Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 21. Juni 2011
Aktenzeichen: I-24 U 155/10

(OLG Düsseldorf: Urteil v. 21.06.2011, Az.: I-24 U 155/10)

Tenor

1.

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 20. August 2010 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter - teilweise abgeändert und unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.887,10 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 3.673,79 EUR seit dem 21. Februar 2008 und aus weiteren 213,31 EUR seit dem 21. November 2008 zu zahlen.

Die Beklagte wird außerdem verurteilt, die in ihrem Besitz befindlichen Handakten über die von ihr für die Klägerin geführten Familienrechtsstreitigkeiten an die Klägerin zu Händen des Klägervertreters herauszugeben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 42 % und die Beklagte zu 58 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Der Rückzahlungsanspruch der Klägerin beläuft sich lediglich auf 3.673,79 EUR, da der Beklagten ein Vergütungsanspruch in Höhe von 3.383,46 EUR zusteht.

I.

Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin die Beklagte gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, Alt. 1 BGB auf Rückzahlung überzahlten Anwaltshonorars in Anspruch nehmen kann. Die Klägerin schuldet der Beklagten nur die gesetzliche Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). Die darüber hinausgehenden Zahlungen erfolgten ohne Rechtsgrund.

1.

Der Vergütungsanspruch der Beklagten richtet sich nicht nach der zwischen den Parteien geschlossenen Honorarvereinbarung vom 02. November 2006 und der nachfolgenden Vereinbarung vom 12. Februar 2007, sondern nach den gesetzlichen Vergütungsregeln des RVG. Denn die Beklagte hat es bei Abschluss des Anwaltsdienstvertrags schuldhaft unterlassen, die Klägerin darüber aufzuklären, dass die Höhe des zu vereinbarenden Honorars das zu erwartende gesetzliche Maß wesentlich überstieg, woraus der Klägerin ein auf Befreiung von dieser Verbindlichkeit gerichteter Schadensersatzanspruch erwachsen ist (vgl. Senat, FamRZ 2008, 622; NJW 2000, 1650). Ob die Vereinbarung im Übrigen wirksam ist, kann offen bleiben.

a) Die Beklagte hätte die Klägerin ungefragt über den Umstand der Überschreitung der gesetzlichen Gebühren und die zu erwartende Höhe des vereinbarten Honorars aufklären müssen. Die Klägerin war nämlich unter Berücksichtigung der Umstände, unter denen die Honorarvereinbarungen zustande gekommen sind, in hohem Grade und für die Beklagte erkennbar aufklärungsbedürftig. Dieser vorvertraglichen Pflicht ist die Beklagte schuldhaft nicht nachgekommen.

aa) Der Rechtsanwalt muss den Mandanten allerdings in der Regel nicht ungefragt über die Vergütungspflichtigkeit seiner anwaltlichen Tätigkeit und die Höhe des Honorars unterrichten. Denn der rechtliche Beratung suchende Mandant weiß oder muss jedenfalls wissen, dass der Rechtsanwalt seinen Beruf zur Bestreitung seines Lebensunterhalts ausübt und deshalb nicht honorarfrei tätig wird (vgl. BGH FamRZ 2006, 478; Senat, NJW 2000, 1650; FamRZ 2008, 622). Etwas anderes gilt jedoch, wenn sich der Rechtsanwalt ein Honorar versprechen lässt, welches die gesetzlichen Gebühren überschreitet. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 RVG in der Fassung vom 14.Juli 2006 (künftig: RVG a.F.), der im Streitfall noch anzuwenden ist, kann der Rechtsanwalt eine höhere als die gesetzliche Gebühr nur dann verlangen, wenn der Mandant das Versprechen schriftlich gegeben hat. Selbst dann geht der Gesetzgeber zwar für den Regelfall davon aus, dass der informationsbedürftige Mandant die Unterzeichnung eines Honorarversprechens zum Anlass nehmen wird, den Rechtsanwalt zu Details des Honorars zu befragen. Im Einzelfall kann aber entgegen der Ansicht der Beklagten auch eine vertragliche Nebenpflicht bestehen, den Mandanten ungefragt über das Maß der Gebührenüberschreitung aufzuklären (vgl. Senat, FamRZ 2006, 622; allg. Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl., § 123 Rn. 5a ff., § 242 Rn. 37, § 280 Rn. 30). Ob ein solcher Fall gegeben ist, hängt von den für den Rechtsanwalt erkennbaren Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung von Treu und Glauben im Rechtsverkehr ab (vgl. BGH, FamRZ 2006, 478 m.w.N.; NJW 2005, 1266; Senat, a.a.O.).

