Landgericht Hamburg:
Urteil vom 21. August 2006
Aktenzeichen: 327 O 391/06

(LG Hamburg: Urteil v. 21.08.2006, Az.: 327 O 391/06)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Die Klägerin vertreibt Arzneimittel zur Bekämpfung von Flöhen und Zecken beim Hund und wirft der Beklagten vor, diese Arzneimittel ohne ordnungsgemäße Aushändigung an Tierhalter zu verkaufen und über ihre Website im Wege des Versandhandels anzubieten. Das Landgericht Hamburg hat entschieden, dass die Beklagte dazu verurteilt wird, dies zu unterlassen. Das Gericht begründet seine Entscheidung damit, dass die Beklagte gegen § 43 Abs. 5 des Arzneimittelgesetzes (AMG) verstößt, der den Versandhandel mit apothekenpflichtigen Tierarzneimitteln regelt. Das Versandverbot dient dem Schutz der Gesundheit der Tierhalter und ihrer Tiere sowie dem Schutz des Eigentums der Tierhalter. Das Gericht stellt fest, dass die Klägerin als Mitbewerberin der Beklagten einen Anspruch auf Unterlassung hat. Es besteht eine Wiederholungsgefahr, da die Beklagte ihre Verstöße fortgesetzt hat und sich nicht zur Abgabe einer Unterlassungserklärung bereit erklärt hat. Der Unterlassungsanspruch ist nicht verjährt, da das Verkaufen und Anbieten der Ware über eine Website als Dauerhandlung anzusehen ist. Die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs ist auch nicht rechtsmissbräuchlich. Das Gericht verurteilt die Beklagte außerdem dazu, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, unter bestimmten Sicherheitsleistungen. Die Beklagte kann gegen das Urteil Berufung einlegen.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

LG Hamburg: Urteil v. 21.08.2006, Az: 327 O 391/06


Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu unterlassen,

1. Arzneimittel, die der Bekämpfung von Flöhen und/oder Zecken beim Hund dienen, die nicht für den Verkehr außerhalb der Apotheken freigegeben sind, insbesondere das Tierarzneimittel E. an den Tierhalter oder an andere in § 47 Abs. 1 AMG nicht genannte Personen zu verkaufen und/oder verkaufen zu lassen, ohne dass das Arzneimittel in der Apotheke der Beklagten oder durch einen Tierarzt ausgehändigt wird,

und/oder

2. Arzneimittel, die der Bekämpfung von Flöhen und/oder Zecken beim Hund dienen, die nicht für den Verkehr außerhalb der Apotheken freigegeben sind, insbesondere das TierarzneimittelE.gegenüber dem Tierhalter oder gegenüber anderen in § 47 Abs. 1 AMG nicht genannten Personen zum Versendungskauf anzubieten und/oder anbieten zu lassen, insbesondere wie dies auf der Website www.m..de geschieht.

Ausgenommen von dem Verbot sind der Verkauf und Versand von Fütterungsarzneimitteln sowie solche Handlungen, die der Lieferung von Tierarzneimitteln nach § 24 Apothekenverordnung dienen (Sammelstellen).

II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits nach einem Streitwert von 200.000,00 EUR zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, aus Ziffer I. jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 200.000,00 EUR sowie aus Ziffer II. nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit des Versands von Tierarzneimittelprodukten durch die Beklagte. Die Klägerin vertreibt in Deutschland insbesondere das Arzneimittel E. mit dem Wirkstoff Permethrin, das zur Bekämpfung von Flöhen und Zecken beim Hund zugelassen ist. Das Arzneimittel wird von ihr an den Großhandel sowie an Tierärzte und Apotheken verkauft, die es an Tierhalter weiterverkaufen. Es ist nicht verschreibungspflichtig und wird von der Klägerin auch gegenüber Tierhaltern beworben.

Die Beklagte vertreibt als eine der größten deutschen Versandapotheken über ihre Website www.m..de unter anderem Tierarzneimittel. Sie verfügt über eine Erlaubnis zum Versand apothekenpflichtiger Arzneimitteln nach §§ 11a ApoG, 43 Abs. 1 AMG. Die Beklagte bietet seit 2004 insbesondere auch das Arzneimittel E. sowie weitere Arzneimittel zur Behandlung von Parasiten beim Hund, wie etwa das verschreibungspflichtige Mittel A.40 Hund oder A.-Spot on Hund, online im Wege des Versendungskaufs zum Kauf an und verkauft sie auf diese Weise an Endabnehmer.

