Bundespatentgericht:
Beschluss vom 6. Oktober 2005
Aktenzeichen: 34 W (pat) 308/03

(BPatG: Beschluss v. 06.10.2005, Az.: 34 W (pat) 308/03)

Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

Gegen das am 2. Oktober 2002 veröffentlichte deutsche Patent 101 20 249 mit der Bezeichnung "Freifallwinde" hat die Einsprechende am 20. Dezember 2002 Einspruch eingelegt.

Der Einspruch wird darauf gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht mehr neu sei, jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.

In das Verfahren sind folgende Druckschriften eingeführt:

(D1) EP 0 538 630 B1

(D2) EP 0 538 662 A2

(D3) DE 88 04 987 U1 Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent aufrechtzuerhalten (Hauptantrag), hilfsweise sinngemäß

mit einem in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentanspruch 1 (Hilfsantrag), sonst wie Hauptantrag, beschränkt aufrechtzuerhalten.

Außerdem erklärt sie die Teilung des Patents.

Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:

Freifallwinde mit einem mehrstufigen in einem geschlossenen Gehäuse (1) untergebrachten Planetengetriebe, zumindest bestehend aus einer antriebsseitigen Planetenstufe, deren Sonnenrad (2) mit einem Antriebsmotor (3) verbunden ist und deren Hohlrad (5) über dazwischenliegende Planetenräder (6) mit einem Sonnenrad (7) einer weiteren Planetenstufe in Verbindung steht, deren Hohlrad (9) ortsfest mit einer Seiltrommel (10) verbunden ist und deren dazwischenliegende Planetenräder (8) über einen Planetensteg (11) ortsfest zum Windenbock (13) angeordnet sind, wobei ein die Planetenräder (6) der antriebsseitigen Planetenstufe haltender Planetensteg (25) oder das Hohlrad (5) mit einer Freifallbremse in Verbindung steht, dadurch gekennzeichnet, dass die Freifallbremse als Bremsmotor (17) ausgeführt ist, der nach Art einer gebremsten Hydropumpe aufgebaut ist.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag lautet:

Freifallwinde mit einem mehrstufigen in einem geschlossenen Gehäuse (1) untergebrachten Planetengetriebe, zumindest bestehend aus einer antriebsseitigen Planetenstufe, deren Sonnenrad (2) mit einem Antriebsmotor (3) verbunden ist und deren Hohlrad (5) über dazwischenliegende Planetenräder (6) mit einem Sonnenrad (7) einer weiteren Planetenstufe in Verbindung steht, deren Hohlrad (9) ortsfest mit einer Seiltrommel (10) verbunden ist und deren dazwischenliegende Planetenräder (8) über einen Planetensteg (11) ortsfest zum Windenbock (13) angeordnet sind, wobei ein die Planetenräder (6) der antriebsseitigen Planetenstufe haltender Planetensteg (25) oder das Hohlrad (5) mit einer Freifallbremse in Verbindung steht, dadurch gekennzeichnet, dass die Freifallbremse als Bremsmotor (17) ausgeführt ist, der nach Art einer gebremsten Hydropumpe aufgebaut und betreibbar ist.

Wegen des Wortlauts der jeweils abhängigen Patentansprüche 2 bis 11 wird auf die Patentschrift verwiesen.

Zu weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten wird auf die Akten verwiesen.

II.

1. Die Zuständigkeit des Senats ergibt sich aus § 147 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 1 PatG. Danach entscheidet über den Einspruch nach § 59 PatG der Beschwerdesenat des Patentgerichts, wenn - wie hier - die Einspruchsfrist nach dem 1. Januar 2002 beginnt und der Einspruch vor dem 1. Juli 2006 eingelegt worden ist.

2. Der fristgerecht erhobene Einspruch, mit dem der Widerrufsgrund der fehlenden Patentfähigkeit (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) geltend gemacht wird, ist unbestritten zulässig.

3. Zum Hauptantrag:

3.1. Es bestehen keine Zweifel an der Zulässigkeit der erteilten Patentansprüche 1 bis 11. Diese entsprechen den ursprünglich eingereichten Patentansprüchen 1 bis 11.

