Bundespatentgericht:
Beschluss vom 22. Oktober 2009
Aktenzeichen: 21 W (pat) 12/06

(BPatG: Beschluss v. 22.10.2009, Az.: 21 W (pat) 12/06)

Tenor

1.

Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse A 61 M des Deutschen Patentund Markenamts vom 2. Dezember 2005 aufgehoben und das Verfahren zur weiteren Prüfung der Anmeldung auf der Basis der zu der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüche 1 bis 6 zurückverwiesen.

2.

Die Beschwerdegebühr wird zurückerstattet.

Gründe

I Die Prüfungsstelle für Klasse A 61 M des Deutschen Patentund Markenamts hat die am 20. April 2005 eingereichte Patentanmeldung mit der Bezeichnung "Verabreichungsgerät mit geschütztem Primer", für die die innere Priorität 10 2004 025 546.6 vom 25. Mai 2004 beansprucht ist, durch Beschluss vom 2. Dezember 2005 zurückgewiesen. Der Zurückweisung lagen die mit Schriftsatz vom 22. November 2005 eingereichten Patentansprüche 1 bis 7 zugrunde.

Zur Begründung ist in der Entscheidung ausgeführt, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber der Druckschrift D1 DE 698 14 265 T2 nicht neu sei.

Zu weiteren Einzelheiten wird auf die Amtsakte verwiesen.

Gegen den vorgenannten Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.

In der mündlichen Verhandlung wurde die weitere Druckschrift D2 WO 02/051476 A1 in das Verfahren eingeführt und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Der Vertreter der Beschwerdeführerin stellt daraufhin den Antrag, den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse A 61 M des Deutschen Patentund Markenamts vom 2. Dezember 2005 aufzuheben und das Patent DE 10 2004 546 mit den in der mündlichen Verhandlung vom 22. Oktober 2009 überreichten Patentansprüchen 1 bis 6, der Beschreibung, S. 1 und 1a, eingegangen bei Gericht am 10. Februar 2006, im Übrigen mit den Unterlagen gemäß Offenlegungsschrift, zu erteilen, und die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten.

Der geltende, mit Gliederungspunkten versehene Patentanspruch 1 lautet:

M1 Verabreichungsgerät, M1a insbesondere Injektionsgerät für die Verabreichung einer Substanz, M2 mit einem Oberflächenelement (20), das M2a eine Oberfläche (20a) des Verabreichungsgeräts (100) ausbildet und M2b eine Öffnung (21) aufweist: M3 mit einer Primingeinrichtung (40, 10) zum Primen des Verabreichungsgeräts, M4 wobei die Primingeinrichtung ein Betätigungselement (10)

aufweist, dessen Betätigung einen Primingvorgang bewirkt, dadurch gekennzeichnet, M5 dass das Betätigungselement (10) in der Öffnung (21) des Oberflächenelements (20) derartig vorgesehen ist, M6 dass die nach außen weisende Oberfläche des Betätigungselements mit der nach außen weisenden Oberfläche (20a)

des Oberflächenelements (20) abschließt oder M6a relativ zur Oberfläche (20a) des Oberflächenelements (20) in das Innere des Verabreichungsgeräts versenkt angeordnet ist, M7 bei welchem das Oberflächenelement ein Einstellring (20) zum Einstellen einer Verabreichungsdosis ist, M7a wobei der Einstellring (20) einen Aufnahmeraum (21) zum Aufnehmen des Betätigungselements (10) aufweist, M8 wobei das Betätigungselement (10) in Längsrichtung des Verabreichungsgeräts (100) nach Innen verschiebbar ist, während der Einstellring (20) in Längsrichtung nicht bezüglich des Gehäuses (30) verlagerbar ist.

Hinsichtlich der auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 6 sowie hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft sowie formund fristgerecht eingelegt (§ 73 Abs. 1 und 2 PatG). Die Beschwerde hat auch insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Anmeldung 10 2005 018 305.0 -nicht, wie versehentlich beantragt, der Anmeldung 10 2004 546 -an das Patentamt (§ 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 PatG) sowie zur Zurückzahlung der Beschwerdegebühr (§ 80 Abs. 3 PatG) führt.

