsstelle übermittelte der Antragsgegnerin das Prüfergebnis mit Schreiben vom € 2010 (Bl. 200).

Die Antragsgegnerin stellte mit Bescheid vom € 2010 (Bl. 90 - 79) fest und missbilligte, dass im Erotik-Teletext-Angebot (Tafeln S. 600 bis 900) des Anbieter € in der Zeit von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr frei zugänglich Inhalte verbreitet werden, die entwicklungsbeeinträchtigend für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren seien. Dies stelle einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 und 4 Satz 2 JMStV dar (Nr. 1 des Bescheidstenors). Der Antragsgegnerin werde die Verbreitung der auf den Tafeln S. 600 bis 900 ihres Teletext-Angebots enthaltenen Erotik-Angebote außerhalb der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr untersagt (Nr. 2 des Bescheidstenors). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die verbreiteten Erotik-Inhalte seien geeignet, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen. Die objekthaften Bilder und Texte von sexuellen Darstellungen oder Themen ohne nachvollziehbaren Handlungskontext könnten für Kinder und Jugendliche problematisch sein, wenn sie nicht ihrem Entwicklungsstand entsprechen und von ihnen nicht eingeordnet werden könnten. Dazu zählten insbesondere Darstellungen, die aus der Erwachsenenperspektive erfolgen und einen breiten sexuellen Erfahrungsfundus voraussetzen. Trotz der vorliegenden Begriffsverfremdung, wie beispielsweise €XXX€ statt €Sex€ oder Verfremdung durch Symbole bzw. Zeichen sei vorliegend der sexualisierte, aufdringliche Charakter der Inhalte noch gegeben und der verwendete Wortschatz weiterhin als anzüglich einzustufen. Die kommerzielle Darstellung der Themen Sexualität und Erotik in Form von Werbung für kostenpflichtige Erotik- und Telefonsexdienste fände ihre Grenzen jedoch in den Regelungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags. Die Hinweise auf einzelne Tafeln bereits auf der Starttafel - die teilweise in Form von dynamischen Bannern erfolgen - weckten die Neugier von Kindern und Jugendlichen. Das Erotik-Angebot der € Teletextseiten präsentiere ein einseitiges, funktionalistisches Bild von Sexualität und diene ausschließlich dem Ziel der sexuellen Stimulation sowie Animation erwachsener Nutzer, die beworbenen Dienste in Anspruch zu nehmen. Dabei vermittle das Angebot auch ein problematisches Geschlechterrollenbild von Frauen wie Männern, das vor allem auf Kommerzialisierung und sexueller Verfügbarkeit basiere. Es sei zu befürchten, dass Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren durch entsprechende problematische Verhaltensweisen, Einstellungen und Rollenbilder im Bereich der Sexualität beeinträchtigt würden. Insbesondere werde in aufdringlicher Weise eine permanente Verfügbarkeit der Frau als williges Sexualobjekt unterstellt. Die Antragsgegnerin sei durch die Entscheidung der FSM nicht daran gehindert, eine Maßnahme zu verhängen, da die FSM ihren Beurteilungsspielraum überschritten habe. Sie habe ausweislich der Prüfbegründung lediglich die Teletexttafeln 100 und 618 in ihre Entscheidung miteinbezogen. Aus der eigenen Beschwerdeordnung folge zumindest die Pflicht zur stichprobenartigen Überprüfung des Tafelbereichs, was die FSM jedoch unterlassen habe. Aufgrund der zusammenhängenden Struktur des Teletext-Angebots und der sprachlich wie visuell homogen ge-stalteten Werbung für erotische Telefonmehrwertdienste müsse das gesamte Erotik-Teletext-Angebot als Bewertungseinheit festgelegt werden. Einzelne Teletext-Tafeln seien dabei von der KJM lediglich beispielhaft herausgestellt worden, um den entwicklungsbeeinträchtigenden Charakter des Angebots insgesamt zu verdeutlichen. Durch die Vernachlässigung des Gesamtkontextes der Erotik-Tafeln habe die FSM allgemeine Bewertungsgrundsätze außer Acht gelassen. Im Übrigen wende sie Bewertungskriterien unzutreffend an. Aus der Verneinung eines Kriteriums für Pornografie im Sinne von § 4 JMStV schließe die FSM auf eine fehlende entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung auf Kinder und Jugendliche. Darüber hinaus habe sie die bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigenden Gesichtspunkte nicht angemessen und vertretbar gewichtet. Sie verkenne in ihrer Bewertung die Anreizwirkung des vorliegenden Angebots auf Kinder und Jugendliche. Nach § 59 Abs. 3 RStV i.V.m. § 20 Abs. 4 JMStV sei die förmliche Beanstandung in Form des missbilligenden Vorhalts des festgestellten Rechtsverstoßes die mildeste förmliche Maßnahme. Daneben erscheine die Anordnung einer Sendezeitbeschränkung erforderlich, um die Antragstellerin nachdrücklich zur Beachtung der einschlägigen Jugendschutzbestimmungen anzuhalten.

Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin am € 2011 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage (M 17 K 11.212).

Die Antragsgegnerin ordnete mit Bescheid vom € 2011 die sofortige Vollziehung der Untersagungsanordnung in Nr. 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom € 2010 an (Nr. 1 des Bescheidstenors). Für den Fall, dass die Antragstellerin ab € 2011 entgegen der Untersagungsanordnung in Nr. 2 des Bescheides vom € 2010 für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren entwicklungsbeeinträchtigende Erotik-Teletext-Angebote (Tafeln 600 bis 900) in der Zeit zwischen 6.00 Uhr und 22.00 Uhr frei zugänglich verbreitet, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von € 15.000,-- angedroht (Nr. 2 des Bescheidstenors). Zur Begründung wurde ausgeführt, die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolge im überwiegenden öffentlichen Interesse. Der Jugendschutz sei eine Pflichtaufgabe von Verfassungsrang. Seine effektive Durchsetzung sei geboten. Ohne Anordnung des Sofortvollzugs könne die Antragstellerin bis zur Bestandskraft des Bescheids die beanstandeten Inhalte auch zwischen 6.00 Uhr und 22.00 Uhr verbreiten. Stelle sich im Klageverfahren die Rechtmäßigkeit des Bescheides heraus, könnten die schädlichen Wirkungen des Angebots auf Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren nicht mehr beseitigt werden. Die Interessen des Anbieters hätten gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Wahrung des Jugendschutzes zurückzustehen.

Am € 2011 beantragte die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht München,

die aufschiebende Wirkung der Klage vom € 2011 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom € 2010 in Bezug auf die in Nr. 2 des Bescheids angeordnete Untersagung von Teletext-Angeboten (Tafeln 600 bis 900) wiederherzustellen.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei schon deshalb rechtswidrig, weil ein Interesse am Sofortvollzug nicht nur mit den materiellen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes nach § 5 JMStV begründet werden könne. Die nachträgliche Anordnung der sofortigen Vollziehung nach Erlass des Bescheides dokumentiere deutlich, dass diese allein wegen der zwischenzeitlichen Klageerhebung der Antragstellerin vorgenommen worden sei. Die Inanspruchnahme des nach § 42 VwGO eingeräumten Klagerechts gegen einen rechtswidrigen Verwaltungsakt könne aber kein öffentliches Interesse an einem Sofortvollzug begründen.

Die Rechtswidrigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung ergebe sich auch daraus, dass angesichts der überlangen Verfahrensdauer - die KJM habe spätestens seit 2007 Kenntnis von den Teletexttafeln der Antragstellerin gehabt, die Anhörung nach § 28 VwVfG sei vor fast einem Jahr im Februar 2010 erfolgt - die Aufsichtsbehörde der Antragsgegnerin und der KJM es offenbar mit der Vollziehung nicht eilig hatten.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung missachte das im Jugendschutzrecht in § 20 Abs. 3 und 5 JMStV verankerte Prinzip der regulierten Selbstregulierung, welches anerkannten Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle (§ 19 JMStV) einen Bewertungsvorrang gegenüber aufsichtsbehördlichen Entscheidungen einräume. Sei - wie im vorliegenden Fall - die anerkannte Selbstkontrolleinrichtung der FSM beteiligt worden und zu einer Rechtskonformität des streitgegenständlichen Teletext-Angebotes gelangt, so könne die staatliche Aufsicht dies nicht durch kurzerhand für sofort vollziehbar erklärte Untersagungen desavouieren.

Die im Rahmen der vollziehbaren Anordnung vorgenommene einseitige Interessenabwägung zu Gunsten des €hohen Stellenwertes€ des Jugendschutzes berücksichtige nicht, dass der BGH entsprechende Erotik-Werbeanzeigen bereits durch Urteil vom 13. Juli 2006 überhaupt nicht als jugendbeeinträchtigend - nicht einmal für jüngere Altersgruppen - eingestuft habe. Komme die Antragsgegnerin dagegen zu einem anderen Schluss, so bleibe dies jedenfalls graduell hinter weitaus gravierenderen Beeinträchtigungen (z.B. Pornografie, Unzulässigkeitstatbestände nach § 4 JMStV) weit zurück. Dies hätte bei der Interessenabwägung entscheidend berücksichtigt werden müssen.

