Bundespatentgericht:
Beschluss vom 17. Februar 2004
Aktenzeichen: 8 W (pat) 39/01

(BPatG: Beschluss v. 17.02.2004, Az.: 8 W (pat) 39/01)

Tenor

Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluss der Patentabteilung 12 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 20. Juli 2001 aufgehoben.

Das Patent 198 31 208 wird in vollem Umfang aufrechterhalten.

Gründe

I Auf den Einspruch der S...AG hin hat die Patentabteilung 12 des Patentamts das am 4. Juli 1998 angemeldete Patent 198 31 208 betreffend ein "Schnellaufendes Getriebe mit Ölschmierung, insbesondere für gekapselte Bahnantriebe", dessen Erteilung am 6. Mai 1999 veröffentlicht worden war, mit Beschluss vom 20. Juli 2001, der (damals als Inhaberin eingetragenen) D... AG zu- gestellt am 8. August 2001, widerrufen.

Zum Stand der Technik waren im Prüfungs- und Einspruchsverfahren die folgenden Druckschriften in Betracht gezogen worden:

DE-Z: antriebstechnik 33 (1994) Nr 9, S 60 - 65;

DE-Z: antriebstechnik 32 (1993) Nr 3, S 79 - 84;

DE-Z: antriebstechnik 30 (1991) Nr 3, S 57 - 60;

EP 0 317 867 B1 DE 44 03 776 C2 EP 0 656 680 A1.

Gegen den Widerrufsbeschluss hat die D1... GmbH, auf die das Schutzrecht am 3. September 2001 in der Patentrolle umgeschrieben worden war, mit Schriftsatz vom selben Tage, bei Gericht eingegangen am 7. September 2001, Beschwerde eingelegt. Bereits mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 2. Mai 2001, ins Handelsregister eingetragen am 10. Mai 2001, hatte die Beschwerdeführerin in die nunmehr im Rubrum angeführte B... GmbH umfirmiert.

Die Patentinhaberin führt aus, dass der entgegengehaltene Stand der Technik einem Fachmann den Patentgegenstand nicht nahelegen könne, weil die Ölrückläufe entweder nicht in Unterdruckbereiche führten, wie im Falle des Standes der Technik nach der EP 0 317 867 B1, bzw abgesaugtes Öl nicht in das Getriebe zurückgeführt werde, wie dies beim Stand der Technik nach der DE 44 03 776 C2 der Fall sei, oder mit einem Überdruck gegenüber der Getriebeinnenseite gearbeitet werde, wie dies der Stand der Technik nach der EP 0 656 680 A1 zeige.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent 198 31 208 in vollem Umfang aufrechtzuerhalten.

Der Patentanspruch 1 lautet:

"Schnellaufendes Getriebe mit Ölschmierung, insbesondere für gekapselte Bahnantriebe, wobei Ölrückläufe aus den Labyrinthkammern berührungsfreier Wellendichtungen zur Ölwanne des Getriebekastens führen, dadurch gekennzeichnet, dass die Ölrückläufe (8, 15) in Gebieten (10) münden, in denen sich im laufenden Betrieb und unabhängig von der Drehrichtung des Getriebes selbständig ein relativer Unterdruck einstellt".

Wegen des Wortlauts der auf Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 7 und die auf eine Ölstandsanzeige für schnellaufende Getriebe gerichteten Ansprüche 8 und 9 wird auf die Akten verwiesen.

Die Einsprechende führt aus, dass durch den Stand der Technik nach der EP 0 317 867 B1 bereits eine Ölrücksaugung im Sinne des Patentgegenstandes vorweggenommen werde, gegenüber der das patentgemäße Getriebe lediglich noch eine optimierte Form der Ölrücksaugung darstelle. Diese prinzipielle Funktion sei indes für den Fachmann erkennbar gleich der, wie sie auch beim Gegenstand des angegriffenen Patents vorliege, denn der Bernoulli-Effekt stelle sich auch bei dem entgegengehaltenen Getriebe nach der EP 0 317 867 B2 ein, weil auch dort die Ölrückläufe im Abstand von der Nabe des großen Getriebezahnrades angeordnet seien. Die Wirkungsweise der Bernoulli- und Venturi-Effekte sowie deren technische Nutzung bei der Getriebeschmierung ist nach Auffassung der Einsprechenden auch aus der DE 44 03 776 C2 bekannt.

Die Einsprechende stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.

II Die zulässige Beschwerde ist begründet und in der Sache auch erfolgreich.

