Verwaltungsgericht Köln:
Urteil vom 15. Mai 2009
Aktenzeichen: 27 K 2080/07

(VG Köln: Urteil v. 15.05.2009, Az.: 27 K 2080/07)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Klägerin ist ein Unternehmen für Telekommunikationsdienstleistungen. Für die Nutzung von ihr zugeteilten Rundfunk- und Fernsehrundfunkfrequenzen wurde ihre Rechtsvorgängerin (damals die Deutsche Telekom AG) durch Bescheid der Außenstelle Hannover der ehemaligen Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post vom 25. September 2003 für die Jahre 2000 bis 2002 unter anderem zur Zahlung von Frequenznutzungsbeiträgen nach § 48 Abs. 2, 3 des Telekommunikationsgesetzes in der bis zum 25. Juni 2004 geltenden Fassung (TKG a. F.) in Verbindung mit §§ 1, 3, 3a, 4 und 9 der Frequenznutzungsbeitragsverordnung (FBeitrV) in der jeweils geltenden Fassung in Höhe von insgesamt 906.173,24 EUR herangezogen. Der Bescheid ist der Rechtsvorgängerin der Klägerin nach eigenen Angaben am 02. Oktober 2003 zugegangen. Mit E-Mail vom 05. Mai 2006 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie noch keine Eingangsbestätigung für den mit Schreiben vom 14. Oktober 2003 erhobenen Widerspruch gegen den Beitragsbescheid vom 25. September 2003 erhalten habe und bat um Überprüfung. Ausweislich eines in den Behördenakten befindlichen internen Schreibens wies die Sachbearbeiterin der Beklagten die Klägerin telefonisch am 08. Mai 2006 darauf hin, dass der Widerspruch vom 14. Oktober 2003 nicht bei der Außenstelle eingegangen sei. Am 17. Mai 2006 wurden der Klägerin von der Beklagten per Fax zwei Eingangsbestätigungen über Widersprüche gegen Beitragsbescheide vom 13. Dezember 2005 ohne Erläuterung übermittelt. Mit weiterer E-Mail vom 18. Mai 2006 übersandte die Sachbearbeiterin der Klägerin der Beklagten eine Kopie des Widerspruchsschreibens vom 14. Oktober 2003 als pdf-Datei und versicherte, den Widerspruch ordnungsgemäß auf dem Postweg versandt zu haben. Die Beklagte teilte daraufhin der Klägerin mit Schreiben vom 19. Mai 2006, der Klägerin zugegangen am 23. Mai 2006, mit, dass der Zugang eines Widerspruchsschreibens vom 14. Oktober 2003 auch nach erneuter Überprüfung nicht feststellbar sei; somit sei gegen den Beitragsbescheid vom 25. September 2003 ein wirksamer Widerspruch nicht erhoben worden. Mit Schreiben vom 30. Mai 2006, das der Beklagten laut Eingangsstempel am 02. Juni 2006 zugegangen ist, legte die Klägerin unter Beifügung einer Kopie des Widerspruchsschreibens vom 14. Oktober 2003 den Widerspruch erneut ein und beantragte gleichzeitig die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung verwies sie auf eine eidesstattliche Versicherung ihrer Sachbearbeiterin, nach der diese den Widerspruch vom 14. Oktober 2003 zusammen mit weiteren Widersprüchen gegen Bescheide der Beklagten gefertigt und am selben Tage per Post an die Außenstelle der Beklagten in Hannover abgesandt habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. April 2007 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung ab, der Widerspruch der Klägerin vom 14. Oktober 2003 sei ihr nicht zugegangen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei verspätet. Die Klägerin habe sowohl die Jahresfrist des § 60 Abs. 3 VwGO als auch die Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2 VwGO versäumt. Der Wiedereinsetzungsantrag sei erst etwa 2 1/2 Jahre nach dem Ablauf der Widerspruchsfrist gestellt worden. Die Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2 VwGO sei mit dem Telefonat vom 08. Mai 2006 in Lauf gesetzt worden, in dem die Klägerin darauf hingewiesen worden sei, dass der Widerspruch vom 14. Oktober 2003 nicht bei der Beklagten eingegangen sei. Der mittels einfacher E-Mail nachgeholte Widerspruch vom 18. Mai 2006 sei nicht wirksam, da er nicht mit der von § 3 a Abs. 2 Satz 2 VwVfG geforderten qualifizierten elektronischen Signatur im Sinne von § 2 Nr. 3 des Signaturgesetzes versehen gewesen sei. Der schriftliche und somit formgerecht erhobene Wiedereinsetzungsantrag vom 30. Mai 2006 sei indes erst nach Ablauf der Zweiwochenfrist bei der Beklagten eingegangen.