bb) Eine Aufklärungspflicht war hier im Hinblick auf die finanzielle Situation der Klägerin zu Mandatsbeginn, ihr offensichtliches Interesse an Kostenfragen sowie die Ausgestaltung der Honorarvereinbarung begründet.

(1) Bereits bei Abschluss der ersten Honorarvereinbarung am 02. November 2006 war für die Beklagte erkennbar, dass es der Klägerin darauf ankam, möglichst nicht mit den Kosten der gerichtlichen Verfahren belastet zu werden. Schon dem Gegenstand des Mandats, der vorläufigen Regelung des Ehegatten- und Kindesunterhalts, lies sich entnehmen, dass die Klägerin nur über begrenzte finanzielle Mittel verfügte und auf den Unterhalt ihres getrennt lebenden Ehemannes angewiesen war. Wegen der besonderen Eilbedürftigkeit beantragte die Beklagte dementsprechend beim Amtsgericht - Familiengericht - Krefeld den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Dort führte die Beklagte aus, die Klägerin sei "Hausfrau und ohne Einkünfte", sie habe Anfang August 2006 im Rahmen ihrer Kontovollmacht 4.000 EUR von dem Konto ihres Ehemannes abgehoben, diese Beträge seien "selbstredend vollends aufgezehrt", die Klägerin sei daher dringend auf die einstweilige Anordnung angewiesen. Zugleich beantragte sie, die in der Hauptsache begehrte Prozesskostenhilfe auf das einstweilige Verfügungsverfahren auszudehnen. Die Beklagte musste daher von beengten wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerin ausgehen. Vor Antragstellung war sie gehalten zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 114 S. 1 ZPO vorlagen, die Klägerin also nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht vollständig aufbringen konnte. Der Beklagten war auch die Tatsache bekannt, dass die Klägerin es zu vermeiden suchte, selbst mit Prozesskosten belastet zu werden. Vor diesem Hintergrund hätte die Beklagte die Klägerin schon bei Abschluss der ersten Honorarvereinbarung über die zu erwartende Kostenlast aufklären müssen.

Soweit die Beklagte vorträgt, die Klägerin habe ihr bei Mandatsannahme mitgeteilt, sie verfüge über ausreichendes Barvermögen, und sie, die Beklagte, habe daraus geschlossen, die Klägerin sei nicht bedürftig, setzt sie sich in Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten. Denn wäre die Klägerin tatsächlich so vermögend gewesen, wie es die Beklagte vorträgt, hätte diese von einem Antrag auf Prozesskostenhilfe absehen und die Klägerin diesbezüglich informieren und aufklären müssen. Dies hat sie jedoch nicht getan.

Ob die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht erfolgt ist, ist unerheblich. Schon die Tatsache, dass sich die Klägerin mit der einstweiligen Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs gegen ihren Ehemann an die Beklagte wandte und um die Beantragung von Prozesskostenhilfe bat, hätte die Beklagte zur Aufklärung über die zu erwartenden Kosten veranlassen müssen, weil dieses Verhalten jedenfalls dem Wunsch der Klägerin Ausdruck verlieh, die Verfahrenskosten möglichst gering zu halten (vgl. auch Senat; VersR 2010, 1503; OLGR Düsseldorf 2008, 817 NJW 2000, 1650; LG Darmstadt, Urteil vom 25. Oktober 2006, 21 S 101/06 (bei juris)). Das Bestehen einer Rechtsschutzversicherung lässt den Willen des Mandanten erkennen, nicht von der Versicherung gedeckte Kosten vermeiden zu wollen (Senat OLGR Düsseldorf 2008, 817 ferner Urteil vom 12.4.2011 - I-24 U 160/10 bei Juris und BeckRS 2011, 22083)

