Oberlandesgericht Karlsruhe:
Urteil vom 26. Februar 2014
Aktenzeichen: 6 U 50/12

(OLG Karlsruhe: Urteil v. 26.02.2014, Az.: 6 U 50/12)

Ein sinnfälliges Herrichten eines durch ein Verwendungspatent erfassten Gegenstands kann auch dann vorliegen, wenn der Gegenstand gerade die im Patentanspruch genannten, der Erreichung des Verwendungszwecks dienenden physischen und/oder chemischen Eigenschaften aufweist und für einen Einsatz ausgerichtet und angeboten wird, bei dem die Erreichung des patentgemäßen Verwendungszwecks (hier: Vermeidung von Krebsrisiken) im Zeitpunkt des Angebots allgemein für notwendig erachtet wird. Einer weiteren Manifestation der Bestimmung für den anspruchsgemäßen Verwendungszweck (etwa durch Gebrauchsanleitungen, Produkthinweise etc.) bedarf es in diesem Fall nicht.

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 17.04.2012 (Az. 2 O 129/09) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen,

a) dass in Ziffer 1 des Tenors der auf die Tabelle folgende Halbsatz lautet: wobei die Anteile von TiO2, BaO, SrO, ZrO2 < 1 Mol-% betragen,

b) und dass Ziffer 1 des Tenors in Bezug auf den Beklagten zu 3 wie folgt lautet:

der Beklagte zu 3 den Schaden, der der Klägerin durch zwischen dem 01.01.2003 und dem 22.09.2009 liegende Geschäftsvorgänge der K GmbH, der K GmbH & Co. KG und der Beklagten zu 1 und der Beklagten zu 4 entstanden ist.

Die weitergehende gegen den Beklagten zu 3 gerichtete Klage wird abgewiesen.

2. Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung kann gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 0% des jeweils beizutreibenden Betrages leistet. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Patentverletzung auf Schadensersatz und vorbereitende Rechnungslegung in Anspruch.

Die Klägerin ist Inhaberin des deutschen Teils des europäischen Patents EP 0 399 320 B2 (Klagepatent, Anlage B 7), das am 12.05.1990 angemeldet wurde und beim DPMA das Aktenzeichen DE 590 09 972 trägt. Seine Erteilung ist am 20.12.1995 veröffentlicht worden, die Entscheidung über den Einspruch am 19.01.2000. Das Patent wurde im Oktober 1998 auf die Klägerin übertragen, was am 14.02.2001 in das Patentregister eingetragen worden ist. Es ist am 12.05.2010 erloschen. Die Nichtigkeitsklage ist hinsichtlich der ersten beiden Patentansprüche rechtskräftig abgewiesen (BGH, Urteil vom 20.12.2011, X ZR 53/11 - Glasfasern, Anlage B 17: künftig NiUrt.; vorgehend BPatG, Urteil vom 25.01.2011, 3 Ni 26/09 (EU)). Eine unter anderem von der Klägerin gegen die Beklagte zu 2 angestrengte Patentverletzungsklage vor dem Tribunal de commerce de Liège ist durch Urteil vom 05.11.2011 R.G. N° 2009/02065 als unbegründet abgewiesen worden (Anlage B 16); das (weitgehend bestätigende) Berufungsurteil liegt als Anlage BK 7 vor.

Die Patentansprüche 1 und 2 lauten in der Verfahrenssprache Deutsch:

1. Verwendung der Glasfasern mit der folgenden in Mol-% angegebenen Glaszusammensetzung:

SiO255-70vorzugsweise58-65B2O30-5vorzugsweise0-4AI2O30-3vorzugsweise0-1TiO20-6vorzugsweise0-3Eisenoxide0-2vorzugsweise0-1MgO 1-4CaO8-24vorzugsweise12-20Na2O10-20vorzugsweise12-18K2O0-5vorzugsweise0,2-3Fluorid0-2Vorzugsweise0-1

und die einen Durchmesser von < 8 ¼m besitzen, wobei mehr als 10% der Glasfasern einen Durchmesser von < 3 ¼m aufweisen, als Glasfasern, die kein kanzerogenes Potential zeigen, wobei die Anteile von TiO2, BaO, ZnO, SrO, ZrO2 < 1 Mol-% betragen.