Die Klägerin mahnte die Beklagte mit Schreiben vom 27.4.2006 und 3.5.2006 (Anlage K 6) ab und forderte sie zur Abgabe einer Unterlassungserklärung auf, was diese mit Schreiben vom 9.5.2006 ablehnte (Anlage K 7).

Die Klägerin behauptet, im Dezember 2005 von dem Online-Vertrieb des Arzneimittel E. durch die Beklagte sowie von dem Verkauf zur Verwendung bei Katzen erfahren zu haben. Die Klägerin ist der Ansicht, sie könne die Beklagte als Mitbewerberin auf Unterlassung in Anspruch nehmen, da diese gegen § 43 Abs. 5 AMG verstoße, der ein Versandverbot für apothekenpflichtige Tierarzneimittel mit Ausnahme von Fütterungsarzneimitteln enthalte.

Die Klägerin beantragt

die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens EUR 250.000; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu unterlassen,

Arzneimittel, die der Bekämpfung von Flöhen und/oder Zecken beim Hund dienen, die nicht für den Verkehr außerhalb der Apotheken freigegeben sind, insbesondere das Tierarzneimittel E. an den Tierhalter oder an andere in § 47 Abs. 1 AMG nicht genannte Personen zu verkaufen und/oder verkaufen zu lassen, ohne dass das Arzneimittel in der Apotheke der Beklagten oder durch einen Tierarzt ausgehändigt wird,

und/oder

Arzneimittel, die der Bekämpfung von Flöhen und/oder Zecken beim Hund dienen, die nicht für den Verkehr außerhalb der Apotheken freigegeben sind, insbesondere das Tierarzneimittel E. gegenüber dem Tierhalter oder gegenüber anderen in § 47 Abs. 1 AMG nicht genannten Personen zum Versendungskauf anzubieten und/oder anbieten zu lassen,

insbesondere wie dies auf der Website www.m..de geschieht.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, die Klägerin nehme sie nur in Anspruch, um einen Preiswettbewerb zwischen Tierärzten und Apothekern zu vermeiden. Ferner erhebt sie die Einrede der Verjährung. Die Beklagte ist der Ansicht, der Klagantrag sei zu weit und unbestimmt. Auch bestehe zwischen den Parteien kein Wettbewerbsverhältnis. § 43 Abs. 5 AMG sei keine gesetzliche Vorschrift i. S. d. § 4 Nr. 11 UWG. Zudem sei die Inanspruchnahme durch die Klägerin missbräuchlich. Vor allem aber sei § 43 Abs. 5 AMG im Hinblick auf Art. 12 GG dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass er einen Versandvertrieb von apothekenpflichtigen Tierarzneimitteln nicht untersage.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien wir ergänzend auf den Akteninhalt verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

Streitgegenstand ist nach dem Klagantrag ein Anspruch auf Unterlassung des Versands von Tierarzneimitteln und des dem Versand vorangehenden Verkaufs der Tierarzneimittel, jedoch mit Ausnahme von Fütterungsarzneimitteln. Letzteres ist im Tenor des ausgesprochenen Verbots zur Klarstellung ausdrücklich hervorgehoben.

Zwar umfasst der Wortlaut des Antrags möglicherweise auch Fütterungsarzneimittel. Aus § 4 Abs. 10 AMG ergibt sich, dass auch Fütterungsarzneimittel Arzneimittel i. S. d. § 2 AMG sind. Aus der

Anspruchsbegründung der Klägerin, auf die das Gericht zur Auslegung des Klagantrags zurückgreifen muss (BGH, NJW 1975, 2013, 2014), insbesondere aus dem Schriftsatz der Klägerin vom 21.7.2006, ergibt sich indes eindeutig, dass die Klägerin ihr Unterlassungsbegehren nicht auf Fütterungsarzneimittel erstreckt. Das ist vor dem Hintergrund der Regelung des § 43 Abs. 5 Satz 2 AMG auch nahe liegend.

Die so verstandene Klage ist zulässig und begründet.

II.

1. Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Hamburg ist nach § 13 Abs. 1 S. 1 UWG sachlich zuständig. Dem steht der Umstand, dass zwischen den Parteien das Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses streitig ist, nicht entgegen. Es gilt der Grundsatz, dass Tatsachen, die wie hier sowohl für die Zulässigkeit als auch für die Begründetheit einer Klage notwendigerweise erheblich sind (so genannte doppelrelevante Tatsachen), erst bei Prüfung der Begründetheit festgestellt werden (siehe nur BGH, NJW 1994, 1413).

Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 14 Abs. 2 UWG, da die Handlungen, gegen die sich die Klägerin wendet, auch in Hamburg begangen worden sind. Das Internetangebot der Beklagten wird bestimmungsgemäß auch im Gerichtsbezirk des angerufenen Gerichts verbreitet.

2. Der Klagantrag (vgl. oben Ziff. I.) ist hinreichend bestimmt. Vor allem bestehen keine Bedenken gegen den von der Klägerin verwendeten so genannten "insbesondere"-Zusatz (ausführlich Jestaedt , in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozeß, § 22 Rn. 28). Dieser birgt keine Unklarheit für die Beklagte hinsichtlich der Handlungen, die sie unterlassen soll. Er ist nicht Teil des Streitgegenstands. Der Zusatz soll nur den Kern des wettbewerbswidrigen Verhaltens der Beklagten verdeutlichen und enthält weder eine Einschränkung noch eine Erweiterung des Antrags (BGH, GRUR 1991, 772, 773 - Anzeigenrubrik I).

III.

Die Klage ist begründet. Der Klägerin steht in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang ein Anspruch auf Unterlassung nach §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 UWG i. V. m. § 43 Abs. 5 AMG zu. Die Beklagte verstößt als Mitbewerberin der Klägerin durch das Anbieten und den Verkauf von Tierarzneimitteln im Wege des Versendungskaufs gegen § 43 Abs. 5 AMG, der nach § 4 Nr. 11 UWG auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.

1. Die Klägerin ist Mitbewerberin der Beklagte nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG und kann damit die Beklagte nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG auf Unterlassung in Anspruch nehmen. Zwischen den Parteien besteht ein konkretes Wettbewerbsverhältnis als Anbieter von Waren.

Ein solches liegt vor, wenn zwischen den Vorteilen, die jemand durch eine Maßnahme für sein Unternehmen oder das eines Dritten zu erreichen sucht, und den Nachteilen, die ein anderer dadurch erleidet, eine Wechselbeziehung in dem Sinne besteht, dass der eigene Wettbewerb gefördert und der fremde Wettbewerb beeinträchtigt werden kann. (st. Rechtspr., vgl. etwa BGH, GRUR 1997, 907, 908 - Emil-Grünbär-Klub). Eine solche Wechselwirkung kann sich nicht nur zwischen Unternehmen derselben Marktstufe ergeben. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch Unternehmen - ungeachtet der unterschiedlichen Absatzstufen, auf denen sie tätig sind - miteinander im Wettbewerb stehen können, wenn sie identische Waren jedenfalls mittelbar innerhalb derselben Endverbraucherkreise abzusetzen versuchen (BGH, GRUR 2001, 448 - Kontrollnummernbeseitigung II; BGH, GRUR 1999, 1122, 1123 - EG-Neuwagen I; BGH, GRUR 1999, 69, 70 - Preisvergleichsliste II; BGH, GRUR 1989, 110, 111 - Synthesizer; BGH, GRUR 1989, 673 - Zahnpasta; BGH, GRUR 1993, 563, 564 - Neu nach Umbau; BGH, GRUR 1988, 826, 827 - Entfernung von Kontrollnummern II; BGH, GRUR 1986, 618, 620 - Vorsatz-Fensterflügel; BGH, GRUR 1984, 204 - Verkauf unter Einstandspreis II; BGH, GRUR 1983, 582, 583 - Tonbandgerät; BGH, GRUR 1962, 426 - Selbstbedienungsgroßhändler; BGH, GRUR 1957, 342, 347 - Underberg; BGH, GRUR 1955, 598, 600 - Werbe-Idee). Auch der Gesetzgeber geht bei Unternehmern auf verschiedenen Absatzstufen von der Möglichkeit eines Wettbewerbsverhältnisses aus (BT-Drucks. 15/1487, S. 16). Vorliegend richten sich die Aktivitäten der Parteien - die der Beklagte unmittelbar, die der Klägerin mittelbar - an denselben Endverbraucherkreis. Sowohl die Klägerin als auch die Beklagte versuchen unter anderem bei Tierhaltern als Endverbrauchern Arzneimittel abzusetzen, die der Bekämpfung von Parasiten beim Hund dienen. Auf eine darüber hinaus bestehende wesentliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs auf dem fraglichen Markt kommt es deshalb nicht mehr an, da bereits ein konkretes Wettbewerbsverhältnis vorliegt (BGH, GRUR 1999, 1122, 1123 - EG-Neuwagen I).

