Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 10. Februar 1999
Aktenzeichen: 7 B 974/98

(OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 10.02.1999, Az.: 7 B 974/98)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- DM festgesetzt.

Gründe

Die vom Senat zugelassene Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 4. November 1996 zu Recht angeordnet, weil das genehmigte Vorhaben zu Lasten der Antragsteller gegen nachbarschützende Regelungen des Abstandrechts (§ 6 BauO NW) verstößt.

Das strittige Vorhaben eines Stahlgittermastes mit einer Funkstation für den Mobilfunk unterliegt dem in § 6 BauO NW landesrechtlich geregelten Abstandrecht. Bei dem zu errichtenden Objekt handelt es sich um eine bauliche Anlage iSv § 2 Abs. 1 BauO NW, auf die die Regelungen der Landesbauordnung nach § 1 Abs. 1 BauO NW anzuwenden sind. Ein Sonderfall des § 1 Abs. 2 BauO NW, der bestimmte Anlagen von der Anwendung der Landesbauordung ausnimmt, liegt nicht vor. Der hier genehmigte einzelne Mast ist insbesondere keine der Telekommunikation dienende Leitung iSv § 1 Abs. 2 Nr. 3 BauO NW. Es handelt sich vielmehr um einen Bestandteil einer Funkanlage, bei der die Informationsübertragung ohne Verbindungsleitungen stattfindet (vgl. § 3 Nr. 4 des Telekommunikationsgesetzes vom 25. Juli 1996 - TKG -).

Zutreffend ist das Verwaltungsgericht ferner davon ausgegangen, daß die Abstandregelungen des § 6 BauO NW auf den Funkmast anzuwenden sind, auch wenn es sich bei ihm nicht um ein Gebäude iSv § 2 Abs. 2 BauO NW handelt. Von dem Funkmast gehen jedenfalls Wirkungen wie von Gebäuden aus, so daß für ihn die Abstandregelungen des § 6 Abs. 1 bis 9 BauO NW nach Absatz 10 dieser Vorschrift sinngemäß gelten.

Die Beurteilung, ob die Wirkungen einer baulichen Anlage mit denen eines Gebäudes vergleichbar sind, hat anhand des Gebäudetypischen zu erfolgen, vor dem § 6 BauO NW schützen kann und soll. Seine Schutzzwecke liegen darin, daß er durch Mindestabstände die Gefahr der Brandübertragung, der Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung, der unangemessenen optischen Beengung oder der Störung des Wohnfriedens vorbeugen und ganz allgemein vermeiden soll, daß die Lebensäußerungen der in der Nachbarschaft wohnenden und arbeitenden Menschen zu intensiv aufeinander einwirken.

Vgl.: OVG NW, Urteil vom 8. September 1987 - 7 A 1671/86 -; Urteil vom 18. September 1992 - 11 A 276/89 - NWVBl. 1993, 224; Urteil vom 29. August 1997 - 7 A 629/95 - BauR 1998, 110 = NVwZ 1998, 978.

Diesen einem Gebäude typischerweise zuzuordnenden Folgewirkungen vergleichbar sind die von dem genehmigten Funkmast ausgehenden Beeinträchtigungen jedenfalls hinsichtlich ihrer optischen Auswirkungen auf die Nachbargrenze, auch wenn der Mast als - optisch nicht vollständig geschlossen erscheinende - Stahlgitterkonstruktion ausgestaltet ist. Insoweit kommt hinsichtlich des hier im Vordergrund stehenden optischen Erscheinungsbildes bei der Frage, ob von einer Anlage - im abstandrechtlichen Sinne - Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, namentlich dem Aspekt der Höhe besondere Bedeutung zu.

Vgl. OVG NW, Urteil vom 29. August 1997 - 7 A 629/95 - BauR 1998, 110 = NVwZ 1998, 978.