Dabei wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass Kinder und Jugendliche in Telemedien durch wenige Mausklicks wesentlich schwererwiegende, graphisch aufwendigere und affinere sexuell orientierte Inhalte jederzeit und kinderleicht abrufen könnten. Das im Rahmen der vollziehbaren Anordnung der Antragsgegnerin konstruierte Bedrohungsszenario, die nur behaupteten und nicht spezifizierten €schädlichen Wirkungen€ des Teletext-Angebots für Minderjährige unter 16 Jahren könnten nie wieder beseitigt werden, sei vor diesem Hintergrund den Medienrealitäten weithin entrückt. Unter wirtschaftlichen Aspekten sei bei der Interessenabwägung unberücksichtigt gelassen worden, dass eine Untersagung des kompletten Erotik-Teletext-Angebots im Tages- und Hauptabendprogramm durch Sofortvollzug voraussichtlich zur Einstellung des gesamten Teletext-Angebots führen würde, da dieses in Gänze durch die Antragstellerin nicht mehr zu finanzieren wäre.

Der pauschale Untersagungstenor, der undifferenziert die kompletten Texttafeln 600 bis 900 zu verbieten intendiere, sei nicht hinreichend bestimmt und jedenfalls unverhältnismäßig, da die KJM nur €ca. 136€ der 300 Tafeln überhaupt als €problematisch€ eingestuft habe. Auch im Rahmen der Erstbefassung der FSM nach § 20 Abs. 5 JMStV genügten die Verstoßbehauptungen über die explizit genannten zwei Tafeln hinaus mit bloßen €ca.€-Angaben nicht den Bestimmtheitsanforderungen.

Die FSM habe im Rahmen ihres gesetzlichen Erstbefassungsrechts die Rechtskonformität des Teletext-Angebotes, insbesondere der zuvörderst von der KJM genannten Tafeln 100 und 618 festgestellt; die KJM sei hieran gebunden, da die FSM insoweit den ihr gesetzlich zugewiesenen Beurteilungsspielraum nach § 20 Abs. 5 JMStV eingehalten habe.

Von den einzig konkret benannten beiden Teletexttafeln sei lediglich eine bescheidsgegenständlich; soweit die Teletexttafel 100 zur Begründung eines Untersagungsbescheids der Tafeln 300 bis 600 bemüht worden sei, führe dies alleine zur Rechtswidrigkeit des Bescheides.

Die Antragsgegnerin bemühe zur Begründung eines vermeintlichen Jugendschutzverstoßes sittlich-moralische Wertungen wie eine behauptete €Anzüglichkeit€, welche nach jugendschutzrechtlichen Grundsätzen nicht relevant sei und einer korrekten Auslegung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages nicht entspreche.

Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom € 2011 beantragte die Antragsgegnerin,

den Antrag zurückzuweisen.

Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, etwaige wirtschaftliche Nachteile der Antragstellerin durch die Vollziehung des Bescheides könnten grundsätzlich auch nachträglich ausgeglichen werden. Es würden keine veränderten Tatsachen geschaffen, denn es sei der Antragstellerin ausschließlich untersagt, für die Dauer der Aussetzung erotische Teletext-Angebote und zwar lediglich in der Zeit zwischen 6.00 Uhr und 22.00 Uhr zu verbreiten. Die Klage der Antragstellerin habe keine Aussicht auf Erfolg, denn die Untersagung des gesamten Erotik-Teletext-Angebotes sei rechtmäßig. Angebote im Sinne der Legaldefinition in § 3 Abs. 2 Nr. 2 JMStV stellten jedenfalls Inhalte dar, die inhaltlich zusammenhängend und in sich geschlossen seien. €Angebot€ sei entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht so zu verstehen, dass es hier um einzelne Textseiten geht, so dass die Antragsgegnerin in dem maximal 300 Seiten umfassenden Angebot jeweils die konkreten Seiten benennen müsste. Vielmehr gehe es um die Entwicklungsbeeinträchtigung durch das in sich abgeschlossene Angebot €Erotik-Teletext€ auf den Tafeln 600 bis 900. Maßgeblich sei nicht, welche Inhalte sich auf einzelnen Tafeln finden, sondern welche Intension das Erotik-Teletext-Angebot (Tafeln 600 bis 900) insgesamt verfolge. Ergebe sich, dass nicht lediglich untergeordnete Teile dieses Angebotes entwicklungsbeeinträchtigend sind, sei das Angebot insgesamt zu untersagen. Anders sei ein effektiver Jugendschutz nicht möglich. Aufgrund der Stellungnahme der KJM zu dem Ergebnis der Präsenzprüfung, der exemplarischen Darstellung, weshalb die Inhalte entwicklungsbeeinträchtigend seien, und schließlich der Camtasia-Aufzeichnung sei es für die mit dem erotischen Teletext-Angebot befasste Stelle ohne weiteres nachvollziehbar, inwieweit die KJM diese Inhalte beanstande. Dies genüge dem Bestimmtheitsgrundsatz auch im Sinne von Art. 37 VwVfG. Es sei anerkannt, dass die entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung anhand einzelner Beispiele eine hinreichende inhaltliche Konkretisierung darstelle.