2. Der Verkauf der bezeichneten Tierarzneimittel an die bezeichneten Personen ohne Aushändigung der Mittel in den Apothekenräumen der Beklagten bzw. durch einen Tierarzt sowie das Anbieten der Mittel im Wege des Versendungskaufs gegenüber diesen Personen verstößt gegen § 43 Abs. 5 AMG.

a) Das steht zwischen den Parteien abgesehen von der Frage der Verfassungsgemäßheit der Norm sowie ihres Wettbewerbsbezugs (s.u.) zu Recht auch nicht im Streit. Insbesondere dient auch der der Antragsgegnerin zu Ziff. I.1. verbotene Verkauf von Tierarzneimitteln ohne die dort beschriebenen Modalitäten der Aushändigung der Mittel der Vorbereitung des unzulässigen Versands von Tierarzneimitteln und dessen Durchführung. Zwar führt das Verkaufen und Anbieten auf diese Weise nicht zwingend dazu, dass die so verkauften und angebotenen Tierarzneimittel auch versendet werden. Wenn aber Arzneimittel ohne die streitigen Modalitäten der Aushändigung des Mittels in einer Apotheke oder durch einen Tierarzt angeboten und verkauft werden, ist es faktisch unausweichlich, dass die Beklagte gegen § 43 Abs. 5 AMG verstößt, indem sie bestellte Ware - wie vorgesehen - versendet. Hierzu hat sie sich dann gegenüber dem Kunden vertraglich verpflichtet.

b) § 43 Abs. 5 AMG verstößt weder gegen Art. 12 Abs. 1 GG noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Kammer folgt hierin der Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz vom 30.1.2006, Az.: 6 A 11097/05, Rn. 15 ff.).

Ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG kommt nicht in Betracht. Ein Versandverbot greift zwar in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ein, da es jedenfalls die Berufsausübung regelt. Aber dieser Eingriff ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Insbesondere ist das Versandverbot verhältnismäßig. Es bezweckt, wie angeführt, den Schutz der Gesundheit des Tierhalters bzw. seiner Umgebung und seines Eigentums sowie den Tierschutz. Auch das BVerfG hat die Bedeutung einer persönlichen Beratung durch den Apotheker für den Gesundheitsschutz hervorgehoben, soweit Arzneimittel ohne ärztliche Beratung abgegeben werden (BVerfG, NJW 2003, 1027, 1029). Vor diesem Hintergrund ist eine Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit hinzunehmen.

Dadurch, dass der Gesetzgeber im Bereich der Humanarzneimittel das Versandverbot vor allem mit §§ 11a ApoG, 43 Abs. 1 AMG liberalisiert hat, ergibt sich keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG. Dies stellt keine willkürliche Ungleichbehandlung dieser beiden Gruppen von Arzneimitteln dar. Wie bereits das OVG Rheinland-Pfalz (ebenda) überzeugend dargelegt hat, besteht ein anerkennenswerter sachlicher Grund für die unterschiedliche gesetzliche Regelung des Medikamentenversands. Ein vernünftiger, auf das eigene Wohlergehen bedachter Mensch wird bei der Einnahme nicht verordneter Medikamente jede mögliche Sorgfalt walten lassen, um eine falsche, unwirksame oder gefährliche Behandlung, Überdosierungen, Unverträglichkeiten oder Nebenwirkungen zu vermeiden. Bei Tierhaltern besteht die Gefahr, dass diese Arzneimittel weniger sorgfältig verabreichen und damit vermeidbare Gefahren für sich und das Tier heraufbeschwören. Dieses Risiko ist beim Versandhandel mit apothekenpflichtigen Tierarzneimitteln, die nicht von einem Tierarzt verordnet sind, größer als beim Erwerb solcher Medikamente in der Apotheke. Die unsachgemäße Handhabung von Tierarzneimitteln erweist sich vor diesem Hintergrund auch deshalb als besonders gefährlich, weil bei der Zulassung von Tierarzneimitteln und der Prüfung der Verschreibungspflichtigkeit mit Blick auf die Anwendung allein beim Tier geringere Sicherheitsanforderungen bestehen als dies bei Humanarzneimitteln der Fall ist. Das zeigt sich gerade auch daran, dass das Arzneimittel E. bei unsachgemäßer Anwendung an etwa Katzen zu erheblichen Gesundheitsschäden bei der Katze bis hin zu deren Tod führen kann.