1. Patentfähigkeita) Der geltende Patentanspruch 1 ist zulässig, da sein Gegenstand von den mit der Offenlegungsschrift übereinstimmende ursprünglichen Unterlagen gedeckt ist.

Der geltende Patentanspruch 1 umfasst die Merkmale [M1] bis [M6a] des ursprünglichen Anspruchs 1, wobei die Merkmale [M6] und [M6a] durch die Merkmale aus der ursprünglichen Beschreibung ergänzt worden sind, wonach die nach außen weisende Oberfläche des Betätigungselements mit der nach außen weisenden Oberfläche (20a) des Oberflächenelements (20) abschließt [M6] oder relativ zur Oberfläche (20a) des Oberflächenelements (20) in das Innere des Verabreichungsgeräts versenkt angeordnet ist [M6a] (vgl. Offenlegungsschrift, Absatz [0008]). Das Merkmal [M7] stützt sich auf den ursprünglichen Anspruch 6, das Merkmal [M7a] auf die Offenlegungsschrift, Absatz [0012] sowie das Merkmal [M8] auf den Absatz [0015].

Die geltenden Patentansprüche 2 bis 6 gründen inhaltlich in dieser Reihenfolge auf den ursprünglichen Patentansprüchen 2 bis 5 und 7, wobei Anspruch 2 durch das Merkmal aus der Beschreibung, wonach vor der nächsten Verabreichung noch kein Primingvorgang durchgeführt worden ist (Offenlegungsschrift, Absatz [0009] und Anspruch 4 durch das Merkmal, wonach das Betätigungselement (10) einen ringförmigen Fortsatz (11) aufweist, ergänzt worden sind (Offenlegungsschrift Absatz [0016]).

b) Dem Anmeldungsgegenstand liegt die Aufgabe zugrunde, eine versehentliche Betätigung des Betätigungselements und damit ein versehentliches Primen zu verhindern (vgl. Beschwerdeschriftsatz, eingegangen am 10. Februar 2006, Beschreibungsseite 1a, Absatz 2).

c) Gegenüber dem bisherigen in Betracht gezogenen Stand der Technik gemäß den Druckschriften D1 und D2 ist der zweifelsohne gewerblich anwendbare Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 neu und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns, der hier ein Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Medizintechnik ist, der sich mit der Konstruktion von Infusion/Injektionsgeräten befasst und über einschlägige Berufserfahrung verfügt.

Aus der Druckschrift D2 (vgl. insbesondere die Figuren 1 und 3) ist ein Verabreichungsgerät, insbesondere Injektionsgerät für die Verabreichung einer Substanz (injection device for injection of a medicament) [M1, M1a] bekannt, mit einem Oberflächenelement, das eine Oberfläche des Verabreichungsgeräts (main housing 4) ausbildet [M2, M2a] sowie mit einem Betätigungselement (dispense button 18), das in einer Öffnung des Oberflächenelements vorgesehen ist und mit dessen nach außen weisender Oberfläche abschließt (Seite 2, Zeile 18: "Preferably, when not depressed, the dispense button 18 is flush with the main housing 4") [M5, M6]. Von diesem Verabreichungsgerät unterscheidet sich der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 durch die Merkmale [M7, M7a, M8]. Ansonsten ist bei dem bekannten Verabreichungsgerät auch eine Ausführungsform vorgesehen, bei der die Betätigung des Betätigungselements (neben seiner Funktion zum Verabreichen einer Dosis) auch einen Primingvorgang bewirkt (Seite 6 Zeilen 1, 2: "In an alternative embodiment, the dose button 18 may function as both a prime button and the dose button") [M3, M4, M5].

Beim Stand der Technik ist jedoch nicht vorgesehen, das Oberflächenelement als Einstellring zum Einstellen einer Verabreichungsdosis mit einem Aufnahmeraum zum Aufnehmen des Betätigungselements zu gestalten, der in Längsrichtung des Gehäuses nicht verlagerbar ist, wie dies insoweit in den Merkmalen [M7, M7a, M8] des geltenden Patentanspruchs 1 beansprucht wird. Denn das Einstellen einer Verabreichungsdosis erfolgt bei dem bekannten Verabreichungsgerät mit auf einem Bedienfeld angeordneten Einstellknöpfen (Seite 2, Absatz 4: control panel region 8, first and second dose buttons 12, 14).