(3) Die Aufklärungsbedürftigkeit der Klägerin wird schließlich auch dadurch begründet, dass die Kostenklauseln der Honorarvereinbarungen zu komplex, selbst für Fachleute nicht auf den ersten Blick in den Folgen abschätzbar und erst recht für einen Laien wie die Klägerin nicht ohne weiteres verständlich waren. Eine hinreichende Aufklärung der Klägerin (vgl. hierzu Senat, FamRZ 2008, 622) hat die Beklagte nicht geleistet. Dass die Beklagte der Klägerin vor Unterzeichnung der Honorarvereinbarung Gelegenheit gab, diese zu Hause durchzulesen, lässt das Aufklärungsbedürfnis nicht entfallen. Denn ohne ergänzende Erläuterungen war es der Klägerin nicht möglich, die Honorarvereinbarung zu verstehen, das Kostenrisiko abzuschätzen und sich in diesem Wissen für oder gegen eine Mandatierung der Beklagten zu entscheiden. Erklärungsbedarf bestand insbesondere hinsichtlich des in der Honorarvereinbarung vorgegebenen Mindestgegenstandwerts von 8.000 EUR, der Vorgabe einer Mindestgebühr unabhängig von dem tatsächlichen Arbeitsaufwand, hinsichtlich des Maßes der Überschreitung der gesetzlichen Gebühr und der daraus folgenden zu erwartenden Höhe der einzelnen Gebühren.

b) Die Aufklärungspflichtverletzung führt gemäß §§ 241 Abs. 2, 276, 280 Abs. 1 BGB zu einem Schadensersatzanspruch der Klägerin mit dem Inhalt, von dem vereinbarten Honorar befreit zu werden (Senat, NJW 2000, 1650). Es kann nämlich bei festgestellter Pflichtverletzung auf der jetzt maßgeblichen Ebene der haftungsausfüllenden Kausalität (§ 287 ZPO) vermutet werden, dass die Klägerin bei zutreffender Aufklärung die Honorarvereinbarungen nicht unterzeichnet hätte (BGH, NJW 1996, 2503). Bei Erfüllung der der Beklagten obliegenden Aufklärungsverpflichtung hätte die Klägerin erfahren, dass das aufgrund der Vergütungsvereinbarung geschuldete Honorar das gesetzliche Maß um mehr als das Doppelte überstieg. Die Beklagte hat keine Tatsachen dargelegt, die geeignet sein könnten, die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens der Klägerin zu erschüttern.

2.

Der Beklagten stand infolgedessen nur ein Vergütungsanspruch in Höhe von insgesamt 3.383,46 EUR zu, der sich anhand der Gebührenvorschriften des RVG wie folgt berechnet:

a) Für ihre Tätigkeit in dem einstweiligen Anordnungsverfahren vor dem Amtsgericht Krefeld (Az. 64 F 276/06 AI) konnte die Beklagte, soweit es die im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Gebühren (Geschäftsgebühr, Verfahrensgebühr, Telekommunikationspauschale) betrifft, von der Klägerin einen Betrag von 876,73 EUR verlangen.

aa) Die Klägerin kann keine Geschäftsgebühr beanspruchen.

