Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. Januar 2007
Aktenzeichen: 21 W (pat) 17/05

(BPatG: Beschluss v. 18.01.2007, Az.: 21 W (pat) 17/05)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I Die Prüfungsstelle für Klasse A 61 K des Deutschen Patent- und Markenamts hat die am 3. Oktober 2003 eingereichte Patentanmeldung mit der Bezeichnung "Verfahren und Vorrichtung zur passiven Gymnastik" durch Beschluss vom 10. Dezember 2004 zurückgewiesen. Der Zurückweisung lagen die mit Eingabe vom 25. November 2004 eingereichten Patentansprüche 1 bis 5 zugrunde.

Zur Begründung ist in der Entscheidung ausgeführt, dass dem Verfahren nach dem Anspruch 1 gegenüber dem Stand der Technik die erforderliche erfinderische Tätigkeit fehle.

Gegen den vorgenannten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Anmelders.

Nachdem der Anmelder durch Zwischenverfügung des Senats darauf hingewiesen worden war, dass die in den Verfahrensansprüchen angegebenen Verfahrensschritte ausschließlich der therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers dienen und daher gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 PatG dem Patentschutz nicht zugänglich sind, hat der Anmelder mitgeteilt, dass er zu der anberaumten mündlichen Verhandlung nicht erscheinen werde.

Er ist dann tatsächlich nicht erschienen, so dass sinngemäß der schriftliche Antrag vorliegt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent mit den mit Schriftsatz vom 21. April 2005 eingereichten Patentansprüchen 1 bis 4 und der noch anzupassenden Beschreibung zu erteilen (Hauptantrag), hilfsweise das Patent mit den im Schriftsatz vom 23. November 2006 eingereichten Patentansprüchen gemäß Hilfsanträgen 1 bis 4 und der noch anzupassenden Beschreibung zu erteilen.

Der mit einer Gliederung versehene geltende Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag (eingegangen am 22. April 2005) lautet:

M1 Verfahren zur passiven Gymnastik durch motorgetriebenes Bewegen eines auf einer Liege (mit oder ohne Lattenrost) angeordneten menschlichen Körpers, M2 wobei die Liege quer verlaufende Segmente mit Knickachsen entsprechend den menschlichen Gelenken zwischen den Bereichen Unterschenkel, Oberschenkel, Rücken und Kopf aufweist, dadurch gekennzeichnet, M3a dass eine Stauchbewegung des Körpers durch Herauffahren einzelner Segmente (1, 2, 3, 4) vorgenommen wird, M3b wobei die Knickachse zwischen dem Oberschenkel-Segment (1) und dem Rücken-Segment (2) unverändert bleibt M4 und wobei zuerst das Oberschenkel-Segment (1) in eine Schrägstellung hochgefahren wird, M5 dann die übrigen Segmente (2, 3), mit oder ohne Schrägstellung des Kopf-Segmentes (4) relativ zum Rücken-Segment (2) hochgefahren werden M6 und danach eine Streckbewegung des Körpers durch ein gegenläufiges Herabfahren einzelner Segmente (1, 2, 3, 4) vorgenommen wird M7 und der Vorgang gegebenenfalls wiederholt wird.

Die Ansprüche 1 nach den Hilfsanträgen beinhalten Modifikationen des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag, die alle den Disclaimer "ausgenommen für eine therapeutische Behandlung" enthalten.

Der Anmelder macht zu Haupt- und Hilfsanträgen unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundespatentgerichts "Knochenzellenpräparat" (s. u.) im Wesentlichen geltend, dass das beanspruchte Verfahren dem Endbenutzer einen Plan zur gesundheitsfördernden passiven Gymnastik an die Hand gebe, bei dem es sich um eine gesundheitsfördernde Maßnahme handle, die als solche vom Patentschutz nicht ausgenommen sei.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die Beschwerde des Anmelders ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt (§ 73 Abs. 1, Abs. 2 PatG). In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg und ist deshalb zurückzuweisen (§ 79 PatG).

1. Hauptantrag Wie vom Senat bereits in der Zwischenverfügung vom 19. September 2006 dargelegt, dient das in der Anmeldung offenbarte und beanspruchte Verfahren einzig der therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers und gilt als solches gemäß § 5 Abs 2 Satz 1 PatG als nicht gewerblich anwendbar und ist deshalb dem Patentschutz nicht zuführbar.

Zweck von § 5 Abs 2 Satz 1 PatG ist es, Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers als nicht gewerbliche Tätigkeit vom Patentschutz auszunehmen, um die Entscheidungsfreiheit des Arztes bei der Auswahl von Maßnahmen zur Beseitigung von Krankheiten oder von Untersuchungsmethoden zu deren Erkennung zu erhalten (so BGH GRUR 2001, 321, 323 - "Endoprotheseeinsatz").

