Verwaltungsgericht Augsburg:
Beschluss vom 25. Juli 2011
Aktenzeichen: Au 2 E 11.942

(VG Augsburg: Beschluss v. 25.07.2011, Az.: Au 2 E 11.942)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Streitgegenstandswert wird auf 7.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Wiederbestellung des Antragsstellers zum öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen im Kraftfahrzeugtechnik-Handwerk, Fachbereich Kraftfahrzeugmechanik, mit Wirkung ab dem 1. Juli 2011.

Der 62 Jahre alte Antragsteller ist seit 1996 öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger.

Im Jahr 2009 leitete die Staatsanwaltschaft € ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Untreue (§ 266 StGB) gegen ihn ein. Dem Antragsteller wurde vorgeworfen, er habe als Gesellschafter einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR) Vergütungen für Gutachten im eigenen Namen und nicht - wie der Gesellschaftsvertrag es vorsah - zugunsten der Gesellschaft abgerechnet. Dem Sachverhalt lag ein Streit über die Gewinnverteilung innerhalb der Gesellschafter der GbR zu Grunde. Kunden kamen nicht zu Schaden. Das Ermittlungsverfahren wurde gem. § 153a Abs. 1 StPO gegen Zahlung einer Geldauflage von 5.000 EUR eingestellt.

Daraufhin widerrief die Antragsgegnerin nach § 23 ihrer Sachverständigenordnung (SVO) i. V. m. Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG die bis 30. Juni 2011 befristete öffentliche Bestellung mit Bescheid vom 3. Februar 2010, gegen den am 2. März 2010 Klage erhoben wurde. Eine Entscheidung in diesem, unter dem Aktenzeichen Au 2 K 10.332 geführten Verfahren, liegt noch nicht vor.

Mit Schriftsatz vom 9. Mai 2011 stellte der Antragsteller einen Antrag auf Wiederbestellung als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger nach § 5 Abs. 3 SVO zum 1. Juli 2011. Nach einer weiteren Anhörung des Antragstellers lehnte die Antragsgegnerin den Antrag mit Bescheid vom 27. Juni 2011 ab und forderte den Antragssteller auf, bis spätestens 31. Juli 2011 Bestellungsurkunde, Ausweis und Rundstempel abzugeben. Am 4. Juli 2011 wurde gegen diesen Bescheid Klage erhoben.

Der Antragsteller beantragt mit Schriftsatz vom 4. Juli 2011 im Wege des vorläufigen Rechtschutzes:

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller vorläufig, bis zu einer Entscheidung über die mit Schriftsatz vom heutigen Tage erhobene Klage gegen die Versagung der Wiederbestellung des Antragsstellers zum öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen im Kraftfahrzeugtechnik-Handwerk, Fachbereich Kraftfahrzeugmechanik, mit Wirkung ab dem 1. Juli 2011, zu bestellen.

