Hessisches Landessozialgericht:
Beschluss vom 27. Juni 2007
Aktenzeichen: L 4 B 152/07 KA

(Hessisches LSG: Beschluss v. 27.06.2007, Az.: L 4 B 152/07 KA)

Der Streitwert einer Bescheidungsklage in der Wirtschaftlichkeitsprüfung im Vertragsarztrecht folgt in der Regel aus der Hälfte der Honorarkürzung oder des Regressbetrages, soweit nicht ausnahmsweise aus der Klagebegründung oder anderen konkreten Umständen im Einzelfall zu entnehmen ist, dass das wirtschaftliche Ziel der Klage auf die völlige Beseitigung der Belastung gerichtet oder eine genauere Bestimmung des wirtschaftlichen Interesses des Klägers am Ausgang des Verfahrens möglich ist. In der Regel bestehen in diesen Fällen noch "genügende Anhaltspunkte" für die Bestimmung des Streitwertes nach § 52 Abs. 1 GKG, weshalb der Auffangstreitwert von 5.000,00 € nach § 52 Abs. 2 GKG regelmäßig nicht herangezogen werden muss (in Abgrenzung zu BSG, Urteil vom 23. Februar 2005, B 6 KA 72/03 R und LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. April 2002, L 10 B 5/02 KA).

Tenor

Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss desSozialgerichts Frankfurt am Main vom 27. März 2007 aufgehoben undder Streitwert auf 60.203,14 € festgesetzt.

Gründe

I.

In der Hauptsache stritten die Beteiligten vor dem Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main um die Rechtmäßigkeit von Arzneikostenregressen in Höhe von insgesamt 120.406,27 €, die der Beklagte gegenüber dem Kläger festgesetzt hatte.

Die am 25. Juli 2003 erhobene Klage, mit der der Kläger nicht nur die Aufhebung des belastenden Beschlusses des Beklagten sondern auch die Neubescheidung seines Widerspruchs beantragte, war damit begründet worden, der Beklagte habe Praxisbesonderheiten nicht genügend berücksichtigt.

Mit rechtskräftigem Urteil vom 9. November 2005 hat das SG die Klage als unbegründet abgewiesen und mit Beschluss vom 27. März 2007 den Streitwert auf 120.406,27 € festgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, trotz des aus prozessualen Gründen zweckmäßigen Bescheidungsantrags sei in Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung das wirtschaftliche Interesse des Vertragsarztes regelmäßig auf die völlige Beseitigung der "Honorarkürzungen" gerichtet, weshalb der Streitwert auch bei einem Bescheidungsantrag den vollen Kürzungsbetrag umfasse. Hierbei hat sich das SG insbesondere auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. Februar 2005 (B 6 KA 72/03 R) und den "Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit 2006" (NZS 2006, S. 350 ff., 356) bezogen.

Gegen den ihm am 30. März 2007 zugestellten Beschluss hat der Beklagte am 27. April 2007 Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat.

Er ist der Auffassung, nach ständiger Rechtsprechung des Hessischen Landessozialgerichts sei bei einer auf Neubescheidung gerichteten Klage im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung bei der Bemessung des Streitwertes nur von der Hälfte der festgesetzten Honorarkürzungen bzw. des festgesetzten Regresses auszugehen. Hiervon abzuweichen bestehe im vorliegenden Einzelfall keine Veranlassung.

Der Kläger tritt dem entgegen. Er ist der Auffassung, bei Bestimmung des Streitwertes sei von dem Betrag auszugehen, mit dem der Kläger durch den angefochtenen Beschluss des Beklagten belastet werde. Eine reine Anfechtungsklage sei mit dem Risiko einer teilweisen Klageabweisung verbunden.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, die Gegenstand der Beratung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist in der Sache begründet.

Der angegriffene Beschluss des SG Frankfurt am Main vom 27. März 2007 war aufzuheben und der Streitwert für das Klageverfahren wie geschehen mit der Hälfte der streitgegenständlichen Regressforderung des Beklagten festzusetzen.

Die endgültige Festsetzung des Streitwerts beruht im vorliegenden Falle auf § 197a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 63 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Danach ist unter anderem in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 GKG). Nur wenn der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet, ist ein Streitwert von 5.000,00 € anzunehmen (§ 52 Abs. 2 GKG).

