Bundespatentgericht:
Beschluss vom 7. Juni 2001
Aktenzeichen: 17 W (pat) 30/00

(BPatG: Beschluss v. 07.06.2001, Az.: 17 W (pat) 30/00)

Tenor

Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluß der Patentabteilung 34 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 8. März 2000 aufgehoben. Das Patent 44 42 603 wird in der erteilten Fassung gemäß Patentschrift DE 44 42 603 C2 aufrechterhalten.

Gründe

I.

1. Auf die am 30. November 1994 beim Deutschen Patentamt eingegangene Patentanmeldung P 44 42 603.8 - 34 wurde unter der Bezeichnung

"Antriebseinrichtung für ein elektrisches Schaltgerät"

am 23. Mai 1996 durch Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse H01H das Patent erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 24. Oktober 1996.

Nach Prüfung eines für zulässig erachteten Einspruchs der S... AG in B... hat die Patentabteilung 34 des Deutschen Patent- und Marken- amts mit Beschluß vom 8. März 2000 das Patent wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit widerrufen. Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin. Sie verteidigt das Patent gemäß Hauptantrag in der erteilten Fassung mit folgendem Patentanspruch 1:

"Antriebseinrichtung für ein elektrisches Schaltgerät mit einem durch einen elektrischen Strom programmgesteuert betätigbaren Auslöser, der eine Verschiebung eines beweglichen Kontaktstücks des Schaltgeräts in die Einschaltstellung bzw. die Ausschaltstellung hervorruft, wobei im Falle einer selbsttätig festgestellten Störung jegliche Schalthandlung des Schaltgeräts gesperrt wird, dadurch gekennzeichnet, daß auch mehrere Auslöser zu der Antriebseinrichtung gehören können, daß der Strom zur Betätigung jedes Auslösers über jeweils einen Schalter (16a, 24a) geleitet wird, daß jeder Auslöser entweder eine Ein-Klinke (15) oder eine Aus-Klinke (23) enthält, daß bei einem Stromfluß die Ein-Klinke (15) bzw. die Aus-Klinke (23) gelöst wird, daß dadurch mindestens ein unter der Wirkung einer gespannten Einschaltfeder (14) bzw. einer gespannten Ausschaltfeder (7) stehendes Element freigegeben und damit das bewegliche Kontaktstück (4) in die Einschaltstellung bzw. die Ausschaltstellung bewegt wird, daß der Programmablauf durch einen Mikroprozessor gesteuert wird, daß der Mikroprozessor bei störungsfreiem Lauf des Programms in bestimmten Zeitabständen eine Watchdog-Schaltung (16b) ansteuert und daß beim Ausbleiben dieser Ansteuerung jeder Schalter (16a, 24a) geöffnet wird."

Wegen der abhängigen Ansprüche 2 bis 9 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag unterscheidet sich von dem des Hauptantrags dadurch, daß dessen letzter Halbsatz, beginnend mit "daß beim Ausbleiben...." ersetzt ist durch:

"daß beim Ausbleiben dieser Ansteuerung jeder Schalter (16a, 24a) von der Watchdog-Schaltung (16b) geöffnet wird, so daß die zum Auslösen einer Schalthandlung erforderliche Stromzufuhr unterbrochen wird."

2. Im Beschwerdeverfahren wurden folgende Druckschriften in Betracht gezogen:

[1] DE 38 12 734 A1

[2] EP 0 320 614 A1

[3] EP 0 479 806 B1

[4] US 5 038 246 3. Die beschwerdeführende Patentinhaberin ist der Auffassung, der Patentgegenstand sei entgegen dem angefochtenen Beschluß durch die Druckschriften [1] und [2] nicht nahegelegt. In Druckschrift [1] sei ein Hochspannungsschalter beschrieben, bei dem Unregelmäßigkeiten von eigens angebrachten Sensoren detektiert und an die Steuerung gemeldet würden. Der Programmablauf in der Steuerung selbst werde aber nicht durch eine Watchdog-Schaltung überwacht. Ebensowenig seien von der Watchdog-Schaltung ansteuerbare Schalter bekannt, mit denen die Auslöser des Hochspannungsschalters abgeschaltet, d.h. stromlos gemacht werden könnten. Hierzu könne der Fachmann dem nachgewiesenen Stand der Technik nichts entnehmen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent 44 42 603 in der erteilten Fassung gemäß Patentschrift aufrechtzuerhalten, hilfsweisemit dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentanspruch 1, weitere Ansprüche und Unterlagen gemäß Patentschrift.