Nach der hier gewählten Konstruktionsform weist der Funkmast einen quadratischen Grundriß auf, über dem sich allseits die gitterförmige Außenkonstruktion des Mastes weit in die Höhe erhebt. Auch wenn man durch die vier Seiten des Mastes hindurchblicken kann, vermitteln sie optisch jedenfalls den Eindruck von flächigen Begrenzungen eines Raumkörpers, der - bezogen auf den Mast - erst ca. 40 m über dem Erdboden endet und dabei immerhin Seitenlängen von 2,50 m (am Erdboden) bis 1,30 m (im Bereich des Podestes) aufweist. Der Betrachter ist sich zwar der Unterbrechung der Seitenflächen durch die von der Konstruktion ausgesparten Bereiche bewußt. Dennoch wirkt die Konstruktion auf ihn in der Form, daß sie die gesamten Seitenflächen erfaßt, in ihren seitlichen und sonstigen Begrenzungen bestimmt und dadurch zu einem Erscheinungsbild führt, das den Eindruck einer flächenhaften Geschlossenheit der vier Seiten des Mastes vermittelt. Die schon wegen dieser flächenhaft in Erscheinung tretenden Dimensionen einem Gebäude vergleichbare Wirkung des strittigen Objekts als Raumkörper wird hier noch dadurch verstärkt, daß der Mast im oberen Bereich eine begehbare Plattform (Gitterrost) erhalten soll, die einen Durchmesser von 3,80 m aufweisen und am Rand mit maximal 9 Sektorantennen mit ca. 2,2 m Höhe versehen werden soll. Insgesamt betrachtet kommt dem Funkmast damit - trotz seiner in gewissem Umfang durchlässigen Gitterkonstruktion - eine hinsichtlich des optisch beengenden Eindrucks einem Gebäude vergleichbare belastende Wirkung zu, die die Einhaltung bauordnungsrechtlich vorgeschriebener Abstandflächen fordert.

Im Ergebnis ebenso: OVG Lüneburg, Urteil vom 23. November 1982 - 6 A 44/81 - BRS 39 Nr. 122; vgl. ferner: Sächs.OVG, Beschluß vom 17. Dezember 1997 - 1 S 746/96 - BauR 1998, 1226.

Die von der Beschwerde vorgetragenen Einwände geben zu einer anderweitigen Beurteilung keinen Anlaß. Der Umstand, daß der Senat die - im abstandrechtlichen Sinne - gebäudegleiche Wirkung von Windkraftanlagen maßgeblich auch mit dem Schatteneffekt des sich bewegenden Rotors einer solchen Anlage begründet hat,

- vgl.: OVG NW, Beschluß vom 6. Juli 1992 - 7 B 2904/91 - NVwZ 1993, 3007; bestätigt und vertieft durch Urteil vom 29. August 1997 - 7 A 629/95 - BauR 1998, 110 = NVwZ 1998, 978 -

ändert nichts daran, daß auch die hier genannten Kriterien die gebäudegleichen Auswirkungen haben können. Anderes mag dann gelten, wenn der Mast namentlich im Grundriß nur so geringe Dimensionen aufweist, daß er eher wie ein einzelner Pfosten oder Pfahl und damit nicht gebäudegleich erscheint.

Vgl. etwa OVG Schleswig, Urteil vom 29. August 1995 - 1 L 132/94 - JURIS- DokNr. 515446, wonach einem Antennenmast, der lediglich 36 bis 22 cm breit ist, auch dann keine gebäudegleiche Wirkung zukommt, wenn er das Dach eines Gebäudes um rd. 10 m überragt.

Davon kann bei dem hier in Rede stehenden Grundriß vom 2,50 x 2,50 m am Erdboden, auch wenn er sich über die Höhe von 40 m auf nahezu die Hälfte der Seitenlängen verjüngt, keine Rede sein. Der weiter von der Beschwerde angeführten Rechtsprechung des VG Neustadt an der Weinstraße ist für das hier einschlägige Landesrecht des Landes Nordrhein-Westfalen nicht zu folgen. Sie geht von einer für das nordrheinwestfälische Landesrecht nicht maßgeblichen zu engen Sichtweise des Schutzzwecks der Abstandvorschriften - Schutz benachbarter Grundstücke (nur) vor Beeinträchtigungen der Belüftung und Beleuchtung mit Tageslicht - aus und in dieser eingeschränkten Sicht schon von daher nicht für die Frage herangezogen werden, wann einer baulichen Anlage eine einem Gebäude vergleichbare Wirkung im Sinne von § 6 BauO NW zuzuordnen ist.

Hat der strittige Funkmast wegen seiner gebäudegleichen Wirkungen hiernach gemäß § 6 Abs. 10 BauO NW einen Grenzabstand einzuhalten, finden auf ihn die allgemeinen Regelungen über die Ermittlung des erforderlichen Abstandmaßes Anwendung. Einer der von den Absätzen 11 bis 17 des § 6 BauO NW erfaßten Sondertatbestände liegt nicht vor. Ebensowenig ist einer der in § 6 Abs. 1 BauO NW geregelten Fälle gegeben, in denen grenzständig gebaut werden darf. Maßgeblich ist - vorbehaltlich der noch anzusprechenden Frage einer zusätzlichen Anwendbarkeit des Schmalseitenprivilegs nach § 6 Abs. 6 BauO NW - vielmehr das sich aus § 6 Abs. 4 bis 5 BauO NW ergebende Regelmaß der Abstandfläche. Dieses beträgt in der vorliegenden Situation nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauO NW das Maß 0,8 bezogen auf die Wandhöhe H, die von der Geländeoberfläche bis zum oberen Abschluß der Wand zu ermitteln ist (§ 6 Abs. 4 Satz 2 BauO NW).