2. Verwendung der Glasfasern nach Anspruch 1 und mit einem mittleren Durchmesser von < 2 ¼m, wobei folgende zusätzliche Bedingungen für die molaren Anteile von AI2O3, B2O3, CaO und Na2O gelten:

AI2O3< 1 Mol-%B2O3< 4 Mol-%CaO> 11 Mol-%Na2O> 4 Mol-%

Die in Belgien ansässige Beklagte zu 2 stellt dort Glasfaserprodukte her, die sie an die Beklagte zu 1 liefert. Die Beklagte zu 1 vertreibt diese Glasfaserprodukte unter anderem unter den Bezeichnungen T1, T2 und T3 (künftig: angegriffene Ausführungsformen) bundesweit an den Baustoffhandel (z.B. Baustoffmärkte), wo sie zur Verwendung als Dämmmaterial in Plattenform von Verbrauchern erworben werden können.

Zuvor war in den Jahren 2007 und 2008 die zwischenzeitlich aufgelöste K GmbH & Co. KG für den Vertrieb in der Bundesrepublik Deutschland zuständig, deren persönlich haftende Gesellschafterin die Beklagte zu 4 war. Die K GmbH & Co. KG war wiederum Rechtsnachfolgerin der K GmbH, die vor dem Jahr 2007 für den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen in der Bundesrepublik Deutschland zuständig war.

Der Beklagte zu 3 war Mitgeschäftsführer der K GmbH und der Beklagten zu 4 und ist Geschäftsführer der Beklagten zu 1.

Die angegriffenen Ausführungsformen haben die chemische Zusammensetzung, die im Patent beschrieben ist. Sie weisen einen Anteil von mindestens 10 % Glasfasern auf, bei denen der Durchmesser jeder einzelnen Faser größer oder gleich 8 Mikrometer ist.

Die Klägerin ist der Ansicht, die angegriffenen Ausführungsformen machten wortsinngemäß von der Erfindung Gebrauch. Sie hat in erster Instanz beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagten mit folgenden Maßgaben verpflichtet sind, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der dieser dadurch entstanden ist und noch entsteht, dass sie in der Bundesrepublik Deutschland Glasfasern zur Verwendung als Glasfasern, die kein kanzerogenes Potential zeigen, angeboten, in Verkehr gebracht, gebraucht oder zu den genannten Zwecken entweder eingeführt oder besessen haben, wenn die Glasfasern einen Durchmesser von = 8 µm vorkommen, hat der Senat gewürdigt, vermag ihr aber aus den dargestellten Gründen nicht beizutreten. Allerdings ist - wie die Cour dAppel de Liège ebenfalls hervorhebt - für die Auslegung des Patentanspruchs der Anspruchswortlaut maßgeblich; ergänzend sind die Patentbeschreibung und die Zeichnungen heranzuziehen (Art. 69 Abs. 1 EPÜ; BGHZ 160, 204, 209 - bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; BGHZ 189, 330 - Okklusionsvorrichtung; BGH GRUR 2013, 1279 - Seitenwandmarkierungsleuchte). Der Anspruchswortlaut lässt die dargestellte Deutung, die durch die Beschreibung des Klagepatents gestützt wird, jedoch ohne weiteres zu. Mit dem Nebensatz und die einen Durchmesser von < 8 ¼m besitzen, wobei mehr als 10% der Glasfasern einen Durchmesser von < 3 ¼m aufweisen wird - ebenso wie mit der vorangehenden und nachfolgenden Beschreibung der Glasfaserzusammensetzung - lediglich klargestellt, welche Art von Glasfasern als Glasfasern ohne kanzerogenes Potential verwendet werden sollen; er umschreibt also den Gegenstand der als Erfindung geschützten Verwendung. Dass damit Produkte, die daneben auch dickere Glasfasern enthalten, nicht vom Schutzbereich ausgeschlossen werden, hat seinen Grund darin, dass es sich nicht um einen Sachanspruch, sondern um einen Verwendungsanspruch handelt, der die Erkenntnis schützt, dass ein an sich bekannter Gegenstand (im Streitfall: dünne und damit potentiell krebserzeugende Glasfasern) für einen Zweck (Einsatz in einem krebssensitiven Umfeld) eingesetzt wird, der bislang nicht in Betracht gezogen oder für ausgeschlossen gehalten wurde.

