Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 4. Januar 2010
Aktenzeichen: 17 W 342/09

(OLG Köln: Beschluss v. 04.01.2010, Az.: 17 W 342/09)

Die zeitgleich erfolgende Beratung des Mieters wegen zweier Nebenkostenabrechnungen des Vermieters ist auch dann nur eine Angelegenheit im Sinne der §§ 2, 6 BerHG, § 15 RVG, wenn gegenüber den beiden Abrechnungen unterschiedliche Einwendungen erhoben werden und der Anwalt seine Stellungnahme auf zwei verschiedene Briefe an den Vermieter aufteilt.

Tenor

Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist kraft Zulassung durch das Landgericht als Beschwerdegericht nach § 55 Abs. 4 i. V. m. § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 6 RVG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 6 Satz 4, Abs. 3 Satz 3 RVG) eingelegt worden. Mit Rücksicht darauf, dass die Beteiligten zu 1) sich zur Begründung der weiteren Beschwerde lediglich pauschal auf ihr bisheriges schriftsätzliches Vorbringen im Verfahren bezogen haben, ohne sich mit der Begründung der angefochtenen Entscheidung näher auseinander zu setzen, sieht der Senat davon ab, zunächst auf die gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 6 Satz 4, Abs. 4 Satz 1 RVG gebotene Abhilfeprüfung durch die Kammer des Landgerichts hinzuwirken; aus demselben Grunde erscheint auch die nochmalige Beteiligung des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Aachen im Verfahren über die weitere Beschwerde nicht veranlasst.

In der Sache selbst ist das Rechtsmittel unbegründet. Der angefochtene Beschluss hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Hierbei geht der Senat zugunsten der Beteiligten zu 1) davon aus, dass deren sich in der Bezugnahme auf vier frühere Schriftsätze erschöpfender Schriftsatz vom 04.11.2009 die inhaltlichen Anforderungen an die vom Gesetzgeber als Rechtsbeschwerde ausgestaltete (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 6 Satz 2 RVG, §§ 546 f. ZPO) weitere Beschwerde noch wahrt. Denn es soll mit der weiteren Beschwerde wohl geltend gemacht werden, das Landgericht habe bei seiner Entscheidung den (Rechts-) Begriff der Angelegenheit verkannt. Dieser Vorwurf trifft indes nicht zu:

Da die Beratungshilfe von Gesetzes wegen in "Angelegenheiten" gewährt wird (vgl. § 2 Abs. 2, § 6 BerHG), ist die Vergütung, die der Rechtsanwalt nach den Vorschriften des RVG erhält (vgl. § 44 RVG), ebenfalls auf die "Angelegenheit" auszurichten. Mangels einer gesetzlichen Definition des Begriffs der Angelegenheit im BerHG ist hierbei allgemeiner Meinung zufolge auf die §§ 15 ff. RVG zurückzugreifen (vgl. OLG Brandenburg AGS 2009, 593, 594). Nach den § 15, § 22 Abs. 1 RVG entstehen die Gebühren in "derselben Angelegenheit" nur einmal, in mehreren Angelegenheiten dagegen mehrfach. Insoweit ist allerdings die Anzahl der erteilten Berechtigungsscheine für die Zahl der "Angelegenheiten" grundsätzlich ohne Bedeutung. Denn die Bewertung der im Berechtigungsschein als solche bezeichneten "Angelegenheit" in gebührenrechtlicher Hinsicht obliegt nicht dem Rechtspfleger im Bewilligungsverfahren, sondern ist allein der späteren Beurteilung im anschließenden Vergütungsfestsetzungsverfahren vorbehalten (vgl. OLG Köln AGS 2009, 422; LG Stuttgart JurBüro 1986, 1519 zu § 13 BRAGO; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe 4. Aufl. Rn. 1019; Enders JurBüro 2000, 337, 338 m. w. N.).

Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum ist von einer Angelegenheit sowohl im Sinne des § 15 RVG als auch im beratungshilferechtlichen Sinne vielmehr dann auszugehen, wenn der Tätigkeit des Rechtsanwalts ein einheitlicher Auftrag zugrunde liegt, sie sich im gleichen Rahmen hält und zwischen den einzelnen Gegenständen des anwaltlichen Handelns ein innerer Zusammenhang besteht (vgl. OLG Köln aaO; [Senat] OLGR 1999, 220 zu § 13 BRAGO; OLG Düsseldorf NJW-RR 2009, 430; AGS 2008, 556; AnwK-RVG/N. Schneider 4. Aufl. § 15 Rn 22 f.; Gerold/Schmidt/Madert, RVG 18. Aufl. § 15 Rdnr. 7 ff.; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs aaO Rn. 1012; Schoreit/Groß, Beratungshilfe Prozesskostenhilfe 9. Aufl. § 44 RVG Rn. 15; Enders aaO 337). Daher kann eine "Angelegenheit" im vorbezeichneten Sinne begrifflich mehrere "Gegenstände" - als den konkreten Rechten bzw. Rechtsverhältnissen, auf die die anwaltliche Tätigkeit innerhalb des erteilten Auftrags sich bezieht (vgl. BGH AGS 2007, 289) - umfassen (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs aaO Rn. 1012; zum Unterschied zwischen der "Angelegenheit" auf der einen und der Zahl der "Gegenstände" auf der anderen Seite vgl. auch LG Stuttgart aaO 1520).