Der erteilte Anspruch 1 kann wie folgt gegliedert werden:

a) Freifallwinde mit einem mehrstufigen Planetengetriebe, b) das Planetengetriebe ist in einem geschlossenen Gehäuse (1) untergebracht, c) das Planetengetriebe besteht zumindest aus einer antriebsseitigen Planetenstufe und einer weiteren Planetenstufe, d) das Sonnenrad (2) der antriebsseitigen Planetenstufe ist mit einem Antriebsmotor (3) verbunden, e) das Hohlrad (5) der antriebsseitigen Planetenstufe steht über dazwischen liegende Planetenräder (6) mit dem Sonnenrad (7) der weiteren Planetenstufe in Verbindung, f) das Hohlrad (9) der weiteren Planetenstufe ist ortsfest mit einer Seiltrommel (10) verbunden, g) die Planetenräder (8) der weiteren Planetenstufe sind über einen Planetensteg (11) ortsfest zum Windenbock (13) angeordnet, h) ein die Planetenräder (6) der antriebseitigen Planetenstufe haltender Planetensteg (25) oder das Hohlrad (5) der antriebseitigen Planetenstufe steht mit einer Freifallbremse in Verbindung, i) die Freifallbremse ist als Bremsmotor (17) ausgeführt, der nach Art einer gebremsten Hydropumpe aufgebaut ist.

3.2. Zum Verständnis des Anspruchs 1:

Als Freifallwinde wird in der Patentschrift eine Seilwinde bezeichnet, deren Seiltrommel frei drehbar ein Senken der Last im freien Fall zulässt und die an geeigneter Stelle eine Bremseinrichtung aufweist, die die Last aus dem freien Fall abzubremsen vermag (hier Freifallbremse genannt). Diese Bremseinrichtung soll gemäß Merkmal i) der Gliederung des Anspruchs 1 als Bremsmotor ausgeführt sein, der nach Art einer gebremsten Hydropumpe aufgebaut ist. Der Fachmann versteht unter dieser Maßnahme, dass als Bremseinrichtung ein Hydraulikaggregat vorgesehen ist, das baulich einer gebremsten Hydropumpe entspricht und dessen Hydraulikanschlüsse derart mit dem Hydrauliksystem der Vorrichtung verbunden sind, dass es im Pumpbetrieb arbeiten kann. Auf Nachfrage des Senats bestätigt die Patentinhaberin, dass demgemäss das Merkmal i) so zu verstehen ist, dass als Freifallbremse eine gebremste Hydropumpe vorgesehen sein soll.

3.3. Der Gegenstand des angegriffenen Patentanspruchs 1 ist nicht patentfähig.

Dieser zweifellos gewerblich anwendbare Gegenstand mag neu sein, er beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die in der Patentschrift genannte und zur Bildung des Oberbegriffs herangezogene Druckschrift EP 0 538 662 A2 (D2) betrifft, wie bereits der Bezeichnung zu entnehmen ist, ebenfalls eine Freifallwinde. Sie zeigt unstrittig die Merkmale a) bis h) der Gliederung. Die Figur 1 und die zugehörige Beschreibung in D2 offenbaren eine Seilwinde 1 mit einem zweistufigen und daher mehrstufigen Planetengetriebe 10 (Merkmal a). Dieses Planetengetriebe 10 ist in einem geschlossenen Gehäuse (=Gehäusetopf 8) untergebracht (Merkmal b). Das dargestellte Planetengetriebe 10 besteht aus einer Antriebsplanetenstufe 42 und einer weiteren Planetenstufe 22 (Merkmal c). Das Sonnenrad 43 der antriebseitigen Planetenstufe 42 ist (über die Welle 16) mit einem Antriebsmotor 15 verbunden (Merkmal d). Das Hohlrad 48 der antriebseitigen Planetenstufe 42 steht über dazwischenliegende Planetenräder 45, 46 (und den Planetensteg 44 und die Hohlwelle 21) mit dem Sonnenrad 23 der weiteren Planetenstufe 22 in Verbindung (Merkmal e). Das Hohlrad 28 der weiteren Planetenstufe 22 ist (über den Gehäusetopf 8) ortsfest mit einer Seiltrommel 2 verbunden (Merkmal f). Die Planetenräder 25, 26 der weiteren Planetenstufe 22 sind über einen Planetensteg 24 ortfest zum Windenbock (=Rahmen 3) angeordnet (Merkmal g). Das Hohlrad 48 der antriebseitigen Planetenstufe 42 steht (über die Welle 12) mit einer Freifallbremse 11 in Verbindung (Merkmal h). Der weitere Teil des Merkmals h ist lediglich fakultativ angegeben und daher unbeachtlich. Darüber hinaus ist dieser alternative weitere Teil des Merkmals h aus der Figur 2 der D2 bekannt. Dort steht ein die Planetenräder 45, 46 der antriebseitigen Planetenstufe 42 haltender Planetensteg 44 mit der Freifallbremse 11 in Verbindung. Als Freifallbremse wird in der D2 eine öldurchflutete Lamellenbremse vorgeschlagen (siehe Spalte 6 Zeilen 39 bis 42 in D2).