Auch die Befassung der FSM durch die KJM sei nicht zu beanstanden. Im Vorlageschreiben der KJM vom € 2009 sei eine Aufstellung der jeweiligen Angebote und nicht einzelner Tafeln erfolgt. Die von der FSM daraufhin getroffene Entscheidung - beruhend ausschließlich auf den beispielhaft konkret benannten Texttafeln - sei nicht ausreichend mit der Folge, dass die FSM ihren Beurteilungsspielraum im Sinne von § 20 Abs. 5 JMStV überschritten habe. Anhand der Aufzeichnungen wäre es der FSM ohne weiteres möglich gewesen, konkret festzustellen, ob eine Entwicklungsbeeinträchtigung gegeben sei, und hierüber auch eine Entscheidung zu treffen. Das Unterlassen einer umfassenden Sachverhaltsermittlung - der von der KJM zudem auf DVD mitgeliefert worden sei - stelle eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums dar. Aufgrund der isoliert vorgenommenen Prüfung habe die FSM auch das anzuwendende Recht verkannt. Die Prüfung eines Angebots lediglich anhand eines schematischen Ampelsystems erfülle nicht die an die Prüfung einer Entwicklungsbeeinträchtigung anzulegenden Kriterien, für die insbesondere auch der Gesamteindruck maßgeblich sei. Die Auffassung der FSM, sie könne eine Entwicklungsbeeinträchtigung mit der Begründung ausschließen, maßgebliche Elemente des Pornografiebegriffes seien nicht erfüllt, sei grob rechtsirrig. Komme die FSM zu dem Ergebnis, dass kein pornographisches Angebot vorliege, folge hieraus nicht zugleich, dass das Angebot nicht (zumindest) entwicklungsbeeinträchtigend sei. Diese Prüfung habe die FSM jedoch gerade nicht vorgenommen.

Gestaltung und Inhalt der hier in Rede stehenden Telefonsex-Anzeigen sei in keiner Weise mit den vom BGH - in der von der Antragstellerin angeführten Entscheidung -bewerteten Kontaktanzeigen vergleichbar. Die Gestaltung der Anzeigen in der Zeitung sei völlig unprätentiös. Auch der Inhalt sei nicht vergleichbar - weder bei einer Einzelbetrachtung noch bei einer Gesamtschau. Schließlich entscheide die KJM auf der Grundlage eines eigenen Beurteilungsspielraums, der gerichtlicher Überprüfung nach Auffassung der Antragsgegnerin grundsätzlich entzogen sei.

Die Antragstellerin vertiefte ihre Ausführungen mit Schriftsatz vom € 2011.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Akten der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag ist nicht begründet. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO der im Bescheid vom € 2010 gegenüber der Antragstellerin ausgesprochenen Untersagung der Verbreitung der auf den Tafeln 600 bis 900 ihres Teletext-Angebots enthaltenen Erotik-Angebote in der Zeit von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr ist nicht zu beanstanden.

Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen, sofern das Interesse des Betroffenen, von der Vollziehung des belastenden Verwaltungsaktes bis zur Klärung seiner Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung übersteigt. Das Gericht hat hierbei nach dem Sach- und Streitstand im Zeitpunkt seiner Entscheidung eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Bei der danach erforderlichen Abwägung der Interessen sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen, soweit sie bei summarischer Prüfung bereits im Zeitpunkt der Entscheidung beurteilt werden können. Summarische Prüfung im Rahmen eines Eilverfahrens bedeutet insbesondere, dass eine umfassende Beweisaufnahme nicht durchgeführt wird, sondern dem Klageverfahren vorbehalten bleiben muss. Ergibt die Überprüfung der Erfolgsaussichten, dass das Rechtsmittel offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer reinen Interessenabwägung.

Nach derzeitigem Sach- und Streitstand spricht vieles dafür, dass die Klage der Antragstellerin nur geringe Aussicht auf Erfolg hat und sich der angefochtene Bescheid vom € 2010 sich im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen wird.

