Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 14. Dezember 1995
Aktenzeichen: 18 U 105/95

(OLG Köln: Urteil v. 14.12.1995, Az.: 18 U 105/95)

Die Nichtigkeitsklage gem. §§ 578, 579 ZPO setzt ein formell rechtskräftiges Urteil voraus, und ist deshalb ausschließlich gegen die Partei des Vorprozesses bzw. deren Rechtsnachfolger zu richten. Zur Geltendmachung der Nichtigkeit eines Kostenfestsetzungsbeschlusses steht die Beschwerde mit verlängerter Einlegefrist gem. § 577 Abs. 2 ZPO oder auch im Wiederaufnahme-Beschlußverfahren mit freigestellter mündlicher Verhandlung zur Verfügung. 2.) Der Direktor eines volkseigenen Gutes (VEG) in der ehemaligen DDR war nach Inkrafttreten des Einigungsvertrages nicht bevollmächtigt, Prozeßaufträge im Namen der Treuhandanstalt Berlin zu erteilen, wenn diese ersichtlich davon ausging, daß der VEG mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 3.10.1990 kraft Gesetzes (§ 2 der 3. DurchführungsVO zum TreuhG i.V.m. §§ 11 I, II, 14 TreuhG) in eine GmbH i.A. umgewandelt worden sei und sie entsprechende Vollmacht daher nur als Gesellschafterin der GmbH erteilte.

Tatbestand

Klägerin ist die ehemalige Treuhandanstalt in B., die im Januar 1995, wie im Rubrum angegeben, umbenannt worden ist. Sie verlangt im Wege der Nichtigkeitsklage gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO Aufhebung eines Urteils des Landgerichts Aachen vom 12.11.1992 - 9 O 596/91 - sowie zweier jener Verfahren betreffender Kostenfestsetzungsbeschlüsse vom 31.03. und 16.04.1993. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Im Vorprozeß 9 O 596/91 beantragte zunächst ein "Gut R./M." durch Herrn Rechtsanwalt K. in H. als Prozeßbevollmächtigtem den Erlaß eines Mahnbescheides über 41.184,35 DM, der auch erlassen wurde. Dabei ging es um eine Kaufpreisforderung aus einem Kaufvertrag vom 26.09.199O über 92 Mastsauen. Nach Óbergang ins streitige Verfahren bestellten sich für das "Gut R." die Beklagten zu 2) als Prozeßbevollmächtigte. Auf Hinweis des Gerichts teilten diese mit Schriftsatz vom 31.01.1992 (Bl. 38 BA) mit, Klägerin sei die "Anstalt des öffentlichen Rechts, Treuhandanstalt Berlin, in Berlin, vertreten durch den Vorstand, dieser wiederum vertreten durch das Gut R. als Teil des Sondervermögens Land- und Forstwirtschaft, vertreten durch den Direktor, Herrn D. L.".

Der entsprechende Prozeßauftrag an die Beklagten zu 2) wurde unstreitig durch den Zeugen L. erteilt.

Nach Durchführung einer Beweisaufnahme und teilweiser Reduzierung des Klageantrags hat das Landgericht im Vorprozeß 9 O 596/91 die Klage durch Urteil vom 12.11.1992 als unbegründet abgewiesen. Durch Kostenfestsetzungsbeschluß vom 16.04.1993 (Bl. 156 BA) hat Herr Rechtsanwalt K. seine Kosten gegen die Klägerin festsetzen lassen. Durch Kostenfestsetzungsbeschluß vom 31.03.1993 (Bl. 152 BA) sind die von der Klägerin zu erstattenden Kosten zu Gunsten der Beklagten zu 2) festgesetzt worden.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie sei im Vorprozeß nicht Prozeßpartei gewesen. Die dort auf Klägerseite erklärte angebliche Rubrumsberichtigung sei zu Unrecht erfolgt. Richtigerweise sei die jetzige Beklagte zu 1. b) damals Klägerin gewesen. Nach der Rechtsprechung des BGH sei das volkseigene Gut (VEG) mit dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 03.10.1990 kraft Gesetzes zu einer GmbH i.A. und mangels weiterer Gründungsmaßnahmen sodann zu einer GmbH i.L., also zu einer eigenen Rechtspersönlichkeit mit Partei- und Prozeßfähigkeit, geworden. Keinesfalls sei das Gut R. unselbständiger Bestandteil der Klägerin gewesen. Sie, die Klägerin, habe auch keinen Prozeßauftrag zur Führung des Rechtsstreits 9 O 596/91 erteilt. Ebensowenig sei der Zeuge L. bevollmächtigt gewesen, sie in diesem Rechtsstreit zu vertreten bzw. Prozeßvollmacht in ihrem Namen zu erteilen.