Weitere Konsequenz des dargestellten Verständnisses ist - wie das Landgericht ebenfalls zu Recht angenommen hat -, dass die Bezugsgröße für die Prozentangabe in Merkmal 1 b) die Menge derjenigen Fasern ist, die einen Durchmesser < 8 µm haben, und dass dickere Fasern auch insoweit außer Betracht bleiben (vgl. auch BGH NiUrt. Rn. 27 f.).

3. Ebenfalls zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass der Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen von der so umschriebenen technischen Lehre des Anspruchs 1 wortsinngemäßen Gebrauch macht.

a) Die Glasfasern, die in den angegriffenen Ausführungsformen eingesetzt werden, weisen unstreitig die in den Merkmalen 2 und 3 beschriebene chemische Zusammensetzung auf.

b) Dass die angegriffenen Produkte auch Fasern mit einem Durchmesser >= 8 µm enthalten, schließt eine Benutzung des Merkmals 1 a) nach dem Ausgeführten nicht aus. Entscheidend ist, dass sie in erheblichem Umfang Glasfasern enthalten, die einen Durchmesser < 8 µm besitzen.

c) Das Landgericht hat festgestellt, dass in den angegriffenen Produkten Glasfasern mit einem Durchmesser < 3 µm vorkommen und dass diese ausweislich der von den Beklagten selbst vorgelegten Untersuchung (Anlage B 12) im Verhältnis zur Menge der Fasern mit einem Durchmesser < 8 µm einen Anteil von (deutlich) über 10 Prozent ausmachen (Merkmal 1 b), LGU S. 16 unten). Gegen diese Feststellung haben die Beklagten in der Berufungsinstanz keine erheblichen Einwände erhoben; Bedenken gegen die vom Landgericht vorgenommene Würdigung der Anlage sind auch nicht ersichtlich. Dass die Beklagten in der Berufungsinstanz Untersuchungen (Anlage BK 6) vorlegen, die einen Anteil von (teilweise knapp) unter 10 Prozent ausweisen, ist in dieser Situation ohne Belang; der neue Vortrag wäre zudem nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen.

d) Zu Recht ist das Landgericht schließlich zu dem Ergebnis gelangt, dass die in den angegriffenen Ausführungsformen enthaltenen Glasfasern als Glasfasern ..., die kein kanzerogenes Potential zeigen, verwendet werden (Merkmal 1 a.E.).

(1) Der patentgemäße Verwendungszweck besteht demnach darin, dass die Glasfasern für Zwecke eingesetzt werden, bei denen die Gefahr von Krebserkrankungen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden soll. Als Glasfasern, die kein kanzerogenes Potential zeigen, sind nach dem Inhalt der Klagepatentschrift Glasfasern anzusehen, bei denen kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Aufnahme des Materials über die menschliche Lunge und dem Entstehen einer Krebserkrankung besteht. Ein signifikanter Zusammenhang in diesem Sinne liegt vor, wenn die Glasfasern bei den in der Patentschrift beschriebenen Tierversuchen eine Erkrankungsrate von mehr als rund 10% innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren hervorrufen. In der Beschreibung des Klagepatents ([0018]) wird ausgeführt, bei intratrachealer Instillation (Einträufeln in die Luftröhre) von Glasfasern gemäß Patentanspruch 2 in Rattenlungen trete nach einer Zeit von zwei Jahren eine Tumorrate von weniger als 10% auf. Solche Glasfasern könnten daher als nicht kanzerogen eingestuft werden. Obwohl die Beschreibung in Abschnitt [0013] berichtet, dass bei Glasfasern mit der chemischen Zusammensetzung des Anspruchs 1 bei einer Halbwertszeit von 42 Tagen sogar Tumorraten unter 5 % (tatsächlich sogar 0 %, vgl. [0037]) beobachtet wurden, ist auch im Zusammenhang mit Anspruch 1 eine Tumorrate von weniger als 10 % als nicht kanzerogen zu qualifizieren (BGH NiUrt. Rn. 11-16).