Er trägt vor, die ihm vorgeworfene Untreue betreffe nur Gutachten für zwei Großkunden. Die Antragsgegnerin gehe zu Unrecht von 38 Gutachten aus. Dies hätten die Mitgesellschafter des Antragstellers lediglich im Strafantrag behauptet, ohne dass die Staatsanwaltschaft es nachgewiesen hätte. Er ist der Meinung, dass sowohl ein Anordnungsgrund, als auch ein Anordnungsanspruch bestehe. Der Anordnungsgrund ergebe sich daraus, dass der Entzug der öffentlichen Bestellung und Vereidigung einen erheblichen Eingriff in das von ihm ausgeübte Tätigkeitsfeld darstelle, der im Extremfall existenzbedrohende Wirkung haben könne. Aktuell lägen vier Gutachtensaufträge vor, die er ohne die Bestellung nicht ausführen dürfe. Zudem entstünden ihm Kosten durch Änderung des Firmenlogos auf Briefpapier, Fahrzeug-Beklebungen, Visitenkarten, etc. Auch sei ihm ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache wegen seines hohen Alters nicht zuzumuten. Dies rechtfertige eine Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache. Der Anordnungsanspruch nach § 5 Abs. 3 SVO sei gegeben. Dem Antragsteller fehle die persönliche Eignung nicht, so dass er alle in § 2 SVO genannten Anforderungen erfülle. Bei dem von der Staatsanwaltschaft untersuchten Vorfall handle es sich um eine Straftat, die nicht im Zusammenhang mit der Sachverständigentätigkeit stehe und sich nur rein €innerbetrieblich€ ausgewirkt habe. Zudem spreche für ihn weiterhin die Unschuldsvermutung, da es zu keinem Strafurteil gekommen sei, sondern das Verfahren wegen geringer Schuld eingestellt wurde. Anhaltspunkte für ein künftiges Fehlverhalten lägen nicht vor; er sei zuvor über viele Jahre hinweg als zuverlässiger Sachverständiger tätig gewesen. Die Antragsgegnerin habe zudem fehlerhafte Ermessenserwägungen angestellt, da sie seine Interessen nicht hinreichend gewürdigt habe. Bereits der Widerruf der Bestellung sei unverhältnismäßig gewesen.

Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 15. Juli 2011,

den Antrag abzulehnen.

Sie trägt vor, es wären insgesamt 38 Gutachten von zwei Großkunden über drei Jahre hinweg (2005-2007) mit einem Gesamtschaden für die GbR in Höhe von 85.652,41 EUR falsch abgerechnet worden. Ein Anordnungsgrund sei nicht gegeben. Dem Antragsteller drohten keine unzumutbaren Nachteile, da er auch ohne öffentliche Bestellung und Vereidigung als Sachverständiger tätig sein könne. Von den vier Gutachtensaufträgen könne er mindestens drei ohne die Bestellung ausführen. Auch das Alter des Antragstellers begründe keinen Anordnungsgrund, da es ihm um die letztmalige Bestellung als Sachverständiger gehe und er danach sowieso ohne diese weiterarbeiten müsste. Das Risiko der Änderung des Firmenlogos auf dem Briefpapier und ähnliche Maßnahmen trüge der Sachverständige, die Kosten hierfür seien zudem überschaubar. Weiterhin ist die Antragsgegnerin der Ansicht, dass ein Anordnungsanspruch fehle, da der von der Staatsanwaltschaft ermittelte Sachverhalt Zweifel an der Eignung des Antragstellers begründe. Der Antragsteller habe über Jahre hinweg einen hohen Geldbetrag veruntreut. Die Straftat sei auch im Zusammenhang mit der Sachverständigentätigkeit des Antragstellers erfolgt und habe sich im Außenverhältnis ausgewirkt. Die bisherige Zuverlässigkeit des Antragstellers hindere nicht die spätere Entstehung von Zweifeln an ihr. Zwar ließe eine Beendigung des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens nach § 153a StPO die strafrechtliche Unschuldsvermutung bestehen, doch dürfe die Antragsgegnerin den Sachverhalt eigenständig würdigen. Sie habe die Interessen des Antragstellers gegen das öffentliche Interesse abgewogen und sei dann zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses gelangt. Die Versagung der erneuten öffentlichen Bestellung sei außerdem verhältnismäßig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der vorliegenden Gerichts- und Behördenakten, sowie die Akte im Verfahren Au 2 K 10.332 verwiesen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen.

1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sowie die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind dabei gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 924 ZPO glaubhaft zu machen.

Ob ein Anordnungsgrund besteht, kann dahingestellt bleiben, da es dem Antragsteller jedenfalls nicht gelungen ist, einen Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen. Bei summarischer Prüfung hat er keinen Anspruch auf die begehrte vorläufige Wiederbestellung als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger.