Hiervon unterscheidet sich der Gegenstand gemäß Patentanspruch 1 des angefochtenen Patents dadurch, dass als Freifallbremse eine gebremste Hydropumpe vorgesehen ist. Mit dieser Maßnahme wird die dem Patent zugrunde liegende Aufgabe gelöst, die bekannte (mit einer Lamellenbremse als Freifallbremse ausgestattete) Freifallwinde dahingehend weiterzuverbessern, dass eine möglichst verschleißarme häufige Abbremsung hoher Lasten aus dem freien Fall unter geringer thermischer Belastung der Freifallbremse erfolgen kann (siehe Spalte 2 Zeilen 5 bis 9 der PS).

Als Fachmann wird von den Beteiligten übereinstimmend ein Dipl.-Ing. FH der Fachrichtung Maschinenbau angesehen, mit Erfahrung in Konstruktion und Betrieb von Seilwinden. Während die Einsprechende den Fachmann dem weiteren Tätigkeitsbereich der Hebezeuge zuordnet, sieht die Patentinhaberin diesen eher als im Bereich der Baumaschinen tätig an. Diese unterschiedliche Auffassung ändert nach Überzeugung des Senats nichts am hier maßgeblichen Kenntnisstand des Fachmanns, da auch der im Bereich der Baumaschinen tätige Fachmann intensiv mit den Kernbereichen der Hebezeuge - Seilwinden und Krane - befasst ist.

Die von der Einsprechenden nach Ablauf der Einspruchsfrist in das Verfahren eingeführte Druckschrift D3 (DE 88 04 987 U1) ist im Rahmen der Amtsermittlung im Einspruchsverfahren bei der Beurteilung der Patentfähigkeit zu berücksichtigen. Die Druckschrift D3 betrifft entsprechend der Bezeichnung ihres Gegenstandes eine hydraulische Brems- und Haltevorrichtung für Weinbergsseilwinden. Eine Vorrichtung ist nach ständiger Rechtsprechung durch eine hinzugefügte Zweckangabe nicht auf den genannten Zweck beschränkt (BGH GRUR 91, 436 - Befestigungsvorrichtung II). Infolgedessen ist durch die hinzugefügte Zweckangabe "für Weinbergsseilwinden" entgegen der Auffassung der Patentinhaberin die Lehre der D3 nicht auf den Bereich der Landwirtschaftstechnik beschränkt. Demzufolge ist die D3 auch in korrekter Weise der Internationalen Patent Klassifikation B 66 D 5/02 zugeordnet, in der Windenbremsen, auf Trommel oder Seil wirkend, allgemein behandelt werden, und wendet sich an den Fachmann, der sich im Rahmen seiner Tätigkeit mit Seilwinden allgemein beschäftigt.