Therapeutische Verfahren zur Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers sind Verfahren, die dem Schutz oder der Verbesserung des menschlichen oder tierischen Lebens dienen. Sie haben die Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit, die Linderung von Leiden, Schmerzen oder Beschwerden, die Beeinflussung von Funktionsstörungen oder Funktionsschwächen oder die Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit zum Ziel, wobei der Erfolg in der Gegenwart wie in der Zukunft liegen kann (vgl. Schulte PatG, 7. Aufl., § 5 Rdn. 31) und der Ausschluss der Patentierbarkeit sowohl eine vorbeugende als auch heilende Behandlung umfasst (vgl. Benkard PatG, 10. Aufl., § 5 Rdn. 29 m. w. H.). Dazu zählt auch die vorliegend beanspruchte "passive Gymnastik".

Aus den Ausführungen zur Aufgabenstellung in der Beschreibung (S. 1, Z. 27-33) geht hervor, dass mit dem anmeldungsgemäßen Verfahren eine Gesundheitsfürsorge und Prävention, eine Förderung der menschlichen Bewegungsabläufe, eine Vitalisierung der menschlichen Gelenke und auch eine Aktivierung der menschlichen Körperzellen erreicht werden sollen. Dem letzten Absatz auf Seite 4 folgend soll dabei durch die Dehnung eine verstärkte Bandscheiben-Quellung auftreten sowie eine Stimulierung der Zellerneuerung erreicht werden.

Diese beabsichtigten therapeutischen Wirkungen sollen mit dem Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Hauptantrag durch die in den Merkmalen [M3a] bis [M7] angegebene Aufeinanderfolge einzelner Verfahrensschritte erzielt werden. Diese Verfahrensschritte zum motorgetriebenen Bewegen eines auf einer Liege angeordneten menschlichen Körpers dienen ausschließlich therapeutischen Zwecken im Sinne der oben vorab aufgezeigten Definition.

Dem Vorbringen des Anmelders in seinem Schriftsatz vom 23. November 2006, wonach er entsprechend der Entscheidung "Knochenzellenpräparat" (BPatG GRUR 1996, 868, 869) das beanspruchte Verfahren ebenfalls für gewerblich anwendbar sieht, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Diese Entscheidung fußt u. a. auf der BGH - Entscheidung "Hydropyridin" (GRUR 1983, 729). Dieser Beschluss hatte eine Erfindung betreffend die Verwendung einer bekannten chemischen Substanz zur Behandlung einer bisher noch nicht mit dieser Substanz behandelten Krankheit zum Gegenstand. Die Erfindung wurde als gewerblich anwendbar erachtet, weil sie nicht allein ein Verfahren zur therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers beinhaltet, sondern darüber hinaus auch die zeitlich vorgelagerte, augenfällige Herrichtung der chemischen Substanz zur Behandlung der Krankheit umfasst (vgl. BGH GRUR 2001, 321, 323 - "Endoprotheseeinsatz"). Im Gegensatz dazu wird das anmeldungsgemäße Verfahren von seinem Beginn bis zu seinem Ende als therapeutisches Verfahren am menschlichen Körper ausgeübt, welches sich anders als bei einem Verwendungsanspruch ausschließlich im nichtgewerblichen Bereich vollzieht.

Während nach ständiger Rechtsprechung der Verwendungsanspruch im Hinblick auf die der therapeutischen Behandlung zeitlich vorgelagerte augenfällige Herrichtung der Sache für die beanspruchte Verwendung auch die gewerbliche Anwendung einschließt und deshalb § 5 Abs. 2 Satz 1 PatG nicht entgegenstehen soll (so BGH GRUR 1983, 729 - "Hydropyridin"; GRUR 2001, 321, 323 - "Endoprotheseeinsatz"; missverständlich zu Art. 52 Abs. 4 EPÜ; BGH PharmR 2007, 111, 14 - "Carvedilol II"; vgl. auch Schulte, PatG, 7. Aufl., § 1 Rdn. 262), erfasst der Schutzbereich des vorliegenden Verfahrensanspruchs die vorgelagerte gewerbliche Nutzung der sinnfälligen Herrichtung der Sache nicht (vgl. auch Schulte, PatG, 7. Aufl., § 5 Rdn. 24-25, § 1 Rdn. 187; § 14 Rdn. 87).

Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist daher ausnahmslos auf ein therapeutisches Verfahren gerichtet und deshalb nach § 5 Abs. 2 Satz 1 PatG nicht gewährbar, wobei es vorliegend im Hinblick auf den Gegenstand des Patentanspruchs und die Gesamtheit seiner auf eine therapeutische Behandlung abzielenden Merkmale auch nicht darauf ankommt, ob § 5 Abs. 2 uneingeschränkt zum Patentierungsauschluss führt (vgl. Schulte PatG, 7. Aufl., § 5 Rdn. 22 m. w. H) oder entsprechend § 1 Abs. 4 PatG zu verfahren ist, wenn nur einzelne Merkmale des Patentanspruchs unter die Ausschlussbestimmung des § 5 Abs. 2 Satz 1 PatG fallen (offengelassen in BGH PharmR 2007, 111 - "Carvedilol II").

2. Hilfsanträge 1 bis 4 Der in die Patentansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 4 aufgenommene Disclaimer "ausgenommen für eine therapeutische Behandlung" ist eine unzulässige Erweiterung des Gegenstandes der Anmeldung, § 38 PatG, da sich in den gesamten Anmeldeunterlagen keine Offenbarung des beanspruchten Verfahrens für eine Anwendung im außertherapeutischen Bereich findet.

Aus den gesamten ursprünglichen Anmeldungsunterlagen geht hervor, dass das anmeldungsgemäße Verfahren zur passiven Gymnastik ausschließlich der therapeutischen Behandlung des menschlichen Körpers im Sinne der oben dargelegten und durch die Rechtsprechung gefestigten Definition dient. Ein weiterer Einsatz des Verfahrens, der sich auf eine nicht im Therapeutischen liegende sportliche Betätigung, gegebenenfalls auf Bewegungs-Programme in Fitness-Studios erstrecken könnte, wie der Anmelder im Schriftsatz vom 23. November 2006 geltend gemacht hat, ist in den Anmeldungsunterlagen nicht offenbart.

Es bedarf vorliegend deshalb auch keiner Entscheidung, ob von der gewerblichen Anwendbarkeit nur solche therapeutischen Verfahren als ausgeschlossen gelten, welche ausschließlich der therapeutischen Behandlung des menschlichen und tierischen Körpers betreffen können (so BGH GRUR 1983, 729 - "Hydropyridin"; Benkard, PatG 10. Aufl., § 5 Rdn. 33) oder ob diese enge Auslegung des § 5 Abs. 2 Satz 1 PatG nicht gerechtfertigt ist, mithin auch solche Verfahren von der Ausnahmevorschrift erfasst werden, welche sich entweder nicht eindeutig von einem gewerblichen Anwendungsbereichs abgrenzen lassen (so Schulte PatG, 7. Aufl., § 5 Rdn. 21) oder welche alternativ eine Anwendung im gewerblichen oder nichtgewerblichen Bereich zulassen und nicht ausschließlich auf gewerbliche Anwendungsfälle ausgerichtet sind (so BGH GRUR 2001, 321, 323 - "Endoprotheseeinsatz"; Schulte PatG, 7. Aufl., § 5 Rdn. 21 und Rdn. 33; aA Busse, PatG, 6. Aufl. § 5 Rdn. 20), so dass ggf eine Beschränkung durch einen Disclaimer erforderlich ist (vgl Schulte PatG, 7. Aufl., § 5 Rdn. 21 und Rdn. 33). Denn eine alternative Anwendung im nichttherapeutischen Bereich kann vorliegend bereits mangels entsprechender Offenbarung in der Anmeldung nicht berücksichtigt werden.

3. Mangels gewährbarer Hauptansprüche ist auch den jeweiligen geltenden Unteransprüchen des Hauptantrages sowie der Hilfsanträge die Grundlage entzogen (vgl. BGH GRUR 1997, 120, Ls - "Elektrisches Speicherheizgerät"). Insoweit bedurfte es keiner gesonderten Erörterung der weiteren Patentansprüche.

4. Was den Schutz für Verfahren betrifft, die sich im bestimmungsgemäßen, durch die Bauart vorgegebenen Gebrauch eines patentierten medizinischen Gerätes erschöpfen, sei noch angemerkt, dass dies zur Folge hätte, dass dieser Gebrauch auch bei Vorrichtungen, im vorliegenden Falle einer Liege oder eines Lattenrostes, die mit Zustimmung des Patentinhabers in Verkehr gebracht worden sind, kraft eines Verfahrenspatentes verboten oder lizenzpflichtig gemacht werden könnte. Die im medizinischen Bereich bestehenden Freihaltungsinteressen würden hierdurch stärker beeinträchtigt als durch den für medizinisch benötigte Erzeugnisse zulässigen Patentschutz. Ein Verfahrensschutz, dem keine über die Bereitstellung eines Erzeugnisses hinausgehende erfinderische Leistung zugrunde liegt, sollte daher neben dem Schutz dieses Erzeugnisses jedenfalls im medizinischen Bereich nicht gewährt werden (vgl. Kraßer Patentrecht, 5. Auflage 2004, Seite 211).






BPatG:
Beschluss v. 18.01.2007
Az: 21 W (pat) 17/05


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