Die zunächst außergerichtliche und dann gerichtliche Tätigkeit in derselben Angelegenheit stellen nur dann zwei verschiedene und dann auch getrennt vergütungsfähige Angelegenheiten im kostenrechtlichen Sinne dar, wenn die Beklagte bei Beginn der außergerichtlichen Tätigkeit noch keinen Klageauftrag hatte (vgl. nur Riedel/Sußbauer/Fraunholz, RVG, 9. Aufl., § 19 Rn. 2; Hartung/ Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., § 19 Rn. 28). Hatte sie dagegen bereits einen Auftrag, das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung einzuleiten, stellten vorbereitende Handlungen, etwa die Anmahnung von Unterhaltszahlungen oder das Führen außergerichtlicher Verhandlungen, keine eigene Angelegenheit dar. Vielmehr werden derartige außergerichtliche Tätigkeiten, wie es § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 RVG ausdrücklich regelt, vom Klageauftrag erfasst und nicht besonders vergütet. Diesbezüglich fehlt es an einem konkreten Vortrag der insoweit darlegungspflichtigen Beklagten. Es ist nicht ersichtlich, welche außergerichtlichen Tätigkeiten die Beklagte in dem hier in Rede stehenden Zusammenhang entfaltet hat, zumal ein Gesuch um Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Hauptsacheverfahren Trennungs- und Kindesunterhalt bereits von dem vorigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin anhängig gemacht worden war. Die Abrechnung der Geschäftsgebühr ist daher unschlüssig.

bb) Zutreffend hat das Landgericht die 1,3 Verfahrensgebühr und die Telekommunikationspauschale in seine Rechnung eingestellt. Soweit die Beklagte weitergehende Forderungen geltend macht (Fahrtkosten, Abwesenheitsgeld), hat sie ihre Ansprüche an ihre Prozessbevollmächtigte abgetreten, die diese in einem gesonderten Klageverfahren geltend macht (Landgericht Krefeld, Az. 5 O 532/09). Als Rechtsgrund für die Leistung der Klägerin kann sich die Beklagte daher auf diese Gebührentatbestände nicht berufen.

cc) Es ergibt sich folgende Berechnung:

Gegenstand (Streit-/Gegenstandswert: 13.050,18 EUR)

Wert (in EUR)

1,3 Verfahrensgebühr (VV 3100 RVG)

Telekommunikationspauschale

735,80

20,00

16 % Mehrwertsteuer (VV 7008 RVG)

120,93

Gesamt

876,73

dd) Auf die Gebührenforderung der Beklagten sind Zahlungen der Staatskasse nicht anzurechnen. Die Beklagte hat zwischenzeitlich dargetan und durch Vorlage eines Kontoauszugs belegt, dass sie die zunächst erhaltene Zahlung auf die Verfahrensgebühr nebst Auslagen und Mehrwertsteuer an die Gerichtskasse erstattet hat. Dem ist die Klägerin nicht mehr entgegengetreten.

b) Für ihre Tätigkeit im Verfahren betreffend die Herausgabe von Hausratsgegenständen vor dem Amtsgericht Krefeld (Az. 64 F 291/06) stand der Beklagten ein Betrag von 626,53 EUR zu.

aa) Ausgangspunkt für die Bemessung der Gebühren ist die Streitwertfestsetzung des Amtsgerichts Krefeld in Höhe von 2.000,00 EUR (§ 32 Abs. 1 RVG), welche nach Ablauf der Beschwerdefrist des 63 Abs. 3 S. 2 GKG a.F. nicht mehr angreifbar ist (§ 32 Abs. 2 RVG, § 68 Abs. 1 GKG a.F.).

bb) Bei der im Übrigen zutreffenden Berechnung des Landgerichts fehlen die zwischen den Parteien unstreitigen Fahrtkosten von 21,00 EUR (0,30 EUR x 35km x 2 Fahrten; vgl. Kostennote vom 23. Februar 2007) und die Abwesenheitspauschale in Höhe von 20,00 EUR (vgl. Kostennote vom 23. Februar 2007, a.a.O.).

Es ergibt sich folgende Berechnung:

Gegenstand (Streitwert: 2.000,00 EUR)

Wert (in EUR)

1,3 Verfahrensgebühr (VV 3100 RVG)

172,90

1,2 Terminsgebühr (VV 3104 RVG)

159,60

1,0 Einigungsgebühr (VV 1003 RVG)

133,00

Telekommunikationspauschale (VV 7002 RVG)

20,00

Fahrtkosten (VV 7003 RVG)

21,00

Abwesenheitsgeld (VV 7005 Nr. 1 RVG)

20,00

Zwischensumme netto

526,50

19 % Mehrwertsteuer (VV 7008 RVG)