Nach diesem bereits vom Landgericht zutreffend zugrunde gelegten und auch rechtsfehlerfrei angewandten Maßstab betraf die Tätigkeit der Beteiligten zu 1) hinsichtlich der zwischen der Mandantin und deren Vermieterinnen streitigen Nebenkostenabrechnungen für 2005 und 2006 gebührenrechtlich zwar zwei verschiedene Gegenstände, aber nur eine einzige Angelegenheit:

Rechtsprechung und Schrifttum gehen für den Bereich der Mietsachen praktisch einmütig davon aus, dass eine Angelegenheit vorliegt, wenn der Rechtsanwalt den Mandanten gleichzeitig wegen verschiedener Rechte oder Pflichten aus demselben Mietverhältnis berät (vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs aaO Rn. 1023; Schoreit/Groß aaO Rn. 29; AnwK-RVG/N. Schneider aaO Vor VV 2501 ff. Rn. 39; Enders aaO 340). So ist etwa eine Angelegenheit angenommen worden, wenn der Anwalt den Mandanten bei Streit sowohl wegen der Nebenkostenabrechnung als auch wegen einer überzahlten Monatsmiete Rat erteilt hat (vgl. LG Darmstadt JurBüro 1985, 556, zustimmend Hansens JurBüro 1986, 1, 8), bei der Beratung wegen der Probleme "Kehrwoche", "Nebenkosten" sowie "Mietkaution" (vgl. LG Stuttgart aaO, zustimmend Mümmler JurBüro 1986, 1522, 1522 f.), beim Zusammentreffen der Beratungsgegenstände "Nebenkostenabrechnung", "Mängel" und "Kündigung des Mietverhältnisses" (AG Vechta, Beschluss vom 04.02.2008 - 4 II 1940/07, juris), bei der Beratung wegen einer Kündigung sowie eines Mieterhöhungsverlangens bezüglich desselben Mietverhältnisses (LG Koblenz JurBüro 1995, 201, zustimmend Schoreit/Groß aaO Rn. 29 sowie Greißinger AnwBl 1996, 606, 611, ablehnend AnwK-RVG/N. Schneider aaO § 15 Rn. 62; differenzierend Enders aaO 340) oder wegen der Beendigung des Mietverhältnisses und Zahlungsansprüchen hieraus (vgl. LG Darmstadt JurBüro 1988, 1164) sowie bei der gleichzeitigen Beratung wegen Fragen wechselseitiger Zutrittsberechtigungen von Vermieter und Mieter, einer etwaigen Mängelbeseitigungspflicht des Vermieters sowie der Berechtigung einer fristlosen Kündigung (vgl. LG Kleve JurBüro 1986, 886). Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH AGS 2007, 289) sollen die außergerichtliche Kündigung eines Mietverhältnisses und die darauf gestützte spätere Räumungsklage sogar denselben "Gegenstand" der anwaltlichen Tätigkeit betreffen.

Ausgehend hiervon kann kein Zweifel bestehen, dass die Beratungstätigkeit der Beteiligten zu 1) wegen der Nebenkostenabrechnungen für 2005 und 2006 gebührenrechtlich dieselbe Angelegenheit betraf.

Dem Tätigwerden der Beschwerdeführer lag offenkundig ein einheitlicher Auftrag zugrunde. Die Mandantin hatte sich am 05.07.2007 einen Beratungshilfeschein erteilen lassen, in dem die zugrunde liegende Angelegenheit mit "strittige Nebenkostenabrechnung für 2005 und 2006" bezeichnet worden ist und die Beteiligten zu 1) haben sodann fünf Tage später, mit zwei jeweils vom 10.07.2007 datierenden Schreiben (Az. 2007/00412 und Az. 2007/00413), unter Anzeige der Interessenvertretung von Frau X. sowie anwaltlicher Versicherung des Bestehens einer ordnungsgemäßen Vollmacht die Vermieterinnen zum einen wegen der Nebenkostenabrechnung für 2005 und zum anderen wegen derjenigen für 2006 angeschrieben. Die vorliegend künstlich anmutende Aufspaltung des Tätigwerdens in zwei vom selben Tage datierende Anwaltsschreiben - deren Inhalt ungeachtet der Verschiedenheit der gegenüber beiden Abrechnungen erhobenen Rügen ohne weiteres in einem einzigen Schreiben hätte zusammengefasst werden können - vermag den durch den zeitlichen Ablauf vermittelten Eindruck eines den Beteiligten zu 1) einheitlich erteilten Auftrags nicht zu zerstreuen. Nichts spricht nach dem Akteninhalt dafür, dass den Beteiligten zu 1) die Beratungsaufträge hinsichtlich beider Nebenkostenabrechnungen objektiv zeitlich erst nacheinander (zu diesem Gesichtspunkt vgl. Mümmler aaO 1522) erteilt wurden.