(2) Wie ausgeführt, umfasst Patentanspruch 1 die sinnfällige Herrichtung von Gegenständen, die die genannten Fasern enthalten, für alle Einsatzzwecke, bei denen die Gefahr von Krebserkrankungen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden soll. Die sinnfällige Herrichtung kann nicht nur durch eine besondere Gestaltung der Sache, sondern auch durch eine ihr beim Vertrieb beigegebene Gebrauchsanleitung in Form eines Beipackzettels oder in sonstiger Weise geschehen (BGH GRUR 1990, 505, 506 f. - Geschlitzte Abdeckfolie). Erforderlich ist also, dass der beschriebene Gegenstand in erkennbarer Weise auf den Verwendungszweck ausgerichtet wird, so dass für den Abnehmer ersichtlich ist, dass der Gegenstand in der patentgemäßen Weise eingesetzt werden soll.

Die sinnfällige Herrichtung besteht im Streitfall darin, dass die angegriffenen Produkte, die Glasfasern mit den anspruchsgemäßen geometrischen und chemischen Eigenschaften enthalten, als Dämmplatten und damit als Baustoffe für den Hochbau ausgestaltet und vertrieben werden. Denn bei Baustoffen für den Hochbau muss die Gefahr von Krebserkrankungen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden.

(3) Für Bauprodukte gelten gefahrstoffrechtliche Normen, die die Verkehrsfähigkeit von Mineralfaserprodukten an einen Nachweis der Unbedenklichkeit in Bezug auf Krebsgefahren knüpfen. Nach Abschnitt 23 (Biopersistente Fasern) Spalte 2 des Anhangs zu § 1 der Chemikalien-Verbotsverordnung, dem die angegriffenen Glaswolleprodukte unstreitig unterfallen, dürfen die in Spalte 1 genannten Mineralfasern grundsätzlich nicht zu Zwecken der Wärme- und Schalldämmung im Hochbau einschließlich technischer Isolierungen und bei Lüftungsanlagen in den Verkehr gebracht werden. Nach Spalte 3 gilt das in Spalte 2 niedergelegte Verbot nicht, wenn eines der im Anschluss genannten Kriterien erfüllt wird. Das zweite Kriterium (welches die angegriffenen Glasfaserprodukte tatsächlich erfüllt haben) verlangt, dass die Halbwertzeit nach intratrachealer Instillation von 2 mg einer Fasersuspension für Fasern mit einer Länge größer 5 µm, einem Durchmesser kleiner 3 µm und einem Länge-zu-Durchmesser-Verhältnis von größer 3:1 (WHO-Fasern) höchstens 40 Tage beträgt.

Damit werden für Glasfaserprodukte, die als Dämmmaterialien in den Verkehr gebracht werden sollen, im Hinblick auf die Verweildauer in der Lunge mindestens ebenso hohe Anforderungen aufgestellt wie nach der Beschreibung des Klagepatents. Für Glasfasern mit der Zusammensetzung nach Anspruch 1 wurde nach Abschnitt [0013] eine Halbwertszeit von 42 Tagen gemessen; diese korrelierte mit einer Tumorrate von unter 5 % (tatsächlich wurden überhaupt keine Tumore festgestellt, vgl. [0037]).

Die Halbwertszeit ist, wie in der Beschreibung ausführlich dargelegt wird, entscheidend für das kanzerogene Potential von Mineralfasern; das kanzerogene Potential ist umso größer, je größer die relative, auf den Durchmesser bezogene Halbwertszeit ist ([0029]). Diese Korrelation zwischen Halbwertszeit und Kanzerogenität ist erkennbar der Grund dafür, dass nach dem zweiten Kriterium in Spalte 3 des Anhangs zu § 1 der Chemikalien-Verbotsverordnung nur auf die Halbwertszeit abgestellt wird und nicht - wie im ersten und dritten Kriterium - auf die Kanzerogenität selbst.