Nach § 5 Abs. 3 SVO hängt eine Wiederbestellung von den gleichen Voraussetzungen ab, wie eine Neubestellung nach § 2 SVO. Genügt der Sachverständige allen dort genannten Erfordernissen, dann hat er einen Anspruch auf die Bestellung. Der Antragsgegnerin steht insoweit kein Ermessen zu (VG Oldenburg vom 30. 04.2002 Az. 12 B 720/02 <juris> RdNr. 5; Tettinger in Tettinger/Wank, Gewerbeordnung, 7. Aufl. 2004, RdNr. 56 zu § 36; a. A. Honig/Knörr, Handwerksordnung, 4. Aufl. 2008, RdNr. 29 zu § 91, der jedoch nur Rechtsprechung bis 1975 zitiert, als § 36 GewO noch explizit eine Ermessensnorm war).

Eine Wiederbestellung des Antragstellers kann somit nur erfolgen, wenn er auch die gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 3 SVO erforderliche persönliche Eignung besitzt. Hierbei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der gerichtlich voll überprüfbar ist (BVerwG vom 24.06.1975 MDR 1976, 250; Beultge in Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, RdNr. 91 zu § 36; Tettinger, a. a. O., RdNr. 55 zu § 36). Ein Beurteilungs- und Prognosespielraum der Antragsgegnerin wäre nur dann anzunehmen, wenn der Gesetzgeber ausdrücklich oder dem Sinn und Zweck der Regelung nach die Beurteilung der Behörde als prinzipiell maßgeblich ansehen würde (Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, RdNr. 24 zu § 114). Davon kann hier nicht ausgegangen werden. Da es sich hauptsächlich um die Bewertung eines vergangenen oder gegenwärtigen Verhaltens und die Frage handelt, ob dieses Zweifel an zukünftigen Betätigungen begründen könne, liegt keine einen behördlichen Spielraum eröffnende Prognoseentscheidung vor (Tettinger a. a. O.).

Die persönliche Eignung des Sachverständigen ist dann gegeben, wenn er Gewähr für die Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Glaubwürdigkeit und für die Einhaltung der Pflichten eines öffentlich bestellten Sachverständigen bietet (vgl. Ziff. 2.2.3 der Richtlinien der Antragsgegnerin zur SVO vom 28.06.2005). Bereits Zweifel am Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen rechtfertigen die Ablehnung der Bestellung, sofern sie sich auf konkrete Tatsachen stützen (VG Bayreuth vom 17.09.1991 GewArch 1992, 104; Beultge, a. a. O., RdNr. 71 f. zu § 36; Bock in Bayerlein, Praxishandbuch Sachverständigenrecht, 4. Aufl. 2008, RdNr. 45 zu § 3). Strafrechtliche Verfehlungen können ganz besonders geeignet sein, Bedenken gegen die persönliche Eignung zu begründen, da von einem öffentlich bestellten Sachverständigen erwartet werden muss, dass er nicht erst vor den Grenzen der (Straf-)Gesetze halt macht, sondern sein Verhalten so ausrichtet, dass Zweifel an der Zulässigkeit seines Tuns gar nicht erst aufkommen (OVG NRW vom 14.10.1985 NJW 1987, 512). Zu verlangen ist allerdings, dass die Verwirklichung des Straftatbestandes entweder im Zusammenhang mit der Sachverständigentätigkeit erfolgt ist oder als so schwerwiegend eingestuft werden muss, dass das Ansehen des Sachverständigen in der Öffentlichkeit massiv geschädigt ist (NdsOVG vom 17.06.1991 Az. 8 L 35/89 <juris> RdNr. 10).