Die Klägerin hat am 24. Mai 2007 Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Es sei bereits zweifelhaft, ob die Widerspruchsfrist versäumt worden sei. Das Widerspruchsschreiben vom 14. Oktober 2003 sei ausweislich der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung ihrer Sachbearbeiterin am selben Tag zutreffend adressiert auf den Postweg gebracht worden. Statt für einen Verlust auf dem Postweg spreche mehr für einen Verlust des Widerspruchsschreibens innerhalb der Behörde der Beklagten. Ein Indiz für diese Vermutung sei, dass die Beklagte in einer Vielzahl von Fällen die Eingangsbestätigungen zu den eingelegten Widersprüchen nicht zeitnah erteilt habe; in einigen Fällen sei die Eingangsbestätigung sogar erst ein Jahr und oft auch erst mehr als zwei Jahre nach der Einlegung des Widerspruchs gefertigt worden. Dies zeige, dass die Beklagte aufgrund der Vielzahl der bei ihr eingehenden Widersprüche regelmäßig überlastet sei. Außerdem lege der Umstand, dass im Verwaltungsvorgang zu dem hier streitigen Beitragsbescheid Teile des geführten Schriftverkehrs fehlten, die Vermutung nahe, dass der Widerspruch vom 14. Oktober 2003 von den Bediensteten der Beklagten versehentlich nicht abgeheftet worden sei. Dafür spreche auch, dass nur dieser eine Widerspruch von den gegen alle Beitragsbescheide erhobenen Widersprüchen nicht bei der Beklagten eingegangen sein soll. Aber selbst bei unterstellter Versäumung der Widerspruchsfrist sei ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sie habe die Widerspruchsfrist nicht ohne Verschulden versäumt, da das Widerspruchsschreiben rechtzeitig gefertigt und auf den Postweg gebracht worden sei. Sie habe wegen der beschriebenen Verfahrensweise der Beklagten bei der zeitlichen Erteilung der Eingangsbestätigungen keinen Anlass gehabt, am Zugang ihres Widerspruchs bei der Beklagten zu zweifeln oder vor Ablauf der Widerspruchsfrist bzw. der Jahresfrist bei der Beklagten wegen des Zugangs nachzufragen. Sie habe auch die Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2 VwGO nicht versäumt, da sie erst mit dem bei ihr am 23. Mai 2006 eingegangenen Schreiben der Beklagten vom 19. Mai 2006 sichere Kenntnis vom fehlenden Zugang des Widerspruchs erlangt habe. Wie das weitere Verhalten der Beklagten zeige, sei im Telefonat vom 08. Mai 2006 noch keine endgültige Mitteilung über den Nichtzugang des Widerspruchs zu sehen. Einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stehe auch die Versäumung der Jahresfrist des § 60 Abs. 3 VwGO nicht entgegen, da die Ursache der Säumnis ausschließlich in der Sphäre der Beklagten liege. Aufgrund der Praxis der Beklagten bei der zeitlichen Versendung der Eingangsbestätigungen, habe für sie, die Klägerin, kein Anlass bestanden, sich vor Ablauf der Jahresfrist nach dem Zugang des Widerspruchs zu erkundigen. Ungeachtet dessen sei vorliegend jedenfalls ausnahmsweise eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Wege der Nachsichtgewährung in Betracht zu ziehen, weil die Versäumung der Frist ausschließlich der Sphäre der Beklagten zuzurechnen sei, trotz Versäumung der Frist des § 60 Abs. 3 VwGO gleichwohl keine Verzögerung des Verfahrens eingetreten sei, es sich wegen der von der Beklagten zu verantwortenden Umstände um einen atypischen Einzelfall handele und die Anwendung der Ausschlussfrist des § 60 Abs. 3 VwGO wegen der erheblichen Höhe des geforderten Beitrags für die Klägerin zu einer unzumutbaren Härte führen würde. Darüber hinaus sei die Klage aus den Gründen der Urteile des VG Köln vom 21. November 2005 -11 K 667/04 - und vom 03. März 2006 - 11 K 7830/04 - auch begründet.