Die Einsprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie führt hierzu aus, die Druckschrift [1] erfülle nicht nur die Merkmale des Oberbegriffs des geltenden Patentanspruchs 1, sondern weise auch eine speicherprogrammierbare Steuerung, also eine Mikroprozessorsteuerung, sowie das grundlegende Sicherungskonzept mit Eigendiagnose und einer Sperrung jeglicher Schalthandlung im Störfall als vorbekannt aus. Damit ergebe sich zwangsläufig, daß die gesamte Steuerungskette einschließlich des Programmablaufs im Mikroprozessor überwacht werden müsse. Ein- und Aus-Klinken mit zugeordneten Schaltern müßten, wie Druckschrift [2] zeige, immer vorhanden sein und würden vom Fachmann auch in Druckschrift [1] mitgelesen. Damit verbleibe nur noch die Watchdog-Schaltung, die ebenfalls von einschlägigen Systemen, bspw. aus den Druckschriften [3] und [4] allgemein bekannt sei. Insbesondere zeige letztere ein Abschaltsystem mit einem von einer Watchdog-Schaltung angesteuerten Solenoid, mit dem die Spannungsversorgung im Störfall abgeschaltet werde. In Verbindung mit dem aus Druckschrift [1] bekannten und im Oberbegriff des geltenden Patentanspruchs 1 ausgewiesenen Sperren jedweder Schalthandlung sei der Fachmann ohne erfinderisches Zutun beim Streitpatentgegenstands angelangt.

II.

Die frist- und formgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig und führt zum Erfolg, weil der Streitpatentgegenstand die Kriterien der Patentfähigkeit gemäß §§ 1 bis 5 PatG erfüllt.

1. Der geltende Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag betrifft eine Antriebseinrichtung für ein elektrisches Schaltgerät mit folgenden Merkmalen:

1. Die Antriebseinrichtung weist einen durch einen elektrischen Strom programmgesteuert betätigbaren Auslöser auf, 1.1 der eine Verschiebung eines beweglichen Kontaktstücks des Schaltgeräts in die Einschaltstellung bzw. die Ausschaltstellung hervorruft.

2. Im Falle einer selbsttätig festgestellten Störung wird jegliche Schalthandlung des Schaltgeräts gesperrt.

3. Es können auch mehrere Auslöser zu der Antriebseinrichtung gehören.

4. Der Strom zur Betätigung jedes Auslösers wird über jeweils einen Schalter geleitet.

4.1 Jeder Auslöser enthält entweder eine Ein-Klinke oder eine Aus-Klinke.

4.2 Bei einem Stromfluß wird die Ein-Klinke bzw. die Aus-Klinke gelöst, 4.2.1 wodurch mindestens ein unter der Wirkung einer gespannten Einschaltfeder bzw. einer gespannten Ausschaltfeder stehendes Element freigegeben und damit das bewegliche Kontaktstück in die Einschaltstellung bzw. die Ausschaltstellung bewegt wird.

5. Der Programmablauf wird durch einen Mikroprozessor gesteuert.

5.1 Der Mikroprozessor steuert bei störungsfreiem Lauf des Programms in bestimmten Zeitabständen eine Watchdog-Schaltung an.

5.2 Beim Ausbleiben dieser Ansteuerung wird jeder Schalter geöffnet.

Der so bestimmten Lehre entnimmt der Fachmann, ein Fachhochschulabsolvent der Elektrotechnik mit Berufserfahrung in der Entwicklung von elektrischen Schaltgeräten, einen Schalter, der über einen Mikroprozessor nach einem vorgegebenen Programm gesteuert wird, also bspw. in bestimmten Zeitabständen durch Ansteuerung entsprechender "Auslöser" unter Freigabe der in vorgespannten Federn gespeicherten Energie ein- und ausgeschaltet wird. Hierzu werden jeweils Sperrklinken gelöst, die ansonsten den Auslöser für "Ein" bzw. für "Aus" sperren. Der Programmablauf im Mikroprozessor wird durch eine "Watchdog-Schaltung" überwacht, die beim Auftreten von Störungen Schalter öffnet, über die die Auslöser mit Strom versorgt werden, so daß die Sperrklinken nicht mehr gelöst werden können. Die "Watchdog-Schaltung" ist im Streitpatent dadurch definiert, daß sie vom Mikroprozessor in regelmäßigen Abständen Signale empfängt, wobei das Ausbleiben dieser Signale bedeutet, daß im Ablauf des Steuerprogramms Fehler aufgetreten sind (Streitpatentschrift Spalte 2 Zeilen 7 bis 21). Damit soll das Problem gelöst werden, bei Störungen im Programmablauf selbsttätig eine sichere Sperrung des Schaltgeräts für weitere Schalthandlungen zu erreichen (Streitpatentschrift Spalte 1 Zeilen 20 bis 25).

