Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 18. Oktober 2011
Aktenzeichen: I-20 U 36/11

(OLG Düsseldorf: Urteil v. 18.10.2011, Az.: I-20 U 36/11)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 12. Januar 2011 wird zurück-gewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstre-ckung des Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger ist die Z.. Zu seinen satzungsgemäßen Aufgaben gehört die Bekämpfung unlauterer geschäftlicher Handlungen. Ihm gehören über 1600 Mitglieder an, darunter alle Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern und etwa 400 Verbände.

Der Beklagte betreibt in N. eine Apotheke. Am 27. Januar 2010 schaltete er eine mit "Holen Sie sich ihre Praxisgebühr zurück" überschriebene Zeitungsanzeige, in der potentiellen Kunden die Verrechnung der nach § 28 Abs. 4 SGB V anfallenden Praxisgebühr von 10,00 Euro mit einem Einkauf in seiner Apotheke angeboten wurde. Die Kunden konnten die Praxisgebühr mit ihrem aktuellen Einkauf verrechnen oder sich einen Einkaufsgutschein für spätere Einkäufe ausstellen lassen. Auf die als Anlage K 1 vorgelegte Zeitungsanzeige wird Bezug genommen.

Der Kläger hält diese Werbung unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs für wettbewerbswidrig. Durch die Erstattung der Praxisgebühr werde die § 28 Abs. 4 SGB V zugrunde liegende Intention des Gesetzgebers, die Patienten zur Vermeidung überflüssiger Arztbesuche anzuhalten, unterlaufen. Mit Schreiben vom 8. Februar 2010 hat er den Beklagten abgemahnt und zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert. Ein Erfolg war dieser Abmahnung nicht beschieden.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Beklagte sei als Apotheker nicht Adressat der Norm. Adressaten der Praxisgebührenregelung seien Ärzte und Patienten, aber nicht Apotheker, die die Patienten nicht zur Zurückhaltung bei Arztbesuchen anhalten könnten. Ein (vom Kläger im Übrigen gar nicht beanstandeter) Verstoß gegen § 7 HWG scheide aus, da die angegriffene Werbung nicht auf ein bestimmtes Arzneimittel bezogen gewesen sei.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er trägt vor, bei den sozialrechtlichen Vorschriften zur Zuzahlung handele es sich um Marktverhaltensregeln, deren Adressatenkreis nicht beschränkt sei. Der gesetzgeberische Zweck des § 28 Abs. 4 SGB V sei es, die Patienten dazu zu bewegen, wegen einer Krankheit ohne Überweisung nicht mehr als einen Arzt derselben Fachrichtung aufzusuchen und sie so zu einem rationalen und systemgerechten Verhalten zu bewegen. Gegen diese Marktverhaltensregelung habe der Beklagte verstoßen, weil er durch sein Verhalten die gesetzgeberische Intention unterlaufe. Dies könne nicht mit Verweis auf den Adressatenkreis verneint werden, § 28 Abs. 4 SGB V regele mit der Nennung der Leistungserbringer und der Versicherten nur den Zahlungsfluss.

Der Kläger beantragt,

das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Düsseldorf, 12 O 135/10, vom 12.01.2011 aufzuheben und

den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr

"die Erstattung der Praxisgebühr anzukündigen"

und/oder

"die Praxisgebühr, etwa in Form von Einkaufsgutscheinen zu erstatten"

dem Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten anzudrohen;

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 208,65 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Die Vorschrift des § 28 Abs. 4 SGB V sei keine Marktverhaltensregelung i. S. des § 4 Nr. 11 UWG, zumindest nicht für Apotheker. Hätte der Gesetzgeber eine Marktverhaltensregelung für Dritte gewollt, hätte er dies in dem Gesetz zum Ausdruck gebracht. Die Ansicht des Klägers, die Norm richte sich nicht nur an Patienten und Ärzte, finde im Gesetz keine Stütze. Im Übrigen werde die gesetzgeberische Intention durch seine Werbung gar nicht unterlaufen. Der Patient erhalte seine 10,00 Euro nicht zur freien Verfügung zurück, sondern er müsse diese in seine Waren investieren. Der Vermögensabfluss sei daher endgültig. Zudem regele das SGB V die Rechtsbeziehungen der Beteiligten ohnehin abschließend.

Der Senat hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung mit den Parteien erörtert, dass er bereits zur Verneinung einer Marktverhaltensregelung neigt, da § 28 Abs. 4 UWG das Marktverhalten nicht im Interesse der Marktteilnehmer regele, sondern der finanziellen Absicherung der Gesundheitsvorsorge und damit der Sicherstellung einer hoheitlichen Aufgabe diene.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands erster Instanz wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil, Bl. 40 ff. d. GA., wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Kläger ist gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG prozessführungs- und anspruchsberechtigt. Zu seinen Mitgliedern gehören unter anderem sämtliche Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern, die ihrerseits nach § 8 Abs. 3 Nr. 4 UWG prozessführungs- und anspruchsberechtigt sind. Seine sachliche und personelle Ausstattung unterliegt keinen Zweifeln.

Der Kläger hat gegenüber dem Beklagten jedoch keinen Anspruch auf Unterlassung aus § 8 Abs. 1 i.V. mit §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i. V. mit § 28 Abs. 4 SGB V, worauf allein er sich stützt.