Für die Anwendung eines geringeren Faktors als 0,8 H ist hier kein Raum. Die gegenteilige Auffassung des Antragsgegners, der - entsprechend einer auf Landesministerebene abgestimmten Behandlung von Fernmeldetürmen - mit Rücksicht auf den Durchmesser des Mastes von weniger als 3,5 m und dessen Lage im Außenbereich lediglich den Faktor 0,5 H (ergänzt durch eine weitere Halbierung des Abstandsmaßes auf Grund des Schmalseitenprivilegs nach § 6 Abs. 6 BauO NW) angewandt wissen will, findet im Gesetz keine Stütze. Ministerielle Erlasse vermögen, wie die Antragsteller zu Recht hervorheben, die sich aus der Gesetzesanwendung ergebenden Konsequenzen nicht zu korrigieren. Erscheint die Einhaltung der geltenden Rechtslage - abgesehen von den noch zu erörternden Aspekten der Zulassung einer Abweichung nach § 73 BauO NW bzw. einer Erleichterung gemäß § 54 BauO NW - für bestimmte Tatbestände politisch nicht erwünscht, ist es Sache des Gesetzgebers, ggf. Sonderregelungen zu schaffen; die Verwaltung ist hierzu - auch auf ministerieller Ebene - nicht befugt. Auch die zwischenzeitlich während des Beschwerdeverfahrens in Kraft getretenen Sonderregelungen des § 6 Abs. 10 Sätze 2 bis 5 BauO NW für Windenergieanlagen (Gesetz zur Änderung der Landesbauordnung vom 24. Oktober 1998; GV.NW. S. 687) geben für eine abstandrechtliche Sonderbehandlung von Funkmasten der hier in Rede stehenden Art nichts her. Sie sind weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Im Gegenteil bestätigen sie sogar die vom Gesetzgeber geteilte Wertung des für die Interpretation des nordrheinwestfälischen Landesrechts abschließend zuständigen beschließenden Gerichts, daß auch von relativ schlanken, zugleich aber hohen baulichen Anlagen gebäudegleiche Wirkungen ausgehen können, die die Einhaltung eines Grenzabstands erfordern.

Das genannte Abstandmaß 0,8 H kann gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NW vor zwei Außenwänden von nicht mehr als 16 m Länge allerdings um die Hälfte reduziert werden, so daß vor diesen Wänden ein Maß von 0,4 H ausreicht. Insoweit ist angesichts des quadratischen Grundrisses des Funkmastes nicht von vornherein ausgeschlossen, daß das Schmalseitenprivileg vor den beiden nordöstlichen bzw. südöstlichen Seiten (= Außenwänden) des Funkmastes in Anspruch genommen wird, die schräg zum Grundstück der Antragsteller ausgerichtet sind. Ob eine solche Inanspruchnahme des Schmalseitenprivilegs hier tatsächlich möglich ist, erscheint bereits äußerst zweifelhaft. In diesem Fall müßten die beiden anderen, nach Nordwesten bzw. Südwesten ausgerichteten Seiten (Außenwände) des Funkmastes jedenfalls das Abstandmaß 0,8 H wahren; dabei dürfen diese Abstandflächen gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 BauO NW nur bis zur Mitte der westlich an das Baugrundstück (Flurstück 68) angrenzenden öffentlichen Verkehrsfläche der Brandisstraße reichen, was nach Aktenlage tatsächlich wohl ausgeschlossen erscheint. Letztlich kann all das aber dahinstehen, weil selbst bei Inanspruchnahme des Schmalseitenprivilegs vor den beiden zum Grundstück der Antragsteller ausgerichteten Seiten (Außenwänden) des Funkmastes der erforderliche Grenzabstand nicht gewahrt ist.