1. Die Antragsgegnerin hat die zeitliche Beschränkung zu Recht auf § 20 Abs. 1 und 4 JMStV i.V.m. § 59 Abs. 3 RStV gestützt. Die Antragsgegnerin geht in dem streitgegenständlichen Bescheid wohl zu Recht von einem Verstoß der Antragstellerin gegen die Bestimmungen des § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 und 4 Satz 2 JMStV aus. Nach § 5 Abs. 1 JMStV haben Anbieter, die Angebote verbreiten oder zugänglich machen, welche geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufe diese Angebote üblicherweise nicht wahrnehmen. Nach der Begriffsbestimmung in § 3 Abs. 2 Nr. 1 JMStV sind €Angebote€ Rundfunksendungen oder Inhalte von Telemedien. Diese Legaldefinition besagt lediglich, dass es sich um auf elektronischem Weg übermittelte Inhalte handelt (Hartstein u.a., Jugendmedienschutz-Staatsvertrag III, RdNr. 3 zu § 3). Dieser Legaldefinition mit ihrer allgemeinen Aussage lassen sich keine Kriterien für die Bestimmung von Inhalt und Umfang eines Angebots entnehmen, das Gegenstand von Maßnahmen der Medienaufsicht ist.

1.1 Die Antragsgegnerin dürfte an Maßnahmen im Hinblick auf die Einhaltung der Bestimmungen zum Jugendschutz nicht durch die Entscheidung der FSM gehindert gewesen sein, dass das Teletextangebot der Antragstellerin nicht geeignet ist, Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu beeinträchtigen und deshalb nicht gegen § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 und 4 Satz 2 JMStV verstößt. Da die streitgegenständlichen Teletexttafeln unstreitig Telemedien sind, hat die Antragsgegnerin durch die KJM nach § 20 Abs. 5 Satz 1 JMStV die FSM als anerkannte Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle mit Schreiben vom € 2009 befasst. In diesem Schreiben werden 14 Fälle von Teletext-Angeboten aufgeführt, die eine Prüfgruppe der KJM als entwicklungsbeeinträchtigend für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren bewertet hatte. Als Anlage ist dem Schreiben eine Tabelle mit dem Ergebnis der 15. Präsenzprüfung Telemedien der KJM-Prüfgruppe am 25. März 2009 beigefügt, in dem das Angebot mit €Erotik-Teletext-Angebot von € (ca. S. 600 - 900)€ beschrieben und als Prüfgrundlage eine €Camtasia-Aufzeichnung der BLM vom € 2009€ angeführt wird. Die von der Antragsgegnerin mit den Vorgangsakten vorgelegte und vom Gericht gesichtete DVD gibt eine große Zahl von Teletexttafeln mit den Seiten Nr. 100 und von Seite 600 bis wohl Seite 829 mit dem Datum vom € 2009 sowie einige Tafeln von Seite 750 bis über 800 mit dem Datum € 2009 wieder. Diese Aufzeichnung ist keineswegs beschränkt auf die Teletexttafeln S. 100 und 618, die die FSM ihrer Prüfung zu Grunde gelegt hat. Das spricht dafür, dass die KJM den Prüfungsgegenstand der Befassung nach § 20 Abs. 5 Satz 1 JMStV hinreichend bestimmt beschrieben hat. Aus der Tatsache, dass in der Eingangsbestätigung der FSM vom € 2009 als Gegenstand der Beanstandung im €Teletext nur die Tafeln 100 und 618 genannt sind, und die KJM dem nicht schriftlich widersprochen hat, kann die Antragstellerin wohl nicht ableiten, dass die Befassung auf diese beiden Teletexttafeln beschränkt sein sollte. Das Schweigen kann nach den Umständen wohl nicht als Zustimmung ausgelegt werden.