Die Klägerin hat beantragt,

1.

a)

das Urteil des Landgerichts Aachen 9 O 596/91 vom 12.11.1992,

b)

den Kostenfestsetzungsbeschluß des Landgerichts Aachen in 9 O 596/91 vom 16.04.1993 für nichtig zu erklären und aufzuheben,

2.

den zugunsten der Beklagten zu 2) ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluß gemäß § 19 BRAGO für nichtig zu erklären und aufzuheben.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Während die Beklagte zu 1. b) sich bereits erstinstanzlich nicht durch einen Prozeßbevollmächtigten hat vertreten lassen, haben die Beklagten zu 1. a) und zu 2) die Ansicht vertreten, die Klägerin sei auch schon im Vorprozeß Partei gewesen. Das Gut R. sei unselbständiger Vermögens-

teil der Klägerin und damit mangels rechtlicher Selbständigkeit weder partei- noch prozeßfähig gewesen. Die Beklagte zu 1. b) sei niemals ins Handelsregister eingetragen worden.

Nach Einholung von Auskünften hat das Landgericht die Klage abgewiesen, gegenüber der Beklagten zu 1. b) als unzulässig und im übrigen als unbegründet. Es hat hierzu ausgeführt, die Beklagte zu 1. b) habe zu keinem Zeitpunkt eine eigene Rechtspersönlichkeit besessen, sondern sei als Teil des Sondervermögens Land- und Forstwirtschaft Bestandteil der Klägerin. Dies ergebe sich aus der amtlichen Auskunft des Amtsgerichts Rostock vom 11.02.1994 (Bl. 12O d.A.), wonach die Rechtsfähigkeit des ehemaligen "volkseigenen Guts R." mit dem 31.12.1976 geendet habe. Das habe zur Folge, daß zum einen die Beklagte zu 1. b) nicht parteifähig sei, und zum anderen die Klägerin sehr wohl auch Klägerin des Vorprozesses gewesen sei. Sie sei durch den Zeugen L. auch wirksam vertreten worden. Aus dem Protokoll der Gesellschafterversammlung des Gutes R. vom 05.11.1991 (Bl. 212 d.A.) ergebe sich nämlich, daß dieser zur Führung von Rechtsstreitigkeiten im hier gegebenen Umfang berechtigt sei.

Mit der Berufung, die wiederum gegen alle drei Beklagten gerichtet ist, verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Anträge weiter. Sie wiederholt im wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen, behauptet jetzt aber neu - unter Vorlage eines Registerauszuges des Amtsgerichts Rostock vom 19.05.1995 (Bl. 271 d.A.) -, daß das volkseigene Gut VEG Tierproduktion R. zum 01.01.1983 als eigene Rechtspersönlichkeit wieder gegründet worden sei. Nur für das VEG bzw. später die GmbH habe der Zeuge L. handeln können. Etwas anderes habe der Zeuge L. auch nicht getan. Ein Sondervermögen der Klägerin Land- und Forstwirtschaft habe es nie gegeben. Die Klägerin habe von dem Vorprozeß auch keine Kenntnis gehabt, so daß eine stillschweigende Genehmigung ausscheide.

Die Beklagten zu 1. a) und 2) verteidigen das angefochtene Urteil. Sie verbleiben bei ihrer Auffassung, daß das Gut R. immer Teil des Sondervermögens der Klägerin gewesen sei. Hiervon sei jedenfalls auch der Zeuge L. aufgrund von Gesprächen mit der Klägerin ausgegangen. Im übrigen habe die Klägerin die Prozeßführung im Vorprozeß zumindest stillschweigend genehmigt, da sie von diesem durch Verfügungen und Ladungen sehr wohl Kenntnis erlangt habe.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen. Die Akten des Vorprozesses 9 O 596/91 Landgericht Aachen waren Gegenstand der Verhandlung; auch auf diese wird Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist gemäß §§ 511 ff., 591 ZPO zulässig. Sie ist in der Sache teilweise begründet.