Die im zweiten Kriterium in Spalte 3 des Anhangs zu § 1 der Chemikalien-Verbotsverordnung genannten Details der Durchführung der intratrachealen Instillation entsprechen weitgehend den Angaben im Klagepatent. Die Maße der Fasern (Länge > 5 µm, Durchmesser < 3 µm, Längen-Durchmesser-Verhältnis > 3:1) stimmen mit den Fasern, die nach dem Klagepatent vorrangig untersucht wurden, überein (vgl. etwa [0002], [0021], [0023]). Nach Spalte 3 werden 2 mg Fasersuspension instilliert, nach dem Klagepatent 2 mg Fasermaterial, das in 0,4 ml Kochsalzlösung suspendiert ist ([0024]). Anhaltspunkte dafür, dass sich bei der Untersuchungsmethode nach dem zweiten Kriterium in Spalte 3 des Anhangs zu § 1 der Chemikalien-Verbotsverordnung wesentlich (mindestens Faktor 2) höhere Tumorraten ergeben würden wie nach der im Klagepatent genannten Untersuchungsmethode, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Maßgeblich ist - wie ausgeführt - ein Verwendungszweck, bei dem die Gefahr von Krebserkrankungen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden muss. Die Beschreibung des Klagepatents konkretisiert die gerade noch akzeptable Tumorrate durch den Hinweis auf bestimmte Tierversuche, bei denen nach 2 Jahren eine Tumorrate von unter 10 Prozent festgestellt wird. Wenn nun die für die angegriffenen Ausführungsformen einschlägigen gefahrstoffrechtlichen Normen Tierversuche vorsehen, die hochgradig ähnlich denjenigen sind, die im Klagepatent beschrieben sind und die ausweislich des Klagepatents zu deutlich unter dem genannten Grenzwert liegenden Tumorraten führen (< 5 Prozent statt < 10 Prozent), dann spricht jedenfalls der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die angegriffenen Ausführungsformen für einen Verwendungszweck eingesetzt werden, bei dem die Gefahr von Krebserkrankungen - mindestens - im gleichen Maße ausgeschlossen werden muss wie nach dem Klagepatent. Es wäre in dieser Situation Sache der Beklagten, den Anschein eines entsprechenden Schutzniveaus durch substantiierten Vortrag zu erschüttern. Hieran fehlt es.

(4) Welches kanzerogene Potential die angegriffenen Ausführungsformen tatsächlich besitzen, ist entgegen der Auffassung der Beklagten und des Landgerichts ohne Bedeutung. Entscheidend ist, dass sie in relevantem Maße Fasern mit den patentgemäßen geometrischen und chemischen Eigenschaften enthalten und dass diese für den patentgemäßen Verwendungszweck sinnfällig hergerichtet werden. Letzteres geschieht durch die Herstellung und den Vertrieb als Dämmmaterialien für den Hochbau; ein ausdrücklicher Hinweis auf das (gesetzlich vorgeschriebene) Fehlen eines kanzerogenen Potentials ist nicht erforderlich.

Selbst wenn man aber verlangte, dass das Fehlen eines kanzerogenen Potentials für die angegriffenen Produkte festgestellt wird, würde sich an der Beurteilung nichts ändern. Denn die angegriffenen Ausführungsformen haben, wie erwähnt, die Anforderungen des zweiten Kriteriums der Spalte 3 des Anhangs zu § 1 der Chemikalien-Verbotsverordnung erfüllt und sind deshalb verkehrsfähig. Damit gelten entsprechende Überlegungen: Angesichts der patentgemäßen chemischen Zusammensetzung der Glasfasern, die nach dem Klagepatent den Ausschluss des kanzerogenen Potentials bewirkt, und angesichts der weitgehenden Entsprechung der Testmethoden spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass bei Instillationsversuchen, die der Patentbeschreibung entsprechen, vergleichbar geringe Halbwertszeiten und damit Tumorraten unter 10 Prozent festgestellt würden. Konkrete gegenteilige Anhaltspunkte sind dem Beklagtenvortrag nicht zu entnehmen; der Hinweis darauf, dass sich die in Spalte 3 des Anhangs zu § 1 der Chemikalien-Verbotsverordnung genannten Kriterien deutlich voneinander unterschieden, vermag angesichts der hochgradigen Ähnlichkeit des zweiten Kriteriums mit der im Klagepatent beschriebenen Untersuchungsmethode nicht zu überzeugen.