Die Bestimmung des § 28 Abs. 4 SGB V ist keine Marktverhaltensregelung i. S. des § 4 Nr. 11 UWG. Gemäß § 4 Nr. 11 UWG handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Der Beispielstatbestand des § 4 Nr. 11 UWG präzisiert die zu § 1 a.F. UWG entwickelte Fallgruppe des "Wettbewerbsverstoßes durch Rechtsbruch", er ist vor dem Hintergrund der Schutzzweckbestimmung in § 1 UWG zu sehen (Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 4 Rn. 11.6.). Es kann nicht Aufgabe des Lauterkeitsrechts sein, alle nur denkbaren Gesetzesverstöße im Zusammenhang mit geschäftlichen Handlungen (auch) lauterkeitsrechtlich zu sanktionieren, sofern sie zu einem Vorsprung im Wettbewerb führen (BGH, GRUR 2010, 654 Tz. 25 - Zweckbetrieb; Köhler/Bornkamm, a.a.O.; jeweils m. Verw. a. Begr. RegE. UWG 2004 zu § 4 Nr. 11, BT-Drucks 15/1487 S. 19). Vielmehr liegt "der eigentliche Zweck des UWG darin, das Marktverhalten der Unternehmen im Interesse der Marktteilnehmer, insbesondere der Mitbewerber und der Verbraucher, und damit zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb zu regeln" (Köhler/Bornkamm, a.a.O., m. Verw. a. Begr. RegE. UWG 2004 zu § 1, BT-Drucks 15/1487 S. 15/16). Die Vorschrift muss das Marktverhalten folglich im Interesse der Marktteilnehmer regeln. Dem Interesse der Mitbewerber dient eine Norm dann, wenn sie die Freiheit ihrer wettbewerblichen Entfaltung schützt (BGH, GRUR 2010, 654 Tz. 18 - Zweckbetrieb). Steuerrechtliche Vorschriften stellen von daher grundsätzlich keine Marktverhaltensregelungen dar, da sich ihr Zweck im Normalfall darauf beschränkt, die Finanzierung des Gemeinwesens zu ermöglichen; sie bezwecken nicht den Schutz der Interessen der Marktteilnehmer (BGH, a.a.O., Tz. 19).

Auch wichtige Gemeinschaftsgüter unterfallen daher nicht notwendiger Weise § 4 Nr. 11 UWG. Die zu § 1 UWG a. F. ergangene Rechtsprechung, wonach der Wettbewerb nicht unter Missachtung wichtiger Gemeinschaftsinteressen betrieben werden solle, ist überholt. Sie berücksichtigte nicht hinreichend, dass das Lauterkeitsrecht nur den Wettbewerb im Interesse der Marktbeteiligten, insbesondere der Mitbewerber und Verbraucher schützen soll. Das Lauterkeitsrecht mit seinen spezifischen Sanktionen darf nicht zum Schutze anderer Rechtsgüter instrumentalisiert werden, mögen sie auch "gewichtige Allgemeininteressen" darstellen. Stets ist also zu fragen, ob das geschützte Rechtsgut auch ein Interesse der Verbraucher oder Mitbewerber repräsentiert. Ist dies nicht der Fall, kann der Schutz nur über die dafür vorgesehenen Sanktionen erfolgen (Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 4 Rn. 13.53). Bei sozialrechtlichen Vorschriften ist zu fragen, ob die Norm lediglich die gesetzmäßige Verwendung von Mitteln im Interesse der Sozialversicherten sicherstellen will. In diesem Fall liegt keine Marktverhaltensregelung i. S. des § 4 Nr. 11 UWG vor. Verstöße können daher nicht mittels des Lauterkeitsrechts geahndet werden (Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 4 Rn. 13.53).

Letzteres ist vorliegend der Fall. Nach § 28 Abs. 4 SGB V leisten Versicherte je Kalendervierteljahr für jede erste Inanspruchnahme eines an der ambulanten ärztlichen, zahnärztlichen oder psychotherapeutischen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringers, die nicht auf Überweisung aus demselben Kalendervierteljahr erfolgt, als Zuzahlung den sich nach § 61 Satz 2 ergebenden Betrag an den Leistungserbringer. Ziel dieser durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 14. November 2003 eingefügten Regelung ist es, die Eigenverantwortung des Versicherten zu stärken und einen Beitrag zur Konsolidierung der Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung zu leisten (BT-Drucks. 15/1525 S. 83). Durch § 28 Abs. 4 SGB V sollen die Versicherten zur Vermeidung überflüssiger Arzt-, insbesondere Facharztbesuche angehalten werden. Die Norm dient folglich dem Erhalt der finanziellen Absicherung der Gesundheitsvorsorge, also - insoweit vergleichbar einer steuerrechtlichen Vorschrift - der Sicherstellung einer hoheitlichen Aufgabe. Sie bezweckt demnach gerade nicht den Schutz der Interessen der Marktteilnehmer. Mitbewerber und Verbraucher haben kein unmittelbares Interesse an einem kostenbewussten und systemgerechten Verhalten der Versicherten. Das allgemeine Interesse am Erhalt und der Finanzierbarkeit staatlicher Einrichtungen ist nicht ausreichend; ein solches ist auch bei steuerrechtlichen Vorschriften stets gegeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Der Senat lässt die Revision zu. Die Beantwortung der Frage, ob Lenkungsregelungen, die der Sicherung von Gemeinschaftsaufgaben dienen, § 4 Nr. 11 UWG unterfallen oder ob es eines unmittelbaren, vordergründigen Interesses der Marktbeteiligten bedarf, erscheint dem Senat auch nach der Entscheidung "Zweckbetrieb" als zur Fortbildung des Rechts geboten, § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird in Übereinstimmung mit der unbeanstandet gebliebenen erstinstanzlichen Festsetzung auf 15.000,00 Euro festgesetzt.

Dr. M. N. G.






OLG Düsseldorf:
Urteil v. 18.10.2011
Az: I-20 U 36/11


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