Eine zusätzliche Einstellmöglichkeit entsprechend dem Merkmal [M7] ist beim Stand der Technik weder vorgesehen, noch vermag er dem Fachmann Hinweise dahingehend zu vermitteln, den Einstellring gemäß den Merkmalen [M7a], [M8] zu gestalten.

Demzufolge ist der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 gegenüber dem aus D2 bekannten Stand der Technik nicht nur neu, sondern beruht demgegenüber auch auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns.

Der aus der Druckschrift D1 bekannte Injektionsstift liegt vom Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 weiter ab. Dementsprechend hat diese Druckschrift in der Verhandlung keine Rolle gespielt.

2. Zurückverweisung Das Verfahren ist jedoch noch nicht zur Entscheidung reif und die Anmeldung mit den geltenden Patentansprüchen 1 bis 6 zur weiteren Prüfung an das Patentamt zurückzuverweisen. § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG bestimmt, dass das Patentgericht die angefochtene Entscheidung aufheben kann, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Mängel, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen, beseitigt werden und eine neue Sachprüfung erforderlich ist. Danach kann die Anmeldung an das Patentamt zurückverwiesen werden, wenn die Patentfähigkeit noch nicht oder nicht ausreichend Gegenstand der Prüfung war (vgl. Busse, PatG, 6. Auflage, § 79 Rdn. 64 und 65; Schulte, PatG, 7. Auflage, § 79 Rdn. 19 bis 21, jeweils m. w. N.). Dies ist vorliegend der Fall.

Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 wird durch die Druckschrift D2 nicht patenthindernd getroffen, da dieser Stand der Technik, wie bereits erörtert wurde, in einer alternativen Ausgestaltung des Verabreichungsgerätes zwar ein in der Öffnung eines Oberflächenelements des Verabreichungsgerätes vorgesehenes Betätigungselement zum Primen aufweist, nicht jedoch ein als Einstellring zum Einstellen einer Verabreichungsdosis gestaltetes Oberflächenelement.

Da sich die Recherche bislang nicht auf alle im geltenden Patentanspruch 1 beanspruchten Merkmale bezogen hat, ist sie insoweit lediglich als vorläufig anzusehen. Es lässt sich nicht ausschließen, dass bei einer somit erforderlichen Nachrecherche bezüglich des geltenden Patentanspruchs 1 noch weiterer entscheidungserheblicher Stand der Technik ermittelt wird.

Aus diesem Grund ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Anmeldung an das Patentamt zurückzuverweisen.

3. Die Beschwerdegebühr ist zurückzuzahlen (§ 80 Abs. 3 PatG).

Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist immer dann billig, wenn bei ordnungsgemäßer und angemessener Sachbehandlung der Erlass eines Zurückweisungsbeschlusses nicht in Betracht gekommen wäre und damit eine Beschwerde und die Erhebung der Beschwerdegebühr hätte vermieden werden können.

Dies ist vorliegend gegeben, denn der Anmelder hat unter Angabe von Gründen den mit dem einzigen Prüfungsbescheid geäußerten Bedenken der Prüfungsstelle gegen das Patentbegehren widersprochen und zugleich die Anberaumung einer Anhörung beantragt. Bei einem solchen Verfahrensstand ist, auch wenn keine geänderten Patentansprüche vorgelegt werden, eine Anhörung in der Regel immer sachdienlich, denn sie kann das Verfahren fördern, indem der Anmelderin und dem Prüfer die Möglichkeit geboten ist, ihre gegensätzlichen Auffassungen ausführlich in Rede und Gegenrede zur erörtern und gegebenenfalls zu einem Einvernehmen bezüglich einer gewährbaren Anspruchsfassung zu gelangen (vgl. dazu die Entscheidung des Senats vom 28. April 2009 (21 W (pat) 41/05).

Im vorliegenden Fall leidet das Prüfungsverfahren angesichts der grundsätzlichen Sachdienlichkeit einer Anhörung an einem gravierenden Verfahrensfehler, der auch ursächlich für die Beschwerdeeinlegung war.

Dr. Morawek Baumgärtner Veit Bernhart Pü






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Az: 21 W (pat) 12/06


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