Entscheidender Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Streitwerts ist somit zunächst der Antrag des Klägers, der auch prozessual den Streitgegenstand bestimmt, und aus dem sich auch die Bedeutung der Sache für ihn ergibt. Hingegen ist es zunächst unerheblich, welche Forderung der Beklagte gegen den Kläger erhoben hat, sofern diese nicht durch den Klageantrag zum Streitgegenstand erhoben wurde. Vorliegend hat der Kläger den Beschluss des Beklagten nicht in vollem Umfang angefochten, sondern die Neubescheidung seiner Widersprüche beantragt und damit, wie in Fällen der Wirtschaftlichkeitsprüfung häufig, zu erkennen gegeben, dass er teilweise mit einer Rechtmäßigkeit der Festsetzung von Regressen rechnet oder jedenfalls eine reine Anfechtungsklage nicht für aussichtsreich hält, wie er selbst mit seiner Beschwerdeerwiderung eingeräumt hat. Damit betrifft der Antrag des Klägers jedenfalls keine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt im Sinne des § 52 Abs. 3 GKG, denn aus dem Antrag lässt sich auch in Verbindung mit dem angefochtenen Beschluss des Beklagten keine bezifferte Geldleistung entnehmen. Aus der Klagebegründung ist darüber hinaus zu entnehmen, dass die Beschränkung auf eine Bescheidungsklage nicht nur formale Bedeutung hat und das wirtschaftliche Interesse des Klägers in Wahrheit auf die vollständige Beseitigung der Regressforderung gerichtet ist. Denn der Kläger selbst hat zur Begründung seiner Klage lediglich auf nach seiner Auffassung bestehende Praxisbesonderheiten verwiesen, ohne dass hieraus zu entnehmen ist, dass diese aus der Sicht des Klägers möglicherweise zu einer vollständigen Aufhebung des Regresses führen könnten oder sollten. Das wirtschaftliche Interesse des Klägers an der erstrebten Entscheidung und ihren Auswirkungen, das für die Streitwertfestsetzung maßgeblich ist (so zutreffend: BSG, Urteil vom 15. Juni 1998, B 6 RKa 40/96, noch zum Gegenstandswert nach BRAGO), ist daher auch nicht auf die vollständige Aufhebung der Regresse gerichtet gewesen, sonst hätte er dies durch einen entsprechenden Klageantrag oder zumindest aber durch eine dementsprechende Klagebegründung zum Ausdruck bringen müssen. Es entspricht auch dem Regelfall, dass das wirtschaftliche Interesse von Klägern in Fällen der Wirtschaftlichkeitsprüfung, sei es durch Honorarkürzung oder - wie hier - durch Festsetzung eines Regresses, gerade nicht auf die vollständige Aufhebung der Honorarkürzung oder des Regresses gerichtet ist, weil häufig nur Einzelfragen wie Praxisbesonderheiten oder kompensatorische Einsparungen, bei denen den Prüfgremien ein Ermessensspielraum zusteht, die Abrechnung einzelner Gebührenziffern, die gewählte Prüfmethode oder Verfahrensfragen streitig sind, die - selbst bei einer Neubescheidung - auch aus der Sicht des Klägers nur in einem geringen Umfang zur Reduzierung einer Honorarkürzung oder eines Regresses führen können. Die Beteiligten gehen bei einem Bescheidungsantrag im Rahmen solcher Verfahren daher in der Regel davon aus, dass zumindest ein Teil der Honorarkürzung oder der Regressforderung auch bei einer Neubescheidung bestehen bleibt. Obgleich sich das insoweit reduzierte wirtschaftliche Interesse in der Regel nicht genau beziffern lässt, kann im Rahmen des dem Gericht insoweit eingeräumten Ermessens, sofern sich für eine genauere Bestimmung keine Anhaltspunkte finden, von der Hälfte der Honorarkürzung bzw. des Regressbetrages ausgegangen werden. Insoweit bietet der Sach- und Streitstand jedenfalls im vorliegenden Fall und in der Regel wohl auch in vergleichbaren Fällen noch "genügende Anhaltspunkte" für die Bestimmung des Streitwertes, weshalb der Auffangstreitwert von 5.000,00 € (§ 52 Abs. 2 GKG) im vorliegenden Fall und wohl auch in vergleichbaren Fällen nicht heranzuziehen ist.

Neue Gesichtspunkte oder Argumente sind weder der Entscheidung des BSG vom 23. Februar 2005 (a.a.O.) noch dem "Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit 2006" (a.a.O.) zu entnehmen. Bei letzterem handelt es sich ohnehin nur um Empfehlungen, die aus der Rechtsprechung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit hergeleitet wurden und denen keinerlei verbindliche Wirkung zukommt. Die Entscheidung des BSG vom 23. Februar 2005 (a.a.O.) hat zur Überzeugung des Senats nur Einzelfallcharakter, denn dort bestand die Besonderheit, dass sich der Kläger erst zu einem späteren Zeitpunkt im Revisionsverfahren auf einen Bescheidungsantrag beschränkt hat. Auch der in der zuvor genannten Entscheidung des BSG genannten Literaturstelle (Wenner/Bernard, NZS 2003, 568, 572), die insoweit lediglich auf eine Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 17. April 2002, L 10 B 5/02 KA) verweist, sind keine zwingenden Sachargumente zu entnehmen. Der o.g. Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen ist zwar zuzustimmen, soweit danach maßgeblich nicht auf das Verfahrensergebnis, sondern auf das wirtschaftliche Ziel des Klagebegehrens abzustellen ist. Dieses ist aber in den genannten Fällen, wie bereits ausgeführt, in der Regel deutlich begrenzt. Weshalb der Bescheidungsantrag in der Wirtschaftlichkeitsprüfung in der Regel auf die völlige Beseitigung der Belastung gerichtet sein soll, erschließt sich dem Senat weder aus den Gründen der zuvor genannten Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen noch aus anderen Erkenntnisquellen, weshalb er bei seiner bisherigen Rechtsprechung verbleibt, wonach in der Regel bei Bescheidungsanträgen der Regress- bzw. Honorarkürzungsbetrag nur zur Hälfte in den Streitwert einfließt (so etwa Beschlüsse vom 5. Oktober 2005, L 4 B 79/05 KA und vom 15. November 2005, L 4 B 177/05 KA sowie Urteile vom 25. April 2007, L 4 KA 28/06 und vom 23. Mai 2007, L 4 KA 22/06, L 4 KA 25/06 und L 4 KA 31/06).

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).






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