Die D3 schlägt als Seilwindenbremse eine hydraulische Bremsvorrichtung in Form einer Hydraulikpumpe (1) vor, deren Pumpendrehzahl über ein einstellbares Drosselventil (4) beeinflusst werden kann (siehe Schutzanspruch 2 i. V. m. Fig. 1 in D3). Der Fachmann erkennt hieraus ohne Weiteres, dass bei geöffnetem Absperrventil (5) und vollständig geöffnetem Drosselventil (4) sich an der Druckseite der Pumpe kein Druck aufbauen kann und folglich keine Bremsung stattfindet. Bei vollständiger Absperrung der Druckleitung (8) hingegen wird auf der Druckseite der Pumpe ein so hoher Druck aufgebaut, dass die Pumpe und damit die Seilwindentrommel (2) zum Stillstand kommen (siehe Schutzanspruch 3 in D3). Bei der beschriebenen Hydraulikpumpe handelt es sich folglich um eine gebremste Hydropumpe entsprechend dem Merkmal i) des angegriffenen Patentanspruchs 1. Mit der beschriebenen Hydraulikpumpe wird u. a. der relativ hohe Verschleiß, der an Seilwindenbremsen mit Bremsbelag auftritt, vermieden (siehe Seite 1, letzter Absatz und Seite 2, Absatz 3 in D3). Der Fachmann, der ausgehend von der mit einer als Freifallbremse wirkenden Lamellenbremse versehenen Seilwinde nach der D2 aufgabengemäß nach einer möglichst verschleißarmen Bremseinrichtung für diese Seilwinde sucht, wird daher durch die Lehre der D3 dazu angeregt, eine Bremseinrichtung, die wie die aus der D2 bekannte Lamellenbremse einem Verschleiß unterworfen ist, durch eine gebremste Hydropumpe zu ersetzen.

Die Patentinhaberin trägt vor, dass ein Freifall einer Last eine völlig andere Belastung der Bremseinrichtung hervorrufe als eine Bergabfahrt über einen geneigten Hang und dass deshalb der Fachmann zögern werde, die Lehre der D3 für eine Freifallbremse anzuwenden. Diese Argumentation vermag den Senat nicht zu überzeugen. Zum einen ist in der D3 keine bestimmte Hangneigung oder gar maximale Steigung für die Verwendung einer gebremsten Hydropumpe als Bremseinrichtung vorgegeben. Da für die Bergabfahrt des an dem Seil angebrachten Arbeitsgeräts kein motorischer Antrieb verwendet wird (siehe Seite 2, Abs. 3 der D3), hängt die Geschwindigkeit des Seils bei ungebremster Bergabfahrt in erster Linie vom Gewicht der Last und der Neigung des Hanges ab. Bei einem Steilhang sind die Bedingungen des freien Falls nahezu erreicht. Zum Anderen ist für den Fachmann, der ja auch die Dimensionierung der Pumpe und der zugehörigen Hydraulik vornehmen muss, durch routinemäßige Berechnung oder einfache und zumutbare Versuche ohne Weiteres feststellbar, ob die in der Druckschrift D3 vorgeschlagene Lösung auch für eine so genannte Freifallwinde anwendbar ist.

Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 hat sich daher für den Fachmann am Anmeldetag des angegriffenen Patents in nahe liegender Weise aus einer Zusammenschau des Standes der Technik nach den Druckschriften D2 und D3 ergeben.

4. Zum Hilfsantrag:

Im Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag wurde der kennzeichnende Teil vor dem letzten Wort durch die Angabe "und betreibbar" ergänzt. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag unterscheidet sich hierdurch gegenständlich jedoch nicht von dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag, wie der Senat diesen versteht. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag ist daher aus den vorgenannten Gründen ebenfalls nicht patentfähig.

5. Die Unteransprüche 2 bis 11 fallen jeweils mit den nicht patentfähigen Patentansprüchen 1 gemäß Haupt- und Hilfsantrag, da über einen Antrag auf Aufrechterhaltung bzw. beschränkte Aufrechterhaltung eines Patents nur als Ganzes entschieden werden kann.

Dr. Ipfelkofer Hövelmann Ihsen Pontzen WA






BPatG:
Beschluss v. 06.10.2005
Az: 34 W (pat) 308/03


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