Die für die Ermittlung der Abstandfläche maßgebliche Wandhöhe H beträgt hier zumindest 40 m. Erst in dieser Höhe über dem Erdboden endet die Gitterkonstruktion des Mastes. Ob die am Außenrand der in ca. 38,90 m Höhe (rd. 1,10 m unterhalb des oberen Mastabschlusses) befindlichen Plattform vorgesehenen max. 9 Sektorantennen dazu führen, daß auch die von ihnen gebildete ca. 2,2 m hohe Umrandung bei der Ermittlung der Wandhöhe (mit dem Ergebnis einer Wandhöhe von ca. 41,10 m) zu berücksichtigen ist, oder ob diese umrandete Plattform als balkonartiger (Rundum-)Vorbau gemäß § 6 Abs. 7 Satz 1 BauO NW unberücksichtigt bleibt, kann ebenso dahinstehen wie die Frage, ob auch der weitere Aufbau auf dem Gittermast mit Richtfunkanlagen unberücksichtigt bleibt. Selbst unter Zugrundelegung der hier mindestens anzusetzenden Wandhöhe von 40 m beträgt die bei Inanspruchnahme des Schmalseitenprivilegs einzuhaltende Abstandfläche 16 m. Dies ist bei den schräg auf das Grundstück der Antragsteller ausgerichteten Seiten (Außenwänden) des Mastes nicht der Fall. Nach den genehmigten Bauvorlagen haben bei dem hier gewählten Standort des Funkmastes die zum Grundstück der Antragsteller ausgerichteten Abstandflächen bis zur Grenze selbst nur eine Tiefe von jeweils 10,16 m.

Der nach alledem zu bejahende Verstoß gegen das Abstandrecht ist nicht etwa deshalb irrelevant, weil die Antragsteller - wie die Beigeladene meint - durch die Verletzung des Abstandrechts tatsächlich nicht beeinträchtigt würden. Soweit die Beigeladene in diesem Zusammenhang auf ältere Rechtsprechung des Senats

- vgl.: OVG NW, Urteil vom 4. Juni 1985 - 7 A 480/84 - BRS 44 Nr. 161 -

und die für das nordrheinwestfälische Landesrecht ohnehin nicht einschlägige Rechtsprechung der Obergerichte anderer Bundesländer verweist, ist darauf hinzuweisen, daß in ständiger Rechtsprechung des Senats nunmehr geklärt ist, daß eine Nichteinhaltung der in § 6 BauO NW vorgeschriebenen Maße für die notwendigen Abstandflächen regelmäßig einen Abwehranspruch des betroffenen Nachbarn auslöst.

Vgl.: OVG NW, Beschluß vom 29. November 1993 - 7 B 2616/93 -; Urteil vom 14. Januar 1994 - 7 A 2002/92 -; Beschluß vom 1. August 1994 - 7 B 1626/94 - und Beschluß vom 28. August 1995 - 7 B 2117/95 -.

Maßgeblich für diese Sichtweise ist, daß der Landesgesetzgeber mit der Bestimmung fester und durch Messung überprüfbarer Maße für den Grenzabstand nicht etwa unterstellt hat, daß eine Beeinträchtigung des Nachbarn bei einem die Abstandflächenregelungen nicht vollständig ausnutzenden Bauwerk völlig fehlt und erst dann abrupt einsetzt, wenn die Abstandwerte unterschritten werden. In § 6 BauO NW ist vielmehr lediglich gesetzlich verankert worden, daß das Heranrücken eines Bauwerks und die damit immer verbundene Beeinträchtigung des Nachbarn erst dann rechtlich mit der Folge des Entstehens eines nachbarlichen Abwehranspruchs relevant wird, wenn die gesetzlich festgelegten Abstandwerte unterschritten werden.

Vgl.: OVG NW, Beschluß vom 28. August 1995 - 7 B 2117/95 - m.w.N..

Auf die im vorliegenden Verfahren umstrittenen Fragen der konkreten baulichen Nutzung bzw. Nutzbarkeit des Grundstücks der Antragsteller kommt es nach alledem nicht an. Wenn das einschlägige Landesrecht für das Objekt der Beigeladenen die Einhaltung eines bestimmten Grenzabstands vorgibt, können die Antragsteller - vorbehaltlich der noch anzusprechenden Fragen der Zulassung einer Abweichung nach § 73 BauO NW bzw. Gewährung einer Erleichterung gemäß § 54 BauO NW - die Einhaltung dieses Abstands auch verlangen.

Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Abweichung nach § 73 BauO NW liegen nicht vor. Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift macht die Anwendbarkeit der Norm davon abhängig, daß ein Vorhaben "unter Würdigung nachbarlicher Interessen" mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Es versteht sich von selbst, daß damit nicht nur das Erfordernis der Würdigung als reiner Verfahrensvorgang gemeint ist, sondern daß die nachbarlichen Interessen materiell die Zulässigkeit einer Abweichung mitbestimmen sollen. Ist - wie im vorliegenden Fall - ein eindeutiger Verstoß gegen materielle nachbarschützende Vorschriften des Abstandrechts und damit ein dadurch bedingter Eingriff in die materiellrechtlich geschützte Rechtssphäre des Nachbarn festzustellen, dann ist die Zulassung der Abweichung jedenfalls dann unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ermessensgerecht, wenn - wie hier - gleichgewichtige öffentliche Belange nicht entgegengehalten werden können. Die Belange des Bauherren selber scheiden insoweit schon deshalb als Gegengewicht aus, weil der Gesetzgeber in dieser Hinsicht bereits durch die die gegenläufigen Interessen benachbarter Grundeigentümer regelnden Abstandvorschriften abschließende Festlegungen getroffen hat, die im vorliegenden Fall zu Gunsten des Nachbarn sprechen und in Bezug auf die Anhaltspunkte dafür, daß diese Festlegungen in der vorliegenden Fallgestaltung den Zielvorstellungen des Gesetzgebers nicht entsprechen könnten, nicht gegeben sind.

Vgl.: OVG NW, Urteil vom 29. August 1997 - 7 A 629/95 - BauR 1998, 110 = NVwZ 1998, 978 m.w.N..

Hier fehlt es bereits an einer atypischen Situation und auch an sonstigen öffentlichen Belangen, die trotz der Verletzung der Abstandregelung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung einen Verzicht auf die Einhaltung des erforderlichen Abstands rechtfertigen könnten. Dabei geht es nicht um den von der Beigeladenen für sich reklamierten "Versorgungsauftrag" - sofern ein solcher denn überhaupt anzunehmen ist - im allgemeinen, sondern lediglich um die Frage, ob in der gegebenen örtlichen Situation ein Funkmast für den Mobilfunk am gewählten Standort und unter Verletzung nachbarlicher Abstandbelange errichtet werden darf. Dies ist eindeutig zu verneinen. Dafür, daß im engeren oder weiteren Umfeld des hier gewählten Standorts kein alternativer Standort zu finden wäre, an dem der Funkmast unter Wahrung der gesetzlichen Abstanderfordernisse errichtet werden könnte, ist nichts konkretes vorgetragen oder sonst ersichtlich. Der diesbezügliche Vortrag der Beigeladenen etwa in ihrem Schreiben an den Antragsgegner vom 17. Januar 1997 (Bl. 97 ff der Beiakte Heft 1) enthält die bloße, durch nichts belegte Behauptung, die Beigeladene könne ihre "Versorgungspflicht" nach § 17 TKG ohne die hier strittige Anlage nicht erfüllen. Auch der umfangreiche Vortrag der Beigeladenen im gerichtlichen Verfahren beschränkt sich hinsichtlich dieser Frage auf die schlichte Behauptung, daß der Standort zur Sicherung ihrer Pflichten "unabdingbar" sei (S. 8 des Schriftsatzes vom 18. März 1998). Im übrigen ist es letztlich - wie die Verhandlungen zwischen den Antragstellern und der Beigeladenen belegen - ohnehin nur eine Frage des Preises für die zusätzlich benötigten Grundflächen, ob der strittige Funkmast gerade am hier in Rede stehenden Standort errichtet werden kann.

Schließlich scheidet auch die Gewährung einer Erleichterung gemäß § 54 BauO NW aus. Eine Erleichterung kann danach im Einzelfall gestattet werden, soweit es der Einhaltung von Vorschriften - auch hinsichtlich der Abstände von Nachbargrenzen - wegen der besonderen Art der Nutzung baulicher Anlagen nicht bedarf. Auch das ist hier nicht der Fall. Die besondere Art der Nutzung des Funkmastes ist ohne Einfluß darauf, daß von dem Bauwerk selbst Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, die - wie dargelegt - im Interesse der Wahrung eines angemessenen Sozialabstands gerade die Einhaltung der gesetzlichen Abstandmaße gebieten.

Der von der Beigeladenen hilfsweise begehrten Festlegung einer Sicherheitsleistung bedurfte es nicht, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Selbstverständlich können die Antragsteller die ihnen von der Rechtsordnung zugestandenen nachbarlichen Abwehrrechte wahrnehmen, die es in der hier vorliegenden Konstellation gebieten, ihrem Interesse an der vorläufigen Unterbindung des offensichtlich zu ihren Lasten nachbarrechtswidrigen Vorhabens den Vorrang vor dem Interesse der Beigeladenen an der Ausnutzung der offensichtlich rechtswidrigen Baugenehmigung einzuräumen. Wenn die Beigeladene bei der Auswahl des hier strittigen Standorts des Funkmastes - aus welchem Grund auch immer - einer rechtlichen Fehleinschätzung unterlegen ist, hat sie die wirtschaftlichen Folgen dieser Fehleinschätzung selbst zu tragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.






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