1.2 Wohl zu Recht ist die Antragsgegnerin davon ausgegangen, dass die FSM die Grenzen ihres gesetzlichen Beurteilungsspielraums im vorliegenden Fall überschritten hat. Nach § 20 Abs. 5 Satz 2 JMStV sind Maßnahmen gegen den Anbieter durch die KJM nur dann zulässig, wenn die Entscheidung der anerkannten Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle die rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums überschreitet. Ist ein Beurteilungsspielraum durch ein Gesetz eingeräumt, beschränkt sich die Nachprüfung durch ein Gericht oder die Aufsichtsbehörde darauf, ob die gültigen Verfahrensbestimmungen eingehalten worden sind; ob die Behörde von einem richtigen Verständnis (Auslegung) des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen ist; ob sie den erheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt hat; ob sie sich bei der eigentlichen Beurteilung an allgemein gültige Wertungsmaßstäbe gehalten und das Willkürverbot nicht verletzt hat. Erweist sich, dass die Behörde von einem unvollständigen oder unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, so ist die Entscheidung fehlerhaft, auch wenn sie bei Zugrundelegung des richtigen Sachverhalts vertretbar wäre (vgl. Eyermann/Rennert, VwGO, 13. Auflage, RdNrn. 78, 80 zu § 114 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall hat sich die FSM darauf beschränkt, die Teletext-Tafeln S. 100 und 618 der Antragstellerin ihrer Prüfung zu Grunde zu legen. Der Beurteilungsspielraum ist jedoch überschritten, wenn die Behörde bzw. hier die Selbstkontrolleinrichtung den erheblichen Sachverhalt nicht vollständig und zutreffend ermittelt hat. Was erheblich ist, bestimmt sich nach dem Prüfprogramm der zu treffenden Entscheidung. Erweist sich, dass die Behörde von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, so ist die Entscheidung fehlerhaft (Eyermann/Rennert, a.a.O., RdNr. 80 zu § 114). Es ist erforderlich, dass die Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle eine umfassende Sachverhaltsermittlung betreibt (Hartstein u.a., a.a.O., RdNr. 15 zu § 20 JMStV). Wie oben bereits ausgeführt, war durch das Vorlageschreiben der KJM das Prüfprogramm vorgegeben. Laut der Begründung der Entscheidung des FSM-Beschwerdeausschusses hat dieser die Prüfung beschränkt auf die Gesamtschau der beanstandeten Tafeln 100 und 618. Nach Auffassung des Gerichts hätte eine Gesamtbetrachtung des Teletext-Angebotes, das Werbung für sexuelle Kontakte enthält, erfolgen müssen. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beteiligten muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

1.3 Hat die Entscheidung der FSM die rechtlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums wie hier überschritten, sind nach § 20 Abs. 5 Satz 2 JMStV Maßnahmen nach Absatz 1 und 4 der Vorschrift gegen den Anbieter durch die KJM und die zuständige Landesmedienanstalt zulässig. Die Antragsgegnerin ist bei ihrer im Bescheid vom € 2010 enthaltenen Feststellung, das im Erotik-Teletext-Angebot frei zugänglich Inhalte verbreitet werden, die entwicklungsbeeinträchtigend für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren sind und dies einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 und 4 Satz 2 JMStV darstellt, an den Beschluss der KJM gebunden. Die KJM ist ein funktionelles Organ der Beklagten. Sie ist für die abschließende Beurteilung von Angeboten (§ 16 Satz 1 JMStV) nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag zuständig. Ihre Beschlüsse sind für die jeweilige Landesmedienanstalt bindend und deren (weiteren) Entscheidungen zu Grunde zu legen (§ 17 Abs. 1 Sätze 5 und 6 JMStV - vgl. BayVGH vom 23.3.2011 7 BV 09.2512 RdNr. 26).