Soweit die Beklagte demgegenüber Umstände vorbringt, nach denen sich die beschriebenen Gefahren auch unter den in § 43 Abs. 5 AMG vorgesehenen Vertriebsbedingungen verwirklichen könnten, setzt sie ihre Einschätzung von dem Nutzen entsprechender Vertriebswege derjenigen des Gesetzgebers entgegen. Dass letztere indes völlig fern liegend und deshalb bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Norm außer Betracht zu lassen wäre, ist nicht erkennbar.

Probleme eines etwaigen Verstoßes gegen die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 28 EG (siehe nur EuGH, EuZW 2004, 21 - Doc Morris) stellen sich im Streitfall nicht. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nach den Grundsätzen einer so genannten Inländerdiskriminierung vor. Zwar unterlägen bei einer - unterstellten - Europarechtswidrigkeit des § 43 Abs. 5 AMG Versandapotheker aus anderen Mitgliedstaaten nicht dem Versandverbot des § 43 Abs. 5 AMG. Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistet indes keine unbedingte Gleichbehandlung von deutschen und ausländischen Anbietern. Insoweit fehlt es bereits an vergleichbaren Sachverhalten. Es ist dem nationalen Gesetzgeber unbenommen, solche Sachverhalte in unterschiedlicher Weise zu regeln (BFH, DStR 2005, 1564, 1565 f.; BVerwG, Urteil vom 13.12.2001, Az.: 5 C 13/01, Rn. 19; BSG, Urteil vom 5.2.2003, Az.: B 6 KA 42/02 R, Rn. 26; offen gelassen BVerfG, NJW 1990, 1033).

3. § 43 Abs. 5 AMG erweist sich als wettbewerbsbezogene Norm i.S. des § 4 Nr. 11 UWG.

Ein Vorsprung durch Rechtsbruch kommt nach § 4 Nr. 11 UWG nur dann in Betracht, wenn der verletzten Norm zumindest eine sekundäre Schutzfunktion zugunsten des Wettbewerbs zukommt (BT-Drucks. 15/1487, S. 19). Dies ist hier der Fall.

a) § 43 Abs. 5 AMG ist entgegen der Ansicht der Beklagten keine Marktzutrittsregel, die den Schutz des lauteren Wettbewerbs nicht berührt und daher die Voraussetzungen des § 4 Nr. 11 UWG nicht erfüllen würde (BGH, GRUR 2002, 825, 826 - Elektroarbeiten). Die Vorschrift soll nicht etwa Versandapotheker ohne Rücksicht auf ihr Marktverhalten vom Markt der Tierarzneimittel fernhalten. Schon bisher wurden Versandverbote von Arzneimitteln an Endverbraucher von der Rechtsprechung nicht als Marktzutrittsregeln qualifiziert (vgl. BGH, GRUR 2001, 178, 181 - Impfstoffversand an Ärzte; KG GRUR-RR 2001, 244, 249; OLG Frankfurt/M, GRUR-RR 2001, 250). Hieran ändert sich auch nicht durch die Entscheidung des BVerfG zum Verbot eines Versandes an Ärzte (NJW 2003, 1027). Dort stellte das BVerfG lediglich klar, dass ein Versandverbot an Ärzte die Marktteilnehmer nicht schützt (BVerfG, a. a. O.), erkennt aber dann, dass Versandverbote an Verbraucher durchaus dem Gesundheitsschutz dienen (BVerfG, a. a. O. 1029)

b) Das in § 43 Abs. 5 AMG enthaltene Versandverbot dient jedenfalls dem Schutz des Verbrauchers als Markteilnehmer (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG) vor unsachgemäßer Beratung beim Erwerb vom Tierarzneimitteln in zweifacher Weise. Zum einen schützt es die Gesundheit des Verbrauchers. Die Kammer folgt auch insoweit der im Verfahren vorgelegten Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz vom 30.1.2006 (Az.: 6 A 11097/05, Rn. 17 f.). Die Beratung vor Ort, die § 43 Abs. 5 AMG bezweckt, dass das Tierarzneimittel, mit dem der Tierhalter oder seine Umgebung etwa bei der Verabreichung in Berührung kommen kann, sachgerecht und für ihn und seine Umgebung sicher angewendet wird. Zum anderen schützt das Versandverbot auch das Eigentum des Tierhalters. Zwar ist das Tier, dessen Gesundheitsschutz § 43 Abs. 5 AMG freilich auch bezweckt, kein Marktteilnehmer. Aber marktverhaltensbezogene Vorschriften zum Schutz der Gesundheit des Tieres sind zugleich Regeln zum Eigentumsschutz des Tierhalters als Endverbrauchers. Das Tier als sachenähnliches Objekt (§ 90a S. 3 BGB) unterfällt dem Eigentumsschutz seines Halters, soweit dieser Eigentümer des Tieres ist.