A. Die Beschwerdeberechtigung der B... GmbH begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Zwar war sie - entgegen der in § 74 Abs 1 PatG normierten Voraussetzung, wonach dieser Rechtsbehelf nur den am Verfahren vor dem Patentamt Beteiligten zusteht - in das patentamtliche Einspruchsverfahren nicht involviert. Für den (hier vorliegenden) Fall der Rechtsnachfolge in ein Schutzrecht bestimmt indes § 30 Abs 2 S 3 PatG, dass bis zur Umschreibung in der Rolle der eingetragene Inhaber nach Maßgabe des Patentgesetzes berechtigt und verpflichtet bleibt. Dem wird nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl Nachweise bei Busse, PatG, 6. Aufl, § 30 Rdnr 99 ff; Rauch, GRUR 2001, S 588 ff., 589 Fn. 1) entnommen, dass mit dem Zeitpunkt der Umschreibung die Berechtigung des früheren eingetragenen Inhabers endet und an seiner Stelle dem nunmehr eingetragenen Rechtsnachfolger das Beschwerderecht des § 74 Abs 1 PatG zusteht. Diesem Erfordernis ist hier genügt, insofern die D1... GmbH im Zeitpunkt der Erhebung ihrer Beschwerde durch Eintrag in die Rolle als Inhaberin nach § 30 Abs 2 S 3 PatG legitimiert war. Dabei ist unschädlich, dass sie zwischenzeitlich in "B... GmbH" umfirmiert hatte. Denn deren Identität mit der Beschwerdeführerin steht aufgrund des in der mündlichen Verhandlung überreichten Handelsregisterauszugs fest.

B. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 stellt eine patentfähige Erfindung iSd PatG § 1 bis § 5 dar.

1. Der zweifellos gewerblich anwendbare Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist neu.

Vom Stand der Technik nach der EP 0 317 867 B1, der DE 44 03 776 C2 sowie der EP 0 656 680 A1 unterscheidet sich der Gegenstand nach Patenanspruch 1 darin, dass die Ölrückläufe in Gebieten münden, in denen sich im laufenden Betrieb und unabhängig von der Drehrichtung des Getriebes selbständig ein relativer Unterdruck einstellt. Der Patentgegenstand unterscheidet sich in diesem Merkmal auch von den schnellaufenden Getrieben gemäß den DE-Zeitschriften "antriebstechnik" 33 (1994) Nr 9, S 60 - 65 bzw 32 (1993) Nr 3, S 79 - 84 bzw 30 (1991) Nr 3, S 57 - 60. Diese Druckschriften, auf die in der mündlichen Verhandlung nicht mehr eingegangen wurde, befassen sich allesamt lediglich mit der Ölverteilung und dem Aufbau unterschiedlicher Druckzonen in schnellaufenden Getrieben, jedoch nicht mit einer Ölrückführung in den Getriebekasten nach dem patentgemäßen Funktionsprinzip.

2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

2.1 Der Grundgedanke der patentgemäßen Rückführung von Schmieröl aus den Labyrinthkammern berührungsfreier Wellendichtungen schnellaufender Getriebe in die Ölwanne besteht darin, die in einem laufenden Getriebe mit Tauchschmierung ohnehin sich aufbauenden Zonen relativen Unterdrucks für die Rücksaugung des in die Labyrinthkammern der berührungsfreien Wellendichtungen gelangten Schmieröls zu nutzen. Nach der Lehre des Streitpatents wird dies gemäß Anspruch 1 dadurch gelöst, dass die Ölrückläufe in Gebieten münden, in denen sich im laufenden Betrieb und unabhängig von der Drehrichtung des Getriebes selbständig ein relativer Unterdruck einstellt.

Diese im Anspruch 1 genannten Gebiete liegen im Inneren des Getriebes und zwar im Bereich der untersten Zähne des Zahnrades (Sp 3, Z 15 bis 23 der Streitpatentschrift), wo sich durch den schnellen Lauf des großen Zahnrades nach dem Bernoulli-Effekt ein geringerer statischer Druck als im übrigen Fluidbereich einstellt (Sp 1, Z 62 ff.).

2.2. Der entgegengehaltene Stand der Technik vermochte einem Fachmann, einem Fachhochschulingenieur der Fachrichtung "Allgemeiner Maschinenbau" mit mehrjähriger Erfahrung in der Konstruktion schnellaufender Getriebe mit Tauchschmierung, keinerlei Anregungen zum Auffinden des der Lehre des Streitpatents nach Anspruch 1 innewohnenden Grundgedankens vermitteln.