100,03

Gesamt

626,53

Aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte in dieser Sache keine Prozesskostenhilfe beantragt hat, ist der Klägerin kein Schaden entstanden; hierauf hat mit zutreffender Begründung bereits das Landgericht hingewiesen.

c) Für ihre Tätigkeit betreffend die Verteilung des Erlöses aus dem Hausverkauf stand der Beklagten - wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat - ein Gebührenanspruch in Höhe von 1.880,20 EUR gegen die Klägerin zu.

aa) Ob - so das Landgericht - von einem Gegenstandswert von 65.861,54 EUR oder entsprechend der Auffassung der Beklagten von einem solchen in Höhe von 73.750,00 EUR auszugehen ist, kann der Senat offen lassen, da ein Gebührensprung hiermit nicht verbunden wäre.

bb) Die Beklagte kann eine Geschäftsgebühr von 1,3 als angemessen und ausreichend beanspruchen. Der Senat hatte bereits in seinem Beschluss vom 24. März 2011 ausgeführt, dass die Beklagte keine ein Überschreiten der 1,3 Gebühr rechtfertigenden Umstände vorgetragen und sie sich auch im Berufungsverfahren nur allgemein auf die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG berufen hat, ohne substantiiert zu den einzelnen dort genannten Gesichtspunkten vorzutragen. Das Gutachten der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Beklagte für die Ermessensgründe, die es rechtfertigten, die 1,3 Gebühr zu überschreiten, beweisfällig geblieben und der von ihr gewählte Ansatz einer 1,95 Gebühr mithin nicht gerechtfertigt ist. Dabei hat der Gutachter den Vortrag der Beklagten zu sämtlichen in Frage kommenden Ermessenskriterien betrachtet und einer Bewertung unterzogen. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an. Der nach Fristablauf eingegangene, nicht nachgelassene Schriftsatz des Vertreters der Klägerin vom 17. Juni 2011 enthält keine neuen Gesichtspunkte und rechtfertigt keine Herabsetzung der Gebühr unter 1,3.

Die Beklagte kann auch nicht, gestützt auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13. Januar 2001 (IX ZR 110/10, NJW 2011, 1603, 1605), den Ansatz einer 1,5 Gebühr beanspruchen. Dabei kann dahin stehen, ob dem Rechtsanwalt bei der Festlegung der konkreten Gebühr stets ein Spielraum von 20 % als Toleranzgrenze zuzugestehen ist (vgl. hierzu Senat, VersR 2008, 1347 ff.). Jedenfalls dann, wenn der Rechtsanwalt wie hier sein Ermessen überschritten und eine unbillige Gebühr berechnet hat, ist die Gebühr auf die sich nach dem Gesetz ergebende und nicht auf die Höhe zurückzuführen, die Rechtsanwalt ohne Überschreiten einer Toleranzgrenze maximal noch hätte ansetzen können.

Es ergibt sich daraus folgende Berechnung:

Gegenstand (Gegenstandswert: 65.861,54 EUR)

Wert (in EUR)

1,3 Geschäftsgebühr (VV 2300 RVG)

1.560,00

Telekommunikationspauschale (VV 7002 RVG)

20,00

Zwischensumme netto

1.580,00

19 % Mehrwertsteuer (VV 7008 RVG)

300,20

Gesamt

1.880,20

3. Der Rückzahlungsanspruch der Klägerin berechnet sich damit wie folgt:

Geleistete Zahlung

7.057,25 EUR

Vergütungsanspruch nach RVG

→ Unterhalt/e.A.: 876,73 EUR

→ Hausrat: 626,53 EUR

→ Erlös Hausverkauf: 1.880,20 EUR

3.383,46 EUR

Überzahlung

3.673,79 EUR

II.

Dem Grunde nach zutreffend hat das Landgericht auch den Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Zahlung der Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung aus § 280 Abs. 1 BGB bejaht.