(5) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist für die Anforderungen an die sinnfällige Herrichtung nicht auf die Verhältnisse im Prioritätszeitpunkt, sondern auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Verletzungshandlung abzustellen. Die Verletzungshandlung ist die Ausrichtung der angegriffenen Produkte auf den patentgemäßen Verwendungszweck, also auf die Notwendigkeit der Vermeidung von Krebsrisiken beim jeweiligen Einsatz der Glasfasern. In welchem Maße diese Notwendigkeit besteht, bestimmt sich nach den tatsächlichen und rechtlichen Umständen im Zeitpunkt der Herrichtung der Produkte (vgl. auch BGH NiUrt. Rn. 55). Dies ergibt sich aus der vergleichsweise abstrakten Formulierung des geschützten Verwendungszwecks; ein dynamischer Schutzbereich wird damit entgegen der Auffassung der Beklagten nicht eingeführt.

Aus demselben Grund ist unerheblich, ob und unter welchen Voraussetzungen die Verwendung von Glasfasern für Isolierzwecke im Prioritätszeitpunkt zulässig war bzw. ob und inwieweit sich die gefahrstoffrechtliche Situation in der Zeit nach Anmeldung des Klagepatents geändert hat. Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob eine patentgemäße Verwendung vorliegt, sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der behaupteten Verletzung.

(6) Damit liegt eine sinnfällige Herrichtung zur Verwendung für den in Merkmal in genannten Zweck jedenfalls dann vor, wenn unter der Geltung der genannten Regelung (Abschnitt 23 des Anhangs zu § 1 der Chemikalien-Verbotsverordnung) Glasfasern als Dämmplatten angeboten oder in den Verkehr gebracht werden. Mit dem Anbieten erklärt der Anbietende konkludent, dass das angebotene Produkt den geltenden gesetzlichen Regelungen, also auch den gefahrstoffrechtlichen Anforderungen entspricht. Die Regelung ist in der dargestellten Form seit dem 01.06.2000 in Kraft.

Die Geltung der genannten, die Verkehrsfähigkeit von Mineralfaserprodukten beschränkenden Regelung ist indessen keine notwendige Bedingung für das Vorliegen einer patentgemäßen Verwendung. Unter das Klagepatent fällt jede sinnfällige Herrichtung von Gegenständen, die die Glasfasern mit den genannten geometrischen und chemischen Eigenschaften enthalten, für Einsatzzwecke, bei denen aufgrund rechtlicher oder sonstiger Vorgaben die Gefahr von Krebserkrankungen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden muss (vgl. BGH NiUrt. Rn. 20, 55). Dass für Produkte, die im Hochbau eingesetzt werden, die Gefahr von Krebserkrankungen sowohl der verarbeitenden Handwerker als auch der Nutzer der Gebäude möglichst ausgeschlossen werden muss, versteht sich von selbst. Im fraglichen Zeitraum ab dem 01.11.1998 (vgl. Klageantrag Ziff. 1) war die Verwendung von künstlichen Mineralfasern in Bereichen, in denen Menschen den Fasern ausgesetzt sind, als zumindest problematisch erkannt. Das ergibt sich nicht nur aus der Beschreibung der Klagepatentschrift, die von dieser Problematik ausgeht, die Tumorgefahr für nicht patentgemäße Glasfaserzusammensetzungen aufgrund von Versuchen dokumentiert und eine Lösung in Gestalt der Verwendung der anspruchsgemäßen Glasfasern anbietet, sondern auch aus der als Anlage K 10 vorliegenden Richtlinie 97/69/EG der Kommission vom 5. Dezember 1997, mit der die Richtlinie 67/548/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe geändert wurde. In den Erwägungsgründen heißt es u.a.:

Laboruntersuchungen haben ergeben, dass bestimmte künstlich hergestellte glasige (Silikat-) Fasern krebserzeugende Wirkung haben. Epidemiologische Studien haben zu Bedenken bezüglich der Gesundheitseffekte von künstlich hergestellten glasigen (Silikat-) Fasern Anlass gegeben.

Die Liste der gefährlichen Stoffe in Anhang I der genannten Richtlinie [67/548/EWG] bedarf deshalb insbesondere hinsichtlich bestimmter, künstlich hergestellter glasiger (Silikat-) Fasern einer Anpassung und Erweiterung. ...