Durch die EP 0 317 867 B1 ist zwar ein schnellaufendes Getriebe mit Ölschmierung bekannt geworden, bei dem ebenfalls Ölrückläufe aus den Labyrinthkammern berührungsfreier Wellendichtungen zur Ölwanne des Getriebekastens führen (S. 2, Z. 16 bis 23 und Z. 46 bis 48; Fig. 1, 2). Die Ölrückführung erfolgt indes nicht unter Ausnutzung von im Getriebe sich aufbauenden Zonen unterschiedlichen Drucks im Schmieröl. Vielmehr erfolgt die Ölrückführung "unabhängig von wechselnden Druckverhältnissen" (vgl. Anspruch 1, Z. 6, 7 und S. 2, Z. 52, 53 der Entgegenhaltung). Wie aus Fig 2 der Entgegenhaltung erkennbar, sind die Ölrückführungskanäle (17 E bzw 20 E) darüber hinaus derart ausgestaltet, dass sie eine siphonartige Abknickung in ihrem Verlauf aufweisen (17 E) bzw. zum Getriebekasten hin ansteigend angeordnet sind (20 E). Diese Maßnahmen dienen dazu, dass die in den entsprechenden Bereichen der Ölrücklaufkanäle sich sammelnde Flüssigkeit als Sperrflüssigkeit wirkt, dort verbleibt und damit eine Barriere für den sich im erwärmten Getriebe bildenden Öldunst darstellt (vgl Anspruch 1 und S. 2, Z. 57, 58 bis S. 3, Z. 9 der Entgegenhaltung). Erst weiteres aus den Labyrinthdichtungen sich sammelndes Öl wird als Überlauf in das Getriebegehäuse zurückgeführt. Zwar liegen die Auslässe (19) der Ölrücklaufkanäle (17 E, 20 E) - wie die Einsprechende insoweit richtig feststellt - im Abstand von der Welle (12) des Getriebes. Wie in Fig. 2 der Entgegenhaltung erkennbar ist, liegen diese Auslässe jedoch im mittleren und oberen, jedenfalls nicht im unteren Bereich des Getriebegehäuses, also nicht dort, wo nach dem patentgemäßen Funktionsprinzip (Bernoulli-Effekt) die stärkste Schleppströmung und damit der wirksamste relative statische Unterdruck zu erwarten wäre. Dies ist auch nicht Ziel der entgegengehaltenen Getriebekonstruktion, denn bei dieser sollen die Ölrückführungskanäle nicht vollkommen leer gesaugt werden, sondern sie sollen ihre abdichtende Wirkung gegenüber sonst austretendem Ölnebel durch Erhalt der Sperrflüssigkeit in den siphonartigen Strukturen der Rücklaufkanäle bewahren. Die Flüssigkeitsfüllung in den siphonartigen Strukturen soll nach der Lehre der Entgegenhaltung (Anspruch 1) unabhängig von wechselnden Druckverhältnissen beiderseits der Labyrinthdichtungen (17, 20) erhalten bleiben. Selbst wenn sich also im Bereich der Auslässe der Ölrücklaufkanäle noch ein - wie die Einsprechende vermutet - zumindest geringer relativer Unterdruck einstellen sollte, darf dieser nicht so stark sein, dass es zu einem Leersaugen der siphonartig ausgebildeten Ölrückführungskanäle kommt. Nach alledem vermag die entgegengehaltene Labyrinthdichtungsanordnung nach der EP 0 317 867 B1 einem Fachmann das eingangs dargelegte patentgemäße Funktionsprinzip nicht nahezulegen. Vielmehr wird der einschlägige Fachmann durch die Lehre der Entgegenhaltung, wonach eventuelle Druckunterschiede gerade keinen Einfluss auf die Systeme der Ölrückführung ausüben sollen, vom patentgemäßen Grundgedanken der Verwendung eines relativen statischen Unterdrucks zur Unterstützung der Ölrückführung in den Getriebekasten weggeführt.