Die Klägerin beantragt,

ihr wegen der Versäumung der Widerspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und den Bescheid der Beklagten vom 25. September 2003 (Kassenzeichen: 901330218779) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. April 2007 aufzuheben, soweit darin Beiträge nach dem TKG in Höhe von 906.173,24 EUR festgesetzt worden sind.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides und führt ergänzend aus: Die Klägerin sei nicht aufgrund höherer Gewalt i. S. d. § 60 Abs. 3 2. Halbsatz VwGO an der Einhaltung der Jahresfrist gehindert gewesen. Vielmehr hätte die Säumnis bei Anwendung der zumutbaren geschäftsüblichen Sorgfalt von der Klägerin ohne weiteres vermieden werden können. Grundsätzlich sei die Klägerin verpflichtet, den fristgerechten Zugang des Widerspruchs bei der Beklagten nachzuweisen. Angesichts der von ihr gewählten Versendung mittels einfachen Briefs, hätte sie sich durch Nachfrage nach dem Zugang des Widerspruchsschreibens erkundigen müssen. Außerdem hätten der Klägerin durch die Wahl von anderen Versendungsarten Nachweismöglichkeiten für den Zugang des Widerspruchsschreibens zur Verfügung gestanden. Von dieser Erkundigungs- und Nachweispflicht sei die Klägerin nicht dadurch entbunden worden, dass die Beklagte auch bei den bei ihr eingegangenen Widersprüchen den Zugang nicht immer unverzüglich bestätigt habe. Die späte Versendung der Eingangsbestätigungen sei daher nicht ursächlich für die Versäumung der Frist des § 60 Abs. 3 VwGO. Mangels eines tatsächlichen Zugangs des Widerspruchsschreibens bei der Behörde sei die obergerichtliche Rechtsprechung, die von einer Nichtanwendung der Jahresfrist des § 60 Abs. 3 VwGO in den Fällen der alleinigen Ursache der Fristversäumung in der Sphäre des Gerichts ausgehe, hier nicht einschlägig. Eine ausnahmsweise Nachsichtgewährung komme hier nicht in Betracht, da die Fristversäumung auf einem erheblichen und leicht vermeidbaren Sorgfaltsverstoß beruhe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Die als Anfechtungsklage statthafte Klage ist unzulässig.

Es fehlt an einer ordnungsgemäßen Durchführung des hier erforderlichen Vorverfahrens gemäß § 68 Abs. 1 VwGO, da der Widerspruch der Klägerin gegen den TKG-Beitragsbescheid vom 25. September 2003 nicht fristgerecht eingelegt worden ist. Die ordnungsgemäße, d. h. unter Einhaltung der in §§ 68 ff. VwGO für die Einlegung des Widerspruchs vorgeschriebenen Erfordernisse (Form, Frist usw.), Durchführung des Vorverfahrens ist zwingende (Sachurteils-)voraussetzung für die gerichtliche Entscheidung über die anschließende Anfechtungsklage. Die nicht fristgerechte Einlegung des Widerspruchs führt somit zur Unzulässigkeit der erhobenen Anfechtungsklage. Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, vor § 68 Rdnr. 7 und § 70 Rdnr. 6 m. w. Nw..

Nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Widerspruch innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt gegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Diese Frist hat die Klägerin nicht eingehalten.

Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheid der Beklagten vom 25. September 2003 ist der Klägerin nach ihren eigenen Angaben am 02. Oktober 2003 zugegangen (vgl. auch Eingangsvermerk auf der zur Gerichtsakte gereichten Bescheidkopie Blatt 9 der Gerichtsakte). Somit endete die einmonatige Widerspruchsfrist gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 02. November 2003. Der Eingang eines Widerspruchs der Klägerin gegen den Bescheid bis zum Ablauf dieser Frist lässt sich nicht feststellen. Ein schriftlicher Widerspruch ist (erst) wirksam erhoben, wenn er der zuständigen Ausgangsbehörde bzw. der Widerspruchsbehörde zugeht. Das bedeutet, dass er bei der zuständigen Behörde eingegangen sein muss. Dafür genügt es, dass er mit Wissen und Wollen des Widerspruchsführers tatsächlich in den Verfügungsbereich der Behörde gelangt ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1992 - 7 C 16.92 -, BVerwGE 91, 334; Geis in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 70 Rdnr. 34 m. w. Nw.; Kopp/ Schenke, a.a.O. , § 70 Rdnr. 8 a.

Ein solcher Zugang ist im Streitfall nicht feststellbar und auch nicht weiter aufklärbar. Der Eingang des Widerspruchsschreibens der Klägerin vom 14. Oktober 2003, das nach der eidesstattlichen Versicherung der Sachbearbeiterin der Klägerin an diesem Tag mit einfacher Post an die Außenstelle der Beklagten in Hannover versandt worden ist, ist dort nicht innerhalb der Widerspruchsfrist zu verzeichnen. Nach der Erklärung der Beklagten ist das Widerspruchschreiben trotz durchgeführter Nachforschungen dort nicht auffindbar. Das Schreiben befindet sich auch nicht in den Verwaltungsvorgängen. Vielmehr lässt sich aus den Verwaltungsvorgängen nur entnehmen, dass eine Kopie des Widerspruchsschreibens erstmals mit dem Schreiben der Klägerin vom 30. Mai 2006 zur Akte gelangt ist. Der Nachweis für den tatsächlichen Zugang des Widerspruchs zu einem fristwahrenden Zeitpunkt obliegt dem Widerspruchsführer, da er aus dem Zugang für sich günstige Rechtsfolgen herleitet, nämlich im Streitfall den Nichteintritt der Bestandskraft des Beitragsbescheides sowie die ordnungsgemäße Durchführung des Vorverfahrens.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. Januar 2004 - 1 A 458/01-, juris; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 24. Oktober 2005 - 3 Nc 37/05 -, NJW 2006, 2505; Bayrischer VGH, Beschluss vom 09. Februar 2007 - 3 B 03.519 -, juris.

Die Klägerin hat diesen Nachweis nicht geführt. Dabei kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass ihre Sachbearbeiterin, wie diese in der überreichten eidesstattlichen Versicherung ausgeführt hat, das Widerspruchsschreiben vom 14. Oktober 2003 ordnungsgemäß adressiert per Post an die Außenstelle der Beklagten abgesandt hat. Die Beweislast des Widerspruchsführers für den Zugang des Widerspruchs kehrt sich indes mit einem glaubhaft gemachten oder bewiesenen Absenden des Widerspruchsschreibens nicht um. Insbesondere gelten die Grundsätze des Anscheinsbeweises für den Zugang nicht. Es reicht deshalb nicht aus, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass ein der Post übergebener Brief den Empfänger auch erreicht. Nach den Erfahrungen des täglichen Lebens kommt es vielmehr auch unter normalen Postverhältnissen immer wieder vor, dass abgeschickte Briefe den Empfänger nicht erreichen. Zudem widerspräche es im Ergebnis auch der klaren gesetzlichen Regelung, wenn man für den Nachweis des Eingangs eines Widerspruchs den Nachweis der zuständigen Behörde verlangen wollte, sie solle den "ersten Anschein" durch den in der Regel nicht zu führenden Beweises der negativen Möglichkeit, dass ihr das Schreiben nicht zugegangen sei, entkräften. Entgegen §§ 69, 70 VwGO könnte damit quasi ein Vorverfahren schon durch Aufgabe zur Post beginnen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. Januar 2004 - 1 A 458/01-, juris.

Demgegenüber hat der Widerspruchsführer, wie auch hier die Klägerin, die zumutbare Möglichkeit, Vorsorge für den Beweis des Zugangs im Falle des Bestreitens durch die Wahl entsprechender Versendungsarten (wie beispielsweise durch Einschreiben mit Rückschein oder durch Telefax) zu treffen. Macht er hiervon keinen Gebrauch, trägt er das Risiko, dass er den Beweis des Zugangs nicht erbringen kann.