Dabei ist davon auszugehen, daß alle Anträge der Nichtigkeitsklage sowohl in erster Instanz als auch im Berufungsverfahren gegen alle Beklagten geltend gemacht werden. Die Anträge enthalten keine Einschränkung im Hinblick auf einzelne Beklagte. Eine solche ergibt sich auch nicht aus der gleichartigen Bezifferung der Anträge einerseits und der Beklagten andererseits; denn zum einen macht die Klägerin geltend, daß die Nichtigkeit des im Vorprozeß ergangenen Urteils (Klageantrag zu 1. a)) auch gegenüber der Beklagten zu 1. b) festgestellt werden müsse, und zum anderen betrifft der mit dem Antrag zu 1. b) angegriffene Kostenfestsetzungsbeschluß nicht speziell die Beklagte zu 1. b). Auch nach Erörterung dieser Problematik im Verhandlungstermin vom 02.11.1995 hat die Klägerin alle Anträge in der angekündigten Form gestellt.

I.

1.

Soweit die Klägerin Aufhebung des Urteils vom 12.11.1992 - 9 O 596/91 - nicht nur gegenüber der Beklagten zu 1. a), sondern auch gegenüber den Beklagten zu 1. b) und 2) verlangt, ist die Nichtigkeitsklage allerdings unzulässig, weil für diese das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Die Nichtigkeitsklage gemäß §§ 578, 579 ZPO setzt ein rechtskräftiges Endurteil im Verhältnis der Parteien voraus, da sich die Rechtskraft des Urteils nur auf die Parteien und deren Rechtsnachfolger erstreckt (§ 325 ZPO). Parteien der Nichtigkeitsklage sind deshalb stets dieselben wie im vorausgegangenen Verfahren (Zöller-Greger, ZPO, 19. Aufl., vor § 578 Rdnr. 4; Münchener Kommentar-Bronn, ZPO, § 578 Rdnr. 25). Partei des Vorprozesses war aber nicht die Beklagte zu 1. b), und schon gar nicht waren dies die Beklagten zu 2); vielmehr war die hiesige Klägerin auch im Vorprozeß Klägerin. Die Frage, wer Partei eines Rechtsstreits ist, ist nämlich aus einer rein formalen Betrachtungsweise heraus zu beantworten. Das bedeutet, Kläger ist derjenige, der oder in dessen Namen eine Klage erhoben wird. Da die ursprüngliche Klägerbezeichnung im Vorprozeß "Gut R." keinerlei Angaben zu einer natürlichen oder juristischen Person enthielt, handelte es sich bei der auf entsprechende Nachfrage des Gerichts mit Schriftsatz vom 31.01.1992 mitgeteilten Parteibenennung der Klägerin lediglich um eine Berichtigung des Rubrums. Selbst wenn man hierin aber eine Parteiänderung sähe, so hätte das Landgericht diese jedenfalls analog § 263 ZPO als sachdienlich zugelassen, wie sich aus dem Rubrum des im Vorprozeß ergangenen Urteils ergibt.

Unzulässig sind mangels Rechtsschutzbedürfnisses auch die Klageanträge zu 1.b) und 2. Hinsichtlich des Antrags zu 1.b) gilt dies schon deshalb, weil der darin angegriffene Kostenfestsetzungsbeschluß vom 16.04.1993 zu Gunsten des auf Klägerseite im Mahnverfahren zunächst eingeschalteten Prozeßbevollmächtigten, Herrn Rechtsanwalt K. in H., ergangen ist. Ein Wiederaufnahmeverfahren müßte daher ggf. gegen Herrn Rechtsanwalt K. gerichtet werden, der hier nicht mitverklagt worden ist. Im übrigen fehlt für eine Nichtigkeitsklage gegen die Kostenfestsetzungsbeschlüsse aber auch deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil insoweit ein einfacheres Verfahren zur Verfügung steht. Zum einen gibt es in diesen Fällen die verlängerte Beschwerdemöglichkeit gemäß § 577 Abs. 2 Satz 3 ZPO innerhalb der für das Wiederaufnahmeverfahren gegebenen Frist (vgl. Zöller-Greger, a.a.O., vor § 578 Rdnr. 14; Mü.Komm.-Braun, a.a.O., § 578 Rdnr. 19 ff.). Vorliegend hat die Klägerin sogar tatsächlich gegen beide Kostenfestsetzungsbeschlüsse Erinnerung eingelegt (Bl. 157, 161 BA), über die - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden ist. Zum anderen steht nach allgemeiner Meinung aber auch bei einer analogen Anwendung der für das Wiederaufnahmeverfahren geltenden Grundsätze (§§ 578 ff. ZPO) gegenüber unanfechtbar gewordenen, das Verfahren abschließenden Beschlüssen lediglich das Beschlußverfahren mit freigestellter mündlicher Verhandlung als richtige Verfahrensart zur Verfügung, nicht aber eine Nichtigkeitsklage (vgl. Mü.Komm. a.a.O.; Thomas-Putzo, ZPO, 19. Aufl., § 578 Rdnr. 2).