Der Beschluss der KJM vom € 2010 dürfte in materieller Hinsicht im Hauptsacheverfahren nicht zu beanstanden sein. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin kommt ihr hinsichtlich der Frage, ob ein Angebot geeignet ist, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen (§ 5 Abs. 1 JMStV), zwar kein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Ihre Einschätzung ist jedoch als sachverständige Aussage zu begreifen, die im gerichtlichen Verfahren nur mit dem gleichen Aufwand in Frage gestellt werden kann, der notwendig ist, um die Tragfähigkeit fachgutachtlicher Äußerungen zu erschüttern. Ist die Bewertung der KJM in diesem Sinn nicht in Frage gestellt, so ist dem Gericht verwehrt, seine eigene Bewertung an die Stelle der Bewertung der KJM zu setzen (vgl. mit ausführlicher Begründung BayVGH vom 23.03.2011 a.a.O., RdNrn. 32 ff.). Nach der vom BayVGH angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedarf es im gerichtlichen Verfahren keines weiteren gerichtlich bestellten Sachverständigengutachtens, wenn das im Verwaltungsverfahren von der Verwaltung eingeholte sachverständige Gutachten keine Mängel aufweist und die Tragfähigkeit der sachverständigen Aussagen von den Beteiligten auch sonst nicht erschüttert wurde (BayVGH vom 23.03.2011 a.a.O., RdNr. 45 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall beruhen die sachverständigen Bewertungen der KJM auf der Vorlage für den KJM-Prüfausschuss vom € 2010, der Vorlage für die KJM-Prüfgruppe vom € 2009 und der Prüfbegründung der Prüfgruppe vom € 2009. Diese setzen sich mit der Entscheidung der FSM vom 28. August 2009 und deren Begründung auseinander und kommen zum Ergebnis, dass die Auffassung der FSM aus Sicht des Jugendschutzes grundlegend zu kritisieren ist. Der sexualisierte, aufdringliche Charakter sei trotz Begriffsverfremdungen oder Verfremdung durch Zeichen noch gegeben und der verwendete Wortschatz sei als anzüglich einzustufen. Die durch die Verfremdung beschriebenen Sexualpraktiken, z.B. Sadomasochismus, erfolgten aus Erwachsenenperspektive für die Zielgruppe der Erwachsenen und entsprechen nicht dem Entwicklungsstand von Kindern und Jugendlichen. Die Verfremdungen dienten dabei nicht der Entschärfung der sexualisierten Inhalte, sondern zur Beschreibung diverser Sexualpraktiken. Gerade durch die verwendeten Abkürzungen verstärkten diese nach Auffassung der KJM-Prüfgruppe die Anziehungswirkung auf Kinder und Jugendliche. Die Prüfgruppe stellte weiter fest, dass pauschale Regelungen für geeignete und ungeeignete Begriffe oder Grafiken allein nicht ausschlaggebend sein könnten, sondern bei der vorliegenden Bewertung stets der Gesamtzusammenhang relevant sei. Das FSM-Gutachten werde grundsätzlich kritisch gesehen und an der ursprünglichen Beurteilung der KJM-Prüfgruppe am € 2009 festgehalten. Dort wurde festgestellt, dass die sexualisierten Inhalte der Teletext-Tafeln geeignet seien, Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren sozial-ethisch zu desorientieren und somit in ihrer Entwicklung zu beeinträchtigen. Das vorliegende Angebot präsentiere ein einseitiges, funktionalistisches Bild von Sexualität und diene ausschließlich dem Ziel der sexuellen Stimulation sowie der Animation erwachsener Nutzer, die beworbenen Dienste in Anspruch zu nehmen. Zwar vertritt die FSM eine davon abweichende Meinung und Bewertung. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind die Bewertungen jedoch nicht in ihrer Tragfähigkeit €erschüttert€ worden. Bei diesem Erkenntnisstand ist es dem Gericht verwehrt, seine eigene Bewertung an die Stelle der Bewertung der KJM zu setzen. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen vorläufigen Einschätzung des Gerichts wird somit ein Verstoß gegen § 5 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 2 JMStV zu bejahen sein. Die Antragsgegnerin weist zu Recht darauf hin, dass maßgeblich nicht ist, welche Inhalte sich auf einzelnen Tafeln befinden, sondern welche Intension das Erotik-Teletext-Angebot (Tafeln 600 - 900) insgesamt verfolge. Ergibt sich, dass nicht lediglich untergeordnete Teile dieses Angebotes entwicklungsbeeinträchtigend sind, ist das Angebot insgesamt zu untersagen.

1.3 Dürften somit die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten vorliegen, trifft gemäß § 20 Abs. 1, § 20 Abs. 4 JMStV i.V.m. § 59 Abs. 3 Satz 2 RStV die zuständige Landesmedienanstalt die erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter. Bei der im Bescheid vom € 2010 ausgesprochenen Beanstandung und Untersagung der Verbreitung des Angebots in der Zeit von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr handelt es sich um medienrechtliche Maßnahmen (VG Minden vom 18.08.2010 7 K 721/10 - juris -; VG Münster vom 12.02.2010 1 K 1608/09 - juris -). Die streitgegenständlichen Anordnungen genügen bei summarischer Prüfung dem allgemeinen Bestimmtheitsgebot des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Das bedeutet zum einen, dass der Adressat in die Lage versetzt werden muss, zu erkennen, was von ihm gefordert wird. Zum anderen muss der Verwaltungsakt geeignete Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (VG Münster a.a.O., RdNr. 41 m.w.N.). Die Verwendung generalisierender Begriffe ist möglich, wenn sie eine Bestimmbarkeit im konkreten Fall gestatten, z.B. durch die Beifügung von Beispielen in Fällen, in denen ein engerer Oberbegriff nicht mehr vorhanden ist. Zudem ist maßgeblich, welches Maß an Bestimmtheit der Behörde zur Regelung des fraglichen Sachverhalts überhaupt möglich ist. Die Anforderungen müssen bei normalem, dem Sachverhalt angemessenem Verwaltungsaufwand noch erfüllbar bleiben (Stelkens, VwVfG, 7. Auflage, RdNr. 5 zu § 37).

Im vorliegenden Fall besteht nach dem Tenor des Bescheids hinreichende Klarheit, dass sämtliche Inhalte auf den Tafeln 600 - 900 mit erotischem Inhalt ausschließlich in der Zeit zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr zugänglich sein dürfen. Das nach der Begründung des Bescheids die KJM nur €ca. 136€ der insgesamt 300 Tafeln als €problematisch€ eingestuft hat, ist keine Frage der Bestimmtheit der Untersagung, sondern wirft die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Untersagung auf.