Zur Höhe ist mit dem Landgericht davon auszugehen, dass die Bevollmächtigte der Klägerin nur eine 1,3 Geschäftsgebühr - nach einem Wert von 3.673,79 EUR - beanspruchen kann; im Berufungsverfahren ist das nicht mehr im Streit. Hiervon kann sie im vorliegenden Verfahren allerdings nur eine 0,65 Geschäftsgebühr geltend machen. Im Übrigen besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, weil die weitere Gebühr auf die im Kostenfestsetzungsverfahren geltend zu machende Verfahrensgebühr anzurechnen ist.

Nach Inkrafttreten des § 15 a RVG am 15. August 2009 hat der Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass die Vorschrift auch auf sogenannte Altfälle mit der Folge Anwendung findet, dass gegenüber dem Gegner die volle Verfahrensgebühr auch in den Fällen festzusetzen ist, in denen schon eine Geschäftsgebühr entstanden ist (BGH, Beschluss vom 2. September 2009, II ZB 35/07, ZIP 2009, 1927; ausführlich BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2009, XII ZB 175/07; Beschluss vom 11. März 2010, XI ZB 82/08; Beschluss vom 24. März 2010, XII ZB 227/09; Beschluss vom 29. April 2010, V ZB 38/10, zitiert nach bundesgerichtshof.de, jetzt auch Beschluss vom 14. September 2010 - VIII ZB 33/10, AGS 2010, 473; ferner Beschluss vom 28. Oktober 2010, VII ZB 15/10 bei JURIS). Dann besteht aber umgekehrt kein Bedürfnis, zusätzlich auch den Teil der Geschäftsgebühr zu titulieren, der in der Verfahrensgebühr durch Anrechnung aufgeht. Diese Verfahrensweise entsprach der ganz überwiegenden Praxis (vgl. etwa HansOLG, MDR 2007, 57-58; OLG Frankfurt, NJW-RR 2007, 1189; KG, JurBüro 2006, 202; OLG Stuttgart, JurBüro 2008, 23-25) vor Erlass der Entscheidung des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 22. Januar 2008 (VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323); die Einführung des § 15 a RVG sollte der Klarstellung dienen, dass weiterhin in diesem Sinne verfahren werden solle (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2010, V ZB 38/10, a.a.O.).

Es ergibt sich damit folgende Berechnung:

245,00 EUR Gebühr, x 0,65 = 159,25 EUR

Kostenpauschale 20,00 EUR

19 % Mehrwertsteuer 34,06 EUR

213,31 EUR

III.

Das Landgericht hat die Beklagte schließlich zu Recht zur Herausgabe der Handakten verurteilt.

1.

Auf den Anwaltsdienstvertrag finden nach § 675 BGB auch die §§ 666, 667 BGB Anwendung. Dementsprechend ist der Rechtsanwalt verpflichtet, dem Auftraggeber alles, was er zur Ausführung des Auftrags erhält und was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt, herauszugeben, § 667 BGB. Dieser Anspruch wird spätestens mit der Beendigung des Auftragsverhältnisses fällig. Zu den nach § 667 BGB herauszugebenden Unterlagen gehören - wie es die Beklagte nicht grundsätzlich in Abrede stellt - auch die Handakten des Rechtsanwalts. Diese Herausgabepflicht wird auch in § 50 BRAO vorausgesetzt. Dabei fallen die Unterlagen, die dem Anwalt von seinem Auftraggeber ausgehändigt worden sind, unter die erste Alternative und der Schriftverkehr, den der Anwalt für seinen Auftraggeber geführt hat, unter die zweite Alternative des § 667 BGB. "Aus der Geschäftsbesorgung erlangt" ist daher insbesondere der gesamte drittgerichtete Schriftverkehr, den der Rechtsanwalt für den Auftraggeber erhalten und geführt hat, also sowohl die dem Rechtsanwalt zugegangenen Schriftstücke als auch die Kopien eigener Schreiben des Rechtsanwalts. Zu den herauszugebenden Unterlagen gehören auch Notizen über Besprechungen, die der Anwalt im Rahmen der Besorgung des Geschäfts mit Dritten geführt hat (BGH, NJW 1990, 510 m.w.N.).