Bei einem schnellaufenden Getriebe für Bahnfahrzeuge (Sp 2, Z 4 - 6) nach der DE 44 03 776 C2 wird das Öl aus den vorderen, d.h. dem Getriebegehäuse am nächsten liegenden Ringnuten (9), auf einem Weg über den Bereich des Lagers (3) durch den Ölrücklauf (8) wieder dem Getriebegehäuse zugeführt (vgl Ausführungsform nach Fig 1 und 4) und zwar ohne jede gezielte Aufbringung von Unterdruck. Insoweit ist der Gattungsbegriff des Anspruchs 1 gemäß Streitpatent auch durch diesen Stand der Technik erfüllt. Lediglich die letzte Ringkammer (12) der Labyrinthdichtung (4) ist ein sog. Entspannungsbereich. Öl, welches bis dorthin gelangt ist, wird nach Fig 1 und 3 über eine gesonderte Leitung (14, 13' bzw 13'') einem Ölfangbehälter (14) zugeleitet und zwar vermittels Unterdruck, der von einem diesem Sammelbehälter nachgeschalteten, durch den Fahrwind angetriebenen, sog Diffusor (18), das ist hier ein Venturirohr (vgl hierzu Fig 2), erzeugt wird. Nach alledem ist festzustellen, dass auch diese Entgegenhaltung einem Fachmann die Ölrückführung aus den Labyrinthkammern in das Getriebegehäuse vermittels eines sich im Betrieb des Getriebes dort im Ölsumpf stellenweise aufbauenden relativen Unterdrucks nicht nahezulegen vermag. Die Ölabführung aus dem sog. Entspannungsbereich (Labyrinthkammer 12) nach außen erfolgt zwar bei den Ausführungsbeispielen nach Fig. 1 und 3 durch Absaugung, jedoch hervorgerufen durch ein externes, außerhalb des Getriebekastens gelegenes, separates Bauteil (Venturirohr). Somit konnte auch ein derartiges externes Absaugsystem einem Fachmann keine Hinweise zum Auffinden der patentgemäßen Lehre nach Anspruch 1 vermitteln, die dahingeht, dass die Ölrückführung unter Ausnutzung der im Getriebekasten ohnehin vorhandenen und keine zusätzlichen Bauteile erfordernden Gebiete relativen Unterdrucks erfolgt.

Der erfindungsgemäße Grundgedanke kann auch durch die EP 0 656 680 A1 einem Fachmann nicht nahegelegt werden, weil hier das Öl in den Labyrinthkammern der Getriebekastendichtung durch den durch die Kühlgebläse (28, 30) für den Elektromotor (34) erzeugten Überdruck in das Getriebegehäuse zurückgetrieben wird (vgl Übersichtsdarstellung in Fig. 2). Im einzelnen wird dies so gelöst, dass ein Teil der unter relativem Überdruck stehenden Luft nach außen abgeleitet wird (vgl Auslass 218 in Fig 5), während ein anderer Teil des Luftstroms die Ölsammelleitung (127) in Richtung Getriebegehäuse (76) beaufschlagt (vgl Fig 6). Damit folgt diese Entgegenhaltung einem anderen Prinzip als der Patentgegenstand, nämlich dem wie es auch in der im Prüfungsverfahren bereits in Betracht gezogenen DE-Z.; antriebstechnik 30 (1991) Nr 3, S 57 - 60 (hier S. 60, mittl. Spalte, 6. Abs) beschrieben ist. Diese und die anderen bereits im Prüfungsverfahren berücksichtigten Artikel aus der Zeitschrift antriebstechnik 33 (1994) Nr 9, S 61 - 65 und 32 (1993) Nr 3 S 79 - 84, auf die in der mündlichen Verhandlung nicht mehr eingegangen wurde, befassen sich lediglich mit der Ölverteilung und der Erzeugung unterschiedlicher Druckzonen in schnellaufenden Getrieben, jedoch - wie bereits die Ausführungen zum Neuheitsvergleich gezeigt haben - ohne Bezug auf das patentgemäße Funktionsprinzip der Ölrückführung unter Ausnutzung im laufenden Getriebe bereits vorhandener relativer statischer Druckverhältnisse.

Nach alledem ergibt sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 für den Fachmann aus den im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen weder einzeln für sich noch in einer Zusammenschau betrachtet, auch nicht unter Hinzunahme seines allgemeinen Fachwissens.

Der Patentanspruch 1 hat daher Bestand.

Mit diesem haben auch die auf Anspruch 1 direkt oder indirekt rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 7 sowie die auf eine Ölstandsanzeige für schnellaufende Getriebe nach Anspruch 3 bzw. 8 gerichteten Ansprüche 8 und 9 Bestand.

Kowalski Dr. Huber Kuhn Hübner Cl






BPatG:
Beschluss v. 17.02.2004
Az: 8 W (pat) 39/01


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/8c0fce10caff/BPatG_Beschluss_vom_17-Februar-2004_Az_8-W-pat-39-01




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share