Vgl. Hamburgisches OVG, Beschluss vom 24. Oktober 2005 - 3 Nc 37/05 -, a.a.O. m. w. Nw..

Das Vorbringen der Klägerin bietet ebenfalls keine substantiellen Anhaltspunkte dafür, dass das Widerspruchsschreiben mit größerer Wahrscheinlichkeit innerhalb der Behörde der Beklagten verloren gegangen sein könnte. Die diesbezüglich vorgetragenen Argumente der Klägerin, die Beklagte sei aufgrund der Vielzahl der bei ihr eingehenden Widersprüche regelmäßig überfordert, so dass sie in zahlreichen Fällen die Eingangsbestätigungen von zugegangenen Widersprüchen erst wesentlich später versende und nicht zeitnah über die Widersprüche entscheide sowie dass der vorliegende Verwaltungsvorgang unvollständig sei, weil daraus weder der frühere Zugang des Schreibens vom 30. Mai 2006 (Blatt 5 des Verwaltungsvorgangs) am 31. Mai 2006 vorab per E-Mail noch der Umstand der Übersendung der falschen Eingangsbestätigung vom 16. Januar 2006 per Fax am 17. Mai 2006 zu entnehmen sei, sind rein spekulativ und enthalten keine konkreten Gründe, die hinreichend auf einen Zugang des Widerspruchsschreibens in den Machtbereich der Behörde und den Verlust innerhalb der Behörde schließen lassen.

Anknüpfungspunkte für eine Beweislastumkehr, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der (vorwerfbaren) Beweisvereitelung seitens der Behörde,

vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 28. Januar 2004 - 1 A 458/01-, juris,

liegen ebenfalls nicht vor. Ein vorwerfbares Verhalten der Beklagten, das die Beweisführung der Klägerin in Bezug auf den streitigen Zugang des Schreibens vom 14. Oktober 2003 verhindert hätte, ist weder feststellbar noch von der Klägerin konkret vorgetragen.

Lässt sich hiernach der Zugang des Widerspruchsschreibens vom 14. Oktober 2003 bei der Beklagten nicht feststellen, andererseits aber auch nicht ausschließen, und besteht bei dem gegebenen Sachverhalt weder Anlass noch Möglichkeit zu einer weiteren sachdienlichen Aufklärung, muss deshalb die Entscheidung nach den dargelegten Beweislastgrundsätzen zu Lasten der Klägerin ausfallen.

Der Klägerin kann hinsichtlich der Versäumung der Widerspruchsfrist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 70 Abs. 2, 60 Abs. 1 VwGO gewährt werden. Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift ist der Antrag binnen 2 Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Allerdings ist nach § 60 Abs. 3 VwGO der Antrag nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.

Im Streitfall steht der Wiedereinsetzung bereits die Jahresfrist des § 60 Abs. 3 VwGO entgegen, weil der Antrag erst am 02. Juni 2006 und damit mehr als ein Jahr nach dem Ende der versäumten Frist (02. November 2003) gestellt worden ist. Der Wiedereinsetzungsantrag in die versäumte Widerspruchsfrist war auch vor Ablauf der Jahresfrist nicht infolge höherer Gewalt unmöglich. Der Begriff der höheren Gewalt i.S.d. § 60 Abs. 3 Halbsatz 2 VwGO ist zwar enger als der Begriff "ohne Verschulden" i.S.d. § 60 Abs. 1 VwGO; er setzt jedoch kein von außen kommendes Ereignis voraus. Unter höherer Gewalt ist demgemäss ein außergewöhnlichen Ereignis zu verstehen, das unter den gegebenen Umständen auch durch die größte, nach der Sachlage vernünftigerweise von dem Betroffenen unter Anlegung subjektiver Maßstäbe - also unter Berücksichtigung seiner Lage, Erfahrung und Bildung - zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden kann.

BVerwG, Urteile vom 11. Mai 1979 - 6 C 70.78 -, NJW 1980, 1480, vom 23. April 1985 - 9 C 7.85 -, NJW 1986, 207 und vom 30. Oktober 1997 - 3 C 35.96 -, BVerwGE 105, 288; Kopp/Schenke, a.a.O., § 60 Rdnr. 28 und § 58 Rdnr. 20; Czybulka in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 58 Rdnr. 80 ff. und § 60 Rdnr. 116.