Richtig ist allerdings, dass zu der Handakte nach § 50 Abs. 4 BRAO der Schriftwechsel mit der Partei und solche Urkunden, von denen der Mandant die Urschriften oder Abschriften erhalten hat, nicht gehören. Dafür, in welchem Umfang der Mandant die bei Bearbeitung seiner Rechtsangelegenheit angefallenen Schriftstücke bereits erhalten hat, ist aber der Rechtsanwalt darlegungs- und beweisbelastet, weil es darum geht, inwieweit der Herausgabeanspruch bereits durch Erfüllung erloschen ist (vgl. BGH NJW 1990, 510, 511; OLG Köln, VersR 1998, 499). Dem Mandanten kann diesbezüglich auch deshalb nicht die Darlegungs- und Beweislast auferlegt werden, weil ihm damit Unmögliches abverlangt würde, da er aus eigener Kenntnis nicht weiß und nicht wissen kann, welche Schriftstücke der Rechtsanwalt für ihn gefertigt oder erhalten hat.

Die Beklagte hat der ihr damit obliegenden Darlegungslast nicht genügt. Sie hat sich lediglich darauf berufen, in der von ihr geführten Handakte befänden sich keine "herausverlangbaren Schriftstücke", ohne zu konkretisieren, welche Schriftstücke sich noch in der Handakte befinden und wann eine Rückgabe bzw. Übersendung anderer Schriftstücke an die Klägerin erfolgt sein soll.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es auch nicht erforderlich, dass die Klägerin die in der Handakte enthaltenen Schriftstücke einzeln nach Verfasser, Datum und Inhalt bezeichnet. Der Antrag auf Herausgabe der Handakte betreffend alle im Namen der Klägerin geführten familienrechtlichen Verfahren ist hinreichend bestimmt und einer Vollstreckung zugänglich, da aufgrund dieser Formulierung auch für einen Dritten zweifelsfrei erkennbar ist, welche Schriftstücke gemeint sind (OLG Köln, VersR 1998, 499; AG Bad Neuenahr-Ahrweiler, Urteil vom 25.11.1987, 3 C 127/87 [Leitsätze nach juris]; Fiala/von Walter, DStR 1998, 694). Es ist davon auszugehen, dass die Schriftstücke nicht aus unterschiedlichen Behältnissen mühsam zusammengesucht und zugeordnet werden müssen, sondern dass eine geordnete Sammlung von Schriftstücken vorhanden ist, die unschwer als einschlägige Handakte qualifiziert werden kann.

3.

Dem Anspruch der Klägerin steht schließlich auch kein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten nach § 50 Abs. 3 BRAO oder § 273 BGB entgegen. Denn infolge der Abtretung an ihre Prozessbevollmächtigte stehen ihr keine weitergehenden Gebührenansprüche gegen die Klägerin zu. Dass der Prozessbevollmächtigten als mittelbarer Besitzerin der Handakte gegebenenfalls ein Zurückbehaltungsrecht zusteht, berührt den Herausgabeanspruch der Klägerin gegen die Beklagte nicht. Letztere kann jedenfalls als unmittelbare Besitzerin in Anspruch genommen werden.

I.1.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 2 ZPO.

Die Beklagte hat im Berufungsverfahren zur Hauptforderung deshalb teilweise obsiegt, weil Zahlungen der Staatskasse in dem einstweiligen Anordnungsverfahren vor dem Amtsgericht Krefeld (Az. 64 F 276/06 AI) nicht anzurechnen sind; der hierfür maßgebliche ergänzende Vortrag hätte bereits in der ersten Instanz erfolgen können.

Ihr Obsiegen im Übrigen ist geringfügig; die Zuvielforderung der Klägerin hat keine besonderen Kosten veranlasst.

2.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

3.

Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen, § 543 Abs. 2 ZPO.

II.

Der Streitwert im Berufungsverfahren wird auf 5.067,12 EUR (4.067,12 EUR + 1.000,00 EUR) festgesetzt.






OLG Düsseldorf:
Urteil v. 21.06.2011
Az: I-24 U 155/10


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