Im vorgenannten Umfange ist die Klage daher zu Recht abgewiesen worden, so daß die Berufung der Klägerin insoweit zurückzuweisen war.

2.

Gegenüber der Beklagten zu 1. a) ist die Nichtigkeitsklage gemäß dem Klageantrag 1.a) dagegen zulässig.

a)

Insoweit erstrebt die Klägerin Nichtigkeitserklärung und Aufhebung eines ihr gegenüber formell rechtskräftig gewordenen Endurteils.

Daß sie im Vorprozeß formell Partei war, ist bereits ausgeführt worden. Durch die am 20.11.1992 erfolgte Zustellung des Urteils vom 12.11.1992 an die damals als Prozeßbevollmächtigte der Klägerin aufgetretenen Beklagten zu 2) (Bl. 122 BA) ist das Urteil am 22.12.1992 (einem Dienstag) formell rechtskräftig geworden. Daß die Klägerin im Vorprozeß nicht ordnungsgemäß vertreten war, hindert den Eintritt der Rechtskraft insoweit nicht (siehe Zöller-Greger, § 586 Rdnr. 20, 21).

b)

Die Klagefrist des § 586 Abs. 3 ZPO ist eingehalten, da das Urteil dem gesetzlichen Vertreter der Klägerin, d.h. dem Vorstand, nie zugestellt worden ist.

Die Klägerin hatte auch nicht die Möglichkeit, den Eintritt der Rechtskraft durch Einlegung von Rechtsmitteln zu verhindern, da sie, wie glaubhaft gemacht worden ist, erst im Jahre 1993 von dem Urteil Kenntnis erhielt. Im übrigen ist dies aber im Fall der hier geltend gemachten fehlenden Vertretung gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO auch nicht Zulässigkeitsvoraussetzung, wie sich aus einem Gegenschluß zu §§ 579 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 582 ZPO ergibt.

Die Klägerin ist auch beschwert, da im Vorprozeß die in ihrem Namen erhobene Klage als unbegründet abgewiesen worden ist und ihr die Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden sind.

c)

Die Klägerin macht in zulässiger Weise einen Nichtigkeitsgrund gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO geltend.

Zwar dürfte es sich vorliegend auch nach dem Klagevortrag nicht um einen Fall fehlender gesetzlicher Vertretung handeln. Als Anstalt des öffentlichen Rechts wird die Klägerin nämlich gemäß § 11 Abs. 4 der Satzung der Treuhand gesetzlich vertreten durch zwei Vorstandsmitglieder oder ein Vorstandsmitglied gemeinsam mit einem bevollmächtigten Direktor. Da im Vorprozeß als gesetzlicher Vertreter "der Vorstand" angegeben worden ist, dürfte damit, auch wenn die Vorstandsmitglieder nicht namentlich aufgeführt worden sind, der gesetzliche Vertreter ausreichend und zutreffend bezeichnet worden sein. Die mit "dem Vorstand" erkennbar gemeinte Gesamtheit der Vorstandsmitglieder war in jedem Falle vertretungsbefugt. Soweit im Vorprozeß für den Vorstand des weiteren eine Untervertretung angegeben worden ist, betrifft dies nicht mehr die Frage der gesetzlichen Vertretung, sondern die einer gewillkürten Untervertretung.