Ein solches Ereignis liegt hier nicht vor. In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass insbesondere eine Fristversäumnis dem Betroffenen nicht angelastet werden darf, wenn er durch arglistiges Verhalten seines Gegners an der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsbehelfs gehindert worden ist.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 25. November 1977 - 5 C 12.77 -, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 100 und vom 30. Oktober 1997 - 3 C 35.96 -, a.a.O.

Gleiches gilt, wenn die alleinige Ursache der Fristversäumung nicht in der Sphäre des Antragstellers, sondern in der Sphäre des Gerichts liegt.

Vgl. dazu: BVerwG, Beschluss vom 02. April 1992, - 5 B 50.92 -, Buchholz 310 § 6 VwGO Nr. 177; BFH, Urteil vom 26. März 1997 - II R 28/96 -, NVwZ 1998, 552; Czybulka in: Sodan/Ziekow, a.a.O., § 60 Rdnr. 116.

An diesen Maßstäben gemessen, ist hier ein Fall von höherer Gewalt nicht gegeben. Zum einen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin durch ein treuwidriges Verhalten der Beklagten an der Einhaltung der Frist gehindert wurde. Dazu reicht eine bloße Untätigkeit der Behörde in aller Regel nicht aus, erforderlich ist vielmehr, dass die Behörde den Betroffenen - etwa durch falsche Auskunft oder die bewusste Erregung eines Irrtums - von der fristwahrenden Handlung abgehalten hat.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1997 - 3 C 35.96 - a.a.O. Dafür ist hier nichts ersichtlich. Zum anderen liegt die Ursache der Versäumung der Jahresfrist des § 60 Abs. 3 VwGO nicht in der Sphäre der Beklagten. Vielmehr hat in erster Linie die Klägerin selbst nicht die größte nach den Umständen von ihr zu erwartende und ihr zumutbare Sorgfalt aufgewandt, um die Fristversäumnis zu verhindern. Es oblag grundsätzlich der Klägerin, dafür Sorge zu tragen, dass die von ihr erhobenen Widersprüche rechtzeitig bei der Beklagten eingehen, bzw. durch die Wahl einer entsprechenden Versendungsart Vorsorge für den Nachweis des Zugangs bei der Behörde für den Fall des Bestreitens zu treffen. Dafür reichte die von ihr gewählte Versendungsart des Widerspruchsschreibens durch einfachen Brief nicht aus. Auch vor dem Hintergrund dass die Beklagte in der Vergangenheit in zahlreichen anderen Fällen erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist und sogar erst nach Ablauf der Ausschlussfrist des § 60 Abs. 3 VwGO schriftliche Eingangsbestätigungen über rechtzeitig erhobene Widersprüche erteilt hat, war die Klägerin nicht von ihrer Verpflichtung entbunden, sich rechtzeitig vor Ablauf der Widerspruchsfrist bzw. der Jahresfrist des 60 Abs. 3 VwGO nach dem Eingang des Widerspruchsschreibens bei der Beklagten zu erkundigen bzw. die Versendung der Widersprüche so zu gestalten, dass Nachweise über den rechtzeitigen Eingang bei der Behörde erbracht werden können. Für die Annahme, dass die Art und Weise der Erteilung der Empfangsbestätigungen durch die Beklagte ausreiche, um von der an sich gebotenen Nachfrage bei der Behörde nach dem fristwahrenden Eingang des Widerspruchs abzusehen, hatte die Klägerin keinerlei Grundlage. Denn auch oder gerade einem großen geschäftserfahrenen Unternehmen wie der Klägerin, das in vielfältiger Weise am Rechtsverkehr teilnimmt, musste sich nach Lage der Umstände aufdrängen, dass sie keine Empfangsbestätigung erhält, falls ein Widerspruch nicht bei der Beklagten eingegangen ist. Da die Klägerin ihrerseits keine entsprechende Vorsorge für den Nachweis des Zugangs in solchen Fällen getroffen hat, kann von einer Anwendung äußerster zumutbarer Sorgfalt unter diesen Umständen keine Rede sein. Ein atypischer Einzelfall wegen der Praxis der Beklagten, der Anlass gäbe, von der Anwendung der Ausschlussfrist des § 60 Abs. 3 VwGO abzusehen, ist nicht gegeben, weil die Fristversäumnis auf einem erheblichen und leicht vermeidbaren Sorgfaltsverstoß der Klägerin beruht. Liegt somit eine höhere Gewalt im Sinne eines unabwendbaren Zufalles nicht vor, so ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Jahresfrist nach § 60 Abs. 3 VwGO schon wegen Ablaufs der Jahresfrist für das Wiedereinsetzungsgesuch unzulässig.