Die Tätigkeit der Beteiligten zu 1) wegen der streitigen Nebenkostenabrechnungen wahrte auch den gleichen Rahmen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn das Mandat einheitlich bearbeitet werden kann (vgl. AnwK-RVG/N. Schneider aaO § 15 Rn. 31). Handelt es sich, wie vorliegend, um mehrere Gegenstände der anwaltlichen Tätigkeit, dann ist von einem gleichen Rahmen jedenfalls dann auszugehen, wenn die Gegenstände in einem einheitlichen Vorgehen bearbeitet werden können (vgl. AnwK-RVG/N. Schneider aaO § 15 Rn. 32). So aber lagen die Dinge hier:

Wenngleich mit den beiden Schreiben vom 10.07.2007 gegenüber den Abrechnungen jeweils unterschiedliche Einwendungen erhoben wurden (in Bezug auf die Abrechnung für 2005 lediglich die zu geringe Berücksichtigung von Vorauszahlungen, hinsichtlich der Abrechnung für 2006 der von Vermieterseite zugrunde gelegte Umlageschlüssel bzw. dessen fehlende Erläuterung sowie die Berechtigung bzw. Umlagefähigkeit mehrerer Kostenpositionen), so stellt doch die inhaltliche Überprüfung zweier dasselbe Mietobjekt betreffender Nebenkostenabrechnungen anhand des Mietvertrages ein im Wesentlichen gleichartiges Verfahren dar. Die Beschwerdeführer hatten sich aufgrund des ihnen erteilten einheitlichen Auftrags einmal in den fraglichen Mietvertrag einzuarbeiten, auf dieser Grundlage die einzelnen Beanstandungen durchzuprüfen und gegen die Vermieterinnen geltend zu machen. Wäre danach der Einwand fehlerhafter Berücksichtigung von Nebenkostenvorauszahlungen ebenfalls gegenüber der - aus Sicht der Mandantin tatsächlich in anderer Hinsicht unzutreffenden - Nebenkostenabrechnung für 2006 (statt separat gegenüber der Abrechnung für 2005) zu erheben gewesen, so stünde außer Zweifel, dass die sachliche Verschiedenheit der Rügen der Mandantin allein die Gleichartigkeit des Rahmens der anwaltlichen Tätigkeit nicht aufzuheben vermag. Das Ergebnis kann aber kein anderes sein, wenn - wie hier - bei gleichzeitiger anwaltlicher Prüfungstätigkeit innerhalb desselben Mietverhältnisses und gegenüber demselben Vermieter der Einwand fehlerhafter Anrechnung von Vorauszahlungen sich auf eine andere Jahresabrechnung bezieht als die übrigen Beanstandungen. Die äußere Aufspaltung auf zwei, für jedes Jahr separat verfasste Beanstandungsschreiben kann jedenfalls in einem solchen Fall die Gleichartigkeit des Rahmens nicht aufheben (zur Unbeachtlichkeit der Aufteilung in zwei Schreiben vgl. auch Greißinger aaO 611); ob anderes dann zu gelten hätte, wenn die Schreiben etwa verschiedene Anspruchsgegner beträfen (vgl. hierzu Enders aaO 338), bedarf hier keiner Entscheidung.

Schließlich bestand zwischen dem Tätigwerden der Beteiligten zu 1) hinsichtlich beider Jahresabrechnungen auch ein durch das zugrunde liegende Mietverhältnis vermittelter innerer Zusammenhang. Bei dieser Sachlage vermag der - vom Senat nicht außer Betracht gelassene - Umstand, dass bei den Pauschgebühren der Beratungshilfe das Korrektiv des Gegenstandswertes fehlt und wegen der deshalb in der Regel ohnehin zu niedrigen Gebühren des Rechtsanwaltes der Begriff der Angelegenheit aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu weit gefasst werden darf (vgl. BVerfG AGS 2002, 273), keine andere Betrachtung zu rechtfertigen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 56 Abs. 2 RVG.






OLG Köln:
Beschluss v. 04.01.2010
Az: 17 W 342/09


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