Ein Fall des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO liegt aber nach ganz allgemeiner Meinung auch dann vor, wenn der für die Partei handelnde Prozeßbevollmächtigte keine Prozeßvollmacht hatte (vgl. etwa Zöller-Greger, a.a.O., § 579 Rdnr. 6). Dies ist hier nach dem Vortrag der Klägerin der Fall. Unstreitig ist der Prozeßauftrag an Rechtsanwalt K. und später die Beklagten zu 2) vom Direktor des Gutes R., dem Zeugen L., erteilt worden. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war der Zeuge L. jedoch nicht befugt, Prozeßaufträge im Namen der Klägerin zu erteilen. Dabei braucht der Senat nicht die zwischen den Parteien streitige Rechtsfrage zu entscheiden, ob das unstreitig zum 01.01.1983 wieder gegründete volkseigene Gut VEG Tierproduktion R. mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 03.10.1990 kraft Gesetzes in eine GmbH i.A. umgewandelt oder Vermögensbestandteil der Klägerin geworden ist (vgl. hierzu BGHZ 126, 351 = NJW 94, 2487; DtZ 95, 171 = WM 95, 396; Meyer-Ravenstein, DTZ 95, 225). Jedenfalls war nach dem Klägervortrag zur Erteilung von Prozeßaufträgen für die Klägerin lediglich deren Leiter der Direktion Recht, der Zeuge H. Sch., nicht aber der Zeuge L. unterbevollmächtigt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom Landgericht herangezogenen Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 05.11.1991 (Bl. 212 d.A.). In diesem wurde der Geschäftsführer des Gutes R. zwar zur Einleitung von Rechtsstreitigkeiten mit einem Streitwert bis 250.000,00 DM ermächtigt. Dies galt jedoch ersichtlich nur für Rechtsstreitigkeiten im Namen einer von der Klägerin als bestehend angenommenen GmbH. Zwar ist in dem Protokoll von einer GmbH nicht ausdrücklich die Rede. Das Protokoll betrifft jedoch eine "Gesellschafterversammlung" und bezeichnet die Klägerin als "alleinige Gesellschafterin". Daß die Klägerin das Gut R. als GmbH ansah, wird auch durch das Protokoll einer weiteren Gesellschafterversammlung vom 11.02.1992 (Bl. 182 d.A.) belegt. Die Vollmacht galt daher erkennbar nur für ein Handeln des Geschäftsführers L. im Namen einer beschränkt haftenden Gesellschaft, nicht aber im Namen der Klägerin.

d)

Entgegen der Auffassung der Beklagten zu 1. a) hat die Klägerin die Prozeßführung im Vorprozeß nicht ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt (§ 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Eine solche Genehmigung würde voraussetzen, daß die Klägerin von dem Vorprozeß Kenntnis erlangt und in irgendeiner Weise zum Ausdruck gebracht hätte, daß sie dieser Prozeßführung in ihrem Namen jedenfalls nicht widerspricht. Das ist hier nicht gegeben.

Es ist nicht richtig, daß der Klägerin, wie im angefochtenen Urteil als unstreitig dargestellt wird, alle gerichtlichen Verfügungen und Terminsladungen zugegangen seien. An die Anschrift der Klägerin sind lediglich vier Zeugenladungen gegangen. Dies waren zunächst einmal zwei Ladungen an die Zeugen B. und Br. vom März 1992 (Bl. 42 f. BA). Insoweit bestehen aber nicht einmal Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin - und ggf. wer bei der Klägerin - von dem Inhalt der Ladungen Kenntnis erhalten hat. Diese können auch ohne weiteres an die betreffenden Zeugen weitergeleitet worden sein. Feststeht allerdings, daß der Zeuge Sch., also der für Prozeßaufträge der Klägerin zuständige Leiter der Direktion Recht, zwei weitere Ladungen dieser Zeugen im April 1992 (Bl. 61 f. BA) zur Kenntnis genommen hat, die ebenfalls an die Klägerin, "vertreten durch das Gut R. als Teil des Sondervermögens Land- und Forstwirtschaft", zu Händen des jeweiligen Zeugen, gerichtet waren. Der Zeuge Sch. hat diese beiden Ladungen mit Schreiben vom 30.04.1992 (Bl. 63 BA), in dessen Betreff das Rubrum des Vorprozesses angegeben ist, an das Gericht zurückgeschickt mit dem Bemerken, daß die Zeugen keine Mitarbeiter der Treuhandanstalt seien. Daraus ergibt sich aber noch nicht eine stillschweigende Genehmigung der Prozeßführung des Zeugen L. im Namen der Klägerin. Wenn man nämlich die Fülle der von der Klägerin zu bewältigenden Rechtsstreitigkeiten sowie die Tatsache berücksichtigt, daß es hier lediglich um die Ladung von zwei Zeugen ging, die angeblich bei der Klägerin arbeiten sollten, so erscheint äußerst fraglich, ob der Zeuge Sch. sich überhaupt irgendwelche Gedanken über den der Ladung konkret zugrunde liegenden Rechtsstreit gemacht hat. Dem bloßen Rücksendungsschreiben mit Hinweis auf die Nichtbeschäftigung der Zeugen kann jedenfalls eine so weitreichende Bedeutung nicht beigemessen werden.

II.