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt hier auch nicht ausnahmsweise im Wege der sogenannten Nachsichtgewährung in Betracht. Eine solche Nachsichtgewährung wird gefordert, wenn der Betroffene aus von ihm nicht zu vertretenden, insbesondere in der Sphäre des Gerichts/der Behörde liegenden Gründen außerstande war, die rechtlichen Grundlagen für eine Wiedereinsetzung innerhalb der Ausschlussfrist zu schaffen.

Vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 60 Rdnr. 28

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nach den vorstehenden Ausführungen nicht erfüllt. Auch die sonstigen von der Klägerin angeführten Gesichtspunkte geben angesichts des Sorgfaltsverstoßes der Klägerin keinen Anlass zu einer Nachsichtgewährung.

Unabhängig davon kann der Klägerin auch deshalb keine Wiedereinsetzung gewährt werden, weil sie zudem die Frist des § 60 Abs. 2 VwGO versäumt hat. Die Klägerin hat die versäumte Rechtshandlung (die Widerspruchseinlegung) wirksam erst am 02. Juni 2006 nachgeholt. Zu diesem Zeitpunkt war die Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2 VwGO abgelaufen. Denn diese Frist ist bereits mit der telefonischen Auskunft der Sachbearbeiterin der Beklagen vom 08. Mai 2006 an die Klägerin, dass kein Widerspruchsschreiben vom 14. Oktober 2003 bei der Beklagten eingegangen sei, in Lauf gesetzt worden. Dafür spricht, dass der Inhalt des Gesprächs so in den Verwaltungsvorgängen vermerkt ist und keine durchgreifenden Zweifel an einem entsprechenden Gesprächsinhalt bestehen. Solche Zweifel sind auch von der Klägerin nicht geltend gemacht worden. Soweit sie der Auffassung ist, dass sie aufgrund dieses Telefonats - wie der weitere Schriftverkehr mit dem Beklagten zeige - noch keine abschließende Kenntnis über den Nichtzugang des Widerspruchs erlangt habe, kann dem nicht gefolgt werden. Ohne die Anforderungen an die Wiedereinsetzung zu überspannen, hätte der Klägerin bereits nach der telefonischen Auskunft vom 08. Mai 2006 hinreichend klar sein müssen, dass der Zugang des Widerspruchs bei der Beklagten zumindest erheblich zweifelhaft ist. Da sie selbst über keinen aussagefähigen Nachweis des fristwahrenden Eingangs des Widerspruchsschreibens verfügte, hätte es die der Klägerin zumutbare Sorgfalt nahegelegt, schon zu diesem Zeitpunkt vorsorglich binnen der Zweiwochenfrist den versäumten Widerspruch nachzuholen und den Wiedereinsetzungsantrag zu stellen. Die mittels einfacher E-Mail vom 18. Mai 2006 zugesandte Kopie des Widerspruchsschreibens vom 14. Oktober 2003 als pdf-Datei wahrte die Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2 VwGO nicht, weil das auf elektronischen Weg übermittelte Dokument nicht mit der von § 3 a Abs. 2 Satz 2 VwVfG geforderten qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen war. Der Widerspruch ist mithin zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirksam nachgeholt worden. Schließlich käme auch sachlich die Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist nicht in Betracht, weil die Fristversäumung nicht im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO unverschuldet war. Denn ursächlich für die Fristversäumung war in erster Linie der vorstehend darlegte Sorgfaltsverstoß der Klägerin.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.






VG Köln:
Urteil v. 15.05.2009
Az: 27 K 2080/07


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