Als Konsequenz sah die geänderte Richtlinie 67/548/EWG nach dem unstreitigen Vortrag der Beklagten eine Pflicht zur Kennzeichnung der Mineralfaserprodukte mit dem Hinweis Kann Krebs beim Einatmen erzeugen vor, die entfallen konnte, wenn nach bestimmten Testmethoden die Unbedenklichkeit des Produkts festgestellt wurde. Ferner hat die International Agency for Research on Cancer (IARC), eine Agentur der WHO, nach dem insoweit ebenfalls unbestrittenen Vortrag der Beklagten künstliche Mineralfasern seit 1988 als possibly carcinogenic for humans (Gruppe 2B) eingestuft; erst 2002 wurde die Einstufung für Glaswolle auf not classifiable as to its carcinogenicity (Gruppe 3) geändert.

Im hier fraglichen Zeitraum wurde also die Verwendung von Glasfaserprodukten, die für den Kontakt mit Menschen bestimmt waren, mit Blick auf Krebsgefahren beim Einatmen als risikobehaftet angesehen. Mit dem Klagepatent wird eine Möglichkeit aufgezeigt, wie diese Risiken durch Auswahl geeigneter - auch dünner - Glasfasern zu vermeiden sind, so dass solche Glasfaserprodukte auch dort eingesetzt werden können, wo sie mit Menschen in Berührung kommen. Wenn in dieser Situation für ein Glasfaserprodukt aus der Vielzahl möglicher Glasfaserzusammensetzungen gerade diejenige Zusammensetzung ausgewählt wird, bei der nach der Patentschrift ein Krebsrisiko mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen wird, und das Produkt dann für einen krebssensitiven Einsatzzweck (hier: Dämmplatten für den Hochbau) angeboten wird, dann liegt (auch) darin eine sinnfällige Herrichtung des Produkts für die patentgemäße Verwendung.

4. Wegen der somit vorliegenden Patentverletzung stehen der Klägerin die im angefochtenen Urteil zugesprochenen Ansprüche zu. Durch das Verwendungspatent ist der Patentinhaber wirksam dagegen geschützt, dass ein Dritter die zur Verwendung gelangende Substanz im Inland gewerbsmäßig zu dieser Verwendung herrichtet, feilhält oder in den Verkehr bringt oder dass ein Dritter gewerbsmäßig eine im Ausland für die Verwendung hergerichtete Substanz im Inland feilhält oder in den Verkehr bringt (vgl. BGHZ 88, 209 juris-Rn. 16 - Hydropyridin). Solche Verletzungshandlungen der Beklagten hat das Landgericht festgestellt, ohne dass dagegen in der Berufungsinstanz erhebliche Einwände vorgebracht werden.

Hinsichtlich des Beklagten zu 3 ist allerdings in der Berufungsinstanz unstreitig, dass er überhaupt erstmals im Jahr 2003 (mangels anderer Anhaltspunkte geht der Senat vom 01.01.2003 aus) als Geschäftsführer bestellt wurde und diese Tätigkeit in wechselnden Unternehmen (unstreitig in der K GmbH, der Beklagten zu 4 als persönlich haftender Gesellschafterin der K GmbH & Co. KG und der Beklagten zu 1) bis zum 22.09.2009 ausgeübt hat. Da er nur als Geschäftsführer für Geschäftsvorgänge der genannten Gesellschaften haftet, war der Zeitraum seiner Haftung entsprechend zu begrenzen.

Die von den Beklagten erhobene Einrede der Verjährung greift nicht durch. Die Klage wurde am 16.07.2009 beim Landgericht eingereicht und demnächst (i.S.d. § 167 ZPO) zugestellt. Dass die Klägerin länger als drei Jahre vor diesem Zeitpunkt Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Identität der Beklagten gehabt hätte (§ 199 Abs. 1 BGB), ist dem Beklagtenvortrag nicht mit Substanz zu entnehmen. Aus dem Umstand, dass sich die Klägerin zur Begründung ihrer Ansprüche u.a. auf die Richtlinie 97/69/EG berufen hat, kann entgegen der Darstellung der Beklagten nicht auf einen früheren Kenntniszeitpunkt geschlossen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen. Die Frage, welche Anforderungen an die sinnfällige Herrichtung eines Gegenstands zu einer patentierten Verwendung zu stellen sind, ist in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt, so dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.






OLG Karlsruhe:
Urteil v. 26.02.2014
Az: 6 U 50/12


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