2. Eine Lehre mit den Merkmalen des geltenden Patentanspruchs 1 ist in keiner der Entgegenhaltungen identisch vorbeschrieben und war daher im Prioritätszeitpunkt neu. Sie beruht darüber hinaus auch auf erfinderischer Tätigkeit, weil sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

Eine Antriebseinrichtung für einen Hochspannungsschalter mit den oberbegrifflichen Merkmalen des geltenden Patentanspruchs 1 ist aus der Druckschrift [1] bekannt. Anhand der Figur 3 wird dort ein Hochspannungsschalter beschrieben, der eine Antriebseinrichtung (4) mit einer Auslöseeinheit (6) zum Ein- oder Ausschalten des Schalters umfaßt. Zur Bestimmung des optimalen Schaltzeitpunktes mit möglichst geringer Schalterbelastung durch Lichtbogenentwicklung sind div. Sensoren (13 bis 17) vorgesehen, die von einer zentralen speicherprogrammierbaren Steuerung (11), d.h. von einer Mikroprozessor-Steuerung überwacht werden. Da die angestrebte schonende Betriebsweise des Schalters nur gewährleistet ist, wenn diese Meßeinrichtungen einwandfrei arbeiten, wird vorgeschlagen, eine Eigendiagnose der Meßeinrichtung vorzusehen und bei festgestellten Mängeln Schalthandlungen zu sperren (Spalte 3 Zeilen 65 bis 68).

Weiterhin ist gemäß Druckschrift [1] zur Unterstützung des Ein- oder Ausschaltvorgangs und der zugehörigen Auslöse-Einrichtungen eine "Energie-Nachlade-Einheit" (7) vorgesehen (Spalte 4 Zeilen 10 bis 16), die typischerweise als Feder-Kraftspeicher ausgebildet sein kann (Spalte 5 Zeilen 30, 31). Ein derartiger Kraftspeicher erfordert zwingend eine entsprechende Sperrklinke, die den Kraftspeicher nach dem Laden in dieser vorgespannten Stellung hält, und die zur Freigabe der gespeicherten Energie beim jeweils nächstfolgenden Schaltvorgang gelöst werden muß.

Nachdem das Merkmal 3 nur fakultative Bedeutung hat, und der Anspruchswortlaut auch den Fall mitumfaßt, in dem nur ein einziger "Auslöser" vorhanden ist, erfüllt die Schaltvorrichtung gemäß Druckschrift [1] somit die Merkmale 1. bis 3. sowie 4.1 bis 5. des geltenden Anspruchs 1.

Als Überschuß über den Stand der Technik gemäß Druckschrift [1] verbleiben beim geltenden Patentanspruch 1 demnach die Merkmale, wonach der Mikroprozessor in bestimmten Zeitabständen eine Watchdog-Schaltung ansteuert (Merkmal 5.1), der Strom zur Betätigung jedes Auslösers über einen Schalter geleitet wird (Merkmal 4.) und daß bei Ausbleiben der Ansteuersignale der Schalter geöffnet wird (Merkmal 5.2).