Schließlich ändert auch die Liberalisierung der Vorschriften über den Versand von Arzneimitteln durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (BGBl. 2003 I 2190) aus dem Jahr 2003 nichts an der Schutzfunktion des § 43 Abs. 5 AMG zugunsten des Wettbewerbs ( von Jagow , in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 2004, § 4 Nr. 11 UWG Rn. 64). Durch diese Liberalisierung, von der auch die Beklagte über §§ 11a ApoG, 43 Abs. 1 AMG profitiert, hat der Gesetzgeber den verbleibenden Versandverboten keinen anderen Schutzcharakter geben wollen, sondern hat diese in ihrer bisherigen Form aufrechterhalten.

4. Die weiteren Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs nach § 8 Abs. 1 UWG liegen vor. Insbesondere ist eine Wiederholungsgefahr gegeben, da die Beklagte ihre Verstöße gegen § 43 Abs. 5 AMG bis heute fortsetzt und sich zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung nicht hat bereit finden können, durch die allein die Widerholungsgefahr hätte ausgeräumt werden können.

5. Die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs stellt sich nicht als rechtsmissbräuchlich nach § 8 Abs. 4 UWG dar. Die Behauptung der Beklagten, die Klägerin nehme sie nur in Anspruch, um einen Preiswettbewerb zwischen Tierärzten und Apothekern zu vermeiden, ist unsubstantiiert geblieben. Die Beklagte hat keine konkreten tatsächlichen Umstände vorgetragen, die einen solchen Hintergrund erkennen ließen.

6. Der Unterlassungsanspruch ist nicht nach § 11 UWG verjährt. Die Verjährungsfrist hat nach § 11 Abs. 2 Nr. 1 UWG noch nicht zu laufen begonnen. Das Verkaufen und Anbieten der Ware über eine Website ist eine Dauerhandlung ( Schulz , in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 2004, § 11 UWG Rn. 60), welche die Beklagte bis heute nicht beendet hat. Der Unterlassungsanspruch entsteht damit jeden Tag neu (BGH, GRUR 2003, 448, 450 - Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft; BGH, GRUR 1984, 820 - Intermarkt II; BGH, GRUR 1972, 558, 560 - Teerspritzmaschinen, vgl. auch BGH, GRUR 1974, 99, 100 - Brünova).

7. Schließlich ist der Anspruch auch nicht nach § 242 BGB wegen Treu und Glauben (BGH, NJW 1989, 836, 838) verwirkt. Es ist schon zweifelhaft, ob die Klägerin überhaupt seit geraumer Zeit von dem Verhalten der Beklagten Kenntnis hatte. Die Beklagte lässt hier substantiierten Vortrag vermissen. Vor allem aber ist ein Recht nur verwirkt, wenn es illoyal verspätet geltend gemacht wird. Dieser Tatbestand des Verstoßes gegen Treu und Glauben liegt nach ständiger Rechtsprechung des BGH erst dann vor, wenn zu dem Zeitablauf besondere auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen (BGH, NJW 1989, 836, 838; BGH, NJW 1965, 1532). Dies ist hier aber nicht der Fall. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten zu keiner Zeit durch irgendein Verhalten den Anschein erweckt, sie würde deren Verhalten dulden. Die bloße Untätigkeit des Berechtigten während eines Zeitraumes, der zur kurzfristigen Verjährung nicht ausreicht, führt niemals zum Erlöschen des Anspruchs (BGH, NJW 1989, 836, 838).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO

Die Entscheidung über die sofortige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO. Die Höhe der Sicherheitsleistung hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens bemisst sich nach § 709 S. 1 ZPO aus dem Streitwert, die Sicherheitsleistung hinsichtlich der Kosten folgt aus § 709 S. 2 ZPO.






LG Hamburg:
Urteil v. 21.08.2006
Az: 327 O 391/06


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