Das Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller wegen Untreue im Sinne des § 266 StGB ist hier geeignet, Bedenken gegen die persönlichen Eignung zu begründen, da die ihm zur Last gelegten Handlungen im Zusammenhang mit der Sachverständigentätigkeit erfolgt sind und Besonderheiten des Einzelfalls keine andere Beurteilung zulassen.

a) Zwar wurde das Ermittlungsverfahren nach § 153a StPO gegen Geldauflage eingestellt, sodass der Antragsteller nicht strafrechtlich verurteilt ist und die Unschuldsvermutung weiterhin für ihn spricht (BVerfG vom 16.01.1991 Az. 1 BvR 1326/90 <juris> RdNr. 19). Er hat jedoch die unzulässige Abrechnung von Gutachten für zwei Großkunden zu Lasten der Gesellschaft und der anderen Gesellschafter zugegeben. Insofern steht dieser Sachverhalt fest. Wie viele Gutachten genau falsch abgerechnet wurden und wie hoch der exakte Betrag des Schadens der GbR ist, ist nicht entscheidungserheblich. Auch eine geringere Anzahl an falsch abgerechneten Gutachten als 38 wäre geeignet, die Zuverlässigkeit des Antragstellers zu erschüttern. Dass es sich im vorliegenden Fall bei den Gutachtenkosten um Bagatellbeträge handelt, wurde nicht behauptet und wäre auch in Anbetracht der Höhe der Geldauflage sowie der Tatsache, dass die Gutachten für Großkunden erstellt wurden, wenig wahrscheinlich. Des Weiteren kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass eine Einstellung nach § 153a StPO eine geringe Schuld belegen würde, da die Norm umgekehrt lediglich das Fehlen einer schweren Schuld voraussetzt (Pfordte in Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 2. Aufl. 2011, RdNr. 7 zu § 153a StPO).

b) Der Untreuevorwurf wurde zudem im Zusammenhang mit der Sachverständigentätigkeit erhoben. Da ein öffentlich bestellter Gutachter gerade auch im finanziellen Bereich als absolut zuverlässig gelten muss, ist ein solcher Zusammenhang in der Regel dann anzunehmen, wenn dem Sachverständigen ein Vermögensdelikt zur Last gelegt wird (Beultge, a. a. O., RdNr. 77 zu § 36). Vorliegend wurden durch Erstellung von Gutachten erzielte Umsätze nicht an die Gesellschaft abgeführt, so dass ein Bezug zur Sachverständigentätigkeit auf der Hand liegt. Die Nennung von Bestechungsdelikten und Straftaten nach dem UWG in Ziff. 23.2 der Richtlinien der Antragsgegnerin zur SVO ist nur exemplarisch und keinesfalls abschließend, wie sich aus dem €u. a.€ im Einleitungssatz der Aufzählung ergibt. Ein Umkehrschluss dergestalt, dass - wenn diese Straftaten nicht vorliegen - ein Widerruf der Bestellung ausscheide und damit eine erneute Bestellung zu erfolgen habe, kann somit nicht gezogen werden.

c) Die Umstände des Einzelfalls können die Bedenken gegen die Eignung des Antragstellers nicht ausräumen. Dass die Untreue sich nur zu Lasten der Mitgesellschafter der GbR ausgewirkt hat und weder Kunden noch der Staat geschädigt wurden, ändert nichts an der Beurteilung, dass der Antragsteller versucht hat, sich rechtswidrig auf Kosten anderer zu bereichern. Auch die Tatsache, dass er jahrelang zuverlässig tätig war und es sich nur um einen einzigen zusammenhängenden Sachverhalt handelt, kann hier entstandene Eignungszweifel nicht entfallen lassen.

2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

3. Die Streitwertfestsetzung nach §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG orientiert sich an der wirtschaftlichen Bedeutung der öffentlichen Bestellung als Sachverständiger, die im Hauptsacheverfahren mit mindestens 15.000,-- EUR zu bewerten ist (BayVGH vom 17.04.2008 Az. 22 CE 08.592 <juris> RdNr. 17). Dieser Betrag ist für das Eilverfahren zu halbieren (vgl. auch Ziff. I. 5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, veröffentlicht in NVwZ 2004, 1327).






VG Augsburg:
Beschluss v. 25.07.2011
Az: Au 2 E 11.942


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