Die Überwachung des Systems gemäß Druckschrift [1] betrifft nur die Sensoren und die ihnen zugeordneten Meßeinrichtungen, die selbsttätig einer Eigendiagnose unterworfen sein sollen, um ggfs. jegliche Schalthandlung zu unterbinden (Spalte 3 Zeilen 65 bis 68). Nun liegt zwar die Unvollständigkeit dieses Sicherungskonzepts auf der Hand, weil in die Überwachung der Meßeinrichtungen auch die speicherprogrammierbare Schaltung (11) eingebunden ist, diese selbst aber im Sicherungskonzept nicht berücksichtigt wird, so daß der Fachmann Veranlassung hat, in Verfolgung des in Druckschrift [1] vorgegebenen Ziels der "Eigendiagnose" nach Möglichkeiten Ausschau zu halten, wie er auch evtl. Ausfälle in der Steuerung selbst absichern kann. Er entnimmt hierzu dem Stand der Technik gemäß den Druckschriften [3] und [4] weiterhin zwar auch noch eine Watchdog-Schaltung, die regelmäßig Signale von einem Mikroprozessor empfängt und dessen Funktion dadurch überwacht, daß sie beim Ausbleiben der Signale einen entsprechenden Befehl ausgibt. Jedoch gelangt er damit noch nicht zum Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1, denn über die Art und Weise, wie das Sperren von Schalthandlungen im Störungsfall vorgenommen werden soll, teilt der Stand der Technik nichts mit.

So lehrt zwar Druckschrift [3] in Mikroprozessor-Schaltungsanordnungen eine Watchdog-Schaltung vorzusehen, die in vorgegebenen Zeitabständen vom Prozessor angesteuert wird, wobei ein Ausbleiben dieser Ansteuerung bedeutet, daß der Mikroprozessor an einem bestimmten Programmschritt "hängen" geblieben ist (Spalte 1 Zeilen 5 bis 28 iVm Spalte 4 Zeilen 14 bis 23). In der Folge erzeugt diese bekannte Watchdog-Schaltung aber lediglich ein Reset-Signal, aufgrund dessen der Mikroprozessor auf einen bestimmten Programmpunkt, bspw. den Programmstart rückgesetzt wird.

Ebensowenig führt die Druckschrift [4] zur streitpatentgemäßen Lehre. Sie beschreibt anhand der Figuren 1 und 4 ein System, mit dem eine Stromversorgung (102, 106) auf Überlast, Erdschluß u.ä. (108, 110) überwacht wird, und mit dem in einem solchen Störfall ggfs die Stromversorgung durch Betätigung eines Magneten (112) komplett abgeschaltet wird (114). Die Überwachung erfolgt durch einen Mikroprozessor (120), dessen Programmablauf durch eine Watchdog-Schaltung kontrolliert wird, die regelmäßig Pulse vom Prozessor empfängt, deren Ausbleiben ebenfalls ein Signal zum Abschalten der Versorgung an den Magneten (112) abgibt (Figur 8 iVm Figur 4, Ziffern 591, 593, 595, 583, 587, 589). Zwar werden hier von der Watchdog-Schaltung ebenfalls Schalter betätigt, diese schalten aber die Stromversorgung komplett ab. Der Fachmann mag zwar Überlegungen anstellen, die als "Watchdog" bekannte Überwachungsmöglichkeit des Mikroprozessors in das aus Druckschrift [1] bekannte Sicherungssystem einzubeziehen, es ergeben sich für ihn dann aber beliebig viele Möglichkeiten unterschiedlichster Art, den Hochspannungsschalter zu blockieren, weil das System ersichtlich Eingriffsmöglichkeiten an vielen Stellen des Antriebs, der Steuerung oder der Mechanik des Hochspannungsschalters selbst bietet. Für die streitpatentgemäße Lösung, nämlich der jeweiligen Sperrklinke einen Schalter vorzusetzen, mit dem der Auslöser stromlos gemacht werden kann, so daß das System im zuletzt eingenommenen Zustand verharrt, hierfür gibt der Stand der Technik jedenfalls keinen Hinweis.

3. Die Überprüfung der übrigen Druckschriften, die in den bisherigen Verfahren genannt worden sind, hat ergeben, daß sie noch weiter abliegen. Im Beschwerdeverfahren hat die Einsprechende hierzu auch nichts geltend gemacht. Bei der geschilderten Sachlage braucht außerdem auf den Hilfsantrag nicht näher eingegangen zu werden.

4. Aus den dargelegten Gründen ist die zweifellos gewerblich anwendbare Antriebseinrichtung nach Patentanspruch 1 patentfähig. Vom gewährbaren Patentanspruch 1 werden auch die abhängigen Ansprüche 2 bis 9 mitgetragen, die nichttriviale Weiterbildungen des im Anspruch 1 beanspruchten Gegenstandes betreffen.

Bertl Greis Püschel Schusterprö






BPatG:
Beschluss v. 07.06.2001
Az: 17 W (pat) 30/00


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