1.5 Es bestehen keine durchgreifenden Bedenken dagegen, dass die ausgesprochenen Maßnahmen im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides erforderlich waren und auch im Übrigen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügten. Das aufsichtliche Einschreiten nach § 20 Abs. 1 JMStV verfolgt den Zweck, dem Anbieter das entsprechende Unrechtsbewusstsein zu vermitteln und vergleichbare Rechtsverletzungen zu verhindern. Eine Beanstandung stellt als Hinweis auf einen festgestellten Rechtsverstoß die denkbar mildeste Maßnahme gegenüber einem Anbieter dar (VG Minden a.a.O., RdNr. 37). Die Untersagung in Form der Sendezeitbeschränkung ist das mildestmögliche Mittel, um zu verhindern, dass Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren das Angebot wahrnehmen. Ohne das Untersagungsgebot kommt es zur Wiederholung vergleichbarer Verstöße. Die Untersagung ist auch angemessen und steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des Angebotes für den Anbieter und die Allgemeinheit. Die rein wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin haben insoweit hinter dem Jugendschutz zurückzutreten (so auch VG Minden a.a.O., RdNr. 39). Wie oben bereits ausgeführt, ist nicht maßgeblich, welche Inhalte sich auf einzelnen Tafeln befinden. Wie die Antragsgegnerin zu Recht ausführt, ist das Angebot insgesamt zu untersagen, wenn nicht lediglich untergeordnete Teile des Angebots entwicklungsbeeinträchtigend sein können. Anders wäre ein effektiver Jugendschutz nicht möglich, denn würden einzelne Seiten benannt, könnten diese durch andere Werbung ersetzt werden, und der Untersagungsbescheid liefe ins Leere.

2. Die Androhung des Zwangsgelds in Nr. 2 der Anordnung vom € 2011 findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Art. 31 und 36 BayVwZVG. Sie ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, bedarf zu ihrer Voll-streckung aber wohl einer erneuten Fristsetzung nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 BayVwZVG.

3. Ist nach dem oben Ausgeführten mit großer Wahrscheinlichkeit von der Erfolglosigkeit der Klage auszugehen, hat das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Untersagung ein größeres Gewicht. Das öffentliche Interesse entfällt nicht deshalb, weil die sofortige Vollziehung erst nach Klageerhebung mit Bescheid der Antragsgegnerin vom € 2011 angeordnet worden ist. Die Anordnung des Sofortvollzugs ist zwar in der Regel mit dem Verwaltungsakt, zu dem sie ergeht, zu verbinden, kann aber auch nachträglich gesondert getroffen werden. Die Behörde kann abwarten, ob ein Rechtsbehelf eingelegt wird, und dann hierauf durch die Vollziehbarkeitsanordnung reagieren. Dies ist bis zum Abschluss der verwaltungsgerichtlichen Verfahren zulässig (h.M., Eyermann/Schmidt, a.a.O., RdNr. 32 zu § 80; Sodan/Puttler, VwGO, 3. Auflage, RdNr. 76 zu § 80).

Auch der Einwand der Antragstellerin, die Antragsgegnerin habe bereits seit 2007 Kenntnis von den Erotik-Teletext-Tafeln, und das Verwaltungsverfahren habe überlang gedauert, lässt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Sendezeitbeschränkung nicht entfallen. Eine Gefahrenabwehr wird nicht dadurch weniger dringend, dass die Gefahr schon längere Zeit besteht und nichts geschehen ist (VG Kassel vom 30.08.2006 7 G 749/06 - juris -). Vielmehr besteht ohne Sofortvollzug die Gefahr, dass weitere Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung beeinträchtigt werden können. Im Übrigen ist die Verfahrensdauer auch dadurch bedingt, dass nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag das Verwaltungsverfahren aufwändig ausgestaltet ist und Entscheidungen durch die KJM getroffen werden, was wiederum einen bestimmten Zeitbedarf bedingt. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt das Interesse der Antragstellerin daran, den Bescheid vorerst nicht befolgen zu müssen. Nach Art. 5 Abs. 2 Grundgesetz findet auch die Rundfunkfreiheit ihre Schranken in den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend. Die Durchsetzung eines effektiven Jugendschutzes hat somit Verfassungsrang. Eingetretene Beeinträchtigungen der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sind womöglich nicht oder nur mit großem Aufwand rückgängig zu machen. Die entgegenstehenden wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin durch die Vermarktung der Teletext-Seiten zu Werbezwecken für sexuelle Kontakte können dagegen nachträglich ausgeglichen werden, falls sich der Bescheid im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen sollte.

Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 Gerichtkostengesetz.






VG München:
Beschluss v. 20.04.2011
Az: M 17 S 11.635


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/9da9d5d99770/VG-Muenchen_Beschluss_vom_20-April-2011_Az_M-17-S-11635




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