Die Nichtigkeitsklage gemäß dem Klageantrag zu Ziffer 1.a) ist gegenüber der Beklagten zu 1. a) auch begründet.

Die Beklagte zu 1. a) hat gegenüber dem von der Klägerin geltend gemachten Nichtigkeitsgrund der fehlenden Prozeßvollmacht nichts Erhebliches vorgebracht. Soweit sie anführt, eine Vollmacht des Zeugen L. zur Führung von Rechtsstreitigkeiten des vorliegenden Umfangs ergebe sich bereits aus dessen Bevollmächtigung zum Abschluß von Verträgen, ist dies unerheblich, weil schon nicht substantiiert vorgetragen ist, daß der Zeuge L. bei Abschluß von Verträgen für die Klägerin handeln durfte. Nach den zitierten Beschlußprotokollen bezog sich die Vollmacht des Zeugen L. generell nur auf ein Handeln für die angenommene GmbH i.A. Im übrigen ist es in großen Unternehmen regelmäßig so, daß die Sachbearbeiter, die Vollmacht zum Abschluß von Verträgen haben, deswegen noch keineswegs auch entsprechende Prozeßaufträge erteilen dürfen, dies vielmehr einer eigens hierfür eingerichteten Prozeßabteilung vorbehalten ist. Auch für eine Duldungs- oder Anscheinsvollmacht hat die Beklagte zu 1a) substantiiert nichts vorgetragen. Insbesondere sind keine konkreten Umstände dargetan, aus denen der Zeuge L. oder die Beklagte zu 1. a) auf eine entsprechende Vollmacht des Zeugen oder ein Einverständnis der Klägerin hätten schließen können.

Insgesamt steht aufgrund des Vortrags der Klägerin in Verbindung mit der eidesstattlichen Versicherung des Zeugen Sch. (Bl. 8 d.A.) und den Protokollen der Gesellschafterversammlungen Bl. 182 und 212 d.A. zur Óberzeugung des Senats fest, daß die im Vorprozeß für die Klägerin aufgetretenen Beklagten zu 2) keine Prozeßvollmacht für die Klägerin hatten und diese damit im Vorprozeß nicht ordnungsgemäß vertreten war. In Abänderung der angefochtenen Entscheidung war das Urteil des Vorprozesses vom 12.11.1992 daher für nichtig zu erklären und aufzuheben. Da der Mangel der Prozeßvollmacht das gesamte Verfahren des Vorprozesses betrifft, war auch dieses insgesamt aufzuheben.

III.

Gemäß § 590 Abs. 1 ZPO muß nunmehr die Hauptsache - 9 O 596/91 - neu verhandelt werden. In entsprechender Anwendung von § 538 Abs. 1 Nr. 2 ZPO war die Sache hierzu an das Landgericht zurückzuverweisen. Eine eigene Sachentscheidung gemäß § 540 ZPO hielt der Senat nicht für angezeigt, da die Sache völlig neu zu verhandeln ist. Der Senat hat insbesondere davon abgesehen, die Klage wegen fehlender Prozeßvollmacht als unzulässig abzuweisen, um dem Zeugen L. und den Beklagten zu 2) die Möglichkeit zur Prüfung einer sachgerechten Fortführung des Verfahrens zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 92 ZPO. Óber die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens einschließlich des Wiederaufnahmeverfahrens ist vom Landgericht einheitlich zu entscheiden (Zöller-Greger, § 590 Rdnr. 17).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Soweit die Klägerin in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 14.11.1995 im Verhältnis zu den Beklagten zu 2) den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt hat, ist eine wirksame Erledigungserklärung nicht erfolgt. Die Beklagten zu 2) haben dem nämlich widersprochen. Eine einseitige Erledigungserklärung kann aber nur in der mündlichen Verhandlung erklärt werden, da § 91 a ZPO für diesen Fall nicht gilt. Der Schriftsatznachlaß gemäß § 283 ZPO berechtigt nicht zur Stellung neuer Anträge. Es bestand aber auch kein Anlaß zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß §§ 156, 296 a ZPO, weil eine Wiedereröffnung in der Sache selbst nicht zu einer anderen Entscheidung geführt hätte.

Streitwert:

Anträge zu 1.a) 12.569,54 DM

zu 1.b) 1.917,96 DM (Bl. 156 BA)

zu 2) 2.367,88 DM (Bl. 152 BA)

16.855,38 DM.

Dr. Olroth Dr. Kapsa Wahle






OLG Köln:
Urteil v. 14.12.1